Man fragt sich immer wieder, wie es eigentlich möglich ist, eine so
unsinnige Politik wie Kürzungsmaßnahmen bei gleichzeitiger Erwartung von
Wachstum zu vetreten. Oder wie es möglich ist, dass jemand, der völlig
unreflektierte Kürzungen ankündigt, dafür gefeiert wird, ganz besonders
wenn er von Vernunft, Maß, Mitte, Realismus und ähnlichem quatscht. Etwa
so, wie es Winfried Kretschmann und Boris Palmer im Umfeld des
Grünen-Parteitags getan haben. Die beiden stehen in Baden-Württemberg
für eine Finanzpolitik, die sich von der der CDU und FDP darin
unterscheidet, dass SPD und Grüne sie machen. Sie lieben die
Schuldenbremse, sie wollen Kürzungen in allen Bereichen (“unangenehm”,
“unbequem”, nur um weitere Buzzwords einzuwerfen, die ständig
auftauchen), weil das irgendwie gute Politik auszeichnet. Für die
meisten professionellen Beobachter der politischen Szene gilt noch immer
der große Konsens, dass alles, was Budgets kürzt, gut sein muss – es
sei denn, es betrifft die eigene Klientel, aber das tut es
glücklicherweise selten. Es gibt einen Grund dafür, dass beide Seiten
mit diesem Unsinn durchkommen, und der liegt in der
Kommunikationsstrategie: kurze Sätze, ernst gucken, nix verstehen.
Paul
Krugman beklagt sich über diese Schieflage in der öffentlichen Debatte
schon lange. Er hat dafür eine recht einleuchtende Erklärung gefunden:
die Inszenierung als “very serious people”, auf deutsch: sehr ernste
Leute. Und tatsächlich scheint es die Hauptursache für die unglaubliche
Attraktivität von Lippenbekenntnissen zur Austerität zu sein (wenn es an
die tatsächlichen Kürzungen geht nimmt der Enthusiasmus meist ganz
schnell ab, wenn er eigene Klientel betrifft), dass man so furchtbar
ernst und wichtig dabei wirkt. Wenn jemand Steuererhöhungen fordert,
oder eine aktive Rolle des Staates, gilt er als Fantast, als Idealist,
als jemand, der keine Ahnung von der Welt da draußen hat.
Wer dagegen Kürzungen fordert und davon spricht, eine
“wirtschaftsfreundliche” Politik zu machen (auch wieder Palmer und
Kretschmann), der ist ein “Realo”, jemand der ernst ist. Man sieht es
auch an den Posen, in denen sie sich gerne fotografieren lassen. Nur zu
gerne wird die staatsmännische Pose eingenommen, man schaut ernst,
verkündet die Notwendigkeit harter Maßnahmen. Eitel wird darauf
verwiesen, dass man “harte Wahrheiten” ausspreche. Ritter im Kampf für
Wahrheit und Moral! Es ist diese Lust an der staatsmännischen Pose, die
jedem zugesprochen wird, der sich als großer Kürzer gebiert, die für die
ungebrochene Attraktivität dieser Positionen sorgt. Es ist keinerlei
Fachkenntnis dafür notwendig. Von Wirtschaft muss man nichts verstehen,
solange man nur mit diesen Buzzwords um sich wirft. Genau darin liegt
die Attraktivität.
Die großen Kürzer - interessante Formulierung. Hätte da noch eine Ergänzung oder Erweiterung anzubieten:
AntwortenLöschenDie Großen kürzen.
Aus meiner Sicht wäre es sinnvoll als Projekt die gängigen Standard-Phrasen und Argumente zu sammeln, zu versuchen sachlich die dazugehörigen Annahmen darzulegen und die Lücken bzw. von anderer Seite gefürchteten tatsächlichen Konsequenzen aufzuzeigen, z.B. dass Sparen den Binnenwirtschaft abwürgt. Vielleicht könnte das ja eine statig wachsende Sammlung auf deliberatondaily werden? Viele Grüße, Lars
AntwortenLöschenPolitiker, die von der Tilgung der "Staatsschulden" labern und die völlig unökonomische und schon deshalb populistische, Menschen verachtende Austeritätspolitik verteidigen, verstehen das Geldsystem von USD und Euro nicht. Von der Wiedergabe der Phrasen, die sie vom Finanzlobbiysten ihres Vertrauens eingeflüstert bekommen haben, hängt wohl ihre Karriere ab. Die wahren Ursachen zu verschweigen oder gar nicht zu kennen - beides finde ich gleichermaßen erbärmlich.
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