Sonntag, 9. Juli 2006

Nachrichten des Tages

Politik (Inland):

Erneut ist der Parteibildungsprozess zwischen Linkspartei.PDS und WASG von Entmachtungsversuchen überschattet. Zugunsten der Parteispitze soll die Basis zurückstecken. Was die Neue Linke frappant von den anderen Parteien unterschied - Demokratie - soll nun eingeebnet werden. Daumen runter.

Die Große Koalition hat 100 Millionen Euro für die Rüstungsforschung spendiert, Zielpunkte: Flüchtlingsabwehr an den EU-Grenzen und Polizeiausrüstung, natürlich beides unter dem Stichwort "Terrorabwehr".

Katastrophale Nachrichten für eine Demontage der Demokratie und Freiheitsrechte im großen Stil: die Große Koalition plant ein Gesetz, nachdem Kritik an Politikern strafbar werden könnte.

"Ich bin der Chef! Basta!" Wer könnte das gesagt haben? Wer jetzt spontan "Schröder!" ruft, liegt falsch, denn die Worte stammen von Angela Merkel. Die hat nun nämlich die Hierarchie gerade gerückt und schwadroniert wieder einmal vom Wählerauftrag, den sie angeblich erhalten habe. Nicht ganz so öffentlich gemachte Äußerungen verraten allerdings das Gegenteil.

Hurra, Hurra, eine neue Reform ist da! Dieses Mal handelt es sich um eine Abschaffung der Erbschaftssteuer für Betriebserben. Die SPD hat eine vage Zusage durchsetzen können, dass dieser Erlass an Arbeitsplatzerhalt gebunden sei, was die CDU prompt geißelt.

Wer wissen will, wie man demokraitsche Entscheidungen auch auf kleiner Ebene umgeht, sollte derzeit nach Hessen blicken. Obwohl die Proteste ungewöhnlich lange anhalten und nur noch mit massiver Polizeirepression unter Kontrolle gehalten werden können, die SPD, Junge Union, FDP und Jusos sowie die Linkspartei und WASG und die meisten Unisenate auf Seiten der Studenten sind, drückt Roland Koch nur aufs Tempo: in einer Woche soll das Gesetz durch den Landtag gepeitscht werden. In Mecklenburg-Vorpommern ist man derweil in gereizter Stimmung: 20 Millionen Euro hat der Bush-Besuch gekostet. Immerhin, man sei ein "demokratisches und tolerantes Land". Was das bedeutet, wird einen Satz später erklärt: jeder Staatschef eines demokratischen Landes sei willkommen. Na, das ist mal tolerant. Hier noch ein Bericht, wie die Sicherheit organisiert war. Derweil gerät ein totalitäres Polizeikonzept in Schleswig-Holstein zunehmend in die Kritk. Leider jedoch ist Polizeirepression nicht auf Schleswig-Holstein beschränkt: ein Bericht der jungenWelt zeigt, wie der Staat via Polizei illegal ihm nicht genehme Demonstrationen und Kundgebungen anderer Art zu unterbinden weiß.

In Hamburg wurde ein mutmaßlicher Al-Kaida-Anhänger festgenommen. Für Schäuble wieder ein willkommener Anlass, nach Bundeswehr im Inneren zu rufen.

Nachdem die Föderalismusreform unter Dach und Fach ist, macht man sich bereits bereit, die Neuordnung der Finanzen von Bund und Ländern anzugehen. Dabei soll, wie eilfertig von allen Seiten versichert wird, das Solidaritätsprinzip nicht in Frage gestellt und ein gnadenloser Wettbewerbsföderalismus verhindert werden, Bayern und Hessen haben jedoch bereits klar gemacht, weniger bezahlen zu wollen. Dabei waren im Bundesrat auch noch einige weitere Gesetze schnell noch vor dem WM-Finale beschlossen worden, die neben dem EU-Haftbefehl auch wesentlich verstärktere Sanktionen gegen Langzeitarbeitslose im Falle deren Einforderung der Menschenwürde vorsieht.

Eine blendende Analyse des Abfalls des neuen Bürgertums von der CDU liefert Franz Walter. Die traditonellen Seilschaften und Ortstrukturen der CDU, in denen die Forderung nach Flexibilität nur rhetorisch nach unten weitergereicht wird, kann damit nicht mehr mithalten. Das eigentlich anvisierte Klientel verlagert sich in Richtung FDP.

Immer mehr deutsche Soldaten kehren von Auslandseinsätzen traumatisiert zurück, Tendenz stark steigend bei großer Dunkelziffer.

Neues im Kopftuchstreit: das Stuttgarter Verwaltunsgericht hat das erste Urteil abgewiesen, die zum Islam konvertierte Lehrerin darf auch weiterhin ein Kopftuch tragen. Gegen dieses Urteil machen derzeit viele Leitmedien scharf, so auch der Radiosender SWR1. Hier wurde eine vermeintlich objektive Analyse von einem Experten abgegeben, der "im Interesse der Sicherheit unserer Kinder" unglücklich über das Urteil ist, denn: "wer weiß, welche bösen Gedanken unter dem Kopftuch ausgebrütet werden".

"Von Beruf Stimmungskiller" heißt es im Spiegel über einige WM-Spaßverderber. Ausnahmsweise sind es nicht die Linken, die hier dem Partypatriotismus einen Strich durch die Rechnung machen, sondern vielmehr irgendwelche Prominenten von Gottschalk über Jauch hin zu Merkel sowie natürlich die Wirtschaftsbosse. In irgendwelchen Sonderreihen sitzend lassen sie das Spiel über sich ergehen und nehmen interessierten Leuten den Platz weg.

Gesundheit:

Eine verblüffende Studie wurde in Frankfurt durchgeführt: durch kontrollierte Vergabe kleiner Heroindosen machte die Behandlung von schwer Süchtigen deutliche Fortschritte. Weniger verblüffend ist die Reaktion der Union, die eine Auseinandersetzung mit dem Thema kategorisch ausschließt. Da die 30-Millionen-Euro-Studie im Juni ausgelaufen ist und man die Patienten aus Menschenfreundlichkeit (ein Begriff, welcher der Union bekanntlich fremd ist) nicht auf die Straße setzen will, führen die Kliniken ihn auf eigene Kosten fort.

Wirtschaft:

Die Zeit schreibt in einem großen Artikel von der Steuerflucht der Unternehmen und stellt die beinahe ketzerische Frage, ob man nicht etwas dagegen tun könne.

Der Ladenschluss fällt, vorerst höchstwahrscheinlich in BW und Berlin. Wie die neuen Ladenschlussgesetze Druck auf Angestellte ausüben, hier in einem erschütternden Beispiel.

Zu den großen Gewinner der WM zählt auch die Telekom. Bei der werden dafür im Ausgleich für die 350 Millionen Mehreinnahmen die Arbeitsbedingungen immer miserabler. Während bei der EU über eine Zerschlagung des Monopolisten nachgedacht wird - die hoffentlich nicht in die Tat umgesetzt wird - , bereiten sich die Mitarbeiter auf den vom Managment provozierten Arbeitskampf vor.

Nun kommt auch eine Steuer auf den Biodiesel: die Förderung für alternative Energiequellen wird programmgemäß abgebaut.

Politik (Ausland):

London hat beschlossenen, einen Hacker an die USA auszuliefern, der in deren Rechner eingebrochen war. Was ihn dort erwartet (70 Jahre Haft und 1,75 Millionen Dollar Strafe) ist abzusehen.
Wie die Bürgerrechte in Großbritannien in den letzten 9 Jahren unter der Labourregierung Blair vernichtet wurden, ist in diesem erschreckenden Artikel zu lesen.

Neue Geschmacksverirrungen aus der Rechten in Polen: der Präsident verglich auf der offiziellen Ministeriums-HP die taz mit dem Stürmer. Der Grund dafür war ein stairisches Porträt, in dem wohl auch seine Mutter eingebaut war. Seine Teilnahme an einem Dreiergipfel mit Frankreich und Deutschland hat er aber nur wegen einer "gesundheitlichen Unpässlichkeit" abgesagt, behauptet er. Dazu kommen innenpolitische Probleme, die den Staat lähmen.
Immerhin kann man nicht behaupten, dass Polen nicht von seinen westlichen Vorbildern lernen würde: um den saisonalen Arbeitskräftemangel bei der Ernte zu beheben, heuert man Hilfskräfte aus dem Osten an, anstatt den erbärmlichen Lohn so aufzustocken, dass es sich für Polen lohnt, dort zu arbeiten - die gehen gerade nämlich lieber nach Deutschland.

So sehen Neoliberale aus: Wieder einmal wurde der ehemalige italienische Regierungschef Berlusconi angeklagt, vor allem wegen Steuerhinterziehung und gefälschter Bilanzen. Dabei muss er sich dieses Mal tatsächlich vor Gericht verantworten, und die Chancen, dass er sich wie früher einfach aus der Affäre ziehen kann, sinken stark.

Nach der Abspaltung durch Refenderum Montenegros von Serbien zeigt sich, dass wie erwartet viel Schindluder am Werke war. So versprach man Häftlingen eine Amnesie, wenn sie für die Sezession stimmten und verweigert ihnen nun diese. Dass um deren Stimmen ging, macht die Sache ebenso pikant wie ihr begonnener Hungerstreik.

Immer noch nichts Neues im Gaza: während die deutschen Medien israelische Rechtsverstöße weiter decken, sterben Kinder im Raketenhagel. Beeindruckend erweist sich im Aufstellen von Zerrspiegeln dabei der Spiegel, wenn er feststellt, dass die Israelis die Offensive fortführen, da "diplomatische Bemühungen nicht fruchten", während einen Satz weiter die harte Einstellung Israels unterstützt wird, keine Verhandlungen zu führen. Ebenfalls aus dem gleichen Artikel: "Trotz der israelischen Offensive schossen Palästinenser erneut Raketen vom Norden des Gazastreifens auf israelisches Gebiet." Ach nein.
In einem aufrüttelnden und erstaunlich ideologiefreien Artikel der jungenWelt wird der ganze Konflikt anahnd von Expertenaussagen noch einmal thematisiert und analysiert. Überaus lesenswert!
Die deutsche Regierung hat sich zu ersten verbalen Verurteilungen des Konflikts herabgelassen. Wie hohl diese Phrasen sind zeigt sich daran, dass zeitgleich Waffen an Israel geliefert wurden, so mit 330 Millionen Euro subventionierte U-Boote, die nach einer Umrüstung auch Nuklearsprengköpfe tragen könnten.
Nur am Rande wichtig ist dabei, dass Israel das Training der palästinensischen Nationmannschaft verhindert hat.

In Ägypten demontiert man gerade lustig die Pressefreiheit, in dem man Angriffe auf den Präsidenten und generell Korruptionsvorwürde unter Strafe stellt.

Im Irak haben sich die Amerikaner erstmals für begangene Verbrechen entschuldigt. Angst brauchen sie trotz Kritik durch Iraks Premier nicht zu haben, schließlich haben sie vorsorglich die Immunität der US-Soldaten in die irakische Verfassung aufnehmen lassen.

"Der irrlichternde Präsident" wird Ahmadinedschad in einem Artikel des Spiegels genannt, der noch einmal scharf macht gegen den Iran in diesen Tagen, als das öffentliche Interesse zu erlahmen droht und eine angebrachte laissez-faire-Einstellung einzureißen droht. Dass die Vorwürfe gegen den Iran gerade deswegen so aberwitzig sind, weil genau die ihm vorgeworfenen "Verbrechen" vom Westen bereits seit Jahrzehnten praktiziert werden, geht in dem Getöse beinahe unter.

Die FDP mokiert über den Afghanistaneinsatz: die deutschen Soldaten seien nicht mehr sicher; dadurch, dass man nur noch in gepanzerten Fahrzeugen losfährt geht der Kontakt mit der Bevölkerung verloren und bald wird man deutsche Soldaten nicht mehr positiv sehen. Alles eigentlich offensichtlich, doch Konsequenzen gezogen werden natürlich nicht.

Heute ist die deutsche Bundeswehrtruppe Richtung Kongo ausgerückt. Die einen behaupten, Weihnachten seien alle wieder zu Hause, die anderen, man könne eigentlich gar nichts sagen, die dritten, dass man es auf eine langfristige Strategie anlege und die vierten, dass man dem Kongo bereits militärische Hilfe auch für die Folgezeit zugesagt habe und ein 90-Millionen-Euro-Programm (jährlich!) stelle. Im Kongo selbst nimmt die Ablehnung bereits jetzt immer mehr zu. Die Grünen versuchen derweil, Aufklärung über Ziele bei der Ausbeutung kongolesischer Rohstoffe zu erhalten.

Packen wir einmal eben die Ironie aus: Verblüffenderweise hat niemand harte Sanktionen gegenüber Indien angedrohnt, das gerade einen erfolgreichen Raketentest für Atomwaffen durchgeführt hat und nachweislich funktionsfähige Atomwaffen besitzt. Stattdessen feiert der Spiegel das "gestiegene Drohpotenzial" Indiens. Am Ende des Artikels steht die Information, dass Indien derzeit mit China um die am schnellsten wachsende Volkswirtschaft der Welt streite. Na dann ist ja alles in Ordnung.
Gleichzeitig "weiß die internationale Gemeinschaft nicht, wie sie reagieren soll", was Nordkoreas Tests angeht, so der Spiegel. Vielleicht so wie in Indien auch?
Japan jedenfalls hat seine Antwort gefunden und droht unter Einbezug eines Verfasungsbruchs glattzüngig einen militärischen Erstschlag. Das gesamte Vokabular Asos hat man dieser Tage schon häufig genug gehört; erfrischend wirken da die scharfen Mäßigungsrufe aus Südkorea.
Eine etwas fragwürdige Analyse der jungenWelt beschäftigt sich mit der Frage, ob Nordkorea als Katalysator dienen könnte, Russland wieder zu einem eigenen Machtfaktor aufsteigen zu lassen.

Die Amerikaner haben immer größere Probleme mit dem Rechtsradikalismus innerhalb der Armee. Die wegen des Rekrutenmangels stark gelockerten Bestimmungen werden von den Rechten massenweise benutzt, um eine hevorragende Ausbildung an der Waffe zu bekommen.

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