Montag, 16. Januar 2012

Die deutsche Presse – (zuweilen) kritisch und wachsam

Ein paar Anmerkungen zum Thema „Wulff“

Von Jürgen Voß

Donnerstagabend, ZDF, Frau Illner, die Dame mit dem bleckenden Selbstbewusst-sein, hat eingeladen. Thema: Wulff. Danach, Herr Lanz, Thema: Wulff. Heute Frei-tagnachmittag, Nachrichten. Erstes Thema: Wulff. Sind wir verrückt geworden? Oder haben wir – anders als gedacht – einfach nur eine ganz kritische Presse, die ihren Auftrag, „vierte Gewalt“ in unserem Staate zu sein, bitter ernst nimmt? Von der Prole-tenprawda „Bild“ bis zum Zentralorgan für kultivierte Langeweile, der „Zeit“, alle sind dran, an dem armen Präsidenten und haben sich an ihm festgebissen wie ausge-flippte Bullterrier. Der Mann tut mir – das meine ich ganz ernst – inzwischen regel-recht leid. Und es ergeben sich Fragen.

Wo war denn unsere ach so kritische Nachplapperpresse beim neoliberalen Sys-temwechsel in den letzten 15 Jahren? Allein die verpassten Chancen bei den Personalia! Clement, der Superminister, lässt sich viele Jahre von der Leiharbeits-branche schmieren, liefert ihr anschließend das passgenaue Wunschgesetz und kriegt als Dankeschön einen hoch dotierten Austragsposten mit kabarettreifem Titel.

Riester, mit 400 000 Euro nachträglich belohnt für sein gigantisches Geschenk an die Privatversicherungsindustrie, jahrelang übergangen und erst jetzt als Thema entdeckt.

Raffelhüschen, Rürup, Börsch-Supan und Konsorten, Spitzenverdiener im Auf-trage der Versicherungswirtschaft, mal kritisch unter die Lupe genommen von Bild, Süddeutsche oder Zeit? Wüsste ich nicht.

Die unseligen Christiansenrunden, („Deutschland vor dem Reformstau!“) immer exakt gecasted, 5 Neoliberale gegen ein armes Gewerkschaftswürstchen, mal einmal kritisch oder wenigstens satirisch – das wäre nämlich angebracht gewesen - beäugt? (Walter Rossum hat es später mal getan.) Leider Fehlanzeige!

Und erst in jüngster Zeit: Jede Jubelmeldung der Regierung und der offiziellen Statistik unkritisch nachgeplappert: „So viel Erwerbstätige wie noch nie!“ (Erwerbstä-tig im statistischen Sinne= eine Stunde Arbeit pro Woche!); „So wenig Arbeitslose wie zuletzt 1992!“ (obwohl damals ganz anders gezählt wurde); „Die Agenda 2010 mit ihren „Reformen (die völlige semantische Verdrehung dieses Begriffs wäre alleine schon eine Betrachtung wert gewesen!) haben uns (!!) glänzend durch die Krise gebracht“, der Demografieschwindel („zu wenig Kinder für zu viele Alte!“) im Zusammenhang mit der „Rente mit 67“, usw. Das Blamageregister der Medien würde Seiten füllen.

Was hätte man bei diesen Themen mit der Bulldoggenenergie, mit der jetzt die causa Wulff bearbeitet wird, im Interesse der Menschen im unseren Lande an Gutem erreichen und an Schlechtem verhindern können! Doch alles ist anders gelaufen: Der neoliberale Mainstream hat nur im Netz seinen Konterpart gefunden, wenn man mal von wenigen Ausrutschern in den Feuilletons von FAZ und SZ (erst zuletzt von Ingo Schulze in der Ausgabe vom 12.1.) absieht.

Insofern beweist die Kampagne in Sachen „Wulff“ nur, dass unsere Presse und Me-dien könnten, wenn sie wollten. Nur: sie beweisen ihr Können am falschen Objekt. Wären sie doch sonst so kritisch, wie sie sich jetzt mal geben.

5 Kommentare:

  1. .....Wulff ist doch der ideale Dauerbrenner....

    hält von den wirklichen Themen ab.....es wird Zeit, dass deiser Staat zerstört wird....

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  2. An diesem Artikel gefällt mir nicht viel.

    1) Macht doch nicht den Wulff immer zum Opfer! ;-) Das passt doch einfach nicht. Der muss weg, da haben die Medien völlig recht.

    2) Außerdem: Der Bundespräsident ist schon was anderes als "Raffelhüschen, Rürup, Börsch-Supan und Konsorten".

    3) Und: eine personalisierte Affäire ersten grades zu vergleichen mit einem damals breiten Konsens über die Reformbedürftigkeit (Reform ist übrigens ein völlig neutraler Begriff. Es kann genauso konservative wie linke Reformen geben) der deutschen Sozialsysteme ist auch nur bedingt möglich. Was wir damals erlebt haben und teils immer noch erleben, war eine echte Hegemonie neoliberalen Denkens, pure Ideologie in dem Sinne, dass sie schon nicht mehr wahrgenommen wurde, so selbstverständlich war sie. Das ist ein großes Problem der Medienlandschaft (ähnliches ließ sich auch in den USA nach dem 11/9 zum Thema Irakkrieg usw. feststellen), aber wirklch was ganz anderes.

    4) Ich habe neulich darüber schon geschrieben: Die deutschen Arbeitsmarktzahlen sind wirklich ziemlich gut, insbesondere im Vergleich zu USA und Resteuropa. Das sollte auch die Linke akzeptieren:

    http://rekordniveau.posterous.com/schwierigkeiten-bei-der-wahrnehmung-der-reali

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  3. @Jürgen Voß
    Bei dem ganzen Geschreibsel der Blogger und Journalisten kann ich eines nicht verstehen. Ist es wirklich so schwierig? Warum kann man nicht verstehen, dass es sich bei dem ganzen Spiel nur um Kampagnen handelt?
    Es geht nicht um investigativen Journalismus im Bereich der Mainstream-Medien. Ist das echt so schwierig?
    Es geht nicht darum, ob irgendjemand korrupt ist oder nicht. Es geht nur darum ob du gewissen Damen und Herren in den Kram passt oder nicht. Auch ein Herr Guttenberg hätte seine Affäre überlebt, wenn Merkel nicht die Presse gegen diesen Typen organisiert hätte. Guttenberg war Konkurrenz. Und der Konkurrent musste weg. Merkel hatte die Kontakte zu Springer und Bertelsmann. Die "Bild" hat sich mit einer guttenbergfinanzierten Werbekampagne bestechen lassen. Alles klar, oder?
    Ist das wirklich so schwer zu erkennen?

    Und im Fall Wulff wäre die Frage zu stellen: Was steckt tatsächlich dahinter?
    Denn: Über Wulff wurde ja nichts spektakulär Neues berichtet. Das war alles schon ziemlich lange bekannt. Auch die Kontakte zu Maschmeyer und Konsorten.

    Deshalb meine Bitte: Nicht nur an der Oberfläche bleiben. Etwas tiefer buddeln!

    Selbstgewählte Dummheit und Oberflächlichkeit sind kein Schicksal.

    Und ansonsten: Wenn intellektuell nicht mehr möglich ist. Einfach mit dem Schreiben aufhören.

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  4. @Robin Hood

    Du schreibst eine ganze Menge Blödsinn.

    Merkel hat Guttenberg doch sogar lange noch verteidigt. Da soll sie gleichzeitig heimlich die Presse auf ihn gehetzt haben?

    "Merkel steht weiterhin hinter ihrem Verteidigungsminister. Sie lässt verlauten, dass sie Guttenberg weiter vertraut. "Der Bundesverteidigungsminister genießt das Vertrauen und die Unterstützung der Bundeskanzlerin. Daran hat sich nichts geändert", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert gestern. Merkel bleibt nach seinen Angaben weiter bei der Äußerung, sie habe Guttenberg nicht als wissenschaftlichen Assistenten berufen, sondern als Minister."

    Tagesschau.de 1.3.2011
    (http://www.tagesschau.de/inland/guttenberg760.html)

    Und Wulff? Glaubst Du im Ernst, Merkel hat ihn erst im vergangenen Jahr mühsam ins Amt gehievt um ihn jetzt aus irgendwelchen Gründen wieder los zu werden? Oder wer sollte sonst ein Interesse daran haben, ihn aus dem Amt zu bekommen aus anderen Gründen als denen, die zuletzt durch die Presse gegangen sind? Da gibt es doch nichts.

    Nein, Guttenberg war nach der Plagiatsaffaire nicht mehr haltbar, Wulff ist nach seinen Halblügen im Fernsehen und den anderen Geschichten nicht mehr haltbar. Wir brauchen ein Mindestmaß an politischer Hygiene in den Spitzenpositionen. Wulff und Guttenberg sind keine unschuldigen Opfer von Medienkampagnen, sie haben sich selbst unmöglich gemacht.

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  5. An eine von irgend welchen "dunklen Mächten" gesteuerte Kampagne gegen Wulff glaube ich auch nicht.

    Für die Medien ist es ein gefundenes Fressen, da es gleich mehrere Bedingungen für eine gute "Skandalstory" erfüllt: die Story ist (1) für jedermann verstandlich (die meisten waren schon mal - selbst bezahlt - im Urlaub und einige haben auch schon ein Häuschen (zu Marktzinsen finanziert), (2) personalisierbar ( es gibt ein "Gesicht zum Skandal" ) und die Story bedient (3) die bei vielen schon bestehenden (Vor-) Urteile gegen die "korrupten Politiker". Verständlich über die Eurokrise, EFSF, ESM, Schuldenbremsen u.s.f. zu berichten wäre dagegen viel zu anstrengend und außerdem kein bißchen unterhaltsam; wer will so was schon lesen .... ?

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