Donnerstag, 19. Januar 2012

Der große und der kleine Mann

Von Stefan Sasse

Mitt Romney
Mitt Romney und kein Ende. Es tut mir schon fast Leid, dass das Thema hier gerade so breit getreten wird, aber interessant bleibt es dennoch. Nachdem dank Newt Gingrich, dem Verfechter der Armen (2,5 Millionen Jahreseinkommen 2011) darauf aufmerksam gemacht wurde, dass Mitt Romney reich ist (shocking!) ist nun auf Druck seiner Konkurrenten bekannt geworden, dass er nur rund 15% Steuern bezahlt - der Höchstsatz in den USA liegt bei 35%. Das liegt, natürlich, daran, dass er sein Haupteinkommen nicht aus tatsächlicher Arbeit, sondern Kapitalerträgen erhält - und die sind bekanntlich deutlich niedriger besteuert als ehrliche Arbeit, hüben wir drüben, an der Spree und am Potomac. Das ist nichts Neues und heute so skandalös wie damals, ob die Gewinner dieser Regel nun Mitt Romney oder Josef Ackermann sind, beides nicht gerade Sympathieträger ihrer gesellschaftlichen Schicht. Aber es ist geradezu lächerlich, ständig die Frage zu erheben, ob jemand wie Romney mit seinem Privatvermögen von rund 270 Millionen Dollar die Interessen der "kleinen Leute" nicht glaubhaft vertreten könnte. Dazu muss man zwei Dinge sagen: erstens, "glaubhaft" beziehungsweise "glaubwürdig" sind keine Kategorien; ob er es tut oder nicht ist wichtig. Zweitens, warum sollte das Einkommen irgendetwas damit zu tun haben? Der Sozialaufsteiger Gerhard Schröder hat auf die kleinen Leute geschissen, während Franklin Roosevelt, der seine Kindheit in einem Schloss verbracht hatte, den amerikanischen Sozialstaat begründete.

Glaube ich Mitt Romney für eine Sekunde, dass er sich für die Interessen des "average guy on the street", an den die Republikaner gerade so ausdauernd appellieren, und nicht für die seiner ehemaligen Kollegen bei Bain Capital einsetzen würde? Nein. Würde Gingrich, der "nur" zweieinhalb Millionen im Jahr macht ("Ich bin nicht reich", "Wir haben nur ein Haus", so er und seine Ehefrau), irgendwie mehr in diese Richtung tun? Nein. Beiden würde ich auch niemals abnehmen, dass sie den Super-Bowl irgendeinem Poloclub vorziehen und sich lieber Dosenbier und Pizza statt erlesenem Weißwein und vom Spitzenkoch zubereiteter Forelle zu Gemüte führen. Das aber hat nichts mit ihren Qualitäten zu tun. Ob sie gute Regierungspolitik machen, hängt von ihren persönlichen Verhältnissen nicht ab. Auch Obama nagt nicht gerade am Hungertuch, und Oskar Lafontaine verfügt wahrscheinlich über mehr Privatvermögen als Steinmeier, Gabriel und Nahles zusammen. Von gesteigerter Relevanz ist das nur in einem Zirkus öffentlicher Darstellung, der darauf beharrt, dass man irgendwie arm sein müsse um eine Beziehung zu den kleinen Leuten zu haben, die ja angeblich im Fokus der Aufmerksamkeit des Politikers stehen. Dieser hanebüchene Unfug kommt aus der gleichen Quelle, die einem Klaus Ernst abspricht, ein Linker sein zu können, weil er einen Porsche hat, oder Sahra Wagenknecht, weil sie Hummer mag. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Die Geisteshaltung und die materiellen Umstände haben miteinander nichts zu tun. Darstellung nach außen ist ein reines Showbusiness, so oder so. Man sollte aufhören, auch nur einen Fliegenschiss darum zu geben und lieber zu schauen, was die jeweiligen Leute machen. 

Franklin D. Roosevelt
Und da stand Romney bis letzten Frühling so schlecht gar nicht da. Als Gouverneur von Massachusetts hat er immerhin eine Obamas Reform verblüffende Krankenversicherung eingeführt, war Pro-Choice (also für legale Abtreibungen) und gehörte generell mehr oder weniger zu den moderaten Republikanern. Es ist den Umständen einer Vorwahl um erfundene Wähler und Staaten zu verdanken (siehe hier), dass die Kandidaten sich selbst auf dieses hochgradig alberne Spiel einlassen, wer die meiste Street-Credibility hat, als ob sie Profisportler wären, die sich auch immer so verhalten, wenn ihre absurden Saläre in die Schlagzeilen geraten. Ob jemand Politik für die Mehrheit der Menschen macht oder eher für die reiche Elite hat nicht auch nur das Geringste mit seinen persönlichen Verhältnissen zu tun. Es ist eine Frage der eigenen Überzeugung. Die Frage des Steuersatzes ist davon übrigens losgelöst; die bleibt ein Skandal. Das aber hat Warren Buffet etwa schon vor Monaten thematisiert. Das hat nicht erst mit Romney zu tun. Deswegen sollte man aufhören - und hier schlagen wir den Bogen zu Wulff - sich ständig heuchlerisch über die Lebensumstände von Politikern zu echauffieren, die es hier eh nicht recht machen können. Wer wie Wulff nicht auf großem Fuße lebt, das hat Jan Fleischhauer richtig erkannt, wird für seinen schlechten Geschmack abgekanzelt. Wer der herausgehobenen Stellung entsprechend lebt, dem wirft man vor, den Kontakt zum Alltag der Menschen verloren haben. Leute, mottet diesen Vorwurf endlich ein. Wer über das Schicksal seiner Nation entscheidet, lebt natürlich nicht das Leben eines Bandarbeiters bei VW. Das soll er bitte auch gar nicht. Ich will kluge, anspruchsvolle und interessante Persönlichkeiten. Die dürfen dann gerne auch Hummer essen, Porsche fahren und kostenlos ihre Linienflüge upgraden. Mein Anspruch an sie ist, dass sie gute Politik machen, nicht, dass sie sich an mich anbiedern.

6 Kommentare:

  1. -- "Die dürfen dann gerne auch Hummer essen, Porsche fahren und kostenlos ihre Linienflüge upgraden."

    Einverstanden, solange sie den Hummer und die Upgrades selbst bezahlen und sich nicht von Maschmeyers oder Geerkens pp. aushalten lassen. Korruption ist (auch bei Wulff) keine Frage von "Lebensumständen".

    AntwortenLöschen
  2. Zwei Probleme bei Deinem Ansatz:

    1) Er ist sehr theoretisch, denn natürlich hat Romneys privater Reichtum, seine niedrigen Steuern, sein Vermögen auf den Cayman Islands usw. erhebliche Auswirkungen auf den Wahlkampf. Sie machen ihn schlicht in diesen Zeiten zu einem schwachen Kandidaten - denn er repräsentiert sehr viel von dem, was in den USA so richtig falsch läuft, insbesondere natürlich die wachsende Ungleichheit. Da kann man nicht hergehen und sagen es zählt aber nur das Wahlprogramm.

    siehe auch :

    http://www.thedailybeast.com/articles/2012/01/15/why-mitt-romney-will-prove-to-be-a-feeble-presidential-nominee.html.html

    Zweitens ist auch sein Programm fragwürdig, denn es sieht vor, Reiche weiter zu entlasten und kleine und mittlere EInkommen zu belasten. Wie will er ernsthaft die Wahl damit gewinnen? Zumal in Kombination mit seiner persönlichen finanziellen Situation? Seine Pläne mögen nicht so radikal sein wie die anderer Republikaner, aber er ist der Kandaidat des einen Prozent und jeder weiß es.

    http://www.washingtonpost.com/blogs/ezra-klein/post/romneys-tax-plan-saves-top-1-percent-82000/2011/08/25/gIQApn1EdP_blog.html

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Zwei Probleme bei Deinem Ansatz:

      1)u. 2)

      er hat das Geld und den Einfluss in den Medien!

      Löschen
  3. Dass Politiker aus "kleinen Verhältnissen" diese gern hinter sich lassen, ist sozialpsychologisch verständlich, macht es aber nicht besser. Allerdings sind die Verhältnisse in USA doch anders.

    Gibt es im Netz eine ausführliche Darstellung des New Deal? Die in Deinem Geschichtsblog ist auch ziemlich kurz. In der Schule wurde er einseitig dargestellt - kein Wort von den Steuern für Superreiche.

    P S.
    Dass Du SPON-Fleischhauer recht gibst wo er recht hat, spricht für Dich.

    AntwortenLöschen
  4. @Citizen: Danke. Und ne, hab leider auch nix Besseres :(

    AntwortenLöschen
  5. Bei Wikipedia fündig geworden. Auf den ersten Blick nicht einseitig.
    Den Spitzensteuersatz von 79 % musste nur einer zahlen: Rockefeller.

    AntwortenLöschen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.