Freitag, 13. Januar 2012

Paradigmenwechsel in der Verteidigungspolitik?

Von Stefan Sasse

File:USS John C. Stennis (CVN-74) & HMS Illustrious (R 06).jpg
HMS Illustrous im Persischen Golf
Seit über einem Jahrzehnt debattiert die EU nicht nur eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, sondern auch eine verstärkte gesamteuropäische Aufrüstung, um dem Gewicht der EU als Zivilmacht auch einen angemessenen Stock beiseite stellen zu können, mit dem man auf der internationalen Bühne mehr Gewicht hat, sowohl gegenüber dem wichtigsten Verbündeten USA als auch den aufstrebenden Regionalmächten am Golf oder Indien und China. Bislang verliefen diese Debatten regelmäßig im Sand; der Verteidigungshaushalt der EU-Staaten liegt zwischen etwa 1,5% und 2,5%, während der der USA rund 4% beträgt. Offensichtlich ist niemandem ernsthaft daran gelegen, die vielfach geforderte Aufrüstung (die die USA bereits seit 2002 anmahnen) anzugehen oder an einer verstärkten Koordinierung der verschiedenen Armeen zu arbeiten. Ermöglicht wurde den EU-Staaten dies stets auch durch das Bündnis mit den USA, die im Schnitt rund den doppelten Anteil am BIP für die Verteidigung aufwenden und in Europa, Stand heute, über 80.000 Mann stationiert haben, fast 75% davon in Deutschland. Historisch war diese Stationierung das stete Bekenntnis der USA dazu, nicht wie nach dem Ende des Ersten Weltkriegs in Isolationismus zu verfallen und ihr Engagement in Europa beizubehalten. Das könnte sich nun rapide ändern. 

Im November vergangenen Jahres hatte Obama bereits eine grundlegende Neuausrichtung der amerikanischen Verteidigungsbestrebungen auf den asiatisch-pazifischen Raum angekündigt. Da das US-Verteidigungsbudget gekürzt werden soll, werden diese Kürzungen die Präsenz in Europa betreffen, wo fast 50% der Truppen abgezogen werden sollen. Der Rückzug aus dem Irak und der absehbare Rückzug aus Afghanistan in den nächsten fünf Jahren machen die europäischen Basen unwichtiger, sofern nicht aus irgendeinem Grund doch noch ein bewaffneter Konflikt mit dem Iran ausbricht. Auf der anderen Seite hat die EU in der letzten Zeit mehr und mehr militärische Engagements begonnen, etwa am Horn von Afrika oder in Libyen. Da sie sich nicht mehr darauf verlassen kann, dass die USA diese Einsätze leiten und substantiell unterstützen, muss sie entweder darauf verzichten oder ihre Möglichkeiten, solche Einsätze zu führen, aufstocken - und das geht letztlich nur über ein höheres Verteidigungsbudget und eine gemeinsame Koordinierungsebene, die losgelöst von den NATO-Strukturen ist. Großbritanniens und Frankreichs bilaterales Eingreifen in Libyen hat gezeigt, welche Mängel ein solches Vorgehen noch besitzt. 


File:ATF Dingo in German service (Afghanistan).jpg
Bundeswehrsoldaten in Afghanistan
Der Rückzug der USA aus Europa und die Umorientierung Washingtons nach Fernost könnte der Diskussion um eine gemeinsame EU-Außenpolitik einen ganz neuen Schwung geben. Ob das so gut ist, und ob die Aufrüstung insgesamt erstrebenswert ist, steht auf einem ganz anderen Blatt. Da die europäischen Staaten vermutlich nicht begeistert von diesen Kosten sein werden, ist anzunehmen dass die Professionalisierung der Armeen und ihre Konzentration auf out-of-area-Einsätze weiter forciert wird. Aktuell sind 50% des deutschen Verteidigungsbudgets Personalausgaben. Es liegt auf der Hand, dass mit einer solchen Verteilung kaum ein größeres Außenengagement finanziert werden kann. Die Schließung weiterer Standorte, Kreiswehrersatzämter und eine forcierte Verschlankung der Bundeswehrbürokratie dürfte eine zu erwartende Folge sein. Mit der alten Wehrpflichtigenarmee wird diese so entstehende neue Bundeswehr wenig zu tun haben. Eine deutsche Armee, deren Selbstverständnis die Fähigkeit zur Intervention anstatt der Landesverteidigung wird, hat für die deutsche Gesellschaft tiefgreifende Folgen. Wir können uns darauf einstellen, dass die Armee Institutionen wie dem Jugendoffizier mehr Raum geben wird, dass es verstärkt Werbung und Programme geben wird, mit denen einer Karriere bei den Streitkräften mit einer Qualifizierung für spätere Zivilberufe verbunden wird, um attraktiv besonders für junge, aufstiegswillige Menschen zu geben - ähnlich wie in den USA, wo der Eintritt in die Army für viele eine gute Möglichkeit ist, der Armut zu entkommen. 

Wenn die Armee solche Funktionen übernimmt, kann sie aber nicht wie bisher einer bestenfalls gelegentlichen öffentlich-demokratischen Kontrolle und einer Art von benign neglect überlassen werden. Die kaum ernstzunehmende Bundeswehr, bei der man als Mann eben ein Jahr voller Saufen und Geländespiele ableistet und die sonst eigentlich keine Rolle spielt, wäre passé. Um nicht falsch verstanden zu werden: eine solche professionelle Berufsarmee muss nicht negative Folgen für die Demokratie in Deutschland haben; Frankreich, Großbritannien und die USA haben schon seit Ewigkeiten Berufsarmeen, ohne dass das negativen Einfluss auf ihre demokratische Verfasstheit hätte. Das Selbstverständnis Deutschlands und der Deutschen aber würde sich ändern. Ob zum Guten oder zum Schlechten bliebe dabei abzuwarten. Eines aber dürfte klar sein: der Rückzug der USA aus Europa und ihre Hinwendung zum pazifischen Raum wird für Europa mehr Änderungen bedeuten, als uns lieb ist.

7 Kommentare:

  1. Ich bin da eigentlich ziemlich skeptisch, ob das gelingt.
    Eine einheitliche Rüstungspolitik bedürfte auch dringend einer einheitlichen Außenpolitik und mein Eindruck ist eh, dass die EU ein Problem damit hat, sowohl einheitlich als auch eigenständig aufzutreten.
    Zudem bräuchte es noch eine ernsthafte Debatte über Auslandseinsätze, wann diese gerechtfertigt ist und wann nicht und ein planvolleres Vorgehen könnte ja auch nicht schaden.
    Das alles sehe ich nicht unbedingt so kommen, daher denke ich, ein Teil wird im Sande verlaufen und der andere so vor sich hin, bis es irgendeinen größeren Skandal gibt.

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  2. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Umstellung von einer Wehrpflichtigen Armee zu einer Berufsarmee durchaus tiefgreifende Folgen für die Gesellschaft hat (unsere Gesellschaft besteht ja aus mehr als "nur" Demokratie). So war der massive zivile Widerstand gegen den Vietnam-Krieg eindeutig davon geprägt, dass sehr sehr viele Mittelklasse-Familien um das Leben ihrer Söhne bangen mussten. Der Irak Krieg, bei dem das Gros der Opfer aus freiwilligen der Unterschicht oder mexikanischen Einwanderern bestand ist die zivile Empörung natürlich weitaus geringer ausgefallen und der Hurra-Patriotismus konnte Urstände feiern.

    Vor allem bin ich der Ansicht, dass eine grundlegende Änderung der Ausrichtung der Bundeswehr (man mag dazu stehen wie man will) sich unbedingt im Grundgesetz niederschlagen muss. Alles was seit dem Angriffskrieg gegen Restjugoslavien passiert halte ich für eine unerträgliche Heuchelei bis hin zu unserem Brunnenbohren- und Mädchenschulen-Krieg in Afghanistan. Es gehören nicht nur "offene Worte" her sondern handfeste Taten in denen sich zwei Drittel unserer Abgeordneten dazu bekennen müssen, das Angriffskrieg aus "strategischen Erwägungen" heraus wieder legitim ist. Für die Politiker muss hier gelten: Hosen runter, wahres Gesicht gezeigt! (alter Bundeswehrspruch).

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  3. "[..]um attraktiv besonders für junge, aufstiegswillige Menschen zu geben - ähnlich wie in den USA, wo der Eintritt in die Army für viele eine gute Möglichkeit ist, der Armut zu entkommen."

    Also wenn ich so was lese, kann ich wirklich nur noch fassungslos den Kopf schütteln. Die Army ist also eine "gute" Möglichkeit der Armut zu entkommen, mit allen Folgen. Töten oder getötet werden sind also deiner Auffassung nach "gute" Möglichkeiten. Außerdem ist es ja hinreichend bekannt, wie fürsorglich sich die Army um Veteranen mit zB PTBS oder körperlich verkrüppelten Vets kümmert. Oft heißt es ja auch entweder Knast oder Army.

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  4. Schon mal Fahrenhet 9/11 gesehen? "Military is an excellent option for young people in Flint." So ist es gemeint.

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  5. Zitat: "Aktuell sind 50% des deutschen Verteidigungsbudgets Personalausgaben. Es liegt auf der Hand, dass mit einer solchen Verteilung kaum ein größeres Außenengagement finanziert werden kann."

    Die eigentliche Frage ist doch, ob überhaupt ein größeres Außenengagement finanziert werden SOLL. Warum sollen wir unsere Verteidigungsstrategie ändern und den USA nacheifern? Mehr Kriegsgerät = mehr Kriege!

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  6. Dass der Bund jetzt schon eine gute Möglichkeit für viele ist, sieht man auch daran, dass relativ viele Ostdeutsche dabei sind. Bisschen wie früher, als die Nachgeborenen entweder zur Armee oder in die Kirche mussten^^

    Ich weiß auch ehrlich gesagt nicht, wie sich das gesellschaftlich entwickeln wird. Ich glaube, die meisten wünschen sich eine ganz unsichtbare Bundeswehr und Interventionen - relativ egal wofür und wieso - sind auch sehr viel unbeliebter als in anderen Ländern. Ich denke daher, in Deutschland wäre ein Umbau sehr viel problematischer als in anderen Ländern. Auch hier - mal dahingestellt ob das nun positiv oder negativ ist.

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  7. >>"Der Rückzug der USA aus Europa ..."

    Ist das so? Ich vermute eher, dass es eine Verlagerung nach Ost-Europa gibt.

    Arbo

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