Dienstag, 19. Juni 2012

Kein Programm

Von Stefan Sasse

Es ist ein häufiger Vorwurf gegen die Piraten, dass sie kein Programm hätten. Gerade diese Woche hat die aktuelle Piraten-Doku der ARD wieder den Protest vieler Piraten hervorgerufen, die den Vorwurf nicht auf sich sitzen lassen wollten; Marina Weisband etwa verwies auf Twitter auf die ironisch gebrochene Seite http://www.kein-programm.de/, wo die Parteiprogramme der einzelnen Piratenverbände angeschaut werden können. Seit Wochen wiederholen Piraten gebetsmühlenartig, dass es Programme gibt, größtenteils ausgearbeitet, und wo noch Lücken sind arbeite man daran, diese zu füllen. Bald. Ganz bestimmt. Die Parallele zu der Debatte um die damals frisch gegründete Linkspartei, der man ebenfalls das Fehlen eines Programms vorwarf, ist offenkundig. Und die LINKE hatte sogar ein Papier, eines, aus dem die SPD nachweislich abgeschrieben hatte. Aber genau darum geht es ja gar nicht. Der Vorwurf, die Partei habe "kein Programm" bezieht sich nicht auf ein tatsächliches Programm, mit vielen Seiten die ohnehin niemand liest, am allerwenigsten die, die eines fordern. Was steht schon im aktuellen SPD- oder CDU-Programm? Und, vor allem, interessiert es irgendwen? Nein, der Vorwurf ist nur vorgeschoben. Es geht, wie so oft, ums Narrativ.

Was gerade in den Medien verlangt wird, wenn vordergründig nach einem Programm geschrieen wird, ist ein Narrativ, mit dem man die Partei packen kann. 2007 fehlte das entsprechende Schlagwort, mit dem man die LINKE hätte belegen können, irgendeine Forderung oder Haltung, die sofort verständlich ist und die Erwartungen bedient. Steuersätze von 100%, wie sie Katja Kipping gerade fordert, erfüllen dieses elementare Bedürfnis. Die LINKE hat seither ein Programm. Sie will den Gehältern und Vermögen des oberen Mittelstands ans Leder. Versteht jeder, kann man gut finden oder schlecht, aber eine Meinung hat man. Transparenz dagegen, das Leib- und Magenthema der Piraten? Wer ist schon ernsthaft öffentlich gegen Transparenz? Und was ist, wenn man dafür ist? Alles in einem programmatischen Nebel. Die Piraten können diese Frage ja selbst noch nicht beantworten; das Schicksal von Liquid Feedback etwa unterliegt einer Dauerdiskussion. Genau das aber ist es, was von den Piraten gefordert wird, wenn öffentlich von der Programmlosigkeit gesprochen wird: Themen, über die man berichten kann, mit einem emotionalen Anker, der die Leserschaft packt.

Der aber fehlt der Partei bislang. Sie hat eine Menge Fragen aufgeworfen, aber bisher noch keine Antworten gegeben. Schlimmer noch ist, dass sie überhaupt keine Antworten auf die aktuell wichtigsten Fragen gibt: wer fliegt aus dem Euro, und wer fliegt aus der EM? Das Programm hat damit nichts zu tun. Selbst wenn irgendein Absatz zur Wirtschafts- und Währungspolitik darin aufgeführt wäre, würden die Vorwürfe nicht verstummen. Was gebraucht wird ist etwas, das man erzählen kann. Weitere Beispiele: Angela Merkel, eiserne Sparmeisterin Europas. Das ist ein "Programm" in dem Sinne, wie es als Vorwurf gegen die Piraten gebraucht wird. Die Grünen wollen Atomkraftwerke abschalten und Solarstrom fördern. Kann ich gut oder doof finden, aber ich habe schnell eine Meinung. Die FDP will Steuern senken. Ist das ein Programm? Nö, aber eine Schlagzeile. Die Piraten müssen, wenn sie den Vorwurf auflösen wollen, solche Anker bieten, die Leuten, die nicht regelmäßig Informationen einholen, eine Orientierung bieten. Ob sie das wollen müssen, ist natürlich eine andere Frage. Aber solange sie das nicht tun, bleibt der Vorwurf bestehen, egal wie oft man auf das offizielle Programm verlinkt.

10 Kommentare:

  1. Nein, die Piraten haben nach wie vor kein Programm. Wenn du das bestreitest, ist das wieder mal ein vermeidbares Missverständnis. Klar haben die Piraten ein Pamphlet, aber exklusiv und exzessiv zu ihren digitalen Themen. Alles weitere sind Worthülsen und mehr oder weniger Befindlichkeitssprech, aber nichts Konkretes, ansatzweise vielleicht zu Bildung. Zum wichtigsten Komplex überhaupt - Wirtschaft und Finanzen - gibt's ganze 3 Zeilen zu einem Punkt: Abschaffung der Zwangsmitgliedschaft in Kammern und Verbänden. Ja und das Grundeinkommen wurde aus Jux und Dallerei halt auch mal beschlossen. Zu den Brennpunkten, ob etwa in Wirtschaft, Umwelt oder Verteidigung, hat man kein Programm, weil keine Meinung. Die Piraten sind ein Auffangbecken von Nerds, Nichtsnutzen, Hippies und traumtänzelnden Sozialarbeitern, die sich über Konkretes wenig Gedanken machen oder sich im Glauben wiegen, dass sich ihre Vorstellungen mal durchsetzen. Piraten sind umso attraktiver, je unkonkreter sie sind. Das Schlimmste, was den Piraten passieren kann, ist ein Programm.

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    1. Tja, Stefan, du hast das leider missverstanden. Nur Fuentes sieht das richtig. Ist leider einfach so, da kannst du schreiben was du willst, denn Fuentes sagt es so.

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    2. Ich stimme dir völlig zu, Tobias - es gibt kein konkretes Programm, und nur weil die Piraten einen Zettel haben, auf dem "Programm" steht, wird das nicht besser.

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  2. Hm, aber ist so gesehen das Programmnarrativ nicht, dass die Piraten das Urheberrecht abschaffen wollen? Oder ist das nicht nutzbar, weil es so natürlich nicht stimmt?

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    1. Die Urheberrechtsdebatte ist IMHO kein echtes großes Thema, wurde nur von den Medien aufgeblasen, weil die betroffen sind (und von uns aus dem gleichen Grund debattiert). Für eine vom Internet kaum betroffene Demographie ist das kein Thema, das sich mit irgendeiner Alltagserfahrung verbinden lässt.

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  3. @Fuentes

    *gähn* Die Piraten haben kein Programm und wenn doch, dann nur aus Jux und Dollerei..*gähn*..obwohl...irgenwie lustig ist das ja schon...also*g*^

    @Stefan
    Mir fällt auf, dass die SPD fehlt^^

    Die Piraten könnten ja auch als Bürgerrechtspartei oder Bildungspartei ein Schlagwort liefern, aber das wäre ja positiv und wird daher nicht von den Medien übernommen. Also müssen die Piraten solange danach suchen, bis etwas den Medien gefällt.

    Ich denke nicht, dass die Piraten da mitspielen.

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  4. Im Gegensatz zu Tobias glaube ich schon, dass da ne Menge guter Leute sind. Aber die Prioritäten, da hat er recht. Sie beschäftigen sich einfach nach wie vor hauptsächlich mit nachrangigen Luxus-Problemen. Eine Partei, die ungefähr so alt ist wie die Finanz-, Wirtschafts- und Währungskrise und immer noch hauptsächlich über das Urheberrecht redet, hat schon ein Problem.

    Nun ist sicher richtig, dass die anderen Parteien oft auch keine guten Lösungen für die großen Probleme anbieten, aber sie vertreten jeweils eine ideologische Tendenz, die man mögen kann oder nicht. Da fehlen dann den Piraten einfach ein oder zwei Gesichter, die sich in den Medien ein Kompetenz-Image erarbeiten und prägnante Sätze sagen, die in 20-Sekunden-Clips in der Tagesschau sendefähig sind (und eine hinreichende Differenz zu den Anderen konstruieren).

    Die Piraten müssen eben schneller als im Moment angedacht doch eine "normale" Partei werden, die sich den Bedingungen der Mediengesellschaft unterwerfen. Denn die werden sie nicht ändern können.

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  5. Wer den Piraten vorwirft, sie hätten kein Programm, würde sie wohl auch mit nicht wählen.
    Ausserdem scheinen sie ja eher zuviel als zuwenig Wähler für ihre momentane Organisationsstruktur zu haben.

    Wo ist also das Problem ?

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  6. Ich sehe es etwas anders als Jan. Wer seine Wahlentscheidung von der Europolitik abhängig macht, wird wohl sowieso nicht die Piraten wählen, ob da nun was in einem Papier steht oder nicht.
    Taktisch gesehen sind die Piraten für mich eine Nischenpartei mit einer momentan sehr großen Protestwählerschaft. Und ich glaube keiner von den Wählern erwartet einen super Euroentwurf, es wäre wohl auch eher ein Einfallstor um über fehlende Kompetenz zu diskutieren :)
    Ich bin wahrlich nicht die größte Sympathisantin der Piraten, für mich ist ihr Alleinstelleungsmerkmal aber der ganz neue Demokratieansatz. Das ist vermutlich nicht konkret genug für ein Narrativ, aber ich glaube da steckt das größte Potenzial auf weitreichende Veränderung. Und das sage ich, obwohl ich eigentlich sicher bin, dass die Piratenvorstellungen sicher nicht funzen werden, aber sie haben immerhin die Bereitschaft das auszuprobieren.

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  7. @ Jan

    "Die Piraten müssen eben schneller als im Moment angedacht doch eine "normale" Partei werden, die sich den Bedingungen der Mediengesellschaft unterwerfen. Denn die werden sie nicht ändern können."

    Genau dieses wollen viele Wähler eben nicht.
    Diese erkennen richtigerweise , daß es mit der Herangehensweise in den Medien so nicht weiter gehen kann.
    Warum sollte der Status Quo "alternativlos" sein ?
    Im Gegenteil , je unabänderlicher etwas scheint , desto wahrscheinlicher ist eine baldige und gravierende Veränderung.

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