Sonntag, 3. April 2011

Der Abgang Westerwelles - unnötig und unvermeidlich

Von Stefan Sasse

Westerwelle hat angekündigt, auf dem FDP-Parteitag im Mai nicht mehr als Parteichef kandidieren zu wollen. Diese Entscheidung dürfte niemanden überraschen, genausowenig wie seine erklärte Absicht, Außenminister bleiben zu wollen. Seit einer Woche, seit dem Wahldebakel von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sowie dem vorangegangenen von Sachsen-Anhalt, wackelt sein Stuhl. Stabilisieren können hatte ihn der Parteichef, unter dessen Führung die FDP atemberaubende 14,6% bei der Bundestagswahl einfahren konnte und diesen Stimmenanteil in Landtagswahlen und bei den Demoskopen innerhalb von Monaten drittelte, im Januar auf dem Dreikönigstreffen ohnehin nur durch die martialische Ankündigung, an Wahlen gemessen zu werden. Er erkaufte sich eine Atempause, aber das Dilemma der FDP hat sich weiter verschlimmert. Kein Aufschwung kam ihm zu Hilfe, wie er wohl hoffte. Fairerweise muss man sagen, dass er auch wahnsinnig Pech hatte: weder die Reaktionen auf Libyen noch das Ereignis von Fukushima waren für ihn absehbar. Eng wäre es allerdings auch ohne diese Ereignisse geworden.


Westerwelle brachte die FDP zwischen 2003 und 2009 auf Erfolgkurs, indem er dasselbe tat wie die Grünen heute: er sagte einfach stets das Gleiche, aber mit Verve. Die neoliberalen Botschaften konnte man bei Westerwelle in Reinform erleben, und vor der Finanzkrise gab es auch noch ein großes Publikum, das sie goutierte. In der Zeit der Großen Koalition war es Westerwelle, nicht Lafontaine oder Trittin, der Oppositionsführer war (Lafontaine war zwar oppositioneller, aber ungeliebt). Beständig geißelte er die Kompromisse der Großen Koalition, deren Konsensbrei auch die Wähler von SPD und CDU selbst abstieß – jeweils in die entgegengesetzte Richtung, aber immerhin. Westerwelle besaß das hohe Gut der Glaubwürdigkeit, damals. Er schien für etwas zu stehen, während Merkel und Steinmeier ihrem hochgelobten Pragmatismus fröhnten.

Nach der Bundestagswahl 2009 schien dann der Beginn eines goldenen liberalen Zeitalters einzusetzen: die FDP besetzte fünf Ministerien und strotzte vor Kraft. Westerwelle war stolz wie Bolle und konnte neben dem Oppositionspoltern, auf das er sich ebenso meisterhaft verstand wie Lafontaine – allerdings von den Medien viel mehr geliebt wurde -, endlich die heiß ersehnte Seriösität als Außenminister ernten. Ab da jedoch ging alles schief. Die FDP verstrickte sich von Beginn an in eine Serie von Peinlichkeiten, Dummheiten und offener Korruption. Die Selbstverständlichkeit, mit der die Partei ihren Platz an den Fleischtöpfen einnahm, diskreditierte sie innerhalb weniger Wochen. Dies ist das Verdienst der LINKEn und der Gegenöffentlichkeit, die eine deutliche Sensibilität für diese Art von Selbstbedienung geschaffen hatten. Die Medien selbst reagierten auf diese gesteigerte Sensibilität, doch Westerwelles FDP benahm sich wie eine siegreiche Armee nach Einnahme einer belagerten Stadt und verteilte die Beute “Staat”, die sie gemacht hatte, als wäre Kohl noch Kanzler.

Als wäre das nicht genug, gerierte sich Westerwelle außerdem, als wäre er immer noch der erfolgreiche Oppositionspolitiker von einst und geißelte die angeblich zu hohen sozialen Leistungen. Allein, der Wähler ist schizophren, und so gerne er das auch von Polterern wie Westerwelle am Stammtisch hört, um ein donnerndes “Jawoll” hinterher zu senden, in der Regierungsverantwortung will man solche Leute nicht sehen. Auch die anderen FDP-Minister glänzten nicht gerade, sondern tappten von einem Fettnäpfchen ins andere: Dirk Niebel, einer der offensichtlichsten Beutemacher, machte sich mit Sonnenbrille und Feldmütze in Afrika unmöglich, Rainer Brüderle saß im Wirtschaftsministerium, als hätte er sich verlaufen, Leutheusser-Schnarrenberger fiel vor allem durch vornehmes Schweigen zu vorher in großer liberaler Geste kritisierten Sicherheitsgesetzen auf und Philipp Rösler schusterte eine laienhafte und völlig blödsinnige Gesundheitsreform zusammen, die die FDP sofort erneut dem Verdacht der Käuflichkeit aussetzte, kurz: die Partei machte sich so sehr zum Affen, dass die daneben ebenso glück- und kopflos agierende CDU wie ein Hort von Stabilität und Kompetenz wirkte und selbst knallharte Konservative sich die Große Koalition zurückwünschten, die anzubieten sich einige Sozialdemokraten nicht zu schade waren.

Westerwelle war Politiker genug um das zu begreifen. Man kann ihm vieles vorwerfen, aber dumm ist er sicher nicht. Den besseren Teil des Jahres 2010 verbrachte er damit, auf Tauchstation zu gehen. Nachdem er das erste halbe schwarz-gelbe Jahr ständig am Poltern war, hörte man plötzlich nichts mehr von ihm. Auch die anderen FDP-Minister schwiegen größtenteils, wann immer es möglich war. Damit schaffte Westerwelle Platz für Skandale wie Klaus Ernsts Porsche und rückte die Inkompetenz der CDU wieder mehr ins Licht. Für einen Moment hatte sich die FDP stabilisiert, wenngleich auch auf niedrigem Niveau, und es schien nur eine Frage der Zeit, bis sich der Schleier des Vergessens über das Anfangschaos gelegt haben würde. In manchen Kommentaren las man anlässlich der Revolution in Ägypten schon, dass Westerwelle endlich den Amtsbonus bekomme und eine souveräne Figur mache. Die FDP schien wieder langsam auf dem Weg nach oben. Dann aber kam Libyen, dann kam Fukushima.

Damit war er angezählt. Seine Pfeile waren verschossen, kein As mehr im Ärmel. Er hatte die FDP nach der Kohl-Ära wieder groß gemacht. Unter ihm war die FDP Oppositionsführerin, unter ihm profilierte sie sich und etablierte sich als nächste, als legitime Regierungspartei, der die Macht 2005 nur durch Schröders Populismustricks entrissen worden war. Die Medien glaubten ihm, denn Westerwelle siegte. Es ist eine Mechanik der publizistischen Öffentlichkeit, dass sie Gewinner bejubelt und Verlierer niedermacht. Westerwelles Rücktritt ist deswegen unnötig. Er hat nichts anders gemacht als die Jahre zuvor, allein, es wird nicht mehr goutiert. Die Seifenblasen, die seine Rhetorik und Politik schon immer waren, sind zerplatzt. Und weil die Medien nichts weniger gerne tun als Fehler einzugestehen, schlagen sie in solchen Fällen umso härter zu. Als Westerwelle fiel, fiel er tief und hart. Dieser Fall hat nun ein vorzeitiges Ende gefunden, unvermeidlicherweise. Es sind die Regeln des politischen Betriebs, die seinen Rücktritt als Parteichef unvermeidlich machen, obwohl er sinnvollerweise als Außenminister zurücktreten müsste: als Parteichef führte er die FDP nach vorne, als Außenminister ruinierte er sie. Sollte Westerwelle das als ungerecht empfinden, hat er sicher Recht, aber er hat lange davon profitiert und ist lange genug dabei, um zu wissen, dass in der Politik die Taten von früher gar nichts zählen. Wenn ihm unwohl dabei zumute ist, muss er sich nur auf ein Glas Wein mit seinem Wirtschaftsminister treffen, denn der wird ihm eines sagen können: Politik ist, besonders in Wahlkampfzeiten, nicht immer rational.

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