Von Stefan Sasse
WikiLeaks hat erneut einen Schwung Dokumente veröffentlicht, die von Bradley Manning stammen sollen und die Einblicke in die Gefangenen von Guantanamo von 2002 bis 2008 geben. Laut der SZ wird dabei deutlich, dass viele der Gefangenen aus äußerst obskuren Gründen eingeliefert wurden. So finden sich ein dementer 84jähriger, der angeblich verdächtige Telefonnummern besaß, oder ein Prediger aus Kandahar, der gewissermaßen per Beruf über die Taliban Bescheid wissen müsste. Die Auswahlpraxis der Gefangenen in Guantanamo offenbart zweierlei. Zum Einen, dass es die USA unter George W. Bush tatsächlich mit den Menschenrechten hielten wie ein Gebäudereiniger mit einer nervigen Hygienevorschrift: wenn gerade niemand hinguckt, ist es ja nicht so schlimm, wenn man sie mal außer Acht lässt. Zum Anderen, dass die USA offensichtlich nicht die geringste Ahnung von dem Gegner hatten, dem sie 2001 den Krieg erklärt haben, und dass sich dieser Zustand bis heute kaum geändert hat.
Um von den äußerst zweifelhaft festgehaltenen Gefangenen irgendwelche Informationen zu bekommen, wurden massiv die bereits hinreichend bekannten Verhörtechniken angewendet, die nach jedem menschenrechtlichen Standard illegal sind und die man vielleicht in einem nahöstlichen Despotenstaat vermuten würde, aber sicherlich nicht in einem Rechtsstaat wie den USA. Das ist umso verwirrender, als dass es eigentlich zum Allgemeinwissen gehört, wie es um die Glaubwürdigkeit unter Folter abgepresster Geständnisse und Informationen bestellt ist. Die entsprechenden Geheimdienstler können nach den WikiLeaks-Informationen nicht einmal für sich in Anspruch nehmen, dass es gefährliche Straftäter seien, Terroristen also, die die Informationen besäßen und denen man sie vielleicht abpressen könnte. Bei ihnen besteht ja immerhin die große Wahrscheinlichkeit, dass sie in einem normalen Verhör schweigen würden. Das würde aus der "robusten Befragung" immer noch nicht Recht machen, aber es würde wenigstens in das Rechtfertigungsmuster passen und eine gewisse innere Rationalität aufweisen und Menschen mit niedrigen moralischen Standards eine Rechtfertigung über das "notwendige Übel" ermöglichen.
Aber die Gefangennahme von Menschen in Afghanistan, Pakistan und anderswo, von denen man einfach nur hofft, dass sie vielleicht irgendwelche Insiderinformationen über die Taliban haben könnten, zeigt, dass die US-Geheimdienste offensichtlich völlig im Dunkeln tappen. Die Mehrzahl der Inhaftierten bis 2008 scheint offensichtlich aus reiner Verzweiflung entführt worden zu sein, weil man überhaupt niemanden hatte, von dem man mit einiger Sicherheit etwas erwarten konnte. Das heißt, dass die USA zumindest bis 2008 kaum wussten, gegen wen sie eigentlich kämpfen. Der radikale Islamismus ist noch zu diesem Datum ein genauso unwirkliches Gespenst wie 2001, als der "Krieg gegen den Terror" verkündet wurde. Wer sind die Taliban? Sind sie religiöse Spinner? Sind sie eine Partei? Eine Miliz? Eine Volksbewegung? Eine geschäftsmäßige Terrororganisation? Wir wissen nichts, und scheinbar wissen die USA genausowenig. Im Übrigen ist es vermutlich sicher anzunehmen, dass die CIA seit 2008 nicht übermäßig viel zu ihren Erkenntnissen hinzugefügt hat.
Wenn dem aber tatsächlich so ist - eine Garantie kann es in der unwirklichen Welt der Geheimdienste ohnehin nie geben - dann gerät die gesamte Politik um den Afghanistaneinsatz zu reinem Aktionismus. Man ist da, also muss man auch etwas tun. Über den Feind, den zu bekämpfen man vorgibt, weiß man so wenig, dass die Vorstellung vom Bekämpfen absurd wird. Wenn aber schon die Geheimdienste selbst kaum Ahnung über die Natur des Gegners haben, wie ist das dann mit den Soldaten, die direkt in Afghanistan diese Kämpfe ausführen sollen? Was wird ihnen gesagt? Wie entscheiden sie in einem laufenden Einsatz darüber, wer Gegner, wer neutral und wer Freund ist? Kein Wunder, beschränkt man sich in Kundus mittlerweile darauf, sich im Camp einzumauern und schwer bewaffnete Patrouillen zu fahren. Wenn man nicht einmal weiß, gegen wen man eigentlich vorgehen soll, wie derjenige organisiert ist, an was er glaubt und wie er funktioniert, dann kann man ihn auch nicht bekämpfen.
Der Afghanistankrieg ist seit Jahren eine Niederlage, deren Vollzug eigentlich nur verschleppt wird. Er kann theoretisch ewig verschleppt werden. Objektiv haben die "Taliban" (hier als Sammelbegriff für alle Bewaffneten, die der NATO feindlich gegenüberstehen, was mir auch der inzwischen eingeschliffene Duktus zu sein scheint) keine Chance, einen militärisch entscheidenden Sieg gegen die NATO davonzutragen, genausowenig wie der Vietcong dies im Vietnamkrieg gegen die USA hatte (sein entsprechender Versuch endete im Desaster). Aber das ist auch nicht notwendig. Dieser Einsatz gehorcht politischen, nicht militärischen Regeln, auch wenn sich viele Beteiligte standhaft weigern, das einzusehen. Der Abzug wird deswegen auch nicht nach der aktuellen militärischen Lage beschlossen werden, sondern dann, wenn es der Gesellschaft der jeweiligen Staaten nicht mehr opportun erscheint, die mit ihm verbundenen Kosten an Geld und, vor allem, Leben zu akzeptieren. Wenn die Presse anfängt, die heimkommenden Särge in den Mittelpunkt zu stellen, wenn große Demonstrationen gegen den Krieg beginnen und er zum beherrschenden Wahlkampfthema wird, dann wird die NATO aus Afghanistan abziehen. Vorher nicht.
@1: Stimme dir vollkommen zu. Kein Volk dieser Erde ist jemals in seiner eigenen Sprache so geschmäht worden wie das deutsche durch Feynsinn.
AntwortenLöschenDass einzelne Rassisten in der SPD willkommen sind, bedeutet noch lange nicht, dass da irgendwer zuhause ist!!1!
Hoppla, der gehört unter den anderen Artikel. Joseph
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