Samstag, 24. Juni 2006

Fundstück

Oberschicht unter sich in deutschen Schlüsselämtern


Die Schaltstellen der Macht in Wirtschaft und Politik sind immer häufiger mit Personen der Oberschicht besetzt. Das zeigt sich zum Beispiel in Merkels Kabinett oder in den Vorstandsetagen der 100 größten deutschen Unternehmen. Und der Trend dürfte sich noch verstärken.

Leinfelden - 1966 führte Kurt Georg Kiesinger als Bundeskanzler eine große Koalition, genau wie heute Angela Merkel. Die Politiker galten damals als volksnah - nicht zuletzt wegen ihrer kleinbürgerlichen Herkunft: Der Kanzler selbst war der Sohn eines kaufmännischen Angestellten, sein Vizekanzler Willy Brandt gar der uneheliche Spross einer Verkäuferin.

Innenminister Paul Lücke stammte aus dem Haushalt eines Steinbruchmeisters und der Vater von Finanzminister Franz Josef Strauß war Metzger. Lediglich zwei der sechs Schlüsselpositionen waren damals von Kindern des Bürgertums besetzt, insgesamt dominierten Handwerker, Angestellte und Beamte aus niedrigen Hierarchien den beruflichen Hintergrund der Kabinettsmitglieder.

Das ist heute anders, berichtet der Soziologieprofessor Michael Hartmann in der Juli-Ausgabe des Magazins "Bild der Wissenschaft".

Diese Veränderung spiegelt laut Hartmann einen grundlegenden Wandel der Gesellschaftsstrukturen wider: Kiesingers Kabinett repräsentierte ein Volk, das vom Kleinbürgertum und einer starken Mittelschicht dominiert war. Merkels Regierungsmannschaft ist dagegen in einer Zeit im Amt, in der die Schere zwischen "arm" und "reich" immer weiter auseinander klafft - und die politische Elite gehört mittlerweile größtenteils in die Kategorie "reich".

Die Folgen bekommen die Volksparteien bereits zu spüren: Da sich ein großer Teil der Bevölkerung nicht mehr repräsentiert fühlt, verlieren SPD und CDU/CSU so viele Mitglieder wie kaum zuvor. Während das Bürgertum die politische Elite jedoch gerade erst zu dominieren beginnt, sei eine solche Übermacht unter Wirtschaftsbossen und Juristen schon lange gang und gäbe, schreibt Hartmann.

So sind 80 Prozent der Vorstandsvorsitzenden der 100 größten deutschen Firmen Kinder von Vätern, die Unternehmer, leitender Angestellter, höherer Beamter oder akademischer Freiberufler waren.

Hat sich das Bürgertum einmal etabliert, würden diejenigen, die bereits in der Führungsetage sitzen, immer wieder Menschen mit einem ähnlichen familiären und sozialen Hintergrund als Mitarbeiter wählen, betont Hartmann. Denn diese lassen sich sehr viel leichter einschätzen als diejenigen, die in ihrer Kindheit völlig andere Erfahrungen gemacht haben.

Besonders ausgeprägt sei die Dominanz des Bürgertums dort, wo es um Macht und gesellschaftlichen Einfluss gehe, schreibt der Soziologe.

Vor diesem Hintergrund würde die Verschiebung der Regierungszusammensetzung einige Risiken enthalten, unterstreicht Hartmann in "Bild der Wissenschaft". Denn wo Politiker und Wirtschaftsbosse in den gleichen höheren Kreisen verkehren, steige die Wahrscheinlichkeit für "Absprachen unter vier Augen". (Das Gefühl habe ich schon lange)

Gleichzeitig nehme das Verständnis für die Sorgen des Normalbürgers ab. Das haben sowohl SPD als auch CDU/CSU im vergangenen Jahr zu spüren bekommen: Niemals seit 1949 haben die beiden Volksparteien so wenig Stimmen erhalten wie bei der letzten Bundestagswahl.

Quelle: Manager-Magazin

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