Dienstag, 19. Februar 2013

Der lange Arm des Konsumenten

Von Theophil

Jan übersieht in seinem letzten Artikel, dass die Macht des Konsumenten weiterreicht, als die des Wählers. Und warum trifft der  Konsument an der Wahlurne plötzlich bessere Entscheidungen, als an der Wursttheke?

Für Jan ist klar, dass der Konsument vom Anspruch des verantwortungsvollen Konsums überfordert ist. Er hat weder die nötigen Informationen noch die eigentliche Macht, an den Verhältnissen etwas zu ändern. Bestenfalls kann er beeinflussen, was auf seinem Teller landet und gibt damit dem Rest der Wirtschaft einen Freifahrtschein. 

Der Konsument ist mächtiger als der Wähler

Nur in einem Nebensatz erwähnt Jan die -- teilweise erfundene --  Berichterstattung über die Arbeitsbedingungen bei Apples asiatischen Zulieferern. Er erwähnt nicht einen in diesem Zusammenhang wesentlichen Punkt: Der Druck westlicher Konsumenten -- und die Gesetze von Angebot und Nachfrage auf dem chinesischen Arbeitsmarkt -- waren stark genug, um die Arbeitsbedingungen chinesischer Arbeiter zu verbessern, wie die New York Times selbst inzwischen schreibt. Der westliche Wähler wäre dazu nicht in der Lage gewesen. 

Die Proliferation von zertifiziertem, nach wissenschaftlich überprüften Kriterien nachhaltig gefangenen Fisches hat die internationalen Fischbestände nicht gerettet, aber sie hat sicher mehr für deren Erhalt getan als die europäische Fischereipolitik. 

Der Konsument ist der Wähler

Aber trotz der Vielfalt der Nachhaltigkeits- und Biozertifikate bleiben Bioprodukte ein Nischenmarkt. Was sagt uns das über den Konsumenten, der doch auch Wähler ist? Ist er schlecht informiert? 
Ist er nicht willens den Preis zu zahlen, wenn er ihn selbst zahlen muss? Oder trifft er womöglich eine wohlinformierte Entscheidung? Hält der Konsument die Umweltbelastung durch die europäische Landwirtschaft vielleicht für gering und lässt ihn der Tierschutz ein wenig kalt? In jedem der Fälle ist unklar, welche Hoffnung Jan in den Wähler setzt, die er nicht auch in den Konsumenten setzt.

Es gibt kein richtiges Leben und kein falsches 

Jan bleibt leider auch eine konkrete Antwort schuldig, welche Entscheidungen der Konsument an den Staat delegieren soll um sie dadurch für alle verbindlich zu machen. Unsere Entscheidungen als Individuen haben Konsequenzen für uns und andere. Wir bewerten diese Konsequenzen, die Vorteile und Nachteile dich sich für uns und andere ergeben, und orientieren unser Handeln daran. Leider gibt es keine optimalen politischen Entscheidungen, die nur Vorteile für alle haben. Ein sicherer Arbeitsplatz für den einen bedeutet eine Chance weniger für den anderen. Ein hoher Mindestlohn gibt dem einem ein Auskommen und schickt den anderen in die Arbeitslosigkeit. Niedrige Preise bedeuten weniger Verzicht für den einen und ein Leben in Legebatterien für jemand anderen. 

Entgegen dem landläufigen deutschen Staatsverständnis gibt es zwischen diesen Extremen keine einzig richtige Abwägung, keinen neutralen Entscheider, der über den gesellschaftlichen Interessen steht, und die richtige Entscheidung für alle treffen kann. Jede Entscheidung ist am Ende eine Abwägung besserer oder schlechterer Alternativen. 

Die Grenzen der Konsumentenmacht

Der Konsument kann Vor- und Nachteile für sich und andere abwägen, aber er kann nicht die Durchsetzung beschlossener Gesetze überprüfen. Dafür ist allein der Staat verantwortlich (und hier hat im Pferdefleischskandal der Staat versagt). Eine pluralistische Gesellschaft  kann den Staat bei der Erfüllung dieser Aufgabe nur überwachen, so wie sie es letztlich auch im Pferdefleischskandal getan hat.

Der Konsument kann auch nicht die tatsächlichen externen Kosten der verfügbaren Produkte schätzen. Er kennt weder den Ölverbrauch des Traktors, den Energieverbrauch des Gewächshauses noch den Schadstoffausstoß von Containerschiffen. Und das sollte er auch nicht wissen. In dieser Frage nimmt sich der deutsche Konsument selbst zu ernst. Er hat sich beigebracht, dass ein hoher Preis auch hohe Umweltverträglichkeit bedeutet und sieht nicht, dass eine teurere Produktion an irgendeiner Stelle einen hohen Ressourcenverbrauch haben muss.

Letztlich sollten wir uns also weniger fragen, was unser Nachbar auf dem Teller hat und wir sollten im Kampf gegen die Legebatterien nicht die Wehrpflicht einführen. Wir sollten uns sehr wohl fragen, wie der Staat die Aufgaben die ihm übertragen wurden, besser erfüllen kann. Und wir sollten auf keinen Fall die Antwort auf moralische Fragen an den Staat übertragen, denn dort sitzt niemand. Der Staat, das sind wir. 

13 Kommentare:

  1. Wir tun immer so, als ob das menschliche Konsumverhalten ausschließlich von der Vernunft gesteuert würde. Die alte Fiktion des freien Willens.

    In Wirklichkeit werden Kinder in ihrem Eßverhalten durch ihre Eltern und ihr sonstiges Umfeld konditioniert. Das gilt insbesondere für den Geschmack.

    Zum anderen beeinflusst offene wie auch versteckte Werbung das Eßverhalten. Die versteckte Werbung über sogenannten Journalismus versucht uns gerade klar zu machen das Bio ja gar nichts ändert, genauso schmeckt wie konventioneller Anbau und dafür auch noch teurer ist. Natürlich sind das nur noch Rückzugsgefechte, aber sie haben Wirkung.

    Tatsächlich werden erst unsere Kindeskinder soweit umkonditioniert sein, dass die Verantwortung für das was sie essen und ihr Geschmack ihnen überhaupt erlauben, einigermaßen frei zu entscheiden.

    Tatsächlich hat das ganze auch noch eine politische Dimension. Wenn die Bürger anfangen selbst und frei zu entscheiden, ist die Parteiendiktatur im Auftrag des Großkapitals wie wir sie heute haben, schnell erledigt.

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    1. Könnte natürlich auch sein, dass der Bioesser durch soziale Kontrolle seines Milieus dahin konditioniert ist, anzunehmen, dass alle konditioniert sind, die anders essen als er. Es hilft daher nicht, andere als unmündig da konditioniert darzustellen. Wer Menschen für unmündig erklärt, hat einen wichtigen Schritt Richtung politischer Entmündigung gemacht.

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  2. "Wer Menschen für unmündig erklärt, hat einen wichtigen Schritt Richtung politischer Entmündigung gemacht."

    Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Der Gedanke, dass der erwachsene Bürger mündig ist und informierte Entscheidungen treffen kann, formuliert einen Anspruch an den Bürger und beschreibt nicht per se die Realität. Dieser Anspruch scheitert oft genug an der Realität, wie jedem mit offenen Augen klar ist.

    Aber wer diesen Anspruch an den Menschen aufgibt, der kann die Menschen auch nicht so behandeln, dass sich der Anspruch jemals erfüllen kann.

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  3. Jan bleibt leider auch eine konkrete Antwort schuldig, welche Entscheidungen der Konsument an den Staat delegieren soll um sie dadurch für alle verbindlich zu machen.

    Ich bin zwar nicht Jan, aber ich antworte mal: wenn eine Konsumentscheidung erhebliche Kosten oder Schäden für Dritte verursacht. Ein paar Beispiele: ein Autokauf führt normalerweise zu Abnutzungen an der Straßeninfrastruktur, der Bau und die Wartung derselben müssen ebenfalls finanziert werden. Daher darf nicht alles auf den Straßen fahren, sondern es benötigt eine staatliche Zulassung.
    Weiteres Beispiel: das Rauchen. Die Tabaksteuer beteiligt die Raucher an den Kosten und Schäden, die durch das Passivrauchen bei Dritten entstehen.

    Im Fall von Amazon ist es doch so, dass unser Konsumverhalten zu menschenunwürdigen und prekären Arbeitsverhältnissen führen, deren Schäden größer als der Gewinn des Unternehmens sind. Gäbe es keinen intervenierenden Staat, würden wir den Race to the Bottom soweit fortführen, bis wir uns als Gesellschaft selbst abgeschafft haben.

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    1. Den ersten Teil habe ich ja explizit erwähnt. Das sind Externalitäten die zu Kosten bei Dritten führen und das ist der klassischste Fall von Marktversagen. Wie ich auf Jans Post schon kommentierte, konservative wie linke Ökonomen sind sich völlig einig, dass das der Staat regeln muss. Vielleicht nicht durch festgelegte Preise sondern eher durch Emmissionszertifikate, Straßenmaut, Parkgebühren.

      Zu Amazon: Siehe meinen nächsten Post. Die Gewinne die Amazon erzeugt, sind nicht hauptsächlich die der Aktionäre. Die Kosten für viele Arbeiter sind natürlich real. Allerdings halte ich primär die unwürdige Behandlung für inakzeptabel, weniger das Lohnniveau in Gegenden mit hoher Arbeitslosigkeit. Die Existenz von Jobs für schlechtqualifizierte in Gegenden mit hoher Arbeitslosigkeit halte ich an sich erst mal für einen Gewinn.

      Dass wir ein Race To The Bottom hätten, mit weniger staatlicher Sicherung (ich rede gar nicht von "ohne"), sehe ich so auch nicht. Die USA und Kanada haben de facto überhaupt keine gesetzlichen Maßnahmen zur Sicherung von Arbeitsplätzen (free to work states) und fast keine Gewerkschaften. Dort gibt es eine stärkere Ungleichheit, die bei uns der Sozialstaat recht effektiv verringert, aber ein Race To The Bottom gibt es nicht (insbesondere nicht wenn man eine lange historische Perspektive einnimmt).

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    2. Die Existenz von Jobs für schlechtqualifizierte in Gegenden mit hoher Arbeitslosigkeit halte ich an sich erst mal für einen Gewinn.

      Zieht man die bei traditionellen Verlagen und Buchhändlern vernichteten Jobs, die meist wesentlich besser bezahlt sind, ab, dann nicht.

      Dass wir ein Race To The Bottom hätten, mit weniger staatlicher Sicherung (ich rede gar nicht von "ohne"), sehe ich so auch nicht.

      Hm, was passiert gerade in Europas Krisenstaaten? Wir sind beim Race to the Bottom noch nicht an der Reihe, aber in einem gemeinsamen Währungsraum können wir uns dieser Entwicklung, die wir anderen aufzwingen, nicht entziehen.

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    3. Man darf aber nicht einfach die Jobs in der Logistik mit den Buchhändlern verrechnen (wie hoch bezahlt die Hugendubel-Kassiererin ist, sei mal dahingestellt), siehe mein letzter Post Wem dient Amazon

      Wenn durch Amazon Hersteller und Käufer besser zueinander finden, durch weniger Reibungsverluste, die Handel nun mal auch darstellt, dann ist das auch ein großes Plus.

      Europas Krisenstaaten geht es schlecht, aber nicht wegen mangelnder staatlicher Sicherung im Arbeitsmarkt.

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    4. Man darf aber nicht einfach die Jobs in der Logistik mit den Buchhändlern verrechnen

      Wenn Amazon effizienter als der traditionelle Handel ist, schafft das Unternehmen mit weniger Arbeitskräfte dieselbe Dienstleistung. Der gesellschaftliche Job-Saldo muss daher zwangsläufig negativ sein.

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    5. Das ist nicht zwangsläufig richtig. Das durch Amazons Effizienz freigewordene Geld muss ja irgendwo hin. Es gibt mehrere Möglichkeiten:

      1) Man arbeitet einfach weniger. Dann ist das Geld tatsächlich weg und man schafft selbst auch noch weniger Mehrwert. Das ist ein Race To The Bottom.

      2) Man gibt das Geld für etwas anderes aus. Dann kommt es darauf an, wieviel Arbeit im erworbenen Gut steckt (und ggf in welchem Land das produziert wird, aber lassen wir Arbeitsplatznationalismus mal außen vor).

      Beim zweiten Punkt gestehe ich ein, dass die innovativen Firmen der letzten Jahrzehnten nicht mehr solche Jobmaschinen sind, gemessen am Nutzen der Kunden. Die nachgefragten Qualifikationen sind entweder extrem hoch (Entwickler & Ingenieure) oder niedrig (Paketpacker).

      Es ist mir aber nicht klar, wie dieses Problem durch Regulierung gelöst werden soll.

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    6. Ich habe generell das Gefühl, dass wir gerade in einem riesigen Strukturwandel stecken, vgl. mit Industrialisierung, und generell noch nicht wissen welche Qualifikationen eigentlich in Zukunft benötigt werden. Eines aber ist klar: die traditionellen sind es nicht, so wenig wie es im 19. Jahrhundert Ackerbaukenntnisse waren.

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    7. Das halte ich für absolut richtig. Darüber würde ich vielleicht mal eine Artikelserie machen. Es ist nicht einmal ganz klar, ob wir an zu viel oder zu wenig Innovation leiden.

      Tyler Cowen beschreibt "The Great Stagnation", Erik Brynjolffson beschreibt "The Race Against The Machine"

      Beides sehr einflussreiche (und hervorragend kurze!) Bücher der letzten beiden Jahre. Erschienen ausschließlich als Kindle Single.

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  4. "Der Staat, das sind wir." Dann haben wir also beim Überprüfen versagt?

    Wenn beim Staat niemand sitzt, muss man sich auch nicht wundern, wenn nicht kontrolliert wird. Und da liegt glaube ich auch der Hase im Pfeffer. Wieviele Lebensmittelkontrolleure gibt es? Meines Wissens zu wenige.
    Das lässt sich ausweiten: Wieviele Steuerfahnder/Polizisten/Bankregulierer/Lehrer/etc gibt es? Meines Wissens zu wenige.

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    1. Das ist natürlich eine hübsche Uminterpretation dessen, was ich meinte. "Der Staat, das sind wir" bezog sich auf die Frage, wer für die grundsätzlichen, moralischen Entscheidungen verantwortlich ist. Das sind wir, weil es die eine, für alle und überall richtige Entscheidung eben nicht gibt.

      Aus diesen Entscheidungen ergeben sich Regulierungen und Gesetze, für deren Einhaltung schon der Staatsapparat verantwortlich ist. Dafür haben wir ihn ja, auch wenn im Zweifelsfall dann dort wieder keiner sitzt.

      Es sind eben immer zwei Paar Schuhe, sich etwas zu wünschen und auch dafür zu bezahlen.

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