Freitag, 17. April 2009

Referenzfall Somalia

Der Fall der Piraterie am Horn von Afrika ist exemplarisch für die gesamte Wahrnehmung von Problemen und Krisen und der Versuch derer Bewältigung in den Medien, der Wirtschaft und der Politik. Konkreter Anlass zu dieser Feststellung ist für mich ein Artikel der SZ, in dem es darum geht, dass die Piraten nun Flüchtlinge als menschliche Schutzschilde gebrauchen, um sich vor der Marine der "freien Welt" zu schützen, die dort draußen das Recht auf illegales Verklappen von Giftmüll und Überfischung der Gewässer verteidigt.
Aber sehen wir uns den Konflikt noch einmal von Beginn an: Somalia ist bekanntlich ein Land ohne eine Regierung (zumindest ohne eine die in der Lage wäre zu regieren) und deswegen de facto nicht in der Lage, hoheitliche Aufgaben wahrzunehmen - etwa den Schutz und die Überwachung seiner Küsten. Dieses Fakt haben sich diverse international agierende Konzerne - nennen wir sie vereinfachend die Arbeitsplatz AG - zunutze gemacht, indem sie illegal Giftmüll vor Somalias Küste verklappen und die Gewässer leerfischen. Während bei letzterem "nur" Langzeitschäden bei der Bevölkerung angerichtet werden, raubt ihnen letzteres die Lebensgrundlage, denn die Küstenbevölkerung Somalias besteht fast ausschließlich aus Fischern. Oder sollen wir sagen, bestand?
Ohne Lebensgrundlage, aber doch mit diesem für die Arbeitsplatz AG störenden Überlebenstrieb ausgestattet stellten die Fischer bald fest, dass sie die langsamen Schiffe, die da durch ihre Gewässer kreuzten, mit ihren eigenen Booten und den AKs, von denen es dank mehrer Dekaden Bürgerkrieg wahrlich genügend gibt, einfach kapern könnten und dann Lösegeld verlangen.
Das wahrlich interessante ist nun, und das hebt der oben verlinkte Artikel ausdrücklich hervor, dass die Piraten sich wie Unternehmer verhalten, also mithin so, wie es die Globalisierung als Positivutopie festschreibt. Sie entwickeln eine Art Tarif, schütten die Gewinne an Anteilseigner aus (korrupte Regierungsstellen, Warlords und natürlich die Piraten selbst) und behalten einen Teil zurück, um ihn in mehr Waffen und Boote zu investieren. Sie haben gewissermaßen die Lektion des Westens gelernt.
Der zeigt sich jetzt allerdings nicht übermäßig dankbar, sondern schickt stattdessen seine Marine, in der sicheren Erwartung, dass einer NATO-Marine ein Neger im Kamaran wenig entgegenzusetzen hat. Die Deutschen überschlagen sich vor Freude, endlich wird wieder Kanonenbootpolitik in Afrika betrieben und den Einheimischen mal gezeigt, wo der Hammer hängt! Selbige wurden nur dummerweise schon ein zweites Mal unterschätzt, denn anstatt als gute Afrikaner die Überlegenheit der weißen massas anzuerkennen und einfach in einer abgeschiedenen Ecke zu krepieren und bisweilen mit traurigem Blick für CNN zu posieren, haben sie sich entschlossen der marktbeherrschenden Macht der Arbeitsplatz AG entgegenzutreten und stattdessen eine Fusion mit einem anderen lokalen Unternehmen einzugehen, um die freiwerdenden Synergieeffekte zu nutzen. Kaum forderten die Marinekapitäne, die schon seit Ewigkeiten Schiffe-Versenken nur als Brettspiel kennen, die schnelle Versenkung der Piratenbrut, anstatt auch noch Gefangene nehmen zu müssen (wo kommen wir denn da auch hin!), taten sich die Piraten mit den Menschenschmugglern zusammen.
Letztere sind schon ein bisschen länger im Geschäft als die Piraten und schippern verzweifelte, bürgerkriegsgeplagte Somalis in halsbrecherischen Fahrten in lecken Kähnen über das rote Meer nach Jemen, damit sie von dort nach Saudi-Arabien weiterkönnen, um für die Ölscheichs zu arbeiten. Das war bisher ok, denn die Hungerlöhne, die sie dort bekommen, garantieren für uns ja billiges Öl, und wie gute Afrikaner haben sich die Flüchtlinge bisher nie beschwert. Jetzt nutzen die Piraten die Situation für sich: sie schippern die Flüchtlinge hin, wodurch sie einen Schutz vor der Shoot-on-sight-Marine der NATO-Staaten bekommt, weil die sich an diese echt lästigen Menschenrechte halten müssen und nicht einfach das Boot mit den ganzen Afrikanerfrauen und -kindern versenken dürfen und überfallen auf dem Rückweg schnell noch ein Schiff.
Jetzt sind die Marinekommandeure - wieder einmal - ratlos. Die gerade erst erhobene Forderung nach einer schlichten Versenkung der Piraten ist durch die Flüchtlingsnutzung nicht mehr haltbar, und andere Optionen als drauflosballern haben sie auf den Schiffen leider nicht wirklich.

Warum also soll dieser Fall exemplarisch für die Betrachtung und Lösung von Krisen in der heutigen Zeit sein? Ganz einfach. Offenkundig leidet Somalia - und damit ein paar Millionen Menschen! - an einem tiefgehenden Problem, nämlich der Zerrissenheit durch den Bürgerkrieg. Man hat 1993 bereits einmal versucht, das mit Militär zu lösen, was bekanntlich furchtbar in die Hose ging, wie der Film "Black Hawk Down" eindrucksvoll zeigt. Dieses Mal hat man gelernt und bleibt auf dem Wasser, wo der Neger nicht zurückschießen kann. Allerdings löst das das Problem nicht, sondern erzeugt Ausweichverhalten. Das Schicken von Schiffen war nur die bequemste und billiste Lösung, die man aufzubieten hatte, denn die Schiffe hat man ja eh und Kugeln sind billig. Müsste man stattdessen versuchen eine internationale Lösung zu erstellen, das Raubfischen am Horn von Afrika und das Verklappen von Giftmüll zu verbieten hätte man richtig zu tun, und es wäre teuer, denn die Arbeitsplatz AG würde gleich jammern, dass dadurch Arbeitsplätze verlorengingen. Und damit man ihnen den Schmarrn auch glaubt, würden sie mit betrübten Gesichtern erst einmal ein paar hundert Leute entlassen. Macht keinen Sinn, aber sieht gut aus. Schickt also lieber mal ein paar Schiffe, die sehen wenigstens hübsch aus.

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