Erinnert sich noch jemand an den großen Writer’s Strike in Hollywood, als die Traumfabrik so richtig albtraummäßig lahmgelegt war, weil alle Drehbuchautoren beschlossen hatten, dass sie etwas besser bezahlt werden wollten als Supermarktkassierer bei KiK? Ich muss ehrlich sagen, ich habe keine Ahnung, was das Ergebnis dieses Streiks war, aber ein eher unbeabsichtigtes Ergebnis war die Produktion eines „Supervillain-Musical“ (von denen es, wie wir alle wissen, viel zu wenige gibt), das unter der Feder von Joss Whedon entstand und in dem Neil Patrick Harris die Hauptrolle des Dr. Horrible spielt. Den kennt ihr vielleicht noch als Carl Jenkins in „StarshipTroopers“ (der Geheimdienstyp mit dem Nazi-Ledermantel). Wenn nicht, macht das auch nichts, nach diesem Film werdet ihr ihn kennen. Joss Whedon ist im Übrigen ein netter Mensch, denn das Video gibt es im Netz zum Download für praktisch kein Geld. Die DVD kann man leider nur in den Staaten kaufen. Andere Möglichkeiten gibt es nicht, denn wer würde schon PIRATErie betrieben wie manche BAYern?
Worum geht es also? Dr. Horrible ist ein Nachwuchsbösewicht, der nur allzugerne in „Bad Horse’s Evil League of Evil“ aufgenommen werden würde. Dummerweise muss er sich dafür erst beweisen, wie ihm Bad Horse persönlich auch in einem Antwortbrief auf seine Bewerbung mitteilt: ohne eine wirklich große, böse Tat (am besten ein Mord!) geht gar nichts. Nur ist Mord definitiv nicht Dr. Horribles Stil, also muss er etwas anderes versuchen. Sein Plan ist ein Freeze-Ray, mit dem er die Zeit anhalten will um so sein Ziel zu erreichen, die Welt zu beherrschen – und nebenbei die Frau seiner Träume zu gewinnen, Penny, die er in seiner bürgerlichen Existenz als Billy regelmäßig im Waschsalon trifft und nicht anzusprechen wagt.
Doch beim Diebstahl einer wertvollen Substanz namens Wonderflonium, die er für seinen Freeze-Ray benötigt, interferiert Dr. Horribles Nemesis, Captain Hammer, und ruiniert sowohl Horribles Plan als auch seine Liebe zu Penny, denn die glaubt Hammer habe sie gerettet und verliebt sich in ihn. Da Dr. Horrible seine treue Fangemeinde über sein Blog in Videobeiträgen über seine neuesten Fortschritte informiert, sind leider auch Captain Hammer und das LAPD auf dem Laufenden über seinen Plan mit dem Freeze-Ray, und so scheitert Horrible grandios. Nun gibt es nur noch eine Chance auf einen Eintritt in Bad Horse’s Evil League of Evil, und das ist kaltblütiger Mord. Aber wen sollte Dr. Horrible ermorden…?
Wer jetzt denkt, dass das (englischsprachige) Musical von knapp 43 Minuten Dauer nur für dümmliche Gags zu haben ist, der liegt vollkommen daneben. In dieser Zeit gelingt Joss Whedon, wofür die Nolans immerhin zweeinhalb Stunden, Christian Bale und Heath Ledger benötigt haben: das Superheldengenre gehörig zu demontieren, analysieren und auf die Schippe zu nehmen. Hinter Dr. Horrible steckt deutlich mehr, als es auf den ersten Blick scheint. Die Charaktere Horrible, Captain Hammer und Penny haben alle drei Tiefgang, und hinter jedem verbirgt sich mehr, als es auf den ersten Blick scheint. Sie machen charakterliche Entwicklungen im Verlauf des Musicals durch, hauptsächlich während der hevorragend getexten und gesungenen Lieder, die teilweise absolut Ohrwurmcharakter haben. Philosphische Fragen werden aufgeworfen, und an vielen Stellen (wenn auch nicht gerade bei den Tricks) braucht Dr. Horrible sich wahrlich nicht vor seinen Vorbildern zu verstecken. So, für den folgenden Absatz herrscht Spoilergefahr.
Wenn Dr. Horrible beispielsweise reflektiert, dass alleine Penny seine Bosheit in der Waage enthält und sie ihn mit ihrer Hinwendung zu Captain Hammer immer mehr in Richtung Böse treibt, so hat dies fast die gleiche tragische Dimension wie Dr. Manhattans Bindung an Laurie Juspecyk in Watchmen. Ebenfalls eine Referenz an dieses großartige Comic-Epos ist die Ernsthaftigkeit, mit der die Welt die Existenz von Superhelden und Superschurken anerkannt hat. Als Captain Hammer schlussendlich von Dr. Horrible deklassiert wird, tragen die Mädchen statt Hammer-T-Shirts plötzlich Horrible-Shirts, und die Medien berichten anstatt über Hammers unaufrichtige Charity-Aktionen über Horribles neuesten Zug – business as usual. Einen üblen Twist zieht Joss Whedon ebenfalls noch in den letzten fünf Minuten, wenn Dr. Horrible fulminant seinen Traum erreicht – und dennoch ebenso grandios scheitert. Da bleibt einem das Lachen im Halse stecken, und man ist gezwungen, sich reflektierend noch einmal mit den Charakteren und ihren allzumenschlichen Zielen – vor allem Anerkennung – auseinanderzusetzen. Nur die besten Komödianten erreichen das.
So, hier endet die Spoilergefahr.
Ywp. Guter Film. Bin begeistert.
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