Dienstag, 12. Mai 2009

Buchbesprechung: Daniel Friedrich Sturm - Wohin geht die SPD?

Die SPD ist die älteste Partei Deutschlands und hat eine mehr als bewegte Geschichte hinter sich. Während auch die CDU ihre Ansichten über die Zeit gewandelt hat, so ist sie im Kern doch immer noch der Kanzlerwahlverein geblieben, als der sie in den 1950er Jahren immer verschrieen war. Besonders seit der Wende von Rot-grün 1998 hat sich die SPD radikal gewandelt: ihr Bekenntnis zu einer neoliberalen Politik, die Agenda 2010 und Hartz-IV haben sie über ein Drittel ihrer Mitglieder und einen historischen Absturz in der Wählergunst gebracht. In der Elefantenrunde bei der Wahl 2005 beschwerte sich Schröder über die angeblich negative Berichterstattung der Medien über ihn; nun tut ihm Daniel Friedrich Sturm gewissermaßen nachträglich etwas Gutes.

Sturm ist Redakteur bei der Welt, die bekanntlich zum Springerkonzern gehört. Und er ist begeisterter, ja geradezu fanatischer Befürworter der gesamten Reformpolitik, die zwischen 2003 und 2005 durchgeführt wurde. Der Vorteil, der mit großem Glauben einhergeht, ist ein simples Weltbild. Bei Sturm ist jeder, der sich für die Reformpolitik eingesetzt hat gut, und jeder der dagegen war schlecht. Aber von Anfang an.

Daniel Friedrich Sturm beginnt sein knapp 500 Seiten langes Werk chronologisch beim rot-grünen Wahlerfolg von 1998, der Kampa und den damals nur mühsam unterdrückten Widersprüchen zwischen Schröder und Lafontaine (der damals die breite Mehrheit der Partei hinter sich wissen konnte). Minuziös erzählt der Autor nach, wie die SPD sich im Schlingerkurs durch die erste Legislaturperiode bewegte und wie Schröder sich nach dem Wahlsieg von 2002 zur Reformpolitik entschloss. Die von der Überwindung gigantischer Widerstände geprägte zweite Amtszeit nimmt den meisten Raum eine, ehe die Große Koalition bis Ende 2008 behandelt wird. Damit ist Sturms Buch sehr aktuell in dem Zeitraum, den es abdeckt.

Leider jedoch macht Sturm aus dem interessanten Thema nur extrem wenig. Die SPD auf Reformkurs ist seine Lieblingspartei, und Schröder, Clement und vor allem Müntefering ihre Helden. Auch klare Bösewichter gibt es in dieser Geschichte: Lafontaine und, vor allem, Ottmar Schreiner. Letzterer steht zusammen mit Andrea Nahles für den linken Flügel der SPD, der sich in dem Buch durch die Konstante auszeichnet, nur zu stören ohne irgendeinen Nutzen zu haben. Sturm gelingt es sprachlich dabei sehr gut, eine Nebelkerze nach der anderen zu zünden. Die Reformen sind stets notwendig, richtig und mutig, eine Tatsache, die wahlweise von „allen“, der „öffentlichen Meinung“ oder irgendwelchen anderen nebulösen Institutionen „allgemein anerkannt“ ist. Vom großen Widerstand dagegen auch aus der Ökonomenzunft (Flassbeck, Bofinger, Noe, nur um einige zu nennen) weiß er nichts zu berichten, er schafft es nur, Flassbeck mit einer wahren Kanonade feindseliger Polemik einzudecken, obwohl dessen Thesen sich gerade als allzuwahr herausstellen.

Überhaupt hat Sturm eine beachtenswerte Resistenz gegen die normative Kraft des Faktischen. Lieber ignoriert er lieber alles, als zuzugeben, dass die Agenda vielleicht doch kein Erfolg gewesen sein könnte. Dazu versteigt er sich auch auf Argumentationsmuster wie „Die Agenda ist zwar kein Erfolg, aber ohne sie wäre es noch schlimmer gekommen“. Das ist sehr bequem, denn so hat man immer Recht und die Aussage kann nie geprüft werden. Auf diese Art verabschiedet sich Sturm von jeder sachlichen Argumentation und begibt sich in genau jene Gefilde der Betonkopf-Ideologie, die er den Linken (sowohl der SPD-Linken als auch der Partei Die Linke) ständig vorwirft.

Jegliche Kritik an der Agenda 2010, die in die „falsche“ Richtung führt – also Kritik an den generellen Intentionen der Agenda – wird von Sturm einfach vom Tisch gewischt. Die einzige Kritik, die er zuzulassen bereit ist ist die, dass die Agenda an manchen Stellen nicht so radikal wurde wie ursprünglich angedacht. Dass die ursprünglichen Vorschläge der Hartz-Komission gar nicht so weitreichend waren wie die Schröder-Regierung und die Merkel-CDU letztlich im Vermittlungsausschuss ausbaldowert haben, erwähnt Sturm mit keinem Wort, würde es doch nicht in sein Weltbild passen. Auch die sehr zweifelhaften Methoden, mit denen Schröder und Müntefering ihre Politik gegen Partei und Volk durchsetzten ringen ihm allenfalls Bewunderung ab; Gefahren für die Demokratie, die ohnehin nur eine lästige Reformblockade für ihn ist, sieht er praktisch nicht.

Die Krone wird dem Ganzen jedoch dadurch aufgesetzt, dass das Buch eigentlich eine Mogelpackung ist. Es müsste „Wohin ging die SPD“ heißen, denn wohin die SPD geht, behandelt Sturm auf den letzten zehn von 480 Seiten. Dort entwirft er drei Szenarien, wie die SPD 2009 weitermachen könnte. Sein klarer Favorit ist dabei die Ampel, während sein Albtraumszenario eine Abwicklung der Agenda ist. Dieser persönlichen Agenda ordnet er allen Realitätsanspruch unter; entsprechend realitätsfern und abwegig sind diese Szenarien auch. Die Ampel führt bei ihm zum Utopia einer Allparteienkoalition zugunsten der Reformen, aus der nur die LINKE ausgeschlossen ist; eine Fortführung der Großen Koalition zu einer Abwahl Merkels durch konstruktives Misstrauensvotum im dritten Jahr und anschließender Wahl Sigmar Gabriels zum Bundeskanzler durch rot-rot-grün (und dann zum Untergang der Republik) und bei einer Jamaika-Koalition würden SPD und LINKE sich wieder vereinigen und in die Daueropposition gegen CDU, FDP und Grüne gehen, die Joschka Fischer zum Bundespräsident wählen. Dem totalen Unrealismus dieser Forderungen fügt er noch übelste Polemik hinzu, indem er beispielsweise Ottmar Schreiner in einem Szenario zur LINKEn überlaufen lässt und im anderen ein „Ministerium für Arbeit, Soziales, Sport, Fremdarbeitermigration und Volksgesundheit“ führen lässt. Dieses Niveau ist so unterirdisch, dass man nur noch den Kopf schütteln kann.

Von Daniel Friedrich Sturms Buch ist also nur abzuraten. Als Hauptproblem erweist sich dabein nicht seine Parteinahme für die Agenda, denn das ist nur recht und vor allem billig, nein, es ist sein vollständiger Verzicht auf Argumente und sachliche Analysen, der auf den Magen schlägt. Billige Polemik und noch viel billigere Phrasen, die ein Gemeinschaftsgefühl und eine schlichte Zustimmung suggerieren sollen sind dafür kein Ersatz. Mit solchen Mitteln wurde die öffentliche Debatte viel zu lange bestimmt, als die Sturms, Hüthers, Sinns und Clements durch Sabine Christiansen, Anne Will und Maischberger zogen. Hoffen wir, dass dieses Machwerk der Abgesang auf diese Art der indifferenzierten Ideologie ist.

3 Kommentare:

  1. Ich wünsche diesem Herrn ein Jahr Hartz IV, mit allem, was so dazu gehört (Verkauf seines zu teuren Autos, Aufbrauchen der ersparnisse, Sanktion bei "Arbeitsverweigerung", weil er sicher nicht bereit ist, für 6 Euro Spüler in der Hotelküche zu machen, Zwangsumzug, weil die Wohnung zu teuer ist usw. usw. usw.).

    AntwortenLöschen
  2. Ist doch so logisch wie sonnenklar: Wenn wir die Hartz-Gesetze nicht eingeführt hätten, wäre die Finanzkrise bestimmt noch viel schlimmer ausgefallen. Warum ignorierst Du bloß diesen Zusammenhang, der liegt doch auf der Hand? Oder nicht?

    AntwortenLöschen
  3. Danke für diesen Artikel.
    Ich kaufe mir dann doch lieber Klopapier und investiere meine Zeit anderweitig.

    Liebe Grüße
    Margitta Lamers

    AntwortenLöschen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.