Samstag, 23. Mai 2009

Die zwei Seiten des 2. Juni 1967 [UPDATE]

Bald jährt sich der 2. Juni 1967 zum 42. Mal. Man mag es als Zufall sehen, dass in diesen Tagen der Fall gänzlich neu aufgerollt wird, denn der Tod Benno Ohnesorgs während einer Demonstration gegen den Schah-Besuch seinerzeit durch Polizeigewalt erhitzt noch heute die Gemüter. Ich will kurz einige Zitate der Springerpresse vom 3. Juni wiedergeben:
Heinrich Albertz bleibt hart
Die gleichen Leute, die am Freitagabend den Schah von Persien anpöbelten, die Eier, Tomaten, Rauchkerzen, Knallfrösche und Steine auf die Berliner Polizisten warfen und die lange, quälend lange Zeit die geduligen Ordnungshüter mit Schmährufen bedachten, suchten gestern der Polizei die Schuld am blutigen Straßenkampf vor der Deutschen Oper in die Schuhe zu schieben. Die Polizei trägt keine Schuld an den Zusammenstößen, die eindeutig von unseren Krawall-Radikalen provoziert wurden. Die Polizei tat ihre schwere Pflicht. Der unglückliche Schuss, der Ohnesorg tötete, wurde nach menschlichem Ermessen in Notwehr abgegeben. Benno Ohnesorg ist nicht der Märtyrer der FU-Chinesen, sondern ihr Opfer. [...] Das Maß ist nun voll. Wir sind es endgültig leid, uns von einer halberwachsenen Minderheit, die noch meist Gastrecht bei uns genießt, terrorisieren zu lassen.
- Berliner Morgenpost

Gestern haben in Berlin Krawallmacher zugeschlagen, die sich für Demonstranten halten. Ihnen genügt der Krach nicht mehr. Sie müssen Blut sehen. Sie schwenken die rote Fahne und sie meinen die rote Fahne. Hier hören der Spaß und die Toleranz auf. Wir haben etwas gegen SA-Methoden. Die Deutschen wollen keine braune und keine rote SA. Sie wollen keine Schhlägerkolonnen, sondern Frieden. Wer bei uns demonstrieren will, soll es friedlich tun. Und wer nicht friedlich demonstrieren kann, gehört ins Gefängnis.
- BILD

Kriminalobermeister Kurras sah plötzlich sein Leben bedroht. Er dachte an seine Frau daheim, er bekam plötzlich ganz verständliche Angst, wie jeder andere Mensch sie auch in seiner Situation bekommen hätte. Die Rowdys schlugen auf den entsetzten Beamten ein, schlugen ihn sogar krankenhausreif. Als Kurras glaubte, ein Messer aufblitzen zu sehen, griff er zur Dienstpistole, er wollte Warnschüsse abgeben - wie er später aussagte. Zu diesem Zeitpunkt hielt sich der 26-jährige Benno Ohnesorg in einigen Metern Entfernung auf. Kurras' Rechtsanwalt Gerd Joachim Roos erzählte mir später: "Benno Ohnesorg beteiligte sich gar nicht an der Schlägerei!" Und ihn, den offenbar unbeteiligten Studenten, traf der Schuss des Polizisten Kurras. Tödlich! Karl-Heinz Kurras musste verletzt ins Krankenhaus eingeliefert werden. Hätte Kurras nicht geschossen, Frau Ohnesorg brauchte heute nicht um ihren Mann Benno zu trauern. Frau Kurras aber wäre möglicherweise Witwe.
- BILD der Frau
Die öffentliche Meinung, in Berlin noch stärker als sonst in der BRD durch den Springer-Konzern vertreten, war also voll auf der Seite von Kurras. Seit etwa zwei Tagen ist Kurras plötzlich der Bösewicht. Die BILD berichtet mit vollen Aufmachern davon, dass gefordert wird, die Ermittlungen wiederaufzunehmen, denn: "Mord verjährt nicht!" Was ist denn da passiert? Von "Notwehr" zu "Versehen" zu "Mord"? Wie geht denn das? Eigentlich ganz einfach: die Birthler-Behörde behauptet, Kurras sei Stasi-Spitzel gewesen.
Hier wittert die rechtskonservative Presse natürlich Morgenluft. Die Studentenunruhen von 1967/68 sind ihnen ja längst ein Dorn um Auge, und die Schuld der Polizei und der Springer-Presse an der damaligen Eskalation sind eigentlich unumstritten. Welch wunderbare Gelegenheit also, nun die Geschichte umzudeuten. Wenn es der BILD gelingt, die Studentenproteste von 1967 als von der Stasi gesteuerte Aktion darzustellen, wird plötzlich ein großer Teil der deutschen Nachkriegsgeschichte anders gelesen. Auch die eigentlich unrühmliche Rolle der Springer-Presse erschiene dann in einem geradezu prophetischen Licht. Dementsprechend feuert BILD bereits aus allen publizistischen Rohren. In der Einleitung des Artikels "Jetzt spricht der Todesschütze Karl-Heinz Kurras", in dem Kurras gerade eben nicht spricht, wird dessen Stasi-Verwicklung als Tatsache dargestellt - erst im Artikel wird dann zugegeben, dass es bislang nur ein Vorwurf ist, allerdings einer, der "schwer wiegt". Und Hans-Hermann Tiedje, der bislang noch nie durch Niveau oder intelligente Artikel aufgefallen wäre, darf unter der Überschrift "Die Spur der Stasi" gänzlich ungeniert pöbeln. Dabei würde ein Stasi-Spitzel zu sein heute genausoviel beweisen wie die Tätigkeit als V-Mann des Verfassungsschutzes: nämlich nichts.

UPDATE: lawblog - Der Fall Ohnesorg wird nicht neu verhandelt

2 Kommentare:

  1. Als ich davon hörte, war meine Reaktion: Das passt denen aber gut, endlich eine Schuldigen für "die 68er" zu haben und dann auch noch die ehemalige DDR. Hoffentlich gibt es mittlerweile genügend Menschen, die ihren Verstand ein setzen und noch mal drüber nachdenken.

    Gruß
    Margitta Lamers

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  2. Als ich übrigens 1968 in Hamburg auf Zimmersuche war - als Student, dessen 1. Semester bevorstand -, wurde man dank der Springerpresse wie ein gefährlicher Irrer behandelt, d.h. es war schwierig, ein Zimmer zu finden. Ich habe mich dann als Fotograf ausgegeben, und es gab keine Probleme mehr.
    Interessant, Deine Hinweise und Zeitungszitate: BILD schreibt, wie es gerade gebraucht wird. Da spielen Widersprüche keine Rolle.

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