Samstag, 23. Mai 2009

Unser neuer alter Bundespräsident

Host Köhler ist wiedergewählt, das ist keine Überraschung. Eine solche ist eher, dass es gleich im ersten Wahlgang klappte, wenn auch nur mit der exakten Menge der benötigten Stimmen. Schwan war relativ weit abgeschlagen, schon allein, weil die LINKE im ersten Wahlgang geschlossen für den eigenen Kandidaten stimmte. Aber eine große Überraschung ist selbst dieses Ergebnis nicht. Es gab in der vergangenen Zeit ein Wahlkampfgetrommel in den Medien für Köhler, das seinesgleichen suchte. Man möchte jetzt vielleicht einwenden, dass das eigentlich egal ist, weil das damit dauerbeschallte Volk bei der Wahl eh nichts zu sagen hat (was ich im Gegensatz zu vielen Kommentatoren für echt nicht allzu schlimm halte). Allerdings sind die Wahlleute, die zu einem guten Teil eben keine Politiker sind, durch die öffentliche Meinung (auch nur eine Metapher für die Meinungsmacht der Medien) stark beeinflussbar.
Horst Köhler war kein guter Bundespräsident, auch wenn dies in den Medien in der letzten Zeit so kolportiert wurde. Nach den Maßstäben, die hier angewandt wurden, war bislang jeder Bundespräsident ein guter Bundespräsident, denn wer nichts entscheiden darf, kann auch nichts falsch machen. Und da man Köhler bei der eigenen Geschichtsklitterung auch noch hilfreich zur Seite stand, wurde selbst die vielzitierte "Macht des gesprochenen Worts", über die der Bundespräsident verfügt, zur Bedeutungslosigkeit verurteilt. Gesine Schwan und natürlich Peter Sodann wurden ziemlich stark heruntergeschrieben. Ich muss allerdings dem ZDF-Morgenmagazin, das ansonsten übeleste Schublade des parteiischen Köhler-Wahlkampfs war, insofern zustimmen, als dass die LINKE zwar das Potenzial der Wahl erkannt hat, mit Sodann aber klar einen Kandidaten gewählt hat, der für das Amt nicht geeignet war. Die Wahl hätte möglicherweise anders verlaufen können, aber das ist unwahrscheinlich.
Der Grund dafür ist, dass Gesine Schwan anders als 2004 keine beliebte Kandidatin war. Die Medien hatten sich regelrecht auf sie eingeschossen (Gegenbeispiele wie dieser ZEIT-Artikel müssen mit der Lupe gesucht werden), und das nicht, weil Köhler so ein toller Bundespräsident ist und die Wahl gewissermaßen eine Beleidigung seines segensreichen Wirkens, auch wenn das immer vorgestützt wurde, sondern weil sie unbequem war - genau das also, was Köhler versprochen hatte zu sein und was er nicht ist. Schwan forderte mehr Demokratie, auch direkte Demokratie, Einbindung der Bürger und warnte vor sozialen Unruhen. Für all das wurde sie von der herrschenden Klasse gehasst, und ich verwende diesen etwas antiquierten Begriff mit voller Absicht.
Was ich an der Wahl ebenfalls bemerkenswert finde ist das demokratische Verständnis, das viele der Kommentatoren in den Medien, aber auch der wichtigen Funktionäre in den Parteien an den Tag gelegt haben. Es wurde Schwan geradezu als Affront gewertet, gegen einen so beliebten Bundespräsidenten anzutreten, gerade aus den Reihen der eigenen Partei, der SPD. Wenn es nach Müntefering und den Stones ginge würden sie vermutlich auch erst gar keinen Bundeskanzlerkandidaten gekürt, sondern gleich für Merkel geworben haben. Das gleiche Phänomen gab es mit der Überlegung, Köhler wiederzuwählen. Was ist denn das für eine Demokratie, wenn es keine Alternativen gibt? Das ist ja wohl nur noch lächerlich. Ebenfalls absolut bedenklich fand ich die teilweise abgrundtief dämlichen Argumente, die rechtskonservative Kommentatoren gegen Schwan aus der Kiste holten, und die totale Verächtlichmachung der Berufspolitiker, die aus vielen Artikeln spricht, exemplarisch aus diesem beim ZDF. Immer wieder werden die Politiker als schändliche Kaste (und der Begriff wird hier tatsächlich verwendet!) dargestellt. Mit der totalen Verächtlichmachung der demokratisch gewählten Volksvertreter begann auch der Niedergang der Weimarer Republik, um das nur am Rande zu erwähnen, der ebenfalls von der konservativen Presse betrieben wurde.
Die Bundespräsidentenwahl ist in meinen Augen deswegen ein Fanal: ein Fanal gegen die Demokratie, gegen Partizipation und Emanzipation, für ein Weiter-so und ein technokratisches Verständnis von Politik, für eine Boulevardisierung des Politischen und für eine totale Meinungskontrolle durch eine kleine, reiche und herrschende Klasse.

7 Kommentare:

  1. Köhler ist an allen Wirtschaftsstammtischen beliebt.
    Bisher hat er sich noch nicht getraut einen Staatsbesuch in Argentinien zu machen.

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  2. Wieso war Sodann 'kein geeigneter Kandidat'? Nicht 'staatstragend' genug? Welchen Maßstab legst du da an?

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  3. In meiner Wahrnehmung war er eher ein Spaßkandidat. Ich kann das nicht wirklich begründen, aber wäre ich für die Umfrage befragt worden, wen ich als Bundespräsident haben will, wäre mein Kreuz auch nicht bei Sodann gelandet.

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  4. Meines schon - ua gerade deshalb, weil er eben nicht in diesem staatstragend-ökonomistischen Vokabular der Verschleierung sozialisiert ist und ausreichend Distanz sowohl zum 'Staat an sich' als auch zu dessen Personal hat. Ich könnte mir in diesem Amt kaum etwas erfrischenderes vorstellen als eben diese 'Naivität' - die manchem 'spassig' vorkommen mag - im Umgang mit den 'anstehenden Fragen'. Denn es sind eben diese 'naiven' Fragen - wieso haben wir hunderte Milliarden für Banken, aber nicht eine einzige mehr für 'Soziales' - die die größte Sprengkraft entfalten, wenn sie von außerhalb des gängigen Diskurses bzw überhaupt gestellt werden...

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  5. Gesine Schwan hatte nie auch nur den Hauch einer Chance. Nicht, weil Horst Köhler die Medien auf seiner Seite hatte, sondern weil sie nicht die SPD auf ihrer Seite hatte. Sie wurde doch nur als Alibi-Kandidatin aufgestellt, damit man der SPD nicht vorwerfen konnte, es nicht versucht zu haben. Die SPD-Führung wollte Köhler. Das hat man mit jeder Bemerkung zur Präsidentenwahl gemerkt.

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  6. Hmmm, deine Kommentarfunktion nervt. Ich hatte gerade einen langen Kommentar eingetippt, dann behauptete das System "You dont't own that identity", was völliger Quatsch ist, und hat meinen ganzen Text gelöscht. Super.

    Ich wiederhole jetzt nicht alles. Noch was zu Köhler gibt es bei mir:

    http://tonwertkorrekturen.wordpress.com/2009/05/23/bundespraesident

    Viele Grüße von Waiblingen nach Oeffingen

    Godwi

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  7. @Peinhard: Tut mir Leid - ich sehe durchaus die Notwendigkeit, solche "naiven" Fragen zu stellen (die ich im Übrigen nicht für naiv halte), ich meine, ich mach das ja selber hier. Aber trotzdem fand ich Schwan an und für sich vom Programm her brauchbar, und hätte deswegen aus realpolitischen Gründen sie unterstützt.
    @Thomas: Ja, stimme ich vollkommen zu.
    @Godwi: Tut mir Leid. Ist mir bislang nie passiert. Ne Idee wie ich das verbessern kann?

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