Dienstag, 19. Januar 2010

Buchbesprechung: Der Kalte Krieg - Wie die Welt den Wahnsinn des Wettrüstens überlebte

Spiegel-Artikel können eine sehr zählebige Sache sein. Nachdem sie in den regulären Heften erschienen sind, kann man sie thematisch sortiert in einem Sonderheft zusammenfassen. Nachdem das passiert ist, kann man ein Buch daraus machen. Und dann noch ein Taschenbuch. Diese Entwicklungsreihe scheinen die Spiegel-Artikel rund um den Kalten Krieg auch mitzumachen, das Taschenbuch fehlt allerdings noch. Zur Rezension liegt dereit das Hardcover vor, das im Großen und Ganzen die Artikel aus dem Spiegel-SPECIAL ohne die Bilder, dafür aber in Leseanfängergroßschrift enthält.

Der Kalte Krieg war eine der gefährlichsten Epochen der Menschheitsgeschichte. Die Spezies Mensch stand am Abgrund, jederzeit bereit, sich gegenseitig mit Atomwaffen auszulöschen. Dass es so lange nicht passierte, nahm der Gefahr nicht ihre Realität, wohl aber der Perzeption derselben. Heute, aus der Retrospektive, scheint MAD (Mutual Assured Destruction, also die gesicherte gegenseitige Zerstörung durch Nuklearwaffen) erneut eine gangbare Strategie zu sein, etwas, das die Welt sicher machen kann. Dass die Kubakrise kein Betriebsunfall, sondern eher der erwartete Fall war, der nur durch Glück vermieden wurde, ist kaum in das Bewusstsein gedrungen. So erscheint die Epoche des Kalten Krieges heute oft als Goldenes Zeitalter, in dem der Russe als Feind gleich an der Elbe stand und das Wirtschaftswunder mit den Plattenbauten konkurrierte. Wie gänzlich anders ist es gewesen! Wie notwendig wäre es, mit den zahllosen dummen Klischees aus der Kalter-Kriegs-Ära aufzuräumen! Und wie überflüssig muss ein Buch sein, das seine Aufgabe darin zu sehen scheint, diese Klischees hauptsächlich noch einmal abzuspulen?

Diese Frage stellt man sich beim Lesen immer wieder. Letztlich bleibt das Spiegel-Buch intellektuell auf dem Stand eben des Kalten Krieges, nur dass die Autoren dankenswerterweise das Ende schon kennen. Neuigkeiten? Fehlanzeige. Erkenntnisse der historischen Forschung der letzten 20 Jahre? Ach, wer braucht denn so was, wenn man mal wieder die Story von den Rosinenbombern erzählen kann? Irgendwo da draußen muss es ein Publikum geben, das sich in nichts lieber als der x-ten Version dieser zur Guido-Knopp-Pathosmahnmal geronnenen Erinnerung zu suhlen weiß. Warum nur? Ein Mehrwehrt ist aus diesem Buch nicht auszumachen, nicht im Geringsten. Allein die Überschriften kranken an der typischen Spiegel-Krankheit, das Fehlen des emotionalen Elements, das bei Guido Knopp in dem Einspielen der immer gleichen pathetischen Musik besteht, mit möglichst reißerischen Überschriften zu kompensieren. Beispiele gefällig? Es fängt beim Untertitel des Buches an, „Wie die Welt den Wahnsinn des Wettrüstens überlebte“, „Ruf nach Freiheit“ über die Aufstände im Ostblock der 1950er Jahre, „Das Schicksal der Welt“ über die Kubakrise, „Panzer gegen Ideen“ für die Tschecheslowakei, „Showdown im Dschungel“ für den Vietnamkrieg und „Die Wunderwaffe – Jazzmusiker als subversive Botschafter des Westens“. Man glaubt Fanfaren, Tusch und Trommelwirbel und die kernige Nachrichtensprecherstimme gleich mit im Ohr zu haben.

Natürlich ist das Buch nicht vollständig mies, einige Artikel brechen aus dem Schema aus und bieten tatsächlich etwas wie kritische Untertöne oder Informationen mit Neuigkeitswert, etwa wo es um die Rüstungslobby geht. Doch insgesamt dominiert der Anekdotenhafte, unkritische Stil mit so deutschlastiger Perspektive, dass es wehtut, viel zu sehr.

Zu allem Überfluss fehlen in der Buchversion auch noch die Bilder, die dem Spiegel-SPECIAL-Heft wenigstens einen Hauch von Daseinsberechtigung liehen. Bitte, bitte nicht kaufen – die 20 Euro sind anderweitig wirklich weit vernünftiger angelegt.

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