Die Bundesrepublik feierte 2009 ihr 60jähriges Bestehen, der Mauerfall jährte sich zum 20. Mal. Für die jüngere deutsche Politikgeschichte ist dies ein langes, stabiles Bestehen, das entsprechend feier- und auch kritikwürdig war, ist doch selten alles Gold, was glänzt. Leider wurde diese Gelegenheit selten ergriffen, stattdessen ging das Jahr in albernen, klischeebeladenen und selbstreferentiellen Feiern vorbei, war von schlechten Dokumentationen und hastig zusammengeschriebenen, anspruchslosen Büchern durchsetzt. Umso mehr sticht der von Heribert Prantl und Robert Probst erstellte Jubiläumsband, der in der Süddeutschen Zeitung / Bibliothek erschienen ist, aus dieser tristen Masse heraus.
Der optisch ansprechende Band ist in mehrere Sektionen gegliedert, die sich jeweils miteinander abwechseln: von nur wenig Text erläuterte großformatige Bilder („Orte der Demokratie“) alternieren mit nur wenig bebilderten Essays. Die Essays umfassen zwischen einer und drei Seiten und sind damit angenehm lesbar. Die Essays sind zudem lose in verschiedene Überthemen eingeordnet: Grundgesetz, Neubeginn, Familie, Parteien, Wirtschaft, DDR, Bundeswehr, Kirche, Bildung, NS-Vergangenheit, Integration, Außenpolitik, Umwelt, Bürger und Staat, Kultur und Politik, Gesellschaft und Politik. Am Ende findet sich dann noch eine Karikaturensammlung von 1949 bis heute. Eingangs des Buches wird die Entstehung des Grundgesetzes genau beleuchtet, so etwa der Verfassunskonvent vom Chiemsee, die in nur 13 Tagen einen Entwurf ablieferten, der bayrische Einfluss auf den Entwurf, die bereits damals auftretende Blockademacht der Ministerpräsidenten und vieles mehr. Später lernen wir die Familie der BRD unter sprachhistorischem Gesichtspunkt kennen, erfahren wie die Parteien die Macht an sich banden und wie KPD und SRP verboten wurden. Die Begeisterung für sozialistische Ideen vor 1949 wird thematisiert, wie die Bundeswehr unter zivile Oberherrschaft gestellt wurde, wie der Asylstreit der 1990er Jahre radikal mit der Vergangenheit brach und Deutschland zu einem Einwanderungsfeindlichen Land machte, wie die Außenpolitik sich veränderte, wie die Umweltbewegung begann und vieles mehr. Hervorzuheben ist auch, dass die Themen sich nicht auf eine bestimmte Epoche konzentrieren, sondern stattdessen alle Jahrezehnte zu ihrem Recht kommen lassen und damit den Anspruch des Buches auf eine umfassende Darstellung legitimieren.
Ich liste die Themen deswegen so minutiös auf, weil aus dieser Aufstellung klar wird, dass „Einigkeit und Recht und Wohlstand“ nicht auf dem ausgetretenen Pfad der reinen Jubel-Rückblicke wandelt, auf denen vor dem Zerrspiegel der DDR die BRD-Geschichte in rosigsten Farben als eine einzige Erfolgsstory gemalt wird. Das Wirtschaftswunder wird kritisch analysiert und erklärt, die Rolle der Kirchen in der Adenauer-Zeit beleuchtet, die zunehmende Repression im Rahmen der Studentenproteste und des RAF-Terrors beleuchtet, der fehlende Umgang mit der Nazi-Zeit bemängelt und und und. Es ist diese Seriosität, die „Einigkeit und Recht und Wohlstand“ – allein der Titel ist brillant – über die Masse seines Bastardgeschwister erhebt. Es gelingt den Autoren auf dem wenigen Platz, der ihnen zur Verfügung steht, tatsächlich tiefe Einblicke zu erlauben oder scharfe Analysen abzuliefern – oder schlicht eine Geschichte zu erzählen, die die Deutschen treffend charakterisiert, etwa die über die proletarische Familie Kaninchenzüchter in der weißgottwievielten Generation.
Es fehlt vollständig jener einseitig wertende Touch, jener hochnäsige Überlegenheitsdünkel, der so viele „Dokumentationen“ über die BRD auszeichnet. Für diese Leistung darf man Heribert Prantl und Robert Probst dankbar sein und sie dadurch ehren, dass man ihr Buch kauft.
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