Donnerstag, 22. Juli 2010

Buchbesprechung: Sahra Wagenknecht - Wahnsinn mit Methode

Von Stefan Sasse

Die Finanzkrise hat den Glauben an das finanzkapitalistische Wirtschaftsmodell radikal erschüttert. Bücher, die die Herkunft der Krise erläutern und Schritte aus dem Dilemma aufzeigen, haben derzeit Hochkonjunktur. Sahra Wagenknecht, Vorsitzende der Kommunistischen Plattform der LINKEn und Europaabgeordnete, hat bei dieser Art von Kritik einen natürlichen Glaubwürdigkeitsvorsprung, hat sie die Verhältnisse doch schon deutlich kritisiert, bevor es zu der Krise kam. Im vorliegenden „Wahnsinn mit Methode“ analysiert sie detailliert und, wie der Umschlag vollmundig verspricht, so klarsichtig wie niemand seit Marx, die Vorgänge der Finanzkrise.


Sahra Wagenknecht gilt als eine der intelligentesten politischen Frauen unserer Tage, und das nicht zu Unrecht. Ihre Analysekraft ist bestechend, ihr Ausdruck wohlgeformt, ihre Argumentationskraft beachtlich. Dass sie bundespolitisch keine größere Rolle spielt liegt sicherlich an dem Etikett „Kommunistin“, das sie sich selbst auch aggressiv aufklebt. Es ist deswegen auch überraschend, wie wenig marxistisches oder sonst wie eindeutig linkes Gedankengut sich in dem Buch findet – über weite Strecken könnte die Analyse genauso gut von Paul Krugman oder Gustav Horn geschrieben worden sein.
In vier großen Kapiteln untersucht Wagenknecht dabei die Ursprünge der Krise. Dass sie dabei nicht bei der quasi regierungsamtlichen Version der US-Hypothekenkrise, die dann die Welt in den Abgrund gerissen habe bleibt, ist bei ihr selbstverständlich. Die „Heuschreckenplage“ der Private-Equity-Gesellschaften und Hedge-Fonds hat in ihrer Analyse den Platz, den sie verdienen, da sie die Instabilität des Finanzsystems deutlich verstärkt und von ihr profitiert haben.
Im zweiten Kapitel widmet sich Wagenknecht historischen Finanzkrisen vom Tulpenwahn bis hin zum Platzen der Dotcom-Blase. Die Analyse, dass Krisen dem Kapitalismus inhärent sind, wird freilich nicht einmal von seinen schärfsten Verteidigern bestritten; Wagenknecht jedoch sucht den Grund dafür in der „wahnsinnigen“ Kreditvergabe der Banken und der „Demenz der Märkte“, die aus Krisen nichts lernen und sie beständig wiederholen.
Im dritten Kapitel widmet sich Wagenknecht dem Überfluss an Geld und dessen Verhalten auf dem Markt und den Konsequenzen, die daraus entstehen. Hierbei prangert sie besonders die Loslösung von der Realwirtschaft und die Risikobereitschaft der entsprechenden Finanzmanager an, die dem System inhärent sind. Das vierte Kapitel schließlich widmet sich noch einmal genauer den Zusammenhängen zwischen Kredit, Schulden und der Krise der Wirtschaft. Wenn Lohnsteigerungen nicht mehr stattfinden und stattdessen durch Kredite ersetzt werden, wenn sich Firmen wie Porsche zu Hedgefonds mit angeschlossener Autoproduktion verwandeln, dann muss das einfach Konsequenzen haben. In einem Ausblick stellt Wagenknecht noch vier Szenarien vor, wie es nach der Krise weitergehen könnte, von denen drei letztlich noch tiefer in die Krise führen und das vierte, ein radikaler unter demokratischen Vorzeichen geführter Neuanfang, die Lösung bringen könnte.

Es ist absolut positiv dass Wagenknecht bis auf wenige Ausnahmen („US-Imperialismus“) auf marxistischen Jargon verzichtet. Ihre Argumentation ist mit Fakten und Daten unterfüttert und bewegt sich auf dem gleichen Grund, wie es auch die der Volkswirtschaftslehre tut. Lediglich die Schlüsse, die sie zieht, sind andere. Sie beweist damit ein tiefgehendes Verständnis für das System, das sie zu überwinden hofft, das bisweilen seinen stärksten Befürwortern abgeht. Es ist ein Wermutstropfen, dass ihre Auswege aus der Krise in diesem Buch praktisch nicht behandelt werden; über einige Allgemeinplätze kommt sie nicht hinaus. Natürlich soll dieses Buch die Natur der und den Weg in die Krise darstellen, jedoch wäre es nett gewesen zu erfahren, wie eine Wirtschaft aussieht, deren Ziele demokratisch festgefügt werden und die nicht der Kapitalrendite verpflichtet ist. Darüber schweigt sich Wagenknecht jedoch aus; der Leser muss also zu einem weiteren Buch greifen. Wenn diese ähnlich gut geschrieben und stringent argumentiert ist wie das vorliegende ist das sicher ein Gewinn.

6 Kommentare:

  1. Als Ergänzungzum vernüglichem Lesen: Finanzgenies: Eine kurze Geschichte der Spekulation und Die Ökonomie des unschuldigen Betrugs. Vom Realitätsverlust der heutigen Wirtschaft vom großem amerikanischem Meister John Kenneth Galbraith. Frau Wagenknecht wird diese Bücher und andere bestimmt kennen.
    gruss georg

    AntwortenLöschen
  2. @ georg

    in der Tat "Die Ökonomie des unaschuldigen Betrugs". Dieses Buch erbringt den Beweis, dass es nicht übermäßig vieler Worte bedarf, um die Sache auf den Punkt zu bringen. Danke, dass Sie noch einmal dieses Buch in Erinnerung rufen.

    AntwortenLöschen
  3. wird frau wagenknecht nicht vom verfass.-schutz beobachtet? mit hilfe öff. quellen.

    AntwortenLöschen
  4. Auf YouTube gibt es ebenfalls eine nüchterne Analyse der Finanzkrise von Frau Wagenknecht, die ohne marxistischen Jargon auskommt und, wie Du schreibst, auch von Krugman stammen könnte.
    Wenn Wagenknecht als "Kommunistin" stilisiert wird (und dies auch selbst tut - warum eigentlich?): Wie sieht das Wirtschaftssystem aus, das nach dem Überwinden des Kapitalismus installiert werden soll? Planwirtschaft nach DDR-Muster kann es nicht sein (sagt sie selbst), und ein "gezähmter" Kapitalismus ist wohl zu wenig, sonst müsste man ihn ja nicht "überwinden".
    Gibt es ein solches Konzept wenigstens in Umrissen?

    AntwortenLöschen
  5. Ich danke dir für diese interessante Buchbesprechung. Ich war sowieso schon in Überlegung mir dieses Buch durchzulesen, du hast mich darin bestärkt.

    AntwortenLöschen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.