Freitag, 16. Juli 2010

Was braucht es eigentlich noch?

Von Stefan Sasse

Dank entsprechender Recherchen der LINKEn ist ans Tageslicht gekommen, dass die Kürzung beim Elterngeld nicht nur Hartz-IV-Empfänger betrifft, die damit - O-Ton Kristina Schröder - Anreize zur Aufnahme einer Beschäftigung erhalten sollen, sondern auch Niedriglöhner. Wer sich durch die Reformen der letzten acht Jahre in die überaus glückliche Lage versetzt sieht, mehr als nur einen Job gleichzeitig ausführen zu dürfen, weil einer allein ihn nicht mehr ernähren kann (einen davon auf 400-Euro-Basis) bekommt nur einen davon zur Bestimmung der Höhe des Elterngeldes angerechnet, was bis zu 278 Euro Kürzung bedeutet, die ausschließlich Niedriglöhner trifft. Begründet wird das natürlich mit dem Sparpaket, zu dem ja alle Bevölkerungsschichten ihren Anteil zu leisten hätten.


Man fragt sich wirklich, was es noch braucht, damit die Leute endlich verstehen wes geistig Kind diese Koalition ist. Und das erstreckt sich wahrlich nicht nur auf die zu Recht in Umfragen unter die 5%-Hürde gerutschte FDP. Auch die angeblich so sozialdemokratisierte Union leistet hier ihren Beitrag, ist doch das Familienministerium in ihren Händen und das Elterngeld auch mehr oder weniger ihr Baby. 

Die Umschichtung des Vermögens von unten nach oben ist wirklich erschreckend. Bezieher hoher Einkommen, die - erneut O-Ton-Schröder - Anreize brauchen die Elternzeit auch zu nehmen, anstatt das Kind in irgendwelchen Betreuungsstätten abzugeben, werden systematisch weiter gemästet oder doch zumindest verschont, während die Regierung ein Drittel ihres "Sparvolumens" aus de Sozialleistungen zu ziehen gedenkt, die ohnehin bereits unerträglich dünn gezogen sind. 

Das Schlimmste aber ist, dass das alles nicht einmal irgendeinen Erfolg verzeichnen wird. Es handelt sich lediglich um schädliche Symbolpolitik. Würden durch diese Kürzungen wirklich Mittel für irgendetwas Sinnvolles frei, und wenn es nur der Abbau von Schulden ist, könnte man das ja wenigstens noch zähneknirschend hinnehmen. Aber die dilettantische Umsetzung dieser Maßnahmen wird, wie zahlreiche Ökonomen seit Monaten erklären, keine Entlastung bringen, sondern allenfalls auf Null herauslaufen. Das dem Fankreis der schwäbischen Hausfrau erklären zu wollen ist aber ein so fruchtbares Unternehmen wie einem Stein zu erklären, wie die Relativitätstheorie funktioniert. 

Wenn man ernsthaft daran gehen wollte, den Staatshaushalt zu sanieren, müsste man völlig andere Maßnahmen ergreifen, als die Regierung das tut. Und die liegen auf der Einnahmen-, nicht auf der Ausgabenseite. Und auch, wenn das den Denkhorizont der Koalitionäre deutlich übersteigt, dazu ist eine aufgrund leerer Kassen zwangsläufig schuldenfinanzierte Wachstumspolitik notwendig, denn - dies mag einige überraschen - wenn mehr Menschen Einkommen empfangen, erhöht sich auch das Steueraufkommen. Und wenn die Einkommen steigen, steigen auch die Steuereinnahmen. Kaum zu glauben, aber wahr. Die Obergrenze für den Spitzensteuersatz, derzeit bei lächerlichen 53.000 Euro plus Kleingeld, kann man gut um das vierfache Volumen nach oben schieben und auf diese Art und Weise endlich einmal den berühmten Mittelschichtenbauch und die kalte Progression entfernen. Zum Ausgleich schraubt man ihn wieder auf Kohl'sche Ausmaße hoch, also nachgerade sozialistische 53%. 

Und das ist nur eine mögliche Maßnahme. Man könnte auch noch endlich das Geld wiederholen, dass man der Finanzwirtschaft in den letzten Jahren in den Rachen geworfen hat, könnte endlich eine Finanztransaktionssteuer einführen, könnte Flugbenzin vernünftig besteuern und und und. Auf diese Art und Weise wäre die Neuverschuldung auf null zu reduzieren, ohne dass man nur einem Niedriglöhner an den Geldbeutel müsste. Aber dann spenden die ja der FDP nicht.

NACHTRAG: Plötzlich sind alle empört, sogar die FDP

 

11 Kommentare:

  1. 53000 Euro Jahreseinkommen bedeuten bei einer 35 Stunden Woche Bruttolöhne von 26 Euro aufwärts.

    Der öffentliche Dienst ist Beschäftigungsheimat vieler sonst arbeitsloser Akademiker.

    An den 53000 Euro sollte auf keinen Fall gerüttelt werden.

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  2. Aha...deine Aussage ist etwas unterkomplex, um es höflich auszudrücken.

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  3. Nicht zu vergessen - auch Alleinerziehende, die bis zum letzten Tag vor der Entbindung gearbeitet haben, verlieren mehrheitlich das Elterngeld. Fraueneinkommen sind nämlich nicht hoch genug, dass 67% vom Netto den ALG-II-Bedarf überschreiten; daher bräuchten sie aufzahlendes ALG II, und schwups - tschüss Elterngeld.
    Gleiches gilt für studentische Paare. Nimmt die Mutter ein Urlaubssemester, erhält sie dafür kei BaFöG, braucht folglich ALG II, und dann: wie oben.
    Außerdem hat sich, in Folge der sich deutlich verschlechternden Arbeitsbedingungen, durchaus der Trend entwickelt, dass jüngere Frauen die Arbeitslosigkeit nutzen, um die ohnehin geplante Familienphase einzulegen. Angesichts der entgrenzten Arbeitszeiten z.B. im Einzelhandel eine durchaus rationale Entscheidung. Statt diese vernünftige Reaktion zu unterstützen, wird auch hier wieder mit Armut gestraft.
    Das ist nichts anderes als die administrative Umsetzung der sozialdarwinistischen Wahnvorstellungen eines Gunnar Heinsohn.

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  4. Ich kann es auch nicht mehr verstehen, warum selbst betroffene Eltern für ihre Kinder nicht auf die Strasse gehn.
    Manchmal vermute ich mit Georg Schramm, dass da irgendwas im Trinkwasser sein muss.

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  5. Salü Stefan,

    Warum bekommen Niedriglöhner eigentlich Elterngeld?

    "Niedriglöhner bekommen Elterngeld,damit sie auf Grund ihres Nachwuchses nicht in Hartz IV fallen."

    Die Quelle für diese Formulierung ist der ZDF Videotext
    Tafel 125 (oder 128)

    Aha,also nur ein Kniff,um die Hartz-Statistik zu schönen.

    Grüße
    Hagnum

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  6. @ anonym

    Warum bekommen Niedriglöhner eigentlich Elterngeld?

    "Niedriglöhner bekommen Elterngeld,damit sie auf Grund ihres Nachwuchses nicht in Hartz IV fallen."


    Und das Wohngeld wird gekürzt, damit Geringverdiener in Harzt IV abrutschen und denen dann dort das Eltengeld gestrichen werden kann.

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  7. ich hoffe, dass es nicht völlig zu spät sein wird, wenn der breiten masse hier endlich aufgeht, wohin die reise führt.
    ansonsten ist das vorgehen der hornissen ja bewundernswert konsequent:

    umetikettieren ist das gebot der stunde!
    durch ihre unerwünschte schwangerschaft bleibt die niedrigverdienende, werdende mutter dem arbeitsmarkt fern...
    also wird präventiv der kinderwunsch bestraft! einfach schwanger werden muss man sich auch leisten können.
    es sollen sich ja auch nur noch gutausgebildete besserverdiener vermehren.

    und eingestielt über einen etikettenschwindel - genial. ekelhaft aber genial. reformkomunikation pur

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  8. Ich kann es auch nicht mehr verstehen, warum selbst betroffene Eltern für ihre Kinder nicht auf die Strasse gehn.

    Ich kann die Menschen in diesem Land schon lange nicht mehr verstehen. Genauso wenig, wie die betroffenen Eltern, so wenig protestieren auch andere Gruppen, die durch andere Kürzungen betroffen sind. Wo waren z.B. Proteste gegen die Rente ab 67, die ja de facto eine satte Rentenkürzung war? Oder gegen Hartz4? Oder gegen das Bankenstabilisierungsgesetz, was den Staat Milliarden gekostet hat, die jetzt von den Ärmsten geholt werden? u.s.w. u.s.f.

    Wie man also sieht ist die Leidensfähigkeit der Menschen hier wohl noch lange nicht erreicht und das wissen auch die von der Hornissenkoalition. Das gesamte Sparpaket ist eine große Beleidigung und ein Armutszeugnis für die Wirtschaftskompetenz dieser Regierung. Es wird alles getan, was der Binnenkonjunktur in diesem Land schadet und da passen die Pläne mit dem Elterngeld nur zu gut - und erfüllen auch noch die sozialdarwinistischen Phantasien einiger pervertierter möchtegern-Soziologen. So ist auch das Arbeitsministerium anscheinend nur noch damit beschäftigt die Arbeitsplätze zu vernichten, die die Krise übrig gelassen hat, statt welche zu schaffen:
    http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,707089,00.html

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  9. Vielleicht weil die Medien im Chor aber auch lieber spannende Fragen wie eine im Raum stehende Vertragsverlängerung des baldigen Bundesverdienstkreuz-Trägers aus Baden diskutieren und stundenlang unsinnige Pressekonferenzen von Nationalspielern übertragen. Vielleicht weil es Vielen schlicht latte ist, welches Programm die Regierung verabschiedet, solange der-doch-nicht-blöde-Elektronik-Markt die Preise für Breitbild-Fernseher senkt und man dafür zwei Jahre keine Zinsen zahlt?

    Gründe gibt es freilich noch viel mehr, nur dürften diese uns hier nicht einleuchten. Der breiten Masse aber offenbar doch. Der ist es ja auch scheinbar egal, wenn in letzter Zeit reihenweise gewählte Politiker wegen Unlust nach Hause gehen und ihre Bezüge für`s Füße hochlegen bekommen.

    Ehrlich, ich kriege die Wut, wenn ich hier in der Zeitung lese, dass eine Delegation von kommunalen Politik-Hanseln und anderes Geschmeiß sich auf den Weg nach Rotterdam macht, um sich vor Ort von dem sehr gut funktionierenden Modell der Zwangsarbeit zu überzeugen. Dort bekommen Arbeitslose einen Paten an die Seite und dürfen gemeinnützige Arbeit machen. Für unfassbare 1.000 Euro. Weitere Bezüge gibt es nicht. Lehnen sie diese Arbeit ab, bekommen sie gar nichts. Ein Modell aus dem anglo-amerikanischem Raum, so die Zeitung, von dem die Delegation sehr angetan war.

    Dorthin geht die Richtung, und keinen interessiert es.

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  10. "Der breiten Masse aber offenbar doch. Der ist es ja auch scheinbar egal, wenn in letzter Zeit reihenweise gewählte Politiker wegen Unlust nach Hause gehen und ihre Bezüge für`s Füße hochlegen bekommen."

    Kurze Erläuterung von einem Angehörigen der breiten Masse. Ich kenne niemand in meinem Bekanntenkreis der davon ausgeht, das auch nur ein Politiker einer wie auch immer gearteten sinnvollen Tätigkeit nachgeht. Deswegen ist es tatsächlich Latte wo die sich zur Ruhe betten. Wird nur als Bestätigung lang gehegter Vorurteile begriffen.
    Ich laufe gerade auf die 50 zu und bin in der Produktion tätig. Vom 20. Lebensjahr an gerechnet hab ich bei 2,5 % Produktionssteigerung mittlerweile die doppelte Leistung wie am Anfang meiner Tätigkeit zu erbringen. Vielleicht eine Idee, wo die Kraft zum Demonstrieren herkommen soll ?
    Aber die Produktionssteigerung ist es ja nicht alleine, es werden ja auch permanent neue Aufgaben nach unten delegiert. Mußte man in grauer Vorzeit nur seinen Akkord bringen, ist es jetzt opportun gleich noch die halbe Buchführung per Computer mit zu erledigen. Wenn ich eine Pfeife sehen möchte, die ein leistungsloses Einkommen bezieht, brauch nur ich nur auf Anzugträger zu warten. Für die darf ich auch mitschuften, also wen jucken rücktrittsbegeisterte Politiker ?

    Auf die Revolution wartet ihr vergebens. Wenn unsere Büroazubis mal wieder im Laufe ihrer Ausbildung bei uns für eine Woche in der Produktion aufschlagen ist es mittlerweile geschafft:
    Unterschied Bundeskanzler-Bundespräsident--niente, EU Vertrag von Lissabon--Hä?, Und als Jokerfrage: Legislative, Exekutive, Judikative,---Boh Alter du nervst

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  11. Ich wiederhole an alle, die es nicht vestehen, warum die leute nicht auf die straße gehen, mal sinngemäß den Herrn de Tocqueville.

    Revolutuion entsteht nicht aus dem Erleiden unhaltbarer Zustände, Revolution entsteht einzig und allein aus der Erfahrung der absoluten Hoffnungslosigkeit, dass es keine Änderung der unhaltbaren Zustände gibt.

    Solange die politik die goldenen berge am horizont verspricht und das allgemein zur beruhigung reicht, wird sich gar nix ändern.

    gruß bel

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