Mittwoch, 6. Oktober 2010

Bericht aus dem neoliberalen Lila-Lula-Land

Von Stefan Sasse

Wer kennt sie nicht, die Geschichten aus 1001 Privatisierung? Jene Geschichten, die uns in verkrusteten bürokratischen Strukturen erstarrten Deutschen zeigen, wie das dynamische Volk der Amerikaner es mit life, liberty and pursuit of hapiness immer wieder schafft, ohne Kündigungsschutz den homo oeconomicus zum Vorschein zu bringen? Eine Glanzgeschichte aus dieser Gegend liegt nun aus dem US-Bundesstaat Tennessee vor, wo ein Haus Opfer der Flammen wurde, nachdem der anwesende Enkel Müll verbrannt hat. Gut, möchte man sagen, solcher Mist passiert eben; dafür gibt es ja eine Versicherung und die Feuerwehr. Tja, nicht in dieser Ecke von Tennessee. 

In dieser Gemeinde fehlt nämlich seit 20 Jahren das Geld für eine Feuerwehr. Deswegen muss jeder Haushalt jährlich 75$ abdrücken, wenn er bei Brand das Haus gelöscht bekommen will. Um es in den Worten des örtlichen Bürgermeisters zu sagen: "If you don't pay, you're out of luck." (Wenn sie nicht bezahlen, haben sie Pech gehabt) So geschehen im aktuellen Fall. Die Anwohner hatten die Gebühr nicht bezahlt, weswegen ihr Anruf bei der Feuerwehr ignoriert wurde. Ein zweiter Anruf endete dann beim freundlichen operator, der in ruhiger Stimme erklärte, dass die Anwohner nicht auf der Liste seien und das Haus deswegen nicht gelöscht werden könne. Das verzweifelte Angebot des Mannes, jeden Preis zu zahlen, dass die Feuerwehr doch anrücke, wurde mit einem lapidaren "zu spät" abgelehnt.

Menschen kamen glücklicherweise nicht zu Schaden, die Haustiere der Familie - insgesamt vier an der Zahl - starben allerdings in den Flammen, weil die Feuerwehr nicht einmal sie retten wollte. Vermutlich hatten die Haustiere ihre Anteile an der Futterration nicht auf der Feuerwehrwache abgeliefert; genau weiß man das nicht. Diese Geschichte aus dem nun abgebrannten FDP-Wunderland zeigt eindrucksvoll, warum man die elementaren Dienste wie Polizei und Feuerwehr (und eigentlich auch Gesundheits- und Transportwesen sowie Energie- und Wasserversorgung) nie, nie, nie aus staatlicher Hand geben darf. Genau das passiert dann. Das ist so weit entfernt von den Grundlagen menschlichen Zusammenlebens, wie es nur irgendgeht. Es ist der Dschungel, eine Rückkehr in barbarische Zeiten in einer Epoche der technologischen Hochzivilisation, ein abstoßendes Beispiel einer unmenschlichen Ideologie.

Aber keine Angst, die Feuerwehr kam schlussendlich doch. Nicht, um das Haus zu löschen. Die Flammen hatten aber nachdem der Brand einige Stunden in vollem Gange war auf das Nachbarhaus übergegriffen. Und der Nachbar hatte die Gebühr zu seinem Glück bezahlt.

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12 Kommentare:

  1. großartig. nicht der brand, sondern deine reflexion darüber. dieses ausgehen von einem ereignis und das als symptomatisch zu begreifen, das stellt jegliche abstrakte philosophie in den schatten.

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  2. "...warum man die elementaren Dienste wie Polizei und Feuerwehr (und eigentlich auch Gesundheits- und Transportwesen sowie Energie- und Wasserversorgung) nie, nie, nie aus staatlicher Hand geben darf"

    Du bringst es auf den Punkt. Bis die Deutschen das aber verstehen, haben Bertelsmann und Konsorten leider das gesamte Bildungssystem, die Autobahnen und die Krankenhäuser privatisiert. Und irgendwann kommt mit der späten Einsicht dann der Bail-Out der nicht-Gewinn-abwerfenden Teile, und die neoliberalen Schlaumeier verdienen sich das zweite Mal eine goldene Nase auf Kosten der Allgemeinheit. Und genau so einfach ist es eben leider wirklich. Nur irgendwie sind alle scheinbar zu verblendet, um das zu merken.

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  3. Einst mühten sich die Privatisierer noch ab, den Leuten weis zu machen, dass wenn privatisiert ist, sei, wegen dem Wettbewerb, alles besser und billiger.
    Weil man aber diesen Bären niemanden mehr aufbinden kann, fabuliert man eben vom schlanken Staat.

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  4. Aus dieser Geschichte kann man mehr lernen, als das Privatisierungen Probleme bereiten können. Der Nachbar ist das Paradebeispiel der neoliberalen Ideologen. Er zahlt für eine Leistung die er bekommen möchte. Das nennt der Liberale dann Freiheit. Laut Neoliberalismus soll dies nun das Optimum sein. Wie man allerdings sieht musste der Nachbar sein Haus löschen lassen, weil der Nachbar es nicht gemacht hatte. Er hat also einen extra Schaden, welcher hätte vermieden werden können wenn alle die Feuerwehr finanzieren. Ebenso wird es auf Gesundheitsebene enden. Ein Teil der Menschen wird sich aus Kostengründen oder weil sie jung und gesund sind nicht versichern. Dadurch können Krankenhäuser eventuell nicht mehr all die gute Technik unterhalten. Somit leidet die Qualität auch für diejenigen, die fleißig einzahlen. Die Ideologen des Marktes gehen davon aus, dass man a) die Wahl hat und b) immer das Angebot vorherrscht. Das ist natürlich Unsinn.

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  5. Lasst sie weiter privatisieren. Wir werden sie einfach enteignen. Irgendwann.

    Und: Vollkommene Zustimmung zu diesem gelungenen Post. Die realexistierende FDP-(Neoliberalismus-)Ideologie ist ein direkter Rückfall noch vor die Aufklärung. Nur versteht das keiner, und sie ist schon fast überall (die gottverdammte Ideologie, nicht die Aufklärung - leider).

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  6. Ich möchte auf das "Zweimal bezahlen" Argument eingehen: ich bin auch der Auffassung, dass privatisierte Dinge mehr als einmal bezahlt werden, "der" Staat baut auf (kostet), privatisiert (meist unter Wert, d.h. von den Kosten bleibt was über), Teile des privatisierten Guts werden wieder "vergesellscahftet" (kostet wieder)

    Bei der Bahn kann man exemplarisch sehen, dass man dieses Spiel auch öfter treiben kann: die Bahn war ja zu Anbeginn in Teilen privat, bis sie verstaatlicht wurde (ich weiß es nicht, vermute aber, dass da Gelder geflossen sind), jetzt soll das ganze wieder privatisiert werden. Wenn der Karren dann im Dreck steckt, d.h. die Infrastruktur totgespart ist (s. UK), wird sicherlich wieder "vergesellschaftet" und die Infrastruktur wieder aufgebaut - aber die Vergesellschaftung wird sicherlich wieder mit Geld abgegolten werden.

    In Stuttgart gibt es da gerade ein Klasse Beispiel, heißt Mineralbad Bad Cannstatt...

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  7. zero_content
    köstlich
    diese meldung hat mich spontan an den film "gangs of new york" erinnert,in denen die sache mit der privatösen feuerwehr auch aufgegriffen wurde.

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  8. Im alten Rom wurde das ganze viel schlauer gemacht. Da hat man dem Eigentümer einen Bruchteil des Wertes für sein Haus geboten und nur wenn er verkauft hat wurde gelöscht, ansonsten hat mans halt runterbrennen lassen.

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  9. "Im alten Rom wurde das ganze viel schlauer gemacht."

    Das nennt man dann wohl spätrömische Dekadenz, gell?

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  10. Wie, die meisten Menschen können privat 75$ für die Feuerwehr abdrücken, aber die Stadt schafft es nicht, diese Gebühr über Steuern zu erheben und damit die Feuerwehr zu bezahlen?

    Man kann nur hoffen, dass die jetzt obdachlos gewordene Familie ihren Nachbarn, der Feuerwehr und dem Bürgermeister in Form von zwecks Lebenserhaltung schlicht notwendig gewordenem Straßenraub, Einbruch, Diebstahl und Körperverletzung genau erklärt, was Gemeinschaft bedeutet.

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  11. wenn Du Deine Vericherung nicht bezahlt hast, bekommst Du ja auch nichts ersetzt... wo ist das Problem?

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