Von Jürgen Voß
Das neoliberale Lager hat wieder eine neues Räppelchen: Den Fachkräftemangel. Getreu den drei Leitlinien der neoliberalen Scholastik: Das Unlogische ist für uns vollkommen logisch, das Unplausible ist für uns gerade plausibel genug und das nicht Vermittelbare kriegen wir schon vermittelt, wird auch dieser neuerliche Unfug in der praktisch gleichgeschalteten Medienwelt mit einer so kabarettreifen Ernsthaftigkeit diskutiert, dass man nicht weiß, ob man lachen oder weinen soll.
Zu den Fakten: In diesem Lande haben wir 3,1 Mio. Arbeitlose und dazu – im Mo-natsbericht der BA nachzulesen – 1,4 Mio. Menschen in sog. Fördermaßnahmen. Lassen wir die stille Reserve – neuere Untersuchungen zeigen, dass in Deutschland 8,6 Mio. Menschen arbeiten bzw. mehr arbeiten wollen als bislang – sind dies 4,5 Mio. Menschen. Erste Frage: Alles Hilfsarbeiter?
Dritte Frage: In unzähligen Blogs nachzulesen: Die Schwierigkeiten bestens ausge-bildeter junger Menschen, eine normale „angemeldete“ sprich sozialversicherungs-pflichtige Stelle zu finden, und nicht wieder ein unbezahltes Praktikum, eine unbe-zahlte Vollzeitstelle (!!!), eine befristete Teilzeitstelle und was der schöne neue Ar-beitsmarkt noch so alles zu bieten hat. Auch alles Menschen, die untauglich sind, den angeblichen Fachkräftemangel zu beseitigen?
Um welche Größenordnung geht es denn? Die Süddeutsche Zeitung, wie immer „Hänneschen voran“, wenn es darum geht, neoliberalen Unfug zum Tagesthema zu machen, gibt uns am 14. Oktober unter der Headline „Zuwanderer dringend ge-sucht“ exakt Auskunft: 2007 kamen 151 (nicht tausend!), 2008 221 und 2009 311 Hochqualifizierte nach Deutschland. Bei den sonstigen Fachkräften waren dies im gleichen Zeitraum 28.761, 29.141 und 25.053. Allerdings gingen bei den Hochqualifizierten in diesen drei Jahren auch 239 hiesige ins Ausland, und bei den „sonstigen“ waren es insgesamt sogar 55.270. Warum die wohl gingen, wo sie doch so dringend gebraucht wurden? Wie bei Buridans Esel ist in der neoliberalen Scholastik solch eine nahe liegende Frage erst gar nicht gestattet. Lapidar heißt es: „Klare Ursachen können die Forscher nicht benennen“.
Stellt man diese Zahlen der Summe Sozialversicherungspflichtig Beschäftigter (SV) gegenüber, wird die lächerliche Größenordnung dieses „Problems“ schnell deutlich. Denn noch haben wir 27,5 Mio. SV - Beschäftigte, von denen zwar inzwischen 5,3 Mio. teilzeitbeschäftigt sind, und 1,8 Mio. in Ausbildung stehen. Insgesamt haben wir also bei wohlwollender Rechnung noch 22 Mio. Vollzeitstellen. Der Trend heißt aber: Ständig zurückgehende Vollzeitstellen, vor allem ständiger Rückgang an exitenzsichernden Stellen. Allein 1,5 Mio. Vollzeitbeschäftigte sind Aufstocker. Trotz allem: In diesem Umfeld, bei ständig sinkendem Arbeitsangebot, soll der Fachkräf-temangel eine solche Dimension haben?
Diese Leute, von Brüderle bis Schavan, von Hüther bis Rogowski, von FAZ bis SZ, (auch das neoliberale Propagandaorgan für intellektuell Arme, die Westdeutsche Allgemeine Zeitung – WAZ - will nicht zurückstehen und spricht heute „von einem dramatischen Fachkräftemangel, den Deutschland verkraften muss“), wollen uns glauben machen, dass der Fachkräftebedarf in der geschilderten Größennordung weder aus dem Heer der Arbeitslosen, noch aus dem gewaltigen Potential der arbeitlosen Fachkräfte der gesamten EU noch aus der inzwischen zu Masse angewachsenen Reserve der prekär oder „entstandardisiert“ Beschäftigten zu decken sei. Was soll das?
Es scheint nur eine rationale Erklärung zu geben: Das Unternehmerlager hat die Befürchtung, in absehbarer Zeit bei bestimmten Belastungsspitzen in einigen Sektoren ihren Fachkräften wieder ordnungsgemäße Löhne und Sozialleistungen zahlen bzw. bieten zu müssen, nach deutschen Standards oder wenigstens nach denen der EU. Dies fürchten sie aber wie der Teufel das Weihwasser. Mit Grauen denken sie an die siebziger Jahre zurück, als Arbeitnehmer noch Forderungen stellten und sogar mit Kündigung drohen konnten. Was liegt da näher, als Leute von außerhalb zu holen, die angesichts des Eintauchens in die begehrte westliche Wohlstandswelt alles, aber auch alles, hinzunehmen bereit sind, um sich und ihre nachgeholten Familien im gelobten Land zu halten. Ganz primitives Lohn- und Sozialdumping ist also die Grundlage dieser lächerlichen Diskussion.
ich habe auch einen fachkräftemangel. mir fehlt ne putzfrau.
AntwortenLöschendas passt zu der conclusio deines artikels:
AntwortenLöschenzum hören:
http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2010/10/17/dlf_20101017_1840_6ddcd99b.mp3
zum nachlesen:
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/hintergrundpolitik/1297129/
Schön ist auch die Stigmatisierung von Hartz IV Empfängern. Frei nach dem Motto "Arbeit ist ja da, die sind nur alle zu für diese Jobs" wird den Leuten vorgegaukelt, dass es auf der Seite des Arbeitsangebots ja eigentlich keinerlei Probleme gäbe und alle Arbeitslose prinzipiell selbst schuld an ihrem Schicksal sind.
AntwortenLöschenEs stimmt schon, der Zweck ist weiterhin das Lohnniveau zu drücken, aber mir stellt sich die Frage, wer will nach Deutschland?
AntwortenLöschenWer als Facharbeiter für Deutschland qualifiziert ist, ist das auch für die anderen EU-Länder und dort findet man weitaus besser Arbeitsbedingungen. Und die sogenannte Intergrationsdebatte trägt mit Sicherheit nicht dazu bei, Deutschland für Ausländer aktraktiver zu machen...
Es ist das typische deutsche Gutsherrendenken.
"Wir schnippen mit dem Finger und schon steht die gesamte Welt bettelnt und mit Sabber im Mund Schlange um in das ach so tolle Deutschland kommen zu dürfen."
Punkt.
AntwortenLöschenDanke.
Den Kindern von Hartz IV-Empfängern wird jede Aussicht auf Nachhilfe ect. verweigert (60 Euro Bildungsgutschein / Jahr). Gleichzeitig wird davor gewarnt, dass es in den nächsten Jahrzehnten zu einem Fachkräftemangel kommen wird.
AntwortenLöschenDa passt etwas ganz gewaltig nicht zueinander... .
"Es scheint nur eine rationale Erklärung zu geben: Das Unternehmerlager hat die Befürchtung, in absehbarer Zeit bei bestimmten Belastungsspitzen in einigen Sektoren ihren Fachkräften wieder ordnungsgemäße Löhne und Sozialleistungen zahlen bzw. bieten zu müssen, nach deutschen Standards oder wenigstens nach denen der EU."
AntwortenLöschenIch glaube nicht, dass sich die Unternehmer davor fürchten, künftig wieder höhere Löhne zahlen zu müssen. Die Industrie, und damit meine ich die Exportindustrie, fürchtet sich vor einem Wegbrechen ihrer Absatzmärkte. Im Unternehmerlager hat man nämlich sehr wohl zur Kenntnis genommen, dass die europäische Sparpolitik, die maßgeblich von Deutschland aus bestimmt wird, mittel- und langfristig zu einem Problem führen wird.
Aus diesem Grund müssen Löhne und Sozialleistungen, also Kosten, immer weiter gedrückt werden, um die kurzfristigen Gewinnerwartungen halten zu können.
Es geht nach wie vor um den Standortwettbewerb, also um das gegenseitige Niedergkonkurrieren. Höhere Lohnabschlüsse dienen dabei nur der Wahrung eines Anscheins von Teilhabe. Beim Metallabschluss habe ich mich zum Beispiel gefragt, warum in dieser Branche so rasch ein verhältnismäßig gutes Ergebnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern erzielt wurde. Die Antwort ist recht einfach. Viele Arbeitnehmer in der Metallbranche sind von der Tariferhöhung schlicht ausgeschlossen, weil sie sich entweder in prekären Beschäftigungsverhältnissen befinden (42 Prozent der neuen Stellen in der Metallbranche seien befristete Jobs) oder aber in Unternehmen beschäftigt sind, die nicht mehr der Tarifbindung unterliegen, weil sie aus den entsprechenden Arbeitgerberverbänden ausgetreten sind.
Die Diskussion um einen angeblichen Fachkräftemangel, aber auch das Aufschwunggefasel, dienen nur der Verschleierung der bereits eingesetzten Abwärtsspirale aus Löhnen, Preisen und Zinsen.
In Amerika wird sich wahrscheinlich bald entscheiden, wie tief der nächste Absturz sein wird.
Vom vielgerühmten INgeneursmangel merkt der normale Bewerber genau gar nichts. Auch in der Pflege, wo doch angeblich das Personal so gesucht wird macht sich keiner die Mühe diese ach so wertvollen Mitarbeiter entsprechend zu verwöhnen.
AntwortenLöschenFür mich eine glatte Erfindung, allerdings ist mir ncoh nicht ganz klar zu welchem Zweck? Das gegenseitige Niederkonkurrieren? Angst vor höheren GEhaltsforderungen? Ich weiß es nicht.
Das Schizophrene an der Sache ist, dass die Schwarz-Gelbe ReGIERung nach außen laut über die Medien palvert, man soll die ach so dringend benötigten Fachkräfte aus dem Ausland holen. Auf der anderen Seite werden eben solche Fachkräfte von den ARGEn und optierenden Kommunalen Einrichtungen zum arbeiten ins Ausland geschickt. Und da es meistens an der Sprache hapert, werden auch noch die Kosten für Sprachkurse übernommen um ja die Leute aus der Arbeitslosenstatistik zu kriegen.
AntwortenLöschenDie haben einen Knall!
Ich kann den bisherigen Kommentaren meinerseits nur beipflichten. Das Gejammere um Fachkräfte ist einfach nur blanker Hohn!
AntwortenLöschenAls es vor Jahren schon hieß: "Lebenslange Fort- und Weiterbildung", stieß das bei mir auf offene Ohren, da ich als Metaller immer für mich persönlich der Meinung war, daß nur ein so breit wie möglich gefächertes Wissen einen zu einem "kompletteren" Fachmann macht und genau dieses Mehr an Wissen mir in Zukunft bessere Karten auf dem Arbeitsmarkt verschaffen würde.
Pustekuchen. Heute muß ich mir, wenn ich wirklich all meine Zeugnisse über die Weiterbildungen vorlege, was ich aus gutem Grund nicht mehr tue, anhören, "ich wäre überqualifiziert". Nicht nur, daß dieses "Quarkargument" persönlich sehr frustrierend sein kann (wozu habe ich privat 1000e Euro bezahlt?), es ist auch völlig absurd!
Ich sehe dahinter lediglich eines, nämlich die Weigerung der Industrie, für besser qualifizierte Mitarbeiter auch bessere Löhne bezahlen zu wollen.
Das wird hier bald vollends wie in der Ex-DDR, jeder hat nen Ingenieurstitel aber bezahlt wird auf unterstem Niveau.