Mittwoch, 20. Oktober 2010

Neoliberalismus, eine Ideologie der Idiotie


Der freie Markt mit seinen unsichtbaren Händen ist das einzig Wahre und Gute in der Welt, der Staat ist abgrundtief böse. Der einzig alternativlose Weg ist Wachstum, Wachstum, Wachstum und dafür müssen wir sparen, sparen, sparen.

Das Schöne an dieser neuen neoliberalen Welt ist, nahezu jeder glaubt an diese Wirtschaftsideologie. Seit der Weltwirtschaftskrise ist jedoch bei einigen das Vertrauen in die magischen Wirkmächte des Marktes erschüttert. Einer dieser Kritiker ist Jack Welch. Er ist nicht nur der Ex-Chef von General Electric, er gilt auch als Vater des Shareholder Value Prinzips. Heute bezeichnet er das Konzept als “die blödeste Idee der Welt“. Doch nicht alle sind so lernfähig wie Jack Welch, die meisten Folgen weiterhin der Ideologie des Neoliberalismus und erhöhen nach der Krise einfach nur die Dosis an Idiotie.

Auf diesem Weg sind wir bereits weit fortgeschritten. Wären wir auf der Titanic, würde sich zur Zeit folgende Szene abspielen: Der Ausguck meldet erregt: “Eisberg voraus!” Die Kapitänin antwortet ruhig und ohne jeglichen Zweifel: “Die Schifffahrstwissenschaftler sagen, es gibt keine Eisberge am Nordpol, also sind vor uns auch keine Eisberge. Wir machen weiter so, volle Fahrt!”

Das Saysche Theorem

Eines der zentralen Elemente des Neoliberalismus ist das Saysche Theorem. Die wenigsten werden es kennen. Es ist uralt, stammt aus dem Jahre 1803 und ist äußerst unspektakulär. Seine zusammenhängenden Sätze machen es jedoch möglich, dass sie von den Jüngern des Neoliberalismus nachgebetet werden. Es ist daher nicht verwunderlich, dass dieses Theorem zu einem neoliberalen Dogma erhoben wurde.
Schauen wir uns die Sure des Wirtschaftsglaubensbekenntnises einmal an:
“Jedes Angebot schafft sich seine Nachfrage selbst.”
Na, aber hallo, geht es auch etwas ausführlicher? Ja, klar:
“Wenn der Produzent die Arbeit an seinem Produkt beendet hat, ist er höchst bestrebt es sofort zu verkaufen, damit der Produktwert nicht sinkt. Nicht weniger bestrebt ist er, das daraus eingesetzte Geld zu verwenden, denn dessen Wert sinkt möglicherweise ebenfalls. Da die einzige Einsatzmöglichkeit für das Geld der Kauf anderer Produkte ist, öffnen die Umstände der Erschaffung eines Produktes einen Weg für andere Produkte.”
Um das Verständnis zu erleichtern, ist erst einmal eine kleine Nachhilfe in Sachen Neoliberalismus notwendig: für einen echten Neoliberalisten ist alles ein Produkt. Schenke ich meinem Sohn zum Geburtstag 20 Euro, so hat er aus neoliberaler Sicht sein Produkt “Geburtstag” erfolgreich vermarktet. Die ganze Welt besteht demnach nur aus Produkten und sonst gar nichts! Das Geld ist nichts anderes als ein Schleier, der diese Tatsache verbirgt.

Nähern wir uns nun der Kernaussage des Theorems: es ist egal, was und wie viel produziert wird, es findet sich immer ein Idiot, der es auch kauft. Das ist an sich keine Erkenntnis, sondern Alltagserfahrung. Das Theorem beschreibt aber das große Ganze. Und wahrlich, dies eröffnet eine tiefer liegendere Dimension: es ist immer genügend Geld vorhanden, um die produzierten Güter aufzukaufen. Auch das ist richtig, denn neben der Geldschöpfung durch die Investitionen, die zur Produktion der Waren notwendig sind, gibt es noch weitere Quellen der Geldschöpfung, wie z.B. Konsumkredite. In unserem jetzigen Finanzsystem gibt es daher auch ohne Saysches Theorem zwangsläufig zu viel Geld im System.

Wieso ist dieses Theorem trotz seiner Erkenntnisleere für den Neoliberalismus eigentlich so bedeutsam? Die Antwort liegt auf der Hand: unsere Elite der Ökonomie vermag darin die erstaunliche Tatsache herauszulesen, dass die Eingriffe des Staates in einen Markt schädlich sind. Die Logik funktioniert so: Verkäufer und Kunden finden von alleine zueinander, Geld ist genug da, also ist alles paletti. Der Staat aber macht alles kaputt, weil der Staat alles kaputt macht.

Eine hirnlose Simulation des Sayschen Theorems

Das Theorem und die Schlussfolgerungen daraus sind an sich schon idiotisch genug, aber es kommt noch schlimmer. Leider hat das Saysche Theorem einen blinden Fleck. Das muss ja  auch so sein, denn sonst hätte es niemals zu einem neoliberalen Dogma werden können.

Zwar mag gemäß dem Theorem insgesamt genügend Geld zum Kauf aller Güter vorhanden sein, für den Einzelnen trifft das allerdings noch lange nicht zu. Machen wir eine einfache gedankliche Simulation: nehmen wir 49 hirnlose Neoliberale – es ist eine Menge, die gedanklich problemlos rekrutierbar ist – und einen mit Hirn. Dieser ist der Chef einer Fabrik, lässt die anderen 49 hirnlosen Brüder für sich arbeiten und zahlt ihnen dafür – er ist ja intelligent – keinen Cent. Danach kauft sich der Chef seine eigene Produktion ab und – voila! – das Saysche Theorem ist erfüllt!

Damit beweist das Saysche Theorem, dass auch idiotische Wirtschaftssysteme funktionieren, aber leider nur in der Theorie. In der Realität würde ein solches Wirtschaftssystem ohne die erfolgreiche Rekrutierung von hirnlosen Neoliberalen sofort zusammenbrechen. Eine Wirtschaftspolitik nach dem Sayschen Theorem besagt nur, dass sie ohne Staat und Regulierung irgendwie funktioniert. Nur, die Wirtschaft soll nicht irgendwie funktionieren, sondern soll die Bedürfnisse der Menschen befriedigen und den Wohlstand mehren. Und dazu sind manchmal aus Sicht des Marktes irrationale Maßnahmen notwendig. Wer weiß, es kann zum Beispiel notwendig sein, Schwimmflügel in Massen zu produzieren und einzulagern, da eine weitere Sintflut bevorsteht. Doch das regelt keine unsichtbare Hand des Marktes, kein Saysches Theorem, dazu ist vor allem Intelligenz und Weitblick nötig. Das sind allerdings zwei Aspekte, die in der neoliberalen Idiotie keinen Platz finden.

Auch das Saysche Theorem hat zweifelsohne das Potential, neben dem Shareholder Value Prinzip in die Riege der blödesten Ideen der Welt aufgenommen zu werden. Dennoch bauen wir hier nach diesen blöden und idiotischen Konzepten unsere ehemalige soziale Marktwirtschaft zu einer neoliberalen Wirtschaft der Idiotie um.

Wer an dieser Tatsache noch ernsthafte Zweifel hat, der lese bitte einmal genau die Konzepte von Westerwelle, Rössler,  Brüderle & Co durch.

11 Kommentare:

  1. Eine treffende kurze Beschreibung des Neoliberalismus. Das absurdeste daran ist, dass er vom Staat fordert Regeln und Grenzen einzuführen. Das soll aber so geschehen das niemand bevorzugt wird. Das heißt selbst wenn man einen solchen Staat hätte, könnte man bei Scheitern des Neoliberalismus alles auf den Staat schieben.

    AntwortenLöschen
  2. Wer erst einmal eine bestimmte Überzeugung/Weltanschauung/Religion akzeptiert hat, ist geneigt, alle Erfahrungen so zu interpretieren, dass sie diese Überzeugung/Weltanschauung/Religion bestätigen, selbst wenn diese Erfahrung aus unbeteiligter Sicht offensichtlich der Überzeugung/Weltanschauung/Religion widersprechen.
    Wenn es nach dem Regentanz nicht zu regnen anfängt, hat man irgend etwas nicht richtig gemacht, und wenn nach all den neoliberalen "Reformen" keine blühenden Landschaften entstehen, dann hat man immer noch zuviel Einmischung vom Staat und braucht halt noch mehr "Reformen". Deshalb kommen die Jünger des Neoliberalismus auf die Idee, die Wirtschaftskrise sei keine Folge der Deregulierung des Finanzsektors, sondern vielmehr eine Folge der immer noch viel zu starken Regulierung.

    AntwortenLöschen
  3. Ich brauche genau zwei Sekunden, um das Say'esche Theorem zu widerlegen:
    Ich spucke mir in die Hand und biete dir den Rotz-See zum Kauf an, sagen wir 20€. Du wirst ablehnen, ich gehe dann mit dem Preis runter bis auf 1 Cent, aber du wirst immer noch nicht kaufen wollen.
    Dilemma: Das Angebot schafft sich seine Nachfrage eben nicht selbst, nicht jedes Produkt findet einen Käufer, auch unabhängig von der Kaufkraft.

    Das Say'esche Theorem mag auf hochinnovative, sowie nützliche Produkte zutreffen, wie z.B. Computer, Automobile, Federkernbetten und das Wasserklosett. Aber eben auch NUR auf solche Produkte, nicht auf alle. Und da wären noch weitere Einschränkungen, die sich ganz ohne ohne Eingriffe des bösen Staates ergeben. Aber davon ein andermal... gute Nacht, Kinder!

    AntwortenLöschen
  4. @Tim
    Nicht so schnell! Es geht schon darum, eine Fabrik zu haben und Löhne zu zahlen. Also müssen die Arbeiter in eine bunte Tüte rotzen, dann zieht man den Saft raus, macht es zu Pulver und klebt ein Etikett "Fertigsuppe" drauf.
    Also, wenn man will, kann man das Saysche Theorem durchaus konstruktiv nutzen :)

    AntwortenLöschen
  5. Leider ist es an unseren Universitäten möglich, die ganze Volkswirtschaftslehre unter der völlig irrsinnigen Fragestellung abzuhandeln, ob die Märkte im Gleichgewicht wären. Also nicht die eigentlich wichtige Aufgabe der Wirtschaft wird erörtert:

    "Nur, die Wirtschaft soll nicht irgendwie funktionieren, sondern soll die Bedürfnisse der Menschen befriedigen und den Wohlstand mehren."

    Sondern ob die Märkte im Gleichgewicht wären, ist die Fragestellung der VWL; was die Märkte ja wohl erst dann sein könnten, wenn wir alle verhungert sind.

    Das Say´sche Theorem wurde vor 200 Jahren eigens zu dem Zweck in die Welt gesetzt, um nach dem Napoleonischen Krieg in England die Löhne und Preise durch eine mörderische Absatzkrise wieder auf den Vorkriegsstand zu senken.

    Auch die Große Depression 1929-33 war nicht Fehler und Irrtum, sondern absichtliche Deflationspolitik unter dem Goldstandard zu den Kursen von 1913, der in den 20er Jahren wieder durchgesetzt wurde.

    Ich habe darüber zwei Bücher geschrieben, falls es jemand interessiert (bei Google-Books fast vollständig umsonst zu lesen):

    Das Saysche Theorem und die geldpolitische Verursachung von Wirtschaftskrisen

    http://www.amazon.de/Saysche-Theorem-geldpolitische-Verursachung-Wirtschaftskrisen/dp/383910839X/ref=sr_1_1?ie=UTF8&s=books&qid=1253548049&sr=1-1

    Warum die Geldpolitik 1929-33 die Weltwirtschaftskrise verursacht hat

    http://www.amazon.de/Warum-Geldpolitik-1929-33-Weltwirtschaftskrise-verursacht/dp/3837093913/ref=sr_1_1?s=books&ie=UTF8&qid=1287642444&sr=1-1

    Was bei einem VWL-Studium gelehrt wird und was in den Geschichtsbüchern über die Krisen steht, kann man alles vergessen.

    AntwortenLöschen
  6. Kurze Anmerkung zum Say´schen Theorem:

    Das Say´sche Theorem behauptet, dass jedes Angebot sich seine Nachfrage schaffe, wobei es sich nur um die triviale Feststellung handelt, dass in einer Ökonomie die am Markt verkäufliche Produktion immer identisch mit dem Einkommen ist. Das liegt ganz einfach daran, dass zu jedem Kauf zwei gehören, nämlich Käufer und Verkäufer. Außerdem produziert niemand etwas, was er nicht verkaufen kann, und wenn doch, behandelt die Ökonomie das als Privatvergnügen.

    Also Käufe = Verkäufe und Ausgaben = Einnahmen.

    Aus dieser Tautologie wird dann der völlig unbegründete Schluss gezogen, dass es deshalb keine Absatzkrisen geben könne.

    Das ist ein Sophismus, also eine bewusste Irreführung durch eine verdrehte Argumentation. Nicht wenige Kritiker des Say´schen Theorems wollen dann die Identität von Produktion und Einkommen widerlegen und fallen auf den Trick herein.

    Eine Absatzkrise ist deshalb möglich, weil die Produktion und die entsprechenden Einkommen niedriger als das Produktionspotential(!) einer Ökonomie sein können. In der Krise wird wenig produziert und wenig verdient, in einem Boom wird viel produziert und viel verdient.

    Der Grund für die Krise ist restriktive Geldpolitik, also in der Regel hohe reale Zinsen, wegen der die Leute ihr Geld(!) sparen wollen. Geld kommt aber in der neoklassischen Ökonomie nicht vor, weil es angeblich nur Geldschleier und für die Realwirtschaft neutral wäre.

    Weil Wirtschaftskrisen monetäre Ursachen haben, hat man das Geld in der neoklassischen Theorie einfach ausgeklammert und mit dem Say´schen Theorem behauptet, dass es Absatzkrisen einfach nicht geben könne. Vor 200 Jahren, als mit Hilfe von Ricardo die Geldpolitik in England nach dem Krieg gegen Napoleon die Inflation der Kriegsjahre rückgängig gemacht hat. Wegen der mörderischen Krise hat man die Krisen mit dem Theorem einfach geleugnet, es gäbe keine Absatzkrisen.

    Das ist das ganze Ding in Kürze.

    AntwortenLöschen
  7. Wenn man sagt, der Neoliberalismus ist eine Ideologie der Idiotie, so mag das auf einer rein rationalen Ebene betrachtet durchaus zutreffen.
    Auch reine Alltagserfahrungen mit ungetrübten Augen können dies jeden Tag bestätigen.
    So eine Aussage sagt aber dennoch immer noch nichts darüber aus, warum, wozu, wem diese Ideologie nutzt, was mit dieser bezweckt werden soll.
    Wenn eine "Idiotie" seit mehr als 3.Jahrzehnten über alle Kontinente hinweg mit einem ungeheueren personellen und finanziellen Aufwand über zahllose Medien, private und öffentliche Institutionen, die Medien, der Politik derart verbreitet wird, dann muss dahinter ein sehr sehr mächtiges, bestimmendes Interesse verborgen sein.
    Und welches Interesse könnte dies sein in einer Gesellschaft, in der es zu allerest immer um Geld, Profit, Kapitalwachstum geht?
    Ich breche hier ab.
    Den Rest kann sich jeder vernünfige denkende Mensch, so er denn denken, erkennen will, selbst zusammen reimen!

    MfG Bakunin

    AntwortenLöschen
  8. Der Neoliberalismus vertraut nicht auf eine freie Marktwirtschaft und hasst den Staat auch nicht.
    Tatsächlich sprechen sich so gut wie alle Neoliberalen unter anderem für Ordnungspolitik, Kartell- und Wettbewerbsrechte sowie Staatsinterventionen in Teilbereichen (z.B. Bildungspolitik) aus.

    Es ist auch relativ unplausibel, die jetzt beobachtete Krise dem "freien Markt" zuzuschreiben. Einfach aus dem Grund, dass ein freier Markt zu keinem Zeitpunkt existiert hat. Ganz im Gegenteil ist der US-amerikanische Immobilienmarkt, das weltweite Geldsystem sowie das internationale Finanzsystem derart staatlich reguliert gewesen, dass der Ausbruch der Krise wohl eher dem Staat zuzuschreiben ist.

    AntwortenLöschen
  9. @Kulle
    Ich frage mich, weshalb der Markt nicht die staatlichen Eingriffe selbst regulieren kann. Ist er also doch nicht perfekt.
    Klar, hat der Staat eine Verantwortung an der Krise. Es ist aber die mangelnde Regulierung, die ihm anzulasten ist. Die krisenverursachenden Finanzderivate und die außerbilanzlichen Geschäfte z.B. der credit default swaps waren unreguliert.

    AntwortenLöschen
  10. Der Hamburger Mathematikprofessor Claus Peter Ortlieb kommt bei seinen Untersuchungen zu der Art, wie in der Disziplin mit Modellen gearbeitet zu sehr eindeutigen Ergebnissen:

    "Bei dem neoklassischen Gebilde handelt es sich um ein Sammelsurium mathematischer Modelle, die vorne und hinten nicht zusammen passen und eigentlich nur zeigen, dass die Verwendung von Mathematik allein einen horrenden Mangel an Logik nicht wettmachen kann.



    Die Kennzeichnung der Neoklassik als Wahnsystem wäre nicht korrekt, denn jedes anständige Wahnsystem ist doch zumindest in sich schlüssig und logisch konsistent."

    Und als Abschließendes Fazit:

    "Es ist weder etwas Neues noch etwas Besonderes, wenn eine staatlich oder privatwirtschaftliche alimentierte Wissenschaft Ideologie transportiert. Vergleichsweise neu und meines Wissens einzigartig ist aber, dass die herrschende Lehre eines ganzen Fachs ausschließlich diese Funktion hat, unter Hintanstellung jedes wirklichen Erkenntnisanspruchs, der andererseits natürlich formal aufrecht erhalten werden muss, weil ohne ihn auch Ideologie sich nicht mehr transportieren ließe. Letztlich hat hier, indem es die neoklassische Lehre zur herrschenden machte, ein Fach seinen Gegenstand aufgegeben, vielleicht aus dem heimlichen Wissen
    heraus, dass er sowieso nicht mehr zu retten ist. Doch das ist Spekulation."

    AntwortenLöschen
  11. Hirnlos....einfach hirnlos was ich hier lese...

    AntwortenLöschen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.