Bundesaußenminister a. D. Joseph Fischer hat dem Spiegel ein Interview gegeben. Das beherrschende Thema darin ist eine Fundamentalkritik an der Europa- und sonstigen Außenpolitik der Bundesregierung. In die gleiche Kerbe hatte auch schon Altkanzler Kohl gehauen, dessen Selbstinszenierung als Elder Statesman, der alles besser gemacht hätte, schon von Wolfgang Lieb auf den NachDenkSeiten detailreich widerlegt wurde.
Damit hier kein Missverständnis aufkommt: es soll nicht darum gehen, eine verfehlte Außen- und insbesondere Europapolitik der Bundesregierung gesundzubeten. An deren Konzeptlosigkeit, vor allem in Hinblick auf die Zukunft der Währungsunion, kann eigentlich kaum noch ein Zweifel bestehen. Das soll uns aber nicht davon abhalten, falsche und unglaubwürdige Kritik zurückzuweisen.
Damit hier kein Missverständnis aufkommt: es soll nicht darum gehen, eine verfehlte Außen- und insbesondere Europapolitik der Bundesregierung gesundzubeten. An deren Konzeptlosigkeit, vor allem in Hinblick auf die Zukunft der Währungsunion, kann eigentlich kaum noch ein Zweifel bestehen. Das soll uns aber nicht davon abhalten, falsche und unglaubwürdige Kritik zurückzuweisen.
Zum Abstimmungsverhalten Deutschlands im UNO-Sicherheitsrat bezüglich Libyen sagt Fischer: „Er [Westerwelle] sprach davon, dass neue Machtzentren neue strategische Partnerschaften notwendig machen würden. ... Das soll ja wohl heißen, dass Deutschland wieder eine eigenständige Weltpolitik machen will – mit den neuen Machtzentren China, Russland, Brasilien, Indien, an deren Seite wir im Sicherheitsrat abgestimmt haben. Ich fasse es nicht. ... An unserer Verankerung als Teil des Westens festzuhalten sollte unser höchstes Interesse sein“. Abgesehen von der Frage, welches Verhalten hier sachlich geboten war, scheint Fischer vor allem zu stören, dass Deutschland sich mit seinem Votum an der Seite der BRIC-Staaten wiedergefunden hat. Zum Einen fragt man sich, was an Brasilien und Indien auszusetzen ist – die beiden Länder sind schließlich Demokratien und haben (im Gegensatz zu manch anderem Mitglied des Sicherheitsrates) in der jüngeren Vergangenheit keine völkerrechtswidrigen Angriffskriege geführt. Aber vielleicht ist es ja gerade letzteres, was Fischer stört. Zum anderen scheint Fischer vergessen zu haben, dass er – als er es für sachlich geboten hielt – keine Skrupel hatte, sich im Sicherheitsrat an der Seite Russlands und Chinas wiederzufinden. In der Sitzung des Sicherheitsrates vom 5. Februar 2003, in der über eine weitere Resolution mit der Androhung militärischer Gewalt gegen den Irak beraten wurde, kam es nicht zur Abstimmung, weil eine von Frankreich, Deutschland, China und Russland betriebene Ablehnung absehbar war. Die Nähe zu Russland und China in diesem konkreten Fall war aber auch kein einmaliger Ausreißer von einer ansonsten lupenreinen West-Orientierung der Außenpolitik in der Ära Schröder/Fischer. Gerade Fischers Regierungschef, für den Wladimir Putin ein „lupenreiner Demokrat“ war (und wohl noch ist), hat bei seinen China-Besuchen Menschenrechtsfragen mit Vorliebe unter den Tisch fallen lassen. Das alles scheint in Fischers Erinnerung wie ausgelöscht zu sein.
An anderer Stelle – und das muss man ihm wirklich zugute halten – ist Fischer in verblüffender Weise ehrlich; so ehrlich, wie man es wohl nur als Ex-Politiker sein kann. Konfrontiert mit der Frage, ob die Bundesregierung mit ihrer Haltung in der Libyen-Frage nicht auch in der deutschen Tradition der militärischen Zurückhaltung stehe und ob die Bombardierung von Gaddafi-Residenzen nicht eine „kreative“ Auslegung des UN-Mandats sei, antwortet Fischer nur lapidar: „Die meisten Resolutionen des Sicherheitsrats sind interpretationsfähig.“ Im Klartext: man lässt sich irgendetwas mandatieren und macht dann einfach, was man will. Ob man das von Anfang an vorgehabt und diesbezüglich den Sicherheitsrat getäuscht hat oder ob man sich einfach der Dynamik und der Logik des Krieges hingegeben hat (in der es nur Freund und Feind gibt und in der für die Rolle eines neutralen Polizisten kein Platz ist), das kann dabei wohl offen bleiben. Und dass man, wenn sich der Sicherheitsrat zu widerborstig zeigt oder die Zeit drängt, auf die Resolution auch einfach verzichten kann, hat Fischer mit dem ersten Kabinett Schröder ja schon im Kosovo-Krieg bewiesen.
Im Spiegel-Interview lässt Fischer auch die Gelegenheit nicht ungenutzt, die Mär von der deutschen Nicht-Beteiligung am Irakkrieg zu verbreiten, wenn auch nur am Rande: „Im Irak 2003 waren die Kriegsgründe der Bush-Regierung nicht belastbar, die Konsequenzen nicht durchdacht, da haben wir uns zu Recht rausgehalten.“ Dass von einem Heraushalten Deutschlands (das wirklich angebracht gewesen wäre) angesichts der Freigabe deutschen Luftraums für die Koalition der Willigen, des Schutzes amerikanischer Liegenschaften durch bis zu 4.000 Bundeswehr-Soldaten (wodurch US-Militärkapazität in erheblichem Umfang freigesetzt wurde) und der Entsendung von Spürpanzern nach Kuwait nicht die Rede sein kann, hat sogar ein Wehrjurist des Verteidigungsministeriums festgestellt. Dass diese Unterstützung – anders als von Fischer in seinen Memoiren dargestellt – nicht aufgrund von Bündnisverpflichtungen erfolgt sein kann, hat das Bundesverwaltungsgericht in einem Grundsatzurteil vom 21. Juni 2005 festgestellt. Eine minutiöse Widerlegung von Fischers Memoiren zum Irakkrieg findet sich in einem Artikel von Jürgen Rose in der Neuen Rheinischen Zeitung, in dem Fischer als „Rechts- und Friedensverräter“ sowie (in der Artikel-Überschrift!) als „Lügner vom Amt“ und dessen Memoiren als „haltloser Unfug“ bezeichnet werden. Der Artikel ist schon mehrere Monate alt, aber von einer Zivilklage oder gar Strafanzeige Fischers gegen Rose oder die NRhZ hat man bisher nichts gehört. Das kann taktische Gründe haben, weil Fischer das Thema nicht in der Presse breitgetreten haben möchte. Vielleicht ist ihm aber auch einfach ein Licht aufgegangen und er hat erkannt, dass er vor Gericht wohl mit wehenden Fahnen untergehen würde und er sich angesichts der historischen Tatsachen (und seines Umgangs damit) wohl so nennen lassen muss.
An anderer Stelle lässt sich Fischer zur Finanz- und Wirtschaftskrise und zur politischen Krise der Europäischen Union aus: „Es ist ein großes Problem, dass die Bundesregierung offenbar nicht weiß, wie sie mit der Finanzkrise und der Zukunft Europas umgehen soll. ... Eine lose Konföderation von Staaten, die durch eine Währungsunion verbunden sind, wird nicht ausreichen. Das war Maastricht, und das ist gescheitert.“ Im Folgenden gibt er dann den großen Europäer, der die „Vereinigten Staaten von Europa“ beschwört. Nun muss man bedenken, dass Fischer und die rot-grüne Bundesregierung ja hinreichend Gelegenheit hatten, die politische Realität Europas und der Währungsunion zu gestalten. Wie sieht also die diesbezügliche Bilanz der Regierungen Schröder/Fischer aus?
Für denjenigen, der die Krise hauptsächlich für eine Staatsschuldenkrise hält (was genauso falsch wie fahrlässig, jedoch eine leider verbreitete Sichtweise ist), stellt sich die Sache so dar: die Maastricht-Kriterien waren eigentlich notwendig, sind aber, als 2003 den Deutschen ein „blauer Brief“ aus Brüssel drohte, auf Betreiben der Bundesregierung aus innenpolitischem Opportunismus (und unter tatkräftiger Mithilfe Frankreichs) „flexibilisiert“ und damit de facto abgeschafft worden. Danach hat es noch viele Verstöße gegeben, ohne dass auch nur ein Mal ein Vertragsverletzungsverfahren eröffnet worden wäre. Als die statistischen Tricksereien Griechenlands bekannt wurden, hatte auch die Bundesregierung kein Interesse an Aufklärung, weil ihr eigenes Versagen wieder ins Blickfeld gerückt wäre. Alle, die die Krise im Wesentlichen als Banken- und Finanzmarktkrise aufgrund fehlender oder falscher Regulierung sehen, werden sich lebhaft daran erinnern, wie die damalige Bundesregierung am Deregulierungswettlauf teilgenommen hat (z.B. durch die Steuerbefreiung von Gewinnen aus dem Verkauf von Anteilen an inländischen Kapitalgesellschaften sowie das Investment-Modernisierungsgesetz vom 1.1.04). Wer die Hauptursache der Krise in den Handelsbilanz-Ungleichgewichten im Intra-EU-Handel sieht, die aus den unterschiedlichen Wettbewerbsfähigkeiten aufgrund unterschiedlicher Inflationsraten und divergierender Lohnstückkosten entstanden sind, kommt nicht an der Feststellung vorbei, dass die damalige Bundesregierung bei der Lohn-Deflation (Einrichtung eines umfangreichen Niedriglohnsektors) und beim Sozial-Dumping (Hartz-Reformen und damit eine Schwächung von Gewerkschaftspositionen) mittenmang dabei war. Damit hat die damalige Bundesregierung zu jedem Aspekt der Krise aktiv beigetragen und sie beschleunigt. Auch hier scheint Fischer sein Erinnerungsvermögen im Stich gelassen zu haben.
Die Politik braucht zur Lösung der Krise und deren Kommunikation ein anderes, neues Narrativ, da hat Stefan recht; ein Narrativ, mit dem ein nachhaltiger und glaubwürdiger Lösungsansatz entwickelt und dargestellt werden kann. Dass ein solches Narrativ formuliert wird von Ex-Politikern, die gegen die heutige (und aus damaliger Sicht: die kommende) Misere nicht nur nichts getan, sondern in jeder Hinsicht als deren Brandbeschleuniger gewirkt haben, ist indessen unwahrscheinlich.
An anderer Stelle – und das muss man ihm wirklich zugute halten – ist Fischer in verblüffender Weise ehrlich; so ehrlich, wie man es wohl nur als Ex-Politiker sein kann. Konfrontiert mit der Frage, ob die Bundesregierung mit ihrer Haltung in der Libyen-Frage nicht auch in der deutschen Tradition der militärischen Zurückhaltung stehe und ob die Bombardierung von Gaddafi-Residenzen nicht eine „kreative“ Auslegung des UN-Mandats sei, antwortet Fischer nur lapidar: „Die meisten Resolutionen des Sicherheitsrats sind interpretationsfähig.“ Im Klartext: man lässt sich irgendetwas mandatieren und macht dann einfach, was man will. Ob man das von Anfang an vorgehabt und diesbezüglich den Sicherheitsrat getäuscht hat oder ob man sich einfach der Dynamik und der Logik des Krieges hingegeben hat (in der es nur Freund und Feind gibt und in der für die Rolle eines neutralen Polizisten kein Platz ist), das kann dabei wohl offen bleiben. Und dass man, wenn sich der Sicherheitsrat zu widerborstig zeigt oder die Zeit drängt, auf die Resolution auch einfach verzichten kann, hat Fischer mit dem ersten Kabinett Schröder ja schon im Kosovo-Krieg bewiesen.
Im Spiegel-Interview lässt Fischer auch die Gelegenheit nicht ungenutzt, die Mär von der deutschen Nicht-Beteiligung am Irakkrieg zu verbreiten, wenn auch nur am Rande: „Im Irak 2003 waren die Kriegsgründe der Bush-Regierung nicht belastbar, die Konsequenzen nicht durchdacht, da haben wir uns zu Recht rausgehalten.“ Dass von einem Heraushalten Deutschlands (das wirklich angebracht gewesen wäre) angesichts der Freigabe deutschen Luftraums für die Koalition der Willigen, des Schutzes amerikanischer Liegenschaften durch bis zu 4.000 Bundeswehr-Soldaten (wodurch US-Militärkapazität in erheblichem Umfang freigesetzt wurde) und der Entsendung von Spürpanzern nach Kuwait nicht die Rede sein kann, hat sogar ein Wehrjurist des Verteidigungsministeriums festgestellt. Dass diese Unterstützung – anders als von Fischer in seinen Memoiren dargestellt – nicht aufgrund von Bündnisverpflichtungen erfolgt sein kann, hat das Bundesverwaltungsgericht in einem Grundsatzurteil vom 21. Juni 2005 festgestellt. Eine minutiöse Widerlegung von Fischers Memoiren zum Irakkrieg findet sich in einem Artikel von Jürgen Rose in der Neuen Rheinischen Zeitung, in dem Fischer als „Rechts- und Friedensverräter“ sowie (in der Artikel-Überschrift!) als „Lügner vom Amt“ und dessen Memoiren als „haltloser Unfug“ bezeichnet werden. Der Artikel ist schon mehrere Monate alt, aber von einer Zivilklage oder gar Strafanzeige Fischers gegen Rose oder die NRhZ hat man bisher nichts gehört. Das kann taktische Gründe haben, weil Fischer das Thema nicht in der Presse breitgetreten haben möchte. Vielleicht ist ihm aber auch einfach ein Licht aufgegangen und er hat erkannt, dass er vor Gericht wohl mit wehenden Fahnen untergehen würde und er sich angesichts der historischen Tatsachen (und seines Umgangs damit) wohl so nennen lassen muss.
An anderer Stelle lässt sich Fischer zur Finanz- und Wirtschaftskrise und zur politischen Krise der Europäischen Union aus: „Es ist ein großes Problem, dass die Bundesregierung offenbar nicht weiß, wie sie mit der Finanzkrise und der Zukunft Europas umgehen soll. ... Eine lose Konföderation von Staaten, die durch eine Währungsunion verbunden sind, wird nicht ausreichen. Das war Maastricht, und das ist gescheitert.“ Im Folgenden gibt er dann den großen Europäer, der die „Vereinigten Staaten von Europa“ beschwört. Nun muss man bedenken, dass Fischer und die rot-grüne Bundesregierung ja hinreichend Gelegenheit hatten, die politische Realität Europas und der Währungsunion zu gestalten. Wie sieht also die diesbezügliche Bilanz der Regierungen Schröder/Fischer aus?
Für denjenigen, der die Krise hauptsächlich für eine Staatsschuldenkrise hält (was genauso falsch wie fahrlässig, jedoch eine leider verbreitete Sichtweise ist), stellt sich die Sache so dar: die Maastricht-Kriterien waren eigentlich notwendig, sind aber, als 2003 den Deutschen ein „blauer Brief“ aus Brüssel drohte, auf Betreiben der Bundesregierung aus innenpolitischem Opportunismus (und unter tatkräftiger Mithilfe Frankreichs) „flexibilisiert“ und damit de facto abgeschafft worden. Danach hat es noch viele Verstöße gegeben, ohne dass auch nur ein Mal ein Vertragsverletzungsverfahren eröffnet worden wäre. Als die statistischen Tricksereien Griechenlands bekannt wurden, hatte auch die Bundesregierung kein Interesse an Aufklärung, weil ihr eigenes Versagen wieder ins Blickfeld gerückt wäre. Alle, die die Krise im Wesentlichen als Banken- und Finanzmarktkrise aufgrund fehlender oder falscher Regulierung sehen, werden sich lebhaft daran erinnern, wie die damalige Bundesregierung am Deregulierungswettlauf teilgenommen hat (z.B. durch die Steuerbefreiung von Gewinnen aus dem Verkauf von Anteilen an inländischen Kapitalgesellschaften sowie das Investment-Modernisierungsgesetz vom 1.1.04). Wer die Hauptursache der Krise in den Handelsbilanz-Ungleichgewichten im Intra-EU-Handel sieht, die aus den unterschiedlichen Wettbewerbsfähigkeiten aufgrund unterschiedlicher Inflationsraten und divergierender Lohnstückkosten entstanden sind, kommt nicht an der Feststellung vorbei, dass die damalige Bundesregierung bei der Lohn-Deflation (Einrichtung eines umfangreichen Niedriglohnsektors) und beim Sozial-Dumping (Hartz-Reformen und damit eine Schwächung von Gewerkschaftspositionen) mittenmang dabei war. Damit hat die damalige Bundesregierung zu jedem Aspekt der Krise aktiv beigetragen und sie beschleunigt. Auch hier scheint Fischer sein Erinnerungsvermögen im Stich gelassen zu haben.
Die Politik braucht zur Lösung der Krise und deren Kommunikation ein anderes, neues Narrativ, da hat Stefan recht; ein Narrativ, mit dem ein nachhaltiger und glaubwürdiger Lösungsansatz entwickelt und dargestellt werden kann. Dass ein solches Narrativ formuliert wird von Ex-Politikern, die gegen die heutige (und aus damaliger Sicht: die kommende) Misere nicht nur nichts getan, sondern in jeder Hinsicht als deren Brandbeschleuniger gewirkt haben, ist indessen unwahrscheinlich.
.."Anonym" war, ist und wird stets ein kurruptes Schwein sein...
AntwortenLöschenoder: solch Kommentar ist geschmacklos und sollte gelöscht werden. Danke.
Und dazu noch strafrechtlich bedenklich. Meine Hauspolitik ist es, alle Kommentare stehen zu lassen, ob geschmackvoll oder nicht, sofern sie nicht für mich zu strafrechtlichen Konsequenzen führen können. Das tut dieser, deswegen fliegt er.
AntwortenLöschen...na denn...auch trotz des Löschens bleibt er ein K...S...
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