Dienstag, 13. September 2011

In der Sackgasse

Von Stefan Sasse

Derzeit stecken die Regierungen dieser Welt praktisch alle in derselben Sackgasse. Überall knirscht und kracht es im Gebälk der Finanzsysteme, wie sie auch beschaffen sein mögen, aber sie sind nicht in der Lage, etwas dagegen zu tun. Dabei macht es kaum einen Unterschied, ob das Cameron in Großbritannien, Obama in den USA, Merkel in Deutschland, Sarkozy in Frankreich oder Berlusconi in Italien ist. Sie alle sehen sich dem gleichen Problem gegenüber. Manche können immerhin den mildernden Umstand in Anspruch nehmen, dass sie das Problem überhaupt als solches erkennen. Die meisten führen derzeit Schattengefechte durch und versuchen etwa, Inflation zu verhindern und "das Vertrauen der Finanzmärkte zu gewinnen", als ob das irgendetwas mit der Realität zu tun hätte. Ursache hierfür ist das fatale Verrennen in die angebotsorientierte Monetarismustheorie in den letzten 20 Dekaden und die völlige Ausblendung von Alternativen. Schlimmer noch, man folgte lediglich einer Vulgärversion des radikalen Neoliberalismus Friedman'scher Prägung.

Hätte man seine Vision unverwässert umgesetzt, wären wir heute zwar wahrscheinlich trotzdem arm und deutlich unter den ökonomischen Möglichkeiten, aber die aktuelle Banken- und Finanzkrise hätte so wahrscheinlich nicht stattgefunden. Der Nachtwächterstaat aus den feuchten Träumen echter Neoliberaler hält sich schließlich überall heraus, ob aus der sozialen Absicherung oder aus der von Banken. Der Vulgärmonetarismus, der seiner statt betrieben wurde, tat nur Ersteres. Der Staat zeigte der überwiegenden Mehrheit die kalte Schulter und päppelte die Reichen, ständig unter dem Argument, dass das, irgendwie, irgendwann, schon auch der breiten Masse zugute kommen würde. Auf die Einlösung dieses Versprechens warten wir noch heute, mehr als 30 Jahre seit Beginn der neoliberalen Revolution. Zum Vergleich: als Roosevelt 1933 dem damals neuen Keynesianismus fogte, waren die Früchte nur fünf Jahre später bereits zu ernten und brachten eine mehrere Dekaden umfassende Phase von Wohlstand und Wachstum.

Trotzdem hatten sich, spätestens seit dem Schwenk der europäischen sozialdemokratischen Parteien 1997 bis 2003, fast alle politischen Parteien diesem Vulgärliberalismus an die Brust geworfen, die Reichen gepäppelt, die breite Masse geschröpft und sich dann ehrlich überrascht gezeigt, als die Rechnung nicht aufging. Nun, für sich nicht aufging. Für die anvisierte Zielgruppe der Reichen und Superreichen hatte es sich sehr wohl gelohnt, aber das wird niemand ernstlich bestreiten wollen. Man hatte diese Art der Politik erst für modern, dann für sozial, dann für alternativlos erklärt. Heute sind wir, ganz alternativlos, in der Sackgasse gelandet. Denn noch mehr Steuerkürzungen für Reiche, noch mehr Deregulierung für Banken und Hedgefonds, noch mehr Kürzungen bei der breiten Masse sind zwar vielleicht noch möglich, aber kaum mehr durchsetzbar. Die Erhaltung des aktuellen status quo ist an die Stelle der früheren Kampf-Agenda gerückt. Nicht umsonst lautet der lachhafte Schwur der republikanischen Abgeordneten nicht die Steuern zu senken, sondern sie nicht zu erhöhen.

Obwohl diese Sackgasse, aus der kein Weg nach vorne führt, völlig offensichtlich ist, rennen die Staaten der Welt mit gesenktem Kopf gegen die Mauer. Die Reaktion auf den resultierenden Schmerz und die Verletzungen ist es, das nächste Mal härter zuzustoßen - irgendwann muss die Mauer ja brechen. Das aber wird sie nicht. Da jedoch mit wenigen Ausnahmen (in Deutschland etwa die LINKE) alle diese Politik mitgemacht haben, hauen sie, um den Fehler nicht eingestehen zu müssen, ihren Kopf weiter kräftig an die Wand. Das politische Narrativ eines "schuldensüchtigen" Staates, der alleine verantwortlich für die Misere ist, hat sich wie ein Krebsgeschwür festgefressen. Es ist, als habe es nie eine Immobilienblase gegeben, niemals Subprime-Kredite und einen Totalausfall von Lehmann Brothers und AIG.

Es ist das Narrativ des politischen Gegners, das sich einen riesigen, schwerwiegenden Einfluss erarbeitet hat. Ein anderes gibt es nicht, denn Opposition und Regierung haben sich ihm in trauter Einigkeit verschrieben, anstatt über Alternativen nachzudenken. Mahner wie Krugman oder Flassbeck sind Rufer in der Wüste. Das Spektakel um den Rücktritt Starks als Chefökonom der EZB, der eigentlich hätte bejubelt werden müssen, spricht Bände dafür, die Bestellung von Asmussen als Nachfolger ebenso. Wir können froh sein, dass Axel Weber zuvor bereits das Handtuch geworfen hat, denn wie es aussieht, wird der Draghi Asmussen nicht den Rang einräumen, den Stark vor ihm hatte. Je weniger Einfluss die deutschen Stabilitätsbetonköpfe auf die europäische Finanzpolitik nehmen können, desto besser.

Immerhin, derzeit lassen sich sachte Absetzbewegungen ausmachen. Besonders die SPD scheint in Lauerstellung zu sein und lässt einen Testballon nach dem anderen starten. Wie es aussieht, wird ihr die Öffentlichkeit den Stunt abnehmen, sich gegen die Politik in Szene zu setzen die sie selbst geschaffen hat. Ich hätte ehrlich gesagt nie gedacht, dass die SPD jemals mit ihrem Versuch Erfolg haben würde, der CDU den Rang bei Wirtschafts- und Finanzkompetenz abzulaufen. Man muss den Genossen allerdings clevere Politstrategie attestieren: Steinbrück als Aushängeschild, konstante, prinzipienfeste und Europa-freundliche Kritik an Merkel und Schäuble von ihm und Steinmeier und die ständige staatstragende "Wir sind bereit" Rhetorik könnten sich auszahlen, wenn die Koalition über die Euro-Krise doch noch zerbricht oder aber sich so bis zum Wahltag weiter zieht. Uns wird dann kaum etwas anderes Vernünftiges übrig bleiben als mit den Zähnen zu knirschen, die SPD-Propaganda von "wir haben es schon immer gewusst" zu schlucken und uns wenigstens über die kleinen Erfolge zu freuen.

11 Kommentare:

  1. Toller Beitrag um die politischen Spielchen.
    Tolles Bild, selbst in der Sackgasse noch mit dem Kopf an die Wand zu laufen.
    Traurige Aussichten, dass diese Parteien noch Wählerzuspruch haben und Alternativen schier
    verteufelt werden, obwohl der Teufel selten so
    gut sichtbar live getanzt hat.

    Angst vor Veränderung und Medien, die nicht westenlich dazu beitragen die Menschen vernünftig zu informieren halten dieses
    'Tiefer in die Sackgasse'-System am Leben, bis
    es unweigerlich implodieren wird.

    Alles, was bisher an nennenswerten und wohl gemerkt auch verbreiteten Vorschlägen transportiert wird, sind nichts weiter als
    Beruhigungspillen. Placebos zum Stimmenfang, ohne an die Wurzel zu gehen. Die Wurzel der Probleme bleibt wenig sichbar und sie zu benennen wird von führenden Medien und führenden Politikern aller Coleur gemieden, wie vom Teufel das Weihwasser.

    Wie gesagt, empfehlenswerter Beitrag. Danke.

    Viele Grüsse

    AntwortenLöschen
  2. "Überall knirscht und kracht es im Gebälk der Finanzsysteme, wie sie auch beschaffen sein mögen, aber sie sind nicht in der Lage, etwas dagegen zu tun"??
    Die Geschichte des Kapitalismus eine einzige Abfolge von Boom und Crash. Erstaunlich ist also nicht so sehr, dass es uns jetzt gerade wieder erwischt - erstaunlich ist eher, wie kurz das Gedächtnis derjenigen ist, die nun die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, weil die Geschichte sich wiederholt. Da diese Maschine bei der Wohlstandsproduktion allerdings nach wie vor ungemein erfolgreich ist, wirkt jeder Wunsch nach einer Alternative schrecklich, schrecklich, schrecklich naiv.

    AntwortenLöschen
  3. 20 Dekaden Verrenen in angebotsorientierter Monetarismustheorie? Ich hoffe das ist kein Blick in die Zukunft...

    Wenn es nur das Festhalten an einer falschen Theorie wäre, bestünde ja noch Hoffnung. Ist es aber nicht eher die pure Machtlosigkeit der Politik gegenüber der Finanzindustrie?

    Maßnahmen wie die Einführung einer Finanztransaktionssteuer wurden ja auch von unserer Regierung ins Spiel gebracht. Nur passiert ist dann nichts.

    AntwortenLöschen
  4. lol, bevor ich weiterlese und mich noch maßloser aufrege ... "Zum Vergleich: als Roosevelt 1933 dem damals neuen Keynesianismus fogte, waren die Früchte nur fünf Jahre später bereits zu ernten und brachten eine mehrere Dekaden umfassende Phase von Wohlstand und Wachstum..." Sag mal, gehts noch? Du hast kürzlich mal eingestanden, dass du von wirtschaftlichen Dingen keine Ahnung hast, und jetzt spielst du dich so auf mit solchen völlig lächerlichen Äußerungen? Die Früchte waren 5 Jahre später zu erkennen? So ein absolut indiskutabler Unfug. Wer vom Erfolg des New Deal spricht, hat es schwer da in die Tiefe zu gehen. Und nun kommst du daher und behauptest 1938 hätte es eine Besserung gegeben? Ist so ein Unfug dein Anspruch an dein Blog?

    "We have tried spending money. We are spending more than we have ever spent before and it does not work. And I have just one interest, and if I am wrong ... somebody else can have my job. I want to see this country prosperous. I want to see people get a job. I want to see people get enough to eat. We have never made good on our promises.... I say after eight years of this Administration we have just as much unemployment as when we started.... And an enormous debt to boot!"

    Henry Morgenthau, Jr., US-Finanzminister, May 9, 1939 als man bei kaum veränderter 17% Arbeitslosigkeit lag, während man sich andernorts ohne New Deal weitaus schneller erholt hatte.

    AntwortenLöschen
  5. Du unterschlägst bei deinem bequemen New-Deal-Bashing, dass die zweite Rezession am Ende der Dreißiger Jahre durch eine neue Phase der Austeritätspolitik hervorgerufen worden war.

    AntwortenLöschen
  6. Ein sehr guter Beitrag!

    Nur den letzten Abschnitt sehe ich ein wenig kritisch. Was die SPD jetzt redet, muss nicht notwendigerweise viel damit zu tun haben, was sie tatsaechlich spaeter umsetzt, wenn sie in Regierungsverantwortung ist. Auch ueber den Mindestlohn hat die SPD in Wahlkaempfen schon viel geredet, aber keinen Finger geruehrt, wenn sie die Moeglichkeit hatte, ihn auch umzusetzen. Deshalb bleibt abzuwarten, ob sich hier wirklich ein kleiner Fruehling ankuendigt, oder ob die Sozialdemokraten derzeit lediglich kurzfristig aus wahlkampfstrategischen Gruenden ihre Rhetorik der Situation anpassen ...

    AntwortenLöschen
  7. @Stefan, was redest du denn da. Austeritätspolitik? Das ist absoluter Schmarrn, da kannst du dich nicht rausreden. Du bist völlig auf dem Holzweg. Ausgaben haben zugelegt zum Ende der 30er. http://www.safehaven.com/article/18865/the-failure-of-roosevelts-new-deal-proves-why-obamanomics-cannot-work

    AntwortenLöschen
  8. Dein "rundester" Artikel bislang, den ich gelesen habe. Lob! ;-)

    AntwortenLöschen
  9. Zur Sackgassen-Metapher, die in diesem Zusammenhang wohl von von Erich Kästner stammt, nur mal ein kleines Zitat von mir aus dem Jahr 2006:

    "Offenbar stimmt der furchterregende Satz Erich Kästners tatsächlich, der in den 30er Jahren gesagt hat, dass in Deutschland ein Weg offenbar erst bis zum bitteren Ende gegangen werden müsse, bevor zumindest ein Teil der Verantwortlichen erkennt, dass es sich um eine Sackgasse handelt – der Rest 'knallt stur mit dem Kopf vor die Wand, bis er blutig ist und zum Denken gewiss nicht mehr taugt'."

    http://verhartzt.beeplog.de/52839_131018.htm

    Im Übrigen muss ich Ralf M. Leonhardt zustimmen: Es ist doch grotesk, in einer solchen schier ausweglosen Situation ausgerechnet die SPD als mögliche "Retterin" auszumachen. Diese Partei hat nun wirklich nachhaltig und dauerhaft bewiesen, dass sie mit Sozialdemokratie nicht mehr das Geringste am Hut hat - und gerade der so hoch gehandelte Kanzlerkandidat Steinbrück ist der lebendige Beweis dafür, dass dies auch in der nahen Zukunft weiterhin der Fall sein wird.

    Ein paar weitere hohle Phrasen, Anträge, Pressetexte etc., die von diesen scheintoten Opportunisten nun abgesondert werden, können nicht darüber hinweg täuschen, dass dem Urteil Jens Jessens in der "Zeit" nichts hinzuzufügen ist, wenn er schreibt:

    "Und in der Tat haben die Politiker von einer Wahl nichts zu befürchten: Der Bürger, der die Politiker für ihren Verrat an seinen Interessen bestrafen möchte, fände keine Partei im demokratischen Spektrum, die bereit wäre, sein Interesse gegen die Wirtschaft durchzusetzen. Er könnte in Deutschland die SPD gegen die CDU oder die CDU gegen die SPD oder beide gegen die Grünen auswechseln, ohne dass sich am Katzbuckeln vor dem Kapital etwas ändern würde."

    http://narrenschiffsbruecke.blogspot.com/2011/09/das-ende-der-demokratie.html

    AntwortenLöschen
  10. Um ehrlich zu sein habe ich Kästner nie gelesen. Die Metapher ist aber auch nicht rasend innovativ ;)

    AntwortenLöschen
  11. @ Stefan:

    Tatsächlich nie Kästner gelesen? Den lege ich Dir wärmstens ans Herz ;-)

    AntwortenLöschen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.