Freitag, 16. September 2011

Die ganz große Koalition?

Von Stefan Sasse

In der ZEIT wird der Gedanke formuliert, dass Angela Merkel sich von CSU und FDP trennen und stattdessen mit SPD und Grünen zusammenarbeiten sollte. 
Auch hier gibt es große Unterschiede in der Bewertung der angebotenen Lösungsansätze. Doch nehmen führende Sozialdemokraten und Grüne ebenso wie entsprechende Christdemokraten – allen voran Finanzminister Wolfgang Schäuble – die Herausforderung in ihrer ganzen Größe an.
Mit der Einschätzung hat die ZEIT sicherlich Recht; FDP und CSU sind irgendwo zwischen Heinrich Brüning und Franz Josef Strauß stecken geblieben. Natürlich ist diese ganz große Koalition nur schwer vorstellbar. SPD, Grüne und CDU in einer Koalition? Auch die Aufkündigung der Fraktionsgemeinschaft mit der CSU ist, gelinde gesagt, unwahrscheinlich. Das wissen sicherlich auch die Journalisten bei der ZEIT, keine Frage. Es geht auch weniger um den Realitätsgehalt dieses Szenarios, sondern vielmehr um die Tatsache an sich: in der größten Krise der Bundesrepublik - und ich habe keinen Zweifel daran, dass wir uns in dieser befinden - sind zwei von drei Regierungsparteien anderer Meinung als die Hauptregierungspartei und sabotieren sie nach Kräften, während zwei von drei Oppositionsparteien sich an staatstragendem Gebaren überbieten.

Was aber erwachsen daraus für Konsequenzen? Eine Konsequenz ist sicherlich, dass die Schwarz-Gelbe Regierung ein Auslaufmodell ist, ein lame duck. Sie wird 2013 nicht wieder aufgelegt werden. Wenn etwas sicher ist, dann das. Bis dahin muss die FDP ihr blankes Überleben sichern, während die Union größtenteils darauf Wert legt, nicht zu viele eher rechtspopulistische Stammwähler zu verprellen. Für gewöhnlich hält man diese Klientel mit Forderungen nach schärferen Gesetzen und harten Einsätzen gegen Demonstranten bei Laune. Jetzt reicht das nicht mehr.

Auf der anderen Seite profitiert besonders die SPD von der aktuellen Situation. Kein Wähler erwartet von ihr ernsthaft, dass sie auf rechtspopulistische Instinkte eingeht. Sie kann sich also voll in die Bresche werfen, die die Union aus Eigeninteresse nicht ausfüllen kann. Das führt sogar noch zu Gewinnen in der Wählergunst, wohl weil man der SPD plötzlich wieder mehr zutraut, und so mancher frühere Stammwähler wieder in den Schoß der Partei findet, die Augen vor vielen Realitäten bereitwillig verschließend.

Ein möglicher Weg vor dieser Kulisse wäre für Merkel tatsächlich, in der Europafrage offiziell mit den Sozialdemokraten zusammenzuarbeiten. Einen Präzedenzfall hat Nils Schmid in Baden-Württemberg mit der Kooperation in Sachen S21 bereits geschaffen. Die Koalition könnte so bis 2013 intakt bleiben, während gleichzeitig auf dem Feld der Europapolitik die Trennung vollzogen und der Wahlkampf begonnen wird. Das wäre reichlich schizophren, aber wenn wir ehrlich sind - erschien das die vergangenen zwei Jahre anders?

Es ist natürlich auch möglich, dass die FDP sich doch noch zum Koalitionsbruch entscheidet (Merkel wird das sicherlich nicht tun) und dann mit ihrem merkwürdigen Mischmaschkurs die 5%-Hürde zu nehmen hofft (was ihr gelingen sollte). In der Opposition kann sie sich dann regenerieren. Eines aber ist sicher: die tatsächlichen Mehrheitsverhältnisse im Bundestag sind praktisch irrelevant geworden. Die SPD bei 23%, die Grünen mit rund 10% fünftstärkste Kraft und die FDP bei über 16%? Lachhaft. Nach diesen Realitäten rechnet inzwischen keiner mehr.

9 Kommentare:

  1. Problem ist nur, dass dann rechts von CDU/SPD/Grünen undendlich viel Wählerpotential entsteht für eine populistisch gewendete FDP oder eine echte "Anti-Partei". Die FDP hätte alle Vorraussetzungen in diese Richtung zu gehen, wenn nicht ihr Image insgesamt so schlecht wäre.

    Das spannende: Wir können gerade den Anfang vom Ende des realtiv geeinten (und moderaten) konservativen Lagers beobachten. Es wird auch bei uns bald eher eine Parteien-Landschaft wie in den skandinavischen Ländern, Franreich oder Österreich geben, nämlich mit einer gemäßigten bürgerlichen und einer populistischen rechten Partei. Es ist ein Wunder, dass wir bislang davon verschont wurden, aber die Euro-Krise schreit geradezu danach. Es wird ungemütlich, die Phase des parteipolitischen Großkonsenses geht vorbei.

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  2. Das spannende: Wir können gerade den Anfang vom Ende des realtiv geeinten (und moderaten) konservativen Lagers beobachten. Es wird auch bei uns bald...

    Spannend finde ich an unserer Einheits-Parteienlandschaft nunmal gar nichts. Beschworene und immer wieder inszenierte Unterschiedlichkeiten, Konflikte und Reden und der Partei-Name alleine machen noch keine inhaltlichen Unterschiede aus, oder?

    CDU/SPD/GRÜNE/FDP machen neoliberale Politik und sollen für den Erhalt des Status Quo im Namen von Konzernen, Banken und Versicherungen sorgen.

    Aber ich weiß schon, ich bin ein Pessimist, Zyniker, Schwarzseher, Politikverdrossener, Negativist und Verschwörungstheoretiker. ;-)

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  3. @epikur

    Meine These ist ja gerade, dass sich diese von Dir beschriebene "Einheits-Parteienlandschaft" in Auflösung befindet. Die SPD rückt stückchenweise nach links und die FDP nach rechts.

    Wenn Du Dir übrigens eine richtig schön polarisierte politische Öffentlichkeit wünschst, guck mal ein bisschen über den großen Teich und überlegs dir nochmal. Ein Land in permanenter bürgerkriegs-naher Rhetorik und komplett politisch gespalten ist nichts, was man sich wünschen sollte.

    Ein gewisser Konsens und eine gewisse Stabilität scheinen zwar ein bisschen langweilig, wenn sie aber erstmal weg sind, wünscht man sie sich zurück.

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  4. Ich könnte mir vorstellen, dass es noch in den nächsten ein bis zwei Wochen zum Austritt der FDP aus der Regierung kommt. Zum Rettungsschirm kommt jetzt auch noch Schäubles klare Haltung zur Finanztransaktionssteuer. Eines von vielen No-Gos der "Liberalen".

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  5. Tatsächlich finde ich es extrem spannend wie sich seit geraumer Zeit die "rechten Kräfte" in der FDP und die CSU gegenseitig befeuern.

    Die letzte Bastion der alten bürgerrechtlichen FDP stellt Frau Leutheusser-Schnarrenberger dar mit ihrer sturen Verweigerung der Vorratsdatenspeicherung. Diese ist mittlerweile das Hauptziel unseres ultrarechten Innenministers aus Bayern, während die Rückendeckung aus der FDP zusehends aus bleibt...

    Die CSU und die FDP nähern sich tatsächlich immer weiter an. Aber es war klar, das die Rechtspopulisten in der CDU (die die MITTE, was immer das ist, proklamiert) keine Heimat mehr sehen können.

    Der Stammtisch hat nun zwei eigene Parteien.
    Und beide, CSU und FDP haben gute Chancen die 5% locker zu schaffen.

    Das ist allerdings der beginn eines allgemeinen Rechtsrucks. Die CDU und die SPD (=Sarrazin-Partei) biedern sich zunehmend diesem Klientel auch an.

    Und das ist Scheiße!!!!

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  6. "SPD (=Sarrazin-Partei)"

    ಠ_ಠ

    Könnste mal darlegen, inwiefern die SPD in ihrem Programm, in ihrem vergangenen Regierungshandeln oder in Gestalt anderer Mitglieder eine "Sarrazin-Partei" ist?

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  7. @anonym:
    Haben sie Sarrazin ausgeschlossen? NEIN! heisst im Umkehrschluss doch wohl, dass sie seine Thesen dulden.

    Aber was ich sonst noch loswerden muss... Wo driftet die SPD nach links? Indem die "Stones" einen auf Kanzlerkandidat machen? Wenn NeoCons als links zählen sag ich nur:

    Gute Nacht Deutschland!

    P.S.: Ist mal jemyandem aufgefallen, dass Rot-Rot-Grün in den Kommentaren zu Berlin überhaupt nicht auftaucht?

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  8. @sanctus

    Die Spd fordert höhere Steuern, eine europäische Wirtschaftspolitik, einen Mindestlohn und eine Bürgerversicherung. Alles "linke" Positionen. Wenn übrigens eine Volkspartei Leute duldet, die nicht die Mehrheitsmeinung der Partei repräsentieren, ist das ein ganz normaler Vorgang und bedeutet weder, dass die Basis noch das die Spitze dessen Meinung irgendwie teilt (was nicht heisst, dass man ihn nicht besser hätte rausschmeissen sollen). Es war aber doch die SPD, die immer Anwalt der "Gastarbeiter" in den 60er und 70er Jahren war, es ist doch die SPD die sich für Integration und eine bessere Bildung von Migrantenkindern einsetzt. Es ist die SPD, die sich für die Integration der Türkei in die EU eingesetzt hat. Du solltstes vielleicht mal öfter Deine Meinungen anhand der Realität überprüfen.

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