Von Jens Berger
Wer denkt, die Massenmedien würden durch ihre Simulation von Meinungspluralität tatsächlich auf die Gegenöffentlichkeit eingehen, irrt gewaltig. Der Siegeszug des Internets und der sozialen Netzwerke ist am ehesten mit der Erfindung des Buchdrucks zu vergleichen. Vor Gutenbergs revolutionärer Entwicklung besaß die katholische Kirche de facto das Monopol für gedrucktes Wissen. Dank der Buchdrucktechnik konnte fortan jedermann, der genug Geld hatte, sein Wissen und seine Meinung verbreiten, um den kostenaufwändigen Druck eines Buches oder einer Zeitung zu finanzieren. Erst das Netz demokratisierte die Publizistik, in dem es wirklich jedermann die Möglichkeit verschaffte, andere Menschen an seinen Gedanken in schriftlicher oder audiovisueller Form teilhaben zu lassen. Dass die finanzstarken Massenmedien den Verlust ihres Meinungsmonopols nicht einfach so hinnehmen würden, war klar – sie hatten schließlich aus den Fehlern der katholischen Kirche gelernt.
Von daher überrascht es keineswegs, dass die Massenmedien versuchen, sich durch die Simulation der Leserpartizipation und des Zulassens von Meinungspluralität einen aufklärerischen, modernen Anstrich zu verpassen. Ein marodes Haus, dessen Fundament bröckelt, bleibt jedoch auch dann marode, wenn man ihm neue bunt gestrichene Fensterläden verpasst. Blickt man hinter die Kulissen, stellen sich die „Modernisierungsmaßnahmen“ der Massenmedien schnell als potemkinsche Dörfer dar.
Nehmen wir doch einmal das besucherstärkste Onlinemedium als Beispiel. Sicher, SPIEGEL Online hat sich durch seine neue Rubrik „Die Kolumnisten“ den Anstrich eines Mediums gegeben, das Meinungspluralität zulässt. Aber wie weit geht diese „Meinungspluralität“? Georg Dietz und Sibylle Berg schreiben über „weiche Themen“, ihre Kolumnen schrammen hart an der Grenze zur Belanglosigkeit vorbei und reihen sich damit mühelos in den „Panorama-Teil“ des Mediums ein. Auf so etwas muss man nicht näher eingehen. Sascha Lobos Kolumne ist zweifelsohne interessant – da aber eigentlich niemand, der sie überhaupt versteht, je großartig anderer Meinung als Lobo war oder ist, hält sich die aufklärerische Wirkung ohnehin in Grenzen, zumal sein Themenspektrum auch eng umrissen ist und allenfalls von „Netzjunkies“ als „hartes Thema“ verstanden wird. Bleiben Jan Fleischhauer und Jakob Augstein.
Fleischhauers Versuche, eine rechte Version von Karl-Eduard von Schnitzlers „schwarzem Kanal“ in Kolumnenform zu veröffentlichen, sind schlichtweg lächerlich. Der Schmalspuragitator mit seinem geifernden Hass auf alles, was irgendwie links oder aufklärerisch daherkommen könnte, mag allenfalls als überspitzte Persiflage auf die sonstige SPIEGEL-Berichterstattung durchgehen – so wird er aber wohl von den wenigsten Lesern verstanden. Der einzige Kolumnist, der hin und wieder Meinungen publiziert, die nicht auf SPIEGEL-Linie sind, ist der SPIEGEL-Mitinhaber Jakob Augstein. Er schreibt zwar viele vernünftige Sachen, schreibt aber auch viel Unfug und ist dabei ungefähr so systemkritisch wie die SPD. Mal drischt er in bester BILD-Manier auf die Linkspartei ein, mal verteidigt er einen nicht ideologischen Neoliberalismus, ohne dem Leser Antwort zu geben, was das eigentlich sein soll, mal bejubelt er die katholische Kirche. Es scheint eher so, als sei Augstein selbst die fleischgewordene Meinungspluralität. Für den SPIEGEL ist er kaum mehr als ein mehr oder weniger linksliberales Feigenblatt. Selbst seine besseren Artikel gehen in der täglichen Flut der Meinungsmache in diesem Medium unter. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer – erst recht dann nicht, wenn sie so aufgeplustert ist, dass sie gar nicht fliegen kann.
Wer denkt, SPIEGEL und Co. ließen nun Meinungspluralität zu, ist dieser Taktik bereits auf den Leim gegangen. Wer darüber hinaus implizit fordert, auch soziale Netzwerke und Blogs sollten sich gegenüber diametralen Positionen öffnen, erinnert an Sicherheitspolitiker, die von den Taliban fordern, sich den hochgerüsteten NATO-Truppen in offener Feldschlacht zu stellen, und jeden Akt asymmetrischer Kriegsführung als feige brandmarken. Dieses martialische Beispiel mag überzogen sein – die Grundlage der krass unterschiedlichen Kräfteverhältnisse gilt jedoch auch für die „Meinungsschlacht“ zwischen den Massenmedien und den Blogs. Würden Blogs sich einer selbstzerstörerischen Meinungspluralität öffnen, würden sie das Prinzip der Gegenöffentlichkeit ad absurdum führen.
Internetangebote wie die NachDenkSeiten nutzen ihre – im Vergleich zu den Massenmedien – erschreckend geringen Mittel, um einen Gegenpol zur Meinungsmache und der angestrebte Deutungshoheit des Mainstreams zu bilden. Warum sollte man dieses Werk, das aufgrund der unterschiedlichen Kräfteverhältnisse ohnehin irgendwo zwischen Kärrner- und Sisyphusarbeit angesiedelt ist, auch noch dadurch unterminieren, dass man so „fair“ ist und der Gegenseite auf der eigenen Plattform Raum für eben diese Meinungsmache bietet, die man ja eigentlich bekämpfen will? Wenn David und Goliath sich der Waffengleichheit verschreiben, wird immer Goliath gewinnen. Wenn die Gegenöffentlichkeit sich der Meinungspluralität verschreibt, wird sie damit ihr eigenes Grab schaufeln. Wir sind die Empörten, die den auffahrenden Panzern Blumen ins Geschützrohr stecken und wissen, dass jeder Kampf mit gleichen Mitteln aussichtslos für uns ist.
Dieser Artikel ist eine Replik auf diesen Artikel.
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Jens Bergers Welt und die seines Klientels ist in Wildwest-Manier fein säuberlich unterteilt in Gut und Böse. Mit dieser Sichtweise kann es tatsächlich nur noch um Kampf und nicht um Austausch von Argumenten gehen. Wie förderlich für eine "bessere Welt" das wäre, ergibt sich schon aus der Vorstellung, wie es wäre, wenn diese Leute im wahren Leben Macht über andere Menschen ausüben könnten.
AntwortenLöschenInsofern volle Zustimmung für Stefan Sasse und klare Ablehnung gegen Jens Berger.
Wenn ich auf einen Artikel, in dem es um Meinungspluralität geht, eine Replik verfasse, in der ich eine völlig gegensätzliche Meinung vertrete... dann habe ich den ursprünglichen Artikel doch bereits durch die Handlung bestätigt, obwohl mein Inhalt ein völlig anderer ist, oder?
AntwortenLöschenWenn das die Intention von Jens war: Alle Achtung!
Ja, Herr Jens Berger hat sich mit seinem Text selbst öffentlich vorgeführt. Sein effektvoller Netzabgang sei ihm gewünscht.
AntwortenLöschenAus Jens Bergers Texten spricht ohnehin immer wieder, dass er politische Debatten nur hinter seinem Monitor als Herr seines Blog-Reiches kennt.
AntwortenLöschenSonst hätte er eher mal am eigenen Leib erfahren, wie es ist, wenn seine Definition von links oder linksliberal nicht geteilt bzw. als unzureichend, nicht radikal genug für den Systemwechsel angesehen wird und ihm daher als Systemstützer Redeverbot erteilt wird.
Diese Weltfremde Jens Bergers ist nur frappierend. Wie er diese auch noch zur Schau trägt, macht ihn zu einer der leider traurigeren Gestalten der linken Bloglandschaft.
Ich finde euren Anspruch völlig übertrieben. Wir reden hier von (Meinungs-)Blogs und nicht vom vermeintlich seriösen Journalismus! Dieser Vergleich, diese Vermischung von Blog und Journalismus wird (fälschlicherweise)immer wieder gemacht!
AntwortenLöschenVom Journalismus, mit mehr oder weniger großen Redaktionen, von Tageszeitungen, von öffentlich-rechtlichen TV-Sendern usw. erwarte ich eine ausgewogene, gut recherchierte Berichterstattung, in der es eine breite Meinungspluralität gibt. Von einem Blog, der meist von nur einer (!!!) Person betrieben wird, die das meist auch noch ehrenamtlich macht, kann ich so etwas nicht erwarten. Das ist völlig überzogen.
Auch wenn im Falle Jens Bergers nicht ganz klar ist, ob er nun Blogger oder Journalist sein will. Für die Merhheit der Blogger ist der Fall aber klar.
epikur, es fängt doch schon mit den Leserkommentaren an. Nur allzu häufig stürzen sich die Apokalypse-Hardliner auf diejenigen, die den Chor des Weltuntergangslieds nicht im absoluten Einklang mitsingen, d.h. differenzieren.
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