Donnerstag, 1. April 2010

Der Staat als Reparaturbetrieb des Neoliberalismus?

Von Jürgen Voß

Die momentane Bankenkrise und deren Reparatur durch den Staat, also durch den Steuerzahler und damit durch uns alle, sollte allen politisch Interessierten, die den Verstand nicht an der neoliberalen Garderobe abgegeben haben, Anlass sein, darüber nachzudenken, was diese fatale Ideologie noch so alles angerichtet hat und in Zukunft – jetzt schon absehbar – an Schäden noch anrichten wird. Denn es ist zu erwarten, dass eine – historisch gesehen - kurze politische Phase von vielleicht 30 – 40 Jahren Folgen zeitigen wird, die – und da ist die Frage der Generationengerechtigkeit mal zu Recht gestellt – noch unsere Kinder und Kindeskinder belasten werden.


Da ist zunächst die Finanzmarktkrise, die dazu geführt hat, dass ein angeblich kurz vor dem Ausgleich stehender Haushalt nun mit der höchsten Schuldenbelastung klar kommen muss, die es je gegeben hat. Da die Verantwortlichen für dieses Desaster nach wie vor die bestimmenden Kräfte sind, ist an eine prophylaktische Regulation der Finanzmärkte für die Zukunft nicht zu denken, wogegen auch der jetzt diskutierte Pippifax einer Bankenabgabe nichts ändern wird. Nach der Finanzkrise ist also vor der Finanzkrise. Die nächste wieder Milliarden kostende Rettung ominöser Geldinstitute steht also auf der „Agenda“, der von „2010“ ebenso wie der von „2020“.
Nächstes neoliberales Modellprojekt: Der flexibilisierte Arbeitsmarkt. Für die Betroffenen bedeutet er: Zementierter Niedriglohnsektor, völlige Entrechtung am Arbeitsplatz, Rückmarsch in den Frühkapitalismus, Aufstiegsmöglichkeiten (etwa ganz anders als in den fünfziger und sechziger Jahren) gleich null.
Für den Steuerzahler fallen gleich zwei Rechnungen an: In der Gegenwart die direkte und indirekte Subventionierung durch Aufstockung von Niedriglöhnen und Förderung der staatlich lizenzierten Schwarzarbeit (400 Euro-Jobs), in der Zukunft, durch den Echoeffekt einer jeden Erwerbsbiografie, eine extrem kostenintensive Linderung – von Beseitigung wird keiner sprechen – der Altersarmut der nächsten Rentnergeneration. Die politisch Verantwortlichen des Jahres 2030 bis 2050 werden es sich gar nicht erlauben können, eine Alterspopulation von 20 Millionen Menschen in Armut und Elend über zwei bis drei Jahrzehnte mitzuschleppen. An einer steuerlichen Ergänzung der Niedrigrenten und einer drastischen Anhebung der Grundsicherungsbeträge wird man gar nicht vorbei kommen.
Dritte Reparaturstelle: Die unbedingt notwendige Entprivatisierung der Altersvorsorge also ein kompletter „roll back“. Bofinger, der einzige vernunftbegabte unter den sog. Wirtschaftsweisen, spricht es heute schon an: Die Teilprivatisierung der Altersvorsorge hat der Rentenversicherung leere und den Privatversicherungen volle Kassen beschert, beides zum Nachteil der kommenden Altengeneration. Dieser Vorgang muss rückgängig gemacht werden. Die Steuermittel müssen in die umlagefinanzierten Rentenkassen fließen, um diese aufzustocken und um etwa, wie früher, die Höherbewertung schlechter Beitragsjahre zu ermöglichen. Nach Milliarden verplemperten Steuergeldern für Provisionen, Werbung und Verwaltungsgebühren werden wiederum Milliarden an Steuergeldern für die Reparatur dieses Unfugs fällig.
Viertens: Reparaturstelle Krankenversicherung. Während die Amerikaner in ihrer calvinistischen Verrücktheit („Jeder ist seines Glückes Schmied!) sich den zaghaften Versuchen Obamas, etwas Solidarität in die Gesellschaft zu induzieren, mit teilweise krimineller Demagogie widersetzen, versucht hierzulande eine Gilde ausgeflippter Jungliberaler in Konfirmandenanzügen den amerikanischen Status quo bei uns einzuführen: Die Krankenversicherung also nicht etwa – wie angesagt - auf eine breitere Beitragsgrundlage zu stellen, sondern ihr das solidarische Moment zu nehmen, Besserverdienende zu entlasten und bestehende Privilegien bestimmter Gruppen nicht anzutasten. Resultat wird letztlich ein entsolidarisiertes Krankversicherungswesen ohne beitragsfreie Familienmitversicherung auf Bettelgrundlage sein, mit einer eigenen Behörde als Anlaufstelle für die „Armenzuschüsse“.
Dies System wird natürlich die Einnahmenseite nicht verbessern, so dass entweder seitens des Steuerzahlers Milliarden zusätzlich (über Verbrauchsteuern und nicht über die Einkommenssteuer) ins System gepumpt werden müssen, oder es wird nur noch eine Grundversorgung auf niedrigem Niveau geboten, bei der jede heute noch selbstverständliche Leistung hinzugekauft werden muss (bei Privatversicherungen!).
Vierte Baustelle: Die Rekommunalisierung von privatisierten öffentlichen Dienstleistungen. Von den ohnehin verheerenden Folgen der Teilnahme der Kommunen am Casinobetrieb, dem Unsinn „Cross-Border-Leasing“ oder sonstigen Spekulationsgeschäften mal ganz abgesehen, wird dieser Vorgang – der ja schon begonnen hat – von der nächsten Generation ebenfalls mit Milliardenbeträgen bezahlt werden müssen. Was sich zurzeit in Leipzig abspielt, haben viele Kommunen noch vor sich.
Fünfte Baustelle (auch für „Linke“ ein Tabuthema): Die Massenzuwanderung der neunziger Jahre (7,2 Millionen Zuwanderer sind seit 1987 bis heute in unser Land gekommen – was ihnen nicht vorgeworfen werden kann - allein 4,5 Mio. in den Jahren 1990 – 1995). Auch dieses „Projekt“, dessen ideologische Begründung mit „Demographie“ und bevorstehendem (!) Arbeitskräftemangel seltsamerweise gleich zwei Lager verband: das grün-alternative und das neoliberale (zum Zwecke des permanenten Lohndumpings), wird den Einsatz – wenn man die Dinge nicht einfach so schluren lässt wie bisher – von Milliarden an Steuermitteln erfordern. Entweder „ex ante“, also als Integrationshilfen und – da die Zahl der Arbeitsplätze weiter zurückgehen wird – als dauerhaft erforderliche Transferleistungen oder aber „ex post“, als Reparaturmittel zur Beseitigung der Folgen einer total misslungenen Integration. (Die letztere Variante deutet sich als die wahrscheinlichere an.)

Der Katalog an Flurschäden des Neoliberalismus wäre jederzeit zu erweitern (man schaue nach England, welches Desaster er dort hervorgerufen hat). Insgesamt gesehen – und dahin wird jede geschichtliche Dialektik führen – wird eine alle Grundsätze der Logik negierende Ideologie wie der Neoliberalismus („Wir senken die Steuern, dann kommen hinterher mehr an Steuern rein, wir lassen die Läden länger auf, dann wird mehr eingekauft, je höher die Arbeitslosigkeit, desto mehr Zuwanderung brauchen wir, wir kappen den Kündigungsschutz, dann wird mehr eingestellt“ usw.) nicht ewig überleben, sondern, wenn auch mühsam und langsam, eine Gegenreaktion hervorrufen, vielleicht wieder eine – hoffentlich lange - Epoche der politischen Einsicht und Vernunft. Nur: Ob die sich in einer fast permanent im Wahlkampf befindlichen Republik durchsetzen kann, bei den Reparaturkosten, die fast denen eines verlorenen Krieges gleichkommen, ist m. E. sehr fraglich.

1 Kommentar:

  1. "Folgen einer total misslungenen Integration"... von allen Ausländern? Doch wohl eher einer (verschwindenden) Minderheit der Ausländer.
    Wenn die Integration total Misslungen wäre, dann würde Deutschland vollkommen anders aussehen. Übrigens, sind diejenigen die deutsch sind und deren Nachname mit einem -ski, -ske, -tzki, -sky, -itsch, etctec...oder deren (Ur-)Opa oder Oma einer anderen Nationalität angehörte auch Bürger mit Migrationshintergrund? Dann wären die Deutschen ja eine Minderheit. Bitte keine Panik. Natrürlich gibt es Stadtteile und Orte oder Bevölkerungsgruppen wo es absolut danaben gegangen ist, aber das ist immernoch die Ausnahme und nicht die Regel. Wenn man das berücksichtigt, dann kann man auch viel beruhigter, besonnener Diskutieren und das Problem angehen.
    Wenn Sie natürlich das typische Bild-Spiegel-Zeit-Welt-Klischee
    des ungebildeten Ausländers auf alle Ausländer übertragen, und dieses Bild in jeder, ihnen genehmer Person entdecken, dann entsteht das Bild, dass
    "Milliarden an Steuermitteln erfordern"...wird.

    Die Menschen mit, wie man so schön sagt, Migrationshintergrund + ausländische Unternehmen machen für Deutschland immernoch ein großes volkwirtschaftliches Plus, auch nach den, zu tode gerittenem Begriff, der Transferleistungen. Das sollte man ebenso in der Diskussion nicht vergessen.

    Einer mit Migrationshintergrund

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