Freitag, 8. Oktober 2010

Ein paar Gedanken zur Stuttgarter Infrastruktur

Von Stefan Sasse

Jens Berger vom Spiegelfechter hat eine hervorragende Zusammenfassung der Fakten aufgestellt, die gegen S21 sprechen und dabei auch die prägnantesten Strukturen der "Spätzle-Connection", also des Stuttgarter Lokalfilzes, angestellt. Nun wurde ich zufällig in dieser Stadt geboren und habe sie erst vor zwei Jahren verlassen, weswegen ich die Infrastruktur hier aus eigener Anschauung kenne. Stuttgart hat glücklicherweise nämlich nicht nur ein überaus ineffizientes Straßennetz, das jeden Tag zweimal quasi vollkommen blockiert ist, nein, es verfügt wie ganz Baden-Württemberg auch über ein sündteures Nahverkehrsnetz, das sich den Luxus mehrer unabhängiger und extrem teurer Verbünde erlaubt. Aber für diejenigen, die nicht aus der Ecke hier kommen, erst einmal eine Aufnahme aus Google Maps, damit klar wird von was wir hier eigentlich reden: 


Leider bin ich technisch nicht begabt genug, um euch das jetzt alles voll interaktiv vorzuführen, deswegen müsst ihr mit der Karte quervergleichen. Wie unschwer zu erkennen ist, ist Stuttgart keine überragend große Stadt. Seine wahre Größe erreicht es erst durch die unzähligen Vororte, die dazugehören; die City selbst beschränkt sich auf den Raum innerhalb des Talkessels, während die Vororte allesamt an den Hängen beziehungsweise am Talmund liegen. Entsprechend beengt sind die Verhältnisse. Ich wohne derzeit übrigens in Tübingen, südlich Stuttgart. Oeffingen liegt nördlich von Fellbach (östlich von Stuttgart) und ist ob seiner geringen Größe nicht auf der Karte verzeichnet, aber dieses Blog hat da nichts desto trotz seinen Namen her, und die tägliche Leserzahl könnte gut ein Drittel des dortigen Wohnraums befüllen :) 

Das S-Bahnnetz Stuttgart, das vom Verbund VVS (Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart) betrieben wird, erstreckt sich von etwa Leonberg im Nordwesten und Backnang im Nordosten bis Herrenberg im Südwesten und Nürtingen im Südosten. Es ist also, um das noch mal zu betonen, echt nicht allzu groß. Die Linien fahren dabei normalerweise diagonal, so dass alle im Stuttgarter Hauptbahnhof durchkommen, ehe sie sich wieder trennen. Diese Nahverkehrsgleise in Stuttgart sind unterirdisch. Sie fahren kurz hinter Bad Cannstatt in den Tunnel, den sie erst bei Rohr wieder verlassen, das knapp unterhalb der blauen 831 auf unserem Plan liegt. Überirdisch fährt also nur der Fernverkehr, und nur für den ist das auch ein Kopfbahnhof. Der Nahverkehr fährt durch. Ich betone das, weil man in den Berichten oft genug den Eindruck hat, dass auch der S-Bahnverkehr in den Kopfbahnhof fährt. Dem ist nicht so. Der Verkehr hat zwei Gleise, über die die S-Bahnen verlaufen, und noch mal vier oder so, über die die Stadtbahnen fahren, deren Struktur ich aber selbst nicht im Überblick habe, weil ich sie glücklicherweise selten brauche (Nachtrag: Mahä meinte, die sind eh in einer anderen, also können wir sie ignorieren). 

Der Fernverkehr sowie die Regios fahren dagegen in den Kopfbahnhof ein, über jene Gleise von deren Verkauf an irgendwelche dubiosen Immobilienfirmen man einmal das komplette Projekt zu refinanzieren hoffte, ehe man bei rund 5% gelandet ist. Dafür stehen 17 Gleise zur Verfügung. In Worten: siebzehn. Das macht insgesamt rund 22 Gleise, auf denen der Verkehr im Stuttgarter Kopfbahnhof abgewickelt wird. Dass das über die Gebühr lange dauern würde, kann man nicht behaupten. Meine letzte Fahrt mit dem ICE nach Berlin anno 2008 hatte in Stuttgart die gleiche Haltezeit des ICE wie im brandneuen, geschniegelten Berliner Durchgangsbahnhof. Der war hübscher, gar keine Frage (kann Jens bestimmt auch noch bestätigen), aber substantiell schneller war man da auch nicht unterwegs. 

Diese Gleise sollen nun auf insgesamt vier reduziert werden, die alle unterirdisch fahren. Zugegeben, das futuristische Design, das dieser Bahnhof haben soll, ist schon irgendwie sexy. Aber nicht für rund 20 Milliarden, die der ganze Spaß wohl kosten wird. Keine Ahnung, ob über diese 4 Gleise auch die Stadtbahnen laufen sollen, so genau kenne ich mich in S21 auch wieder nicht aus. Aber selbst so ist es eine Reduktion von 18 Gleisen auf 4! Es gibt also wahrhaftig genügend Gründe, das Projekt mehr als albern zu finden. 

Wo wir gerade ohnehin in der Lokalfolklore sind: auf der Karte ist das etwas schwer zu erkennen, aber nördlich Fellbach (also da wo Oeffingen nicht eingezeichnet ist) liegt ein kurzer Abschnitt von etwa 2km nichts, bevor Remseck am Neckar kommt. Um von Oeffingen nach Remseck zu gelangen - mit dem Auto wenn es richtig schlecht läuft fünf Minuten - muss ich mit dem Bus zum Fellbacher Bahnhof fahren (12 Minuten), dort in die Bahn umsteigen (3 Minuten), nach Sommerrain fahren (4 Minuten), in den Bus 54 umsteigen (4 Minuten), zum Max-Eyth-See fahren (15 Minuten), dort in die U14 steigen (6 Minuten) und nach Aldingen fahren (7 Minuten), von wo ich dann zu Fuß in nur weiteren 6 Minuten am Ziel bin. Solche Strecken gibt es hier zuhauf, und da bräuchte man keine Milliarden investieren. Anderes Beispiel: diesen Sommer habe ich bei Bosch in Bad Cannstatt gearbeitet. Mit dem Auto war in 12 Minuten dort. Mit der Bahn brauchte ich knapp 50 Minuten, ohne das genauer aufzuschlüsseln.

Diese Strecken aber sind der Grund, warum sich Tag für Tag eine Blechlawine durch Stuttgart wälzt und die ohnehin katastrophale Straßenführung zum Bersten bringt. Dazu kommt, dass die VVS deutschlandweit der teuerste Verkehrservund ist. Für die lächerliche Strecke von Herrenberg nach Fellbach beispielsweise, also etwa 40km, bezahlt man einfach 6,65€. Da die VVS aber nur einen relativ kleinen Bereich des Ländle abdeckt, das sich den Luxus diverser Verkehrsverbünde erlaubt (wie naldo) die alle ihre jeweils eigenen Tarife erheben, kostet beispielsweise eine Fahrt von Fellbach nach Tübingen (etwa 60km) mindestens 9,20€. Einfach, versteht sich. Zum Vergleich: Brandenburg und Berlin haben zusammen einen Verbund.

Wer sich jetzt fragt, ob der Beitrag eigentlich auf irgendetwas hinauswill - nein. Es ist lediglich eine Erzählung aus dem Land, wo das Häusle-bauen zwar zu den Urtugenden zählt, dies jedoch laut Merkel von den eingebohrenen Hausfrauen ohne Kredite bewerkstelligt wird, wo die CDU Kartoffelsäcke zur Wahl stellen könnte und wo es, immerhin, Spätzle mit Soße zum Schnitzel gibt.

12 Kommentare:

  1. Ui, da muss ich aber ein paar Dinge korrigieren:

    * Der jetzige Hbf hat je nach Zählung 17 oberirdische Gleise: Es gibt noch ein Gleis 1a, wo auch (wenn auch selten) Züge fahren.

    * Der S21-Bahnhof soll 8 Gleise für den Regional- und Fernverkehr haben. 4 wären echt albern. Die separaten S-Bahn-Gleise bleiben erhalten.

    * Der Nahverkehr fährt sehr wohl oberirdisch in den Kopfbahnhof ein, sofern es sich nicht um die S-Bahn handelt. Das betrifft also alle Regionalbahnen und -expresse.

    * Die Stadtbahn hat mit alledem (fast) nichts zu tun, weil das ein technisch, betrieblich und juristisch völlig separates System ist. Insbesondere sollen auch bei Stuttgart 21 die Stadtbahnen nicht auf denselben Gleisen fahren wie der Fernverkehr, das bleibt getrennt.

    * In Stuttgart gibt es auch nicht mehrere Verbünde. Richtig ist, dass in der *Region* Stuttgart, welche noch die Landkreise Ludwigsburg, Böblingen, Esslingen, Rems-Murr und Göttingen umfasst, letzterer nicht in den VVS integriert ist.

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  2. - Gut, ich hab immer nur das Schild "1-16" im Kopf ^^
    - Ich hatte vier gehört. Gut, ist aber immer noch deutlich weniger. :)
    - Die Regios zähl ich net zu Nahverkehr...da ist wohl das Vokabular durcheinander gekommen.
    - ok.
    - Ja, da war auch BaWü gemeint und net Stuttgart.

    Fehler im Text korrigiert, Kommentare bleiben als Mahnmal meines Scheiterns erhalten ;)

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  3. Kleine sprachliche Spitzfindigkeit: "Nichtsdestotrotz" ist ursprünglich ein Scherzwort. In ernstgemeinten Texten schreibt man besser "trotzdem", "dennoch" oder "nichtsdestoweniger".

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  4. Das Beispiel Oeffingen-Remseck klingt nach erstklassiger Verkehrsplanung. Und ich dachte, solch einen Unsinn gibt es nur hier in der Tiefebene.

    Aber die 6,65€ für 40km möchte ich mal ein wenig in Relation zu setzen: hier oben im Norden liegt der Preis beispielsweise für die ~30km nach Hannover bei 7,10€ und Ermäßigung gibt es erst innerhalb des Großraums (~25km auf meiner alten Strecke). Die Strecke Minden-Hannover sind in etwa 65km und da ist man mit 11,50€ dabei - einfach, 2. Klasse, RE. So teuer ist euer Verkehrsverbund nicht. ;)

    Um die Jahrtausendwende bin ich übrigens noch mit einem 10er nach Hannover und zurück gekommen - aber DM, nicht Euro.

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  5. @Anonym: Ich seh Sprache als einen dynamischen Prozess. Mir war bisher nicht bekannt, dass es ein Sprachwort ist^^ Inzwischen kann man es in meinen Augen also nichtsdestotrotz ernsthaft verwenden ;)
    @Chris: Wie teuer ist bei euch im Nahbereich, also ein oder zwei Haltestellen? Die kosten hier im allgemeinen knapp zwei Euro.

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  6. @Stefan
    Eine Haltestelle weiter kostet 2,10€, zwei Haltestellen weiter sind es dann 3,20€.

    Ehrlicherweise muss man natürlich zugeben, dass der Vergleich nicht sinnvoll ist. Vergleicht man eure Preise mit denen des Verkehrsverbundes Hannover, so kosten die Tickets hier nur noch rund die Hälfte. Erst wenn man den Einzugsbereich verlässt, gehen die Preise massiv in die Höhe.

    Wieder einmal ein wundervolles Beispiel, wie leicht man durch geschickte Wahl der Bezugsdaten komplett gegensätzliche Schlussfolgerungen ziehen kann. ;)

    Zu meiner Verteidigung sei erwähnt, dass ich während meiner Zeit als pendelnder Student ausserhalb des Großraums gewohnt und mich angesichts der Preise hämisch über meine Semestercard gefreut habe.

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  7. Ja, mit Semesterkarte isses natürlich besser, aber das ist immer so.

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  8. Herr Sasse

    wenn´s techn. nix vonner Sach´ verstehn, Herr Sasse, warum haltens dann nicht emol das, was Schwobn´s Maul nenn?

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  9. Weil, om's a mole ganz kloar zom saga, mr scho längschd nemmr uffm ärdball romrenna dädet, wenn mr älläs emmr bloss d' Experda überlassadet. Außerdäm bin i a groaßer freind von dr meinungsfreiheid, weswäga i mr die au nemm wenn's mr passd.

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  10. Ein schöner Beitrag zur Integrationsdebatte.
    Als Badener muss ich schon sagen, dass ich mehr als froh bin, dass endlich das Tabu gebrochen ist. Uns war das schon lange klar, jetzt sieht es auch der Rest der Republik: die Schwaben sind integrationsunwillig. Ihre Religion mit der heiligen schwäbischen Hausfrau war mir schon immer suspekt. Und erst die extremistischen Häusle- und Autobauer! Und jetzt dieser Mangelnde Respekt vor der Obrigkeit, Pfui!Und Hochdeutsch wollten die noch nie sprechen - jetzt wird es aber Zeit!
    Wenn es nach mir ginge, hätte ich nicht den ausrangierten Gutmensch Geisler in die schwäbische NoGo-Area geschickt, sondern unsere Integrationsgeheimwaffe Thilo Sarrazin!
    A wo kumm wa noh, wenn wa in unsam land net mee doidsch schbresche däde!

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  11. Zum Preisvergleich
    Die Fahrt Pirna - Meißen (45 km) kostet im Verkehrsverbund Oberelbe (Großraum Dresden) als nichtermäßigte Einzelfahrt 7,50 Euro, als Viererkarte immer noch 7,00 Euro.

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  12. Ich wollte mich noch mal in die Gleise-Debatte einmischen:
    - 4 Gleise bei S21: gemient sind Zu-/Abfahrten, nicht Bahnsteigkanten.
    -- dann sind es im jetzigen Kopfbahnhof 5.

    - beim Thema Nahverkehr ist dir auch einiges durcheinander geraten: mit dem Regiozug nach Tübingen kann man mit VVS-Ticket fahren. Im Heilbronner auch zumindest ein Stückweit. Interessant ist, dass man nirgends gesagt bekommt, ob nun ein VVS- oder ein BaWü-Ticket günstiger wäre - man muss sich informieren

    - insgesamt informiert man sich besser nicht beim Spiegelfechter sondern an der Quelle (kopfbahnhof21.de, da werden auch die "21 guten Gründe" kommentiert.)

    - zu den Preisen: im Bereich des VVS gibt es noch die Kurzstrecke: 3 haltestellen (außer S.-Bahn) kosten 1 Euro.

    Grüße,
    MCBuhl

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