Sonntag, 18. September 2011

Zur Wahl in Berlin

Von Stefan Sasse

Es ist ein merkwürdiges Gefühl. Irgendwas sollte man doch eigentlich zu der Wahl zu sagen haben, aber was? Die FDP hat, erwartungsgemäß, die 5%-Hürde verfehlt. Dass sie es so eindeutig tun würde - bei knapp 2% - ist eine Überraschung, zugegeben, aber ernsthaft verwunderlich ist es nicht. Es ist eher ein "ach, wieder ein paar Zehntelprozent Wahlberechtige zu klarem Verstand gekommen?" als dass man sich lange mit der Suche nach Ursachen aufhalten würde. Kubicki hatte Recht, die FDP hat als Marke verschissen. Und zwar absolut zu Recht. Natürlich werden wir bald hören, dass das auf gar keinen Fall so gesagt werden kann, dass Berlin eine besondere Situation war und dass die Piraten Schuld haben. Ja, die Piraten. Die sind die große Überraschung des Abends. Dass sie die 5%-Hürde knapp nehmen würden, gut, das war vorauszusehen. Aber 9%?

Das kann man auch nicht mehr mit Überläufern aus dem FPD-Wählerpotential erklären, denn die Gelben haben schon vorher von solchen Ergebnissen nur träumen können. Auch die Grünen haben eingebüßt. Deren Ergebnis ist zwar eigentlich richtig gut, angesichts der hohen Erwartungen aber konnte es nur enttäuschen und wirkt wie eine Niederlage. Für Künast ist es das, für die Partei eher nicht. Die wird wohl an Seite der SPD regieren. Die LINKE hat erneut verloren, auch das war vorauszusehen. Auch die relative Stärke der SPD und die Schwäche der CDU überraschen kaum. Interessant ist deswegen letztlich nur das hohe Abschneiden der Piraten. 

Sicherlich sind die zum Teil ein hippes Sammelbecken für Proteststimmen, wie es vor kaum einem halben Jahr noch die Grünen waren. Aber es ist auch eine profunde Unzufriedenheit mit dem Umgang besonders der beiden großen Parteien SPD und CDU mit dem Internet und der Community, der ständige, von jeder Sachkenntnis befreite Alarmismus mit seinen immer absurderen Verbotsvorschlägen, der hier eine Rolle spielt. In den großen Städten finden die Piraten tendenziell mehr Wähler dieser spezifischen Schicht, und Berlin ist eine einzige Großstadt. Ob sie sich auch werden bundesweit etablieren können? Vielleicht. Wenn, dann dürfte es interessant werden zu sehen wie sich zu anderen Themen positionieren. Denn da haben sie bisher vor allem durch Unkenntnis geglänzt. Der Charme der jugendlichen Anfänger aber dürfte bald verfliegen, und dann werden harte Entscheidungen zu treffen sein. Sozialstaat, Euro-Krise, Mindestlöhne, Außenpolitik - was sagen die Piraten hier? Man weiß es nicht. Sie sind da eine Wundertüte.

13 Kommentare:

  1. Wundertüte trifft es. Bissel Ultraliberal, bissel links, bissel unentschieden. Selbst wer Piraten wählt, weiß oft nicht wofür...

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  2. Die politische Bewegung, die sich hauptsächlich im Internet formiert, bzw. sich aus dem Internet formiert, ist halt nunmal in Berlin am stärksten.

    Ich persönlich hatte in der Vergangenheit auch eher den Eindruck, dass man halt als Netizen die Piraten wählt...völlig unabhängig, auf welchen Pfaden sie wandeln. Man nimmt das so hin, weils so ist.

    Und das scheint mir auch der Vorteil der Piraten zu sein, denn ich denke sobald sie sich in Kernthemen festlegen, wird es schwer, diese völlig inhomogene Gruppe irgendwie zusammenzuhalten. Und sein wir ehrlich: Urheberrechte, Datenschutz und sonstiges sind zwar wichtige Themen, aber traditionell für einen Großteil eher am Rand interessant. Damit schärft man sein Profil, aber gewinnt keine Wahlen

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  3. Aus Stefan Sasse spricht da doch der Frust, dass es keine Menschen gibt, die sich für eine bessere Politik in seinem Sinne zur Wahl stellen.
    Die Piraten zeigen, dass es möglich ist, gegen die Etablierten Erfolg zu haben, aber warum gibt es keinen Zusammenschluss von Menschen, die eine von Sasse gewünschte Politik vertreten?

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  4. Edi, sorry, was erwartest Du? Stefan Sasses Klientel sind Maulhelden, die es absolut nicht gebacken kriegen, gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen.
    Was muss das für ein herber Schlag ins Gesicht von Sasse & Co. sein, wenn eine Vereinigung, die nicht einmal die sozialen Sorgen und Nöte der Leute anspricht, solch einen Zuspruch findet...

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  5. Das Ironische an den Piraten ist ja das völlige Auseinanderfallen ihrer eigenen Existenzgundlage und ihrer Rhetorik: Eine Partei, die allen Ernstes nichts wichtigeres zu tun hat als den lieben langen Tag über Bürgerrechte im Internet zu diskutieren, scheint ja ansonsten keine besonders drängenden probleme zu sehen. Und das ist irgendwie lustig, wenn man sich mal die Rhetorik der Piraten über die "etablierten" Parteien anguckt. Da bekommt man nämlich den Eindruck, dass diese aus entweder Vollversagern oder Möchtegern-Diktatoren bestehen. "Alles läuft schlecht und falsch, die Politik völlig am Ende", so der Tenor. Aber scheint nicht alles ziemlich gut zu laufen, wenn das wichtigste politische Ziel wirklich ein bisschen VDS- und Copyright-Gedöns ist?

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  6. An den Vorredner:
    Wenn die sozialen und andere Fragen die Lebenwirklichkeit der Bürger stärker betreffen würden als die Themen der Piraten, hätte die LINKE nicht 2 Prozent verloren, während die Piraten 9 Prozent gewonnen hätten.

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  7. Der Südwesten Berlins (die "vornehme", reiche Gegend voller schicker Villen) ist immer noch voll in CDU-Hand. Die Reichen wissen eben, wer was für sie tut.
    - Klaus

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  8. Ist es nicht erstaunlich, dass die Piraten, die genauso wie 'die Linke' von den Medien ausgegrenzt und stigmatisiert werden, durch ihre Präzens im Internet dies wettmachen konnte.

    Wahlen werden zukünftig im Internet gewonnen.

    Die Linke hat viel zur Aufklärung über Misstände beizutragen.

    Sie ist zu wenig im Internet präsent.

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  9. Zitat Sasse: " Sozialstaat, Euro-Krise, Mindestlöhne, Außenpolitik - was sagen die Piraten hier? Man weiß es nicht."
    Euro-Krise und Außenpolitik sind eher Bundespolitik und hat mit Berlin als Stadt/Bundesland erstmal primär wenig zu tun. Das die Berliner Piraten zu Sozialstaat und Mindestlöhnen klare Positionen im Programm haben, kann einem eigentlich nicht entgangen sein.

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  10. Stefan Sasse hat sich mit den Piraten nicht beschäftigt, was natürlich nie ein Grund sein kann, der Welt nicht seine Meinung auf die Nase zu drücken... Man kennt das gut.

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  11. Eine Ansammlung von Bürgersöhnchen verändert die Lebenswirklichkeit von Millionen Menschen. Kenn' ich, weiß ich, war ich schon. Die Grünen haben zu Lebzeiten ihren ersten Epigonen.

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  12. Man kann deutlich sehen wie verzweifelt "der Wähler" in Berlin war. Die FDP hat außer ein paar weniger Verwandten der Kandidaten niemand gewählt - zu Recht. Aber ziemlich genau 40 Prozent der absoluten Wählerschaft ist das eigene Schicksal völlig wurscht, sei es aus Dummheit, Ignoranz oder weil man wegen Fußfäule nicht wählen gehen konnte. Hat man immer gehabt, ist ja nix Dolles in diesem Land. Aber wer so vollkommen bekloppt ist, den Piraten seine Stimme zu geben, müßte eigentlich was hinter die Löffel kriegen.
    Ein paar orientierungslose Spinner, die aus Jux und Langeweile ein bißchen Politik spielen wollen, hat nicht mal Berlin verdient. Doch dazu kommt es jetzt leider und künftig muss man sich mit sehr skurrilen Szenen im Berliner Rathaus auseinandersetzen. Forderungen wie "Taxifahren nur noch mit barbusigen Chaffeusen" oder "roter Teppich vor jedem Internet-Café" werden an der Tagesordnung sein und das real existierende Leben behindern. Bevor diese Hampelmänner gelernt haben, worum es wirklich in so einer Millionenmetropole geht, werden Jahre vergehen und zwischendrin haben sie keine Lust mehr, weil ja gar keine Zeit mehr für die Online-Ballerspiele bleibt.
    Demokratie ist ja eine prima Sache, nur sollten die Protagonisten, die diese gestalten wollen, in der Realität leben. Bei den Grünen damals war schnell klar, dass das klappt. Aber diese Piraten-Blindgänger werden ohne Navi nicht mal den Ortsausgang finden...

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  13. Anton Chigurh, soviel Verbitterung, soviel Gewimmere, weil sich niemand aufrafft, in Deinem Sinne Politik zu machen... Traurig.

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