Freitag, 14. Oktober 2011

The West Wing: Liberaler Porno

Von Stefan Sasse

Von 1999 bis 2006 lief in sieben Staffeln die Serie "The West Wing" auf dem amerikanischen Sender NBC. Die Serie bildet, leicht dramatisiert, den Alltag von "senior staff" im Westflügel des Weißen Hauses nach. Darunter fallen der Chief of Staff, sein Stellvertreter, der Director of Communications und sein Stellvertreter sowie einige untergeordnete Rollen. Sie dienen im Weißen Haus des fiktiven Präsidenten Josiah Bartlet, eines liberalen Demokraten. Markenzeichen der Serie sind vor allem die schnellen, pointierten, intelligenten und witzigen Dialoge sowie das Befassen mit politischen Problemen, die an der Realität angelehnt sind. Wer "The West Wing" gesehen hat besitzt einen sehr guten Einblick darin, wie das US-Politiksystem funktioniert, besonders, wie es hinter den Kulissen funktioniert. Da die Charaktere allesamt Liberale aus Überzeugung sind, in einer Reinheit wie man sie in der Realität wohl nur selten findet, haben manche Kritiker die Serie als "liberalen Porno" bezeichnet, da sie eine idealtypische demokratische Präsidentschaft darstellt. Zu einem gewissen Teil trifft dieser Vorwurf zwar zu; er konstituiert allerdings eher eine Stärke der Serie als eine Schwäche.

Eine kohärente Geschichte, wie sie etwa Battlestar Galactica oder Caprica anbieten, hat The West Wing nicht wirklich im Angebot. Obwohl einige Themen später wieder aufgegriffen werden - etwa die Beziehung zwischen der Präsidententochter und dem Personal Aide Charly - steht jede Folge doch relativ unabhängig unter einem bestimmten Topos. Mal geht es darum, dass ein bestimmtes Gesetz durch den Kongress gebracht werden soll, mal muss ein potenzieller Skandal abgewehrt werden, mal auf eine terroristische Attacke reagiert oder einfach nur irgendein Feiertag begangen werden. Exemplarisch werden dem Zuschauer dabei die jeweils tangierten Bereiche des US-Politiksystems nahe gebracht.

Martin Sheen als Präsident Bartlet
Dass dieses recht verkopfte, eher theoretische Konzept über sieben Staffeln tragen konnte hat hauptsächlich mit den Charakteren und der Schreibe des Seriengründers Aaron Sorkin (The Social Network) zu tun. Die Dialoge der Serie sind großartig, witzig, geistreich und unterhalten vortrefflich. Sorkins Schreibe schafft es, den Umgangston und spezifischen Duktus der Staffer glaubhaft zu transportieren. Man fühlt sich tatsächlich wie im Weißen Haus und glaubt den Darstellern ihre Rollen. Zum anderen sind die jeweiligen Plotaufhänger exzellent gewählt. Die Fälle, die zu lösen sind, sprechen eine ungeheure Bandbreite an und vermixen zumeist ein handfestes politisches Problem mit einem gesellschaftlichen, moralischen oder ethischen Problem. Wenn etwa Terroristen einen Anschlag verüben, geht die Antwortfindung weit über die reine politische Dimension hinaus. Stets muss auch die Frage der Angemessenheit von Aktionen bedacht sein und ihrer generellen Zulässigkeit. Denn Charaktere wie Situationen sind stets ambivalent.

Das ist es, wo die Kritik des "liberalen Pornos" ein wenig zu kurz fällt. Denn obwohl die Charaktere von einem recht firmen Wertesystem aus operieren, machen weder sie  es sich noch die Serie es dem Zuschauer leicht. Stets gibt es irgendjemand, der dagegen argumentiert. Stets wird auch die Gegenseite beleuchtet. Häufig - und hier darf man getrost Unrealismus vorwerfen - suchen die Protagonisten gezielt andere Meinungen, stellen gar Hardliner-Republikaner ein, um eine andere Sicht der Dinge zu bekommen. Man wehrt sich gegen die Verflachung des politischen Niveaus. Es gibt Strahlmomente, in denen diese liberalen Werte mit voller Wucht zur Geltung kommen und man sich der tristen Realität für die bessere Welt entgegenstellt. Das ist umso überzeugender, als auch die Charaktere im Pragmatismus des Alltags verloren gehen, ihre Linie sich aufweicht und nicht erkennbar wird. Irgendwann fragt sich Toby Ziegler, der Director of Communications, was von den hehren Hoffnungen eigentlich blieb und beklagt bitterlich die Tendenz des Präsidenten, stets zur Mitte zu tendieren und den Weg des geringsten Widerstands zu gehen. Oftmals scheitern die Charaktere auch und müssen mit diesem Scheitern leben. Das macht die Geschehnisse erst glaubhaft. Echte Erfolge sind selten, aber dafür umso befriedigender.


Perfekt ist die Serie nicht. Sie hat ihre Fehler, besonders in der praktisch nicht vorhandenen Charakterentwicklung. Das ist definitiv nicht Sorkins Stärke, weswegen die Charaktere erst nach seinem Weggang in der vierten Staffel an Gesicht gewinnen. Wirklich mit ihnen leiden oder mitfiebern kann man nicht; man gewinnt seinen Spaß eher aus den issues und Dialogen als an den Persönlichkeiten. Das ist umso merkwürdiger, als dass alle Grundlagen gegeben sind und spätere Schreiber darauf auch aufbauen; die Charaktere sind eigentlich interessant. Konsequenzen haben ihre Erlebnisse in den ersten Staffeln leider trotzdem nicht; Nebencharaktere, die für Plots von großer Bedeutung waren - etwa Sam Seaborns Freundin, die gleichzeitig Prostituierte ist - verschwinden irgendwann und werden nie wieder erwähnt. Dieses Problem ist erst am Ende überwunden.

Davon aber sollte sich niemand den Spaß verderben lassen. Es kann an dieser Stelle nur eine unbedingte Empfehlung ausgesprochen werden, sich "The West Wing" zuzulegen. Bislang gibt es zwar die erste Staffel auf Deutsch zu kaufen, aber wann eine Komplettsynchronisation vorliegen wird ist eher fraglich. Die Komplettbox der englischen Staffeln ist relativ günstig über Amazon zu beziehen (siehe Link) und das verwendete Englisch, obgleich oftmals schnell gesprochen insgesamt sehr gut verständlich, besonders wenn man Untertitel heranzieht. Wegen der Sprache sollte man sich keinesfalls von der Sendung abhalten lassen. The West Wing ist eine reiche, belohnende Erfahrung für jeden, der sich darauf einlässt. Ich habe die Serie bereits zwei Mal vollständig angesehen und freue mich bereits auf den dritten Durchgang.

Amazon-Kauflinks:
Erste Staffel Deutsch
Komplettbox Englisch
Erste Staffel Englisch 

Bildnachweise: 
Sheen - US Navy (gemeinfrei)

22 Kommentare:

  1. Hm, das ist eigentlich merkwürdig mit der Synchronisation. Auf dem Digitalsender Fox läuft die ja auch und da ist natürlich alles auf deutsch und ich glaub auch sämtliche Staffeln. (Jedenfalls war in einer Folge schon Santos Präsident)
    Dürfte ja eigentlich nicht so schwer sein, dann auch mal die komplette Serie auf Deutsch rauszubringen. Ich hab meine Mutter nämlich auch schon zum Fan gemacht aber der brauch ich mit der Englisch-Ausgabe nicht zu kommen.

    AntwortenLöschen
  2. Oh, in dem Fall täusche ich mich. Ich korrigiere das gleich mal.

    AntwortenLöschen
  3. Stefan, als großer TWW-Fan freue ich mich grundsätzlich, wenn die Serie auch hier bei uns mehr Aufmerksamkeit erfährt. Du allerdings solltest vielleicht lieber dabei bleiben, über Politik und Medien zu schreiben, das kannst Du nämlich scheinbar erheblich besser als TV-Serien zu rezensieren. Ist nicht böse gemeint.

    AntwortenLöschen
  4. Ist auch mehr als Empfehlung denn als Rezension gedacht. Aber was ist denn dein Problem?

    AntwortenLöschen
  5. Du bringst irgendwie nicht richtig rüber, was so toll an der Serie ist, wie es zu erklären ist, dass sie so berührt, und zwar auch uns hier, die wir mit der amerikanischen Zivilreligion bezüglich des White House erstmal kulturell nicht viel anfangen können.

    Ich finde z.B., dass die Serie auch linken hier ein positiveres Bild der "bösen imperialisten" Usa vermittelt, indem sie eine art "guten" Patriotismus zeigt und die systeminternen Handlungsrationalitäten des White House darstellt. Man bekommt ein Gefühl für diese Aura der "greatness" des amerikanischen Präsidenten, die zugleich sehr menschlich ist.

    Außerdem entwickeln sich die Charaktere vieleicht nicht groß weiter, aber super "likeable" sind so doch größtenteils schon.

    Soweit nur ein paar loose Gedanken, was ich ungefähr geschrieben hätte.

    AntwortenLöschen
  6. Stimme dir zu. Dachte aber die likeability angesprochen zu haben:

    AntwortenLöschen
  7. @ Stefan: "likeability"? Ich hör wohl nicht recht? Wofür hast Du eigentlich auch Germanistik studiert? Um uns mit derlei Unwörtern zuzuscheissen? Mann, Du weißt, ich kann Dich gut leiden, aber das sehe ich gerade Freunden nicht nach :-P

    AntwortenLöschen
  8. Habt Ihr eigentlich schon mal daran gedacht, daß es sich bei solchem Fernsehmüll vielleicht um Propaganda handeln könnte die etwas bezweckt? Nämlich, daß ihr euch mit Leuten identifiziert die definitiv nicht eure Interessen vertreten?
    Projektionsfläche wären hier dann die guten liberalen Verantwortlichen.

    Tut euch einen gefallen, und schaltet den Fernseher einfach ab und nie wieder ein.

    AntwortenLöschen
  9. "Habt Ihr eigentlich schon mal daran gedacht, daß es sich bei solchem Fernsehmüll vielleicht um Propaganda handeln könnte die etwas bezweckt?"

    1) Es ist kein Müll, es ist ganz große TV-Unterhaltung.

    2) Das sagen die amerikanischen Rechten auch. Die nennen die Serie immer abfällig "The Left Wing". Propaganda ist allerdings ein irreführender Begriff, denn die Serie ist ja nicht von der Regierung produziert. Trotzdem ist nicht abzustreiten, dass die Serie die amerikanische Regierung insgesamt als legitim und "gutwillig" portraitiert (wenn auch oft scheiternd). Wenn Du das anders siehst, bitte.

    3) Du hast prinzipiell Recht, das Weiße Haus in einer TV-Serie vertritt nicht meine Interessen. Das echte Weiße Haus natürlich auch nicht, das vertritt die Interessen der amerikanischen Regierung und hoffentlich manchmal auch des amerikanischen Volks. Aber deshalb sollte man die Serie nicht gucken? Darf ich dann auch keine Sopranos gucken und kein Mad Man? Da vertritt auch niemand meine Interessen.

    4) Dir würd es bestimmt gut tun, hin und wieder mal andere Perspektiven einzunehmen und daran zu arbeiten, eigene Feindbilder zu hinterfragen. West Wing kann Dir dabei helfen, ein besseres Verständnis von Politik im allgemeinen und US-Politik im speziellen zu entwickeln.

    AntwortenLöschen
  10. Stefan Sasse,
    befasse dich bitte mehr mit Geschichte und Politik - und schaue mehr französische, polnische oder argentinische (usw.)Filme, z.B. auf ARTE.
    der Herr Kral (vormals Till & André H.)

    AntwortenLöschen
  11. Wenigstens die Amerikaner benutzen ihren Kopf noch zum Denken; den Foristen hier gelingt das anscheinend immer weniger. Herr Sasse sollte wohl etwas weniger schreiben aber dafür etwas mehr nachdenken. Vorher wie nachher.

    Ann C. Hall
    Giving Propaganda a Good Name: The West Wing

    "[...]While 'The West Wing' clearly presents an idealized view of the White House, it is not a fault. It is part of its agenda as propaganda. It offers propaganda for liberal democrats; it offers propaganda for government in general; and it offers propaganda for collegial working environments. It is successful, particularly the first season, for presenting that propaganda in subtle and effective ways.[...]"

    AntwortenLöschen
  12. Kann man schon so sehen, allerdings muss mich niemand mehr von liberalen Demokratien, gouvernment in general und collegial working spaces überzeugen. Das fand ich auch vorher alles schon gut.

    AntwortenLöschen
  13. Und DAS eben ist das Problem bei aller Propaganda. Es werden Menschen und Ideologien schöngefärbt die eigentlich einer kritischen Betrachtung bedürften. Und dies geschieht wie Ann Hall bemerkt in einer unterschwelligen Art; sprich man zielt manipulativ aufs Unterbewußtsein ab. Journalisten mit Stil würden solchen Dauerwerbesendungen die notwendige kritischen Kommentare entgegenbringen. Schließlich ist es (wieder einmal) der Liberalismus gewesen der uns in eine schwere Weltwirtschaftskrise geführt hat. Diese Krise hält bis zum heutigen Tag an. Die Suggestion (seitens der Filmemacher) es handele sich bei unserem Führungspersonal (in diesem Fall dem amerikanischen) um anständige Menschen ist eine glatte Lüge. Das genaue Gegenteil ist (belegbarerweise) der Fall. Hier wäre nicht mehr Liberalismus sondern mehr Kontrolle notwendig.
    Es ist nicht Aufgabe des Journalismus Propagandaarbeit für Verbrecher, Großkapitalisten und deren Ideologien zu betreiben.
    Wenn man auf Propaganda hereinfällt, dann wird man natürlich immer den Herrschenden (bzw. den herrschenden Ideologien) nach dem Maul schreiben. Und das führt halt dann im schlimmsten Fall dazu, dass auch Machwerke, deren vermittelte Ideologien großen Schaden anrichten, als gut angesehen werden.

    AntwortenLöschen
  14. Du solltest Dir vielleicht erstmal klarmachen, das liberalism in den USA im Grunde das Gegenteil von Liberalismus bei uns ist. Dann reden wir weiter.

    AntwortenLöschen
  15. O.k., stimmt die Amis verkaufen das so. Aber was passiert denn dann eigentlich immer wieder tatsächlich. Ändert sich am Ende nicht nur die Oberfläche? Völlig egal ob Reps oder sonstwer dran ist. Wir werden doch verarscht. Merkst Du das nicht?

    AntwortenLöschen
  16. Du überschätzt die Macht von Akteueren und unterschätzt die Macht von Institutionen und Systemen glaube ich. Ich will das jetzt nicht groß diskutieren hier, habe leider keine Zeit, aber ich teile Deine Vorstellung von prinzipiell "bösartigen" Politikern überhaupt nicht.

    AntwortenLöschen
  17. Leider ist es halt so, daß der Ottonormalverbraucher sich treiben lässt. Dadurch entsteht ein Machtvakuum. Dieses wird von einigen wenigen "Akteuren" zu deren gunsten ausgenutzt. Dadurch können Institutionen als auch Systeme von "Akteuren" prägend geformt beziehungsweise installiert werden.

    Ein wesentliches Instrument dabei ist die Propaganda, die ja durchaus immer wieder handwerklich fantastisch gut gemacht ist.
    Ich erinnere nur noch einmal beispielhaft an die massive Werbung für den Marktradikalismus, die in den letzten 10 Jahren hier in der BRD stattgefunden hat und teilweise noch stattfindet.

    Worauf will ich hinaus. Um es ganz verkrampft auszudrücken: Die Unterhaltungsindustrie ist politisch.

    Ein Journalist sollte mit den Finger drauf zeigen und sagen: Da versucht man euch wieder die und die Sache zu verkaufen. Vorsicht! Es gibt dazu noch die Meinung von dem und dem, die haben allerdings weniger bis kein Geld und werden deshalb nicht gehört.

    Die im Dunkeln sieht man halt nicht. Wir müssen Licht ins Dunkel bringen.

    Und das nicht mit ner Taschenlampe. :-)

    AntwortenLöschen
  18. West Wing ist politisch, klar. Das sagen die auch von Anfang an. Die Figuren vertreten eine klare Agenda.
    Und es ist eine gute Agenda (sofern Toby Ziegler nicht gerade die kapitalgedeckte Altersvorsorge einführen will). Wie kann man Sätze wie "Public Schools should be temples" in einer Argumentation gegen school vouchers als Feindpropaganda abtun?

    AntwortenLöschen
  19. Ach ich hab eigentlich gar keine Zeit, aber jetzt hat mich das Thema doch nochmal dazu gebracht, WW-Videos auf Youtube zu gucken. Das Einstellungsgespräch von Ainsley ist einfach eine der besten Szenen üenrhaupt. Love it.

    http://www.youtube.com/watch?v=DUwm6WJRPIQ&feature=related

    AntwortenLöschen
  20. Martin Sheen gets it right:

    http://www.huffingtonpost.com/2011/10/18/martin-sheen-i-adore-obama_n_1017297.html

    AntwortenLöschen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.