Von Stefan Sasse
Insel bei Stendal in Sachsen-Anhalt ist ein kleines Dorf, rund 400 Seelen stark. Es ist eines dieser friedlich, verschlafenen Dörfchen irgendwo in der Pampa, in denen das Leben einen langsamen und geordneten Gang geht. Bis vor kurzem, zumindest. Seit einiger Zeit wohnen in dem Dorf zwei nach dem EGH-Urteil zur Sicherheitsverwahrung entlassene Sexualstraftäter, denen von Psychologen Unbedenklichkeit bescheinigt wurde. Ihr Plan war, in dem etwas heruntergekommenen Haus, das ihnen von einem Tierarzt vermittelt wurde, zu leben, es zu renovieren, einen Garten anzulegen und sich in das Dorf zu integrieren. Letzteres war vermutlich der Fehler, denn irgendwie gelangten die Informationen über ihre Vergangenheit vom örtlichen Jobcenter in die Klatsch-Kreise der Dorfgemeinde. Und die blies zu einer Hexenjagd, die es in sich hat und die einmal mehr in die Abgründe der Psyche einer gutbürgerlichen Masse blicken lässt, wenn sie erst einmal losgelassen wurde.
Mehrmals in der Woche versammeln sich Demonstranten vor dem Haus, schwingen Transparente machen mit allerlei improvisiertem Gerät Krach und fordern die Männer in Sprechchören zum Verlassen von Insel auf. Eine benachbarte Rentnerin trötet gar mit einer Vuvuzela, um ihrem Unmut Luft zu machen. Man muss sich das einmal bildlich vorstellen: ein Mob steht vor dem Haus, trötet mit aller zur Verfügung stehender Gewalt und fordert, dass man die Insel gefälligst verlasse. Warum? Weil die Anwohner es so wollen. Und wo solche Befürnisse bestehen, da müssen die Grundrechte schon mal Platz machen. Fast hört man das gesunde Volksempfinden leise hustend seine Rückkehr als Rechtsprinzip anmelden. Alles, was diesem Mob fehlt sind Heugabeln und Fackeln, um das Bild komplett zu machen. Sie könnten auch schon beginnen, einen Scheiterhaufen aufzuschütten; wundern würde es einen nicht. Noch pikanter aber wird der Fall dadurch, dass der Ortsbürgermeister Alexander von Bismarck der Anführer oder zumindest das Sprachrohr des Mobs darstellt.
Er beruft sich darauf, dass man das Dorf hätte informieren müssen, bevor die Männer hätten einziehen dürfen. Wo genau im Grundgesetzartikel zur Freizügigkeit im gesamten Bundesgebiet die Ausnahme für ehemalige Sexualstraftäter steht, konnte er bisher allerdings nicht aufzeigen. Das Argument ist auch vollkommener Unsinn; sieht man sich an, was bisher auf der Insel läuft wäre eine vorherige Ankündigung mit sicherlich ebenso veheerendem Ergebnis behaftet gewesen. Wir haben auch das ständige schlechte Beispiel solcher Regelungen auf bundesstaatlicher Ebene in den USA vor Augen, wo solche Menschen zum Campieren unter Brücken gezwungen sind, da sie keine Wohnung mehr finden können.
Der Mob wird durch die Reaktion anderer Einwohner außerdem gänzlich in seiner Bigotterie überführt:
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite ist Katrin Klarowitz vor die Tür ihres Hauses getreten, um eine Zigarette zu rauchen. Mit abschätziger Miene schaut die dunkelhaarige Frau, Mitte 40, schwarzes knielanges Kleid, hinüber zu den Demonstranten. "Meine Tochter ist mit elf Jahren hier im Dorf vergewaltigt worden", erzählt sie. Als sie den Täter anzeigte, hätten ihr Leute im Dorf vorgeworfen, sie versaue das Leben des jungen Mannes. "Einige von diesen Leuten stehen heute da drüben und demonstrieren gegen Sexualstraftäter, die für ihre Taten 25 Jahre gebüßt haben." (Badische Zeitung)
Ausgerechnet eine Frau, die eigentlich als Einzige auch einen Grund für Misstrauen, vielleicht sogar Hass hätte, zeigt sich als Stimme der Vernunft und erklärt außerdem, dass die Männer "keine Tiere" seien und sie eine Gegendemonstration plane. Die von ihr beschriebene Indifferenz des Mobs gegenüber einem der Ihren passt dazu ins Bild. Es ist die typische Doppelmoral, die in solchen Fällen stets an den Tag zu kommen pflegt, und die wieder eindrücklich vor Augen führt, welche Bedeutung eine vom "gesunden Volksempfinden" völlig freie und unabhängige Justiz hat. Es ist vollkommen irrelevant, und es muss vollkommen irrelevant sein, wie die Mehrheit der Menschen über einen Justizfall denkt. Wildgewordene Mobs wie der bei Stendal zeigen überdeutlich warum.
@Stefan
AntwortenLöschenEs war ein Dorf bei Stendal. Stendal ist eine Stadt mit in Sachsen-Anhalt 40 tausend Einwohnern.
http://de.wikipedia.org/wiki/Stendal
Die Demonstranten, bzw. der wildgewordene Mob hat bereits gewonnen.
AntwortenLöschen"Die zwei ehemaligen Sicherungsverwahrten (...) wollen ihren Wohnort Insel bei Stendal wieder verlassen. (...) Damit reagieren die Sexualstraftäter auf die anhaltenden Demonstrationen verunsicherter Bürger vor ihrem Haus sowie auf Drohungen aus dem rechten Milieu"
Quelle: http://www.badische-zeitung.de/deutschland-1/freiburger-ex-straftaeter-verlassen-insel--50340433.html
Deine Ortsangabe passt nicht, siehe meine Quelle: "wollen ihren Wohnort Insel bei Stendal wieder verlassen" - siehe auch: http://de.wikipedia.org/wiki/Insel_%28Stendal%29
AntwortenLöschenErinnert mich stark an die Mentalität des Mobs bei den Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen 1992.
AntwortenLöschen@Florian Röpke
AntwortenLöschenStimmt. So wie du es formuliert hast wäre es richtig.
Habs korrigiert danke für die Hinweise.
AntwortenLöschen"Auf einer Insel bei Stendal in Sachsen-Anhalt liegt ein kleines Dorf,"
AntwortenLöschenDas ist immer noch falsch, wenn ich den Berichtigungen in den Kommentaren glauben darf.
"Insel" IST der Ort bei Stendal, aber er ist keine "Insel" (Eiland, von Wasser umgeben); also müsste es in etwa heißen "Im Örtchen Insel bei Stendal". Übrigens auch im weiteren Text ist's falsch: "dass man die Insel gefälligst verlasse..."
Wieso ausgerechnet eine örtliche "Badische" Zeitung über Vorkommnisse hunderte von km weiter nördlich berichtet, sollte vielleicht auch erklärt werden.
- Jeeves
Bis auf die kleine (hier völlig unwichtige) Ungenauigkeit bei der Benennung des Ortes kann ich dem Artikel voll und ganz zustimmen. Immerhin hast Du Dich noch einigermaßen diplomatisch ausgedrückt, wenn Du diese "Demonstranten" als wildgewordenen Mob bezeichnest. Ich hätte da noch drastischere Namen in petto...
AntwortenLöschenImmerhin hat es das Thema endlich auch in die ARD und den "Marktführer" in Neufünfland, den MDR, geschafft.
Irgendwie beschleicht mich gerade ein Gefühl des Fremdschämens.
Es zeigt auch das: das Mehrheitsprinzip ist nicht immer anwendbar. Wäre es das: wehe uns!
AntwortenLöschenMeine Rede.
AntwortenLöschenSTOFF FÜR EINEN FILM
AntwortenLöschenEs spricht also auch einiges gegen "Volksabstimmungen".
AntwortenLöschen- Jeeves
Wieso ist das denn immmer noch falsch?
AntwortenLöschen---> "Auf einer Insel bei Stendal in Sachsen-Anhalt liegt ein kleines Dorf, ..." (etc.)
Ist es wirklich unmöglich das zu korrigieren?
"[...] An der jüngsten der Demonstrationen, die von Ortsbürgermeister Alexander von Bismarck (CDU) organisiert werden, hatten erstmals fast 80 Neonazis teilgenommen. Von Bismarck hatte diese als "Gäste" begrüßt. [...]" (Quelle: Naumburger Tageblatt http://bit.ly/oCW0JD
AntwortenLöschenInsel liegt in der Uchteniederung an der B188. Die Entfernung zu Stendal beträgt etwa 10 km. http://www.stendal.de/de/suchausgabe/article-151004005595.html&cidPage=1
"@Anonym hat gesagt…
AntwortenLöschenWieso ist das denn immmer noch falsch?
---> "Auf einer Insel bei Stendal in Sachsen-Anhalt liegt ein kleines Dorf, ..." (etc.)
Ist es wirklich unmöglich das zu korrigieren?"
Man, das ist ein Wortspiel! Der Ort heißt eben Insel und IST eine Insel des gutbürgerlichen Volksempfinden. Ist doch nicht so schwer zu verstehen. Wobei das mit der Insel nicht sooo ganz passt. Wenn´s danach geht, ist ganz DE ein Delta mit jeder Menge Inseln.;)