Vorlesung I (28.10.2009) – Historische Einordnung
Vorlesung II (04.11.2009) – Die Dimension des Völkerrechts und der Internationalen Beziehungen
Vorlesung III (11.11.2009) – Annexion Österreichs und Zerstörung der Tschecheslowakei
Vorlesung IV (18.11.2009) – Rechtsbruch, Indoktrination, Unterwerfung: die Wehrmacht im NS-Staat
Vorlesung V (25.11.2009) – Kriegsbeginn und Kriegsführung in Polen. Das Jahr 1939
Vorlesung VI (02.12.2009) - Völkermord
Vorlesung VII (09.12.2009) - Vernichtungslager
Vorlesung IX (13.01.2010) - Das Internationale Militärtribunal IMT: Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher
Vorlesung X (20.01.2010) – Die Nürnberger Nachfolgeprozesse
Vorlesung XI (27.01.2010) – Probleme internationaler Rechtsprechung
Vorlesung XII (10.02.2010) – Ausblick: NS-Prozesse nach 1950
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Der Anschluss Österreichs ist der letzte Revisionsakt in der Tradition des Rechtsbruchs und der Gewalt, den die Hitlerregierung verübt. Die Zerstörung der Tschecheslowakei findet auf einer anderen Ebene statt und kann als Weg in den Krieg gesehen werden; es geht nicht mehr um Versailles, sondern bereits um Volkstum und Ähnliches.
Der Begriff „Anschluss“ stammt aus der NS-Alltagssprache. Bei Verwendung dieser Begriffe muss man sich also bewusst sein, dass man im O-Ton der NS-Propaganda spricht. Die Zerschlagung der Rest-Tschechei wurde als „Griff nach Prag“ bezeichnet.
Die Annexion Österreichs war ein Gewaltakt, der in einem Raum von etwa vier Wochen mit Drohungen und militärischem Druck erzwungen. Die Westmächte und Italien akzeptierten die Annexion, wofür sich Hitler bei Mussolini später überschwänglich bedankte. Ein wichtiger Punkt bezüglich der großen Akzeptanz des Aktes in der Bevölkerung ist, dass die Nationalsozialisten nun fünf Jahre an der Macht sind und durch ihre Propaganda, erfolgreiche Außen- und große Maßnahmen in der Innenpolitik ein Rservoir von hunderttausenden fanatischen Anhängern hatten. Die Arbeitslosigkeit war fast beseitigt, auch wenn das nicht auf der NS-Wirtschaftspolitik beruht (die Infrastrukturpolitik wurde direkt von Weimar übernommen). Nebenbei sind die Reichsparteitage in Nürnberg und die Olympiade
Schlagworte des Regimes waren „Deutschlands Größe durch Stärke“, „Deutschlands Größe durch (rassische) Reinheit“ und „Deutschlands Größe durch Wiedergeburt“. Besonders der Topos der nationalen Wiedergeburt war wirkungsmächtig und ideologiekritisch äußerst schwierig zu dekonstruieren; es gab fast niemanden, der in der Lage war die Propaganda korrekt zu dekonstruieren.
Die faschistischen beziehungsweise nationalsozialistischen Länder ziehen ihre Legitimation aus „biologischer Stärke“, dem so gennannten Vitalismus. Der zweite Punkt ist eine Gewaltbereitschaft des Regimes, die international als Militarismus zutage tritt und eine konstruktive Kompromissgebung unmöglich macht, da solche Konversation nicht stattfindet. Der dritte Bestandteil der Ideologie ist die Palingenese, die Wiedergeburt des Volkes nach seinem Tod. Dazu muss man wissen, dass die Völker als am Gift des Liberalismus’ zugrunde gegangen angesehen werden. Das Volk wird als ganzheitliche Gemeinschaft durch die Individualisierung des Liberalismus’ zerstört, weswegen der Nationalsozialismus extrem anti-individualistisch ist.
Zurück zu Österreich. Seit 1937 hatte sich Hitler zunehmend bedrohlich gegenüber Österreich geäußert. Im November 1937 kündigte er in kleinem Kreis die baldige Vernichtung Österreichs, also seiner politischen Eigenstaatlichkeit, an. Mitte November 1937 wird Hitler von England signalisiert, dass in der mitteleuropäischen Gegend, „wo sich die Regelungen des Versailler Vertrags als problematisch erwiesen hätten, wo Änderungen möglich sind“. Dies berührt einen Kernpunkt der territorialen Neuordnung auf Boden des alten Habsburgerreiches, nämlich die Schaffung von Österreich und der Tschecheslowakei. Das Problem ist, dass alle Staaten Osteuropas die in Folge des Vertrags enstanden auf dem Selbstbestimmungsrecht der Völker fußten. Dieses Recht hatte man den Deutschen aber vorenthalten. Die Briten erkannten dies schnell als Fehler und versuchten dies mit einer Politik der kleinen Schritte zu revidieren.
Die Berliner Regierung erging sich zu dieser Zeit außerdem in erpresserischen Maßnahmen gegenüber Wien. Der österreichische Kanzler Schuschnigg erklärte, dass er der verbrecherischen Gewalt, die sich spätestens seit Februar 1938 aufgebaut hatte, weiche „um zu vermeiden, dass deutsches Blut vergossen werde“. Am 11. März tritt er zurück, am 12. März marschiert die Wehrmacht ein, am 13. März wird Österreich durch ein abends mit der heißen Nadel gestrickten Gesetz (das nebenbei den geringen Stellenwert von Gesetzen in NS-Deutschland deutlich macht) angeschlossen. Hitler fährt mit dem Auto von München nach Linz, wo er eine Rede hält und von dort weiter nach Wien, wo er gleich zwei Reden hält. Sowohl in Linz als auch Wien ist die Zustimmung der Österreicher gigantisch. Es handelte sich beim Anschluss also nicht um einen erpresserischen Akt gegenüber der Bevölkerung, sondern allein gegen die auf ihrer Souveränität beharrenden Regierung gerichtet – die Österreicher waren begeistert. Nach 1945 stilisierten sich die Österreicher als erstes Opfer Hitlers. Ein amerikanischer Journalist beschrieb seinerzeit aber eindringlich die Begeisterung einer „wie im Delirium rasenden Menge“. Diese Rechtsbrüche wurden kollektiv von der Bevölkerung akzeptiert. Die Zustimmung stieg immer weiter, es handelt sich also um eine populistische Legitimation der Hitler-Regierung, deren Zustimmung von Gewaltakt zu Gewaltakt. Die Stilisierung Hitlers nimmt immer mehr zu, rationale Kriterien werden zur Seite geschoben und machen einer mythischen schicksalsgeleiteter Figur Platz.
Dies wird in Hitlers Rede in Linz deutlich, wo er erklärt, von der Vorsehung ausersehen zu sein. Dies zerstört auch effektiv die Möglichkeit für Kritik an Hitler, da an der Vorsehung ja eigentlich nicht gezweifelt werden kann. Daraus ergibt sich auch eine andere Legitimation: nicht Volk oder historische Situation, sondern die Vorsehung hat Hitler beauftragt. Sein Gerede davon, Österreich dem Deutschen Reich „wiederzugeben“ bezieht sich auf historisch kaum dokumentierte Vorzeiten, in denen dies angeblich der Fall gewesen wäre, woraus sich auch später die Legitimation für die Eroberung des Ostraums ableitet. Gleichzeitig ruft Hitler die Bevölkerung auf, ihm Legitimation zu verleihen – seine Taten sind schließlich auch durch nichts als Gewalt legitimiert. In der Hofburgrede spricht Hitler dann erstmals vom Ostraum, der immer Teil seiner Selbstdarstellung und Programmatik ist. Die Zukunft des deutschen Volkes liege in der Eroberung der Länder „des Ostens“, Österreich wird dabei als traditionelles Bollwerk gegen den Osten betrachtet.
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Serie wird eingestellt.
Ich würde mal das Buch "Anmerkungen zu Hitler" von Sebastian Haffner dem Blogbetreiber ans Herz legen.
AntwortenLöschenHat der Blogbetreiber auf dem Wunschzettel kam nur bisher nicht dazu.
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