Freitag, 1. Januar 2010

Replik "Warum die demographische Entwicklung für die Rentenfinanzierung eben doch ein Problem wird"

Ein Gastbeitrag von Jürgen Voss.


Der Beitrag von Jan Knittel zu Stefan Sasses Ausführungen zur Rentenversicherung unter dem Titel „Warum die demographische Entwicklung…..“ ist einer der wenigen sachlichen Beiträge zu dieser Thematik, die ich als Statistiker und Sozialversicherungsfachmann seit langem gelesen habe. Knittel stellt die Problem der Rentenversicherung im Umlageverfahren korrekt dar (Arbeitsplatzverluste, „zu viele“ ältere Menschen, Wachstumsfinanzierung, die sog. Produktivitätsthese usw.).

Dennoch sind seine Schlussfolgerungen bezüglich der Demographie nicht richtig. Warum?

Wenn eine Rentenversicherung nach dem Umlageverfahren in Schwierigkeiten kommt, die arbeitsmarktbedingt, wachstumsbedingt und ideologisch (z. B. durch das Lohnnebenkostendogma des neoliberalen Ansatzes) bedingt sind, dann kann eben nicht auf die Demographie verwiesen werden, denn das hieße ja, das mit einem Mehr an jungen Menschen die Schwierigkeiten verschwänden. Paradoxerweise steigen sie sogar noch, da die Verknappung des Arbeitsangebotes gerade die nachwachsende Erwerbstätigengeneration voll trifft, dort Sozialleistungen ( ALG I und II oder gleich Sozialhilfe) notwendig macht, die ebenfalls die Sozialabgabenlast und die Steuerlast erhöhen (wie zur Zeit).

Wäre die Demographiethese korrekt, müssten alle Länder mit guten Relationen „jung zu alt“ glänzend finanzierte Renten haben, in der Türker liegt z. B. das Verhältnis jung (erwerbsfähig) zu alt bei 11 zu 1, in Ägypten bei 14 zu 1. Wenn aber von den Erwerbsfähigen nur ein Teil erwerbstätig ist, und davon wiederum nur ein Teil sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist, muss jedes Umlageverfahren in Schwierigkeiten kommen. Dies gilt übrigens auch für die Krankenversicherung und alle anderen Zweige der Sozialversicherung: Der arbeitslose junge Mensch bleibt als „Risiko“ erhalten, Beiträge fallen aber nicht an

Stefan wollte mit seinen Zahlen nur die These des Bevölkerungswissenschaftlers Mackenroth beweisen; dass eine Volkswirtschaft alle Sozialleistungen nur in der Periode finanzieren kann, in der sie anfallen, also aus dem gegenwärtigen Bruttoinlandsprodukt. Keine Volkswirtschaft kann 40 oder mehr Jahre im Voraus sparen. Auch das Geld einer Privatversicherung mit Kapitaldeckung ist bei Eintreten des Rentenfalls längst „umgelegt“, die Deckung bringt das Kapital des „nachgewachsenen“ Beitragszahlers. Auch der braucht einen Arbeitsplatz, um seine Beiträge zu entrichten. Alle ökonomischen Schwierigkeiten treffen auch das Kapitaldeckungssystem mit voller Wucht, von den Unsicherheiten des Kapitalmarktes ganz zu schweigen..

Der Unterschied der beiden Systeme besteht lediglich darin, dass bei der Privatversicherung die Leistung (nach Abzug des Profits der Versicherung, der erheblich ist), exakt den Einzahlungen plus Verzinsung entspricht, dass also die Zahl der Leistungsempfänger, die nie eingezahlt haben, absolut null ist. Während die Zahl der Rentenempfänger, die nie eingezahlt haben und trotzdem eine auskömmliche Rente bekommen, erheblich ist (deshalb übrigens der hohe Bundeszuschuss). Schätzungen liegen bei über 50% der Empfänger (ehemalige DDR-Bürger, Aussiedler, Polen nach dem deutsch-polnischen SV-Abkommen, Witwen usw.) Auch Leistungen wie Frühverrentung, Erwerbsunfähigkeitsrenten, vorzeitiger Eintritt in die Rente wegen Schwerbehinderung, Rehabehandlung usw., kennt die Privatversicherung nicht. All diese Leistungen müssten zusätzlich versichert werden.

Die klassische Rentenversicherung, wie wir sie seit 1957 kennen, ist ein umfassendes Altersversorgungssystem, dessen Zielsetzung ist, nicht nur auskömmliche Renten sondern auch – so dumm das klingen mag – sozialen Frieden zu sichern, durch die Solidarität von jungen zu alten (Arbeitnehmern), aber auch von mehr Verdienenden zu weniger Verdienenden. Die Alternative würde bei manchem Beitragszahler im Alter – sofern er über Jahrzehnte hohe Beiträge entrichtet hat – (vielleicht) eine höhere Rendite ergeben, sie würde aber auch bedeuten, dass wir 10 Mio. Sozialhilfeempfänger mehr hätten.

Aber wie gesagt: Die Schwierigkeiten, die Jan Knittel andeutet, sind vorhanden und können nicht geleugnet werden, nur: sie sind nicht demographischer sondern ökonomischer und ideologischer (!) Natur. Sie sind deshalb nur politisch und nicht demographisch lösbar.

20 Kommentare:

  1. Vielen Dank für die gute und ausführliche Replik, sie ist in meinen Augen (leider) die erste angemessene Reaktion auf meinen Beitrag. Motivation für meinen Artikel war es einzig und allein, Stefans Produktivitätsthese zu widersprechen, die demographische Entwicklung ist ist diesem Zusammenhang eigentlich überhaupt nicht so wichtig. Dennoch werde ich auch jetzt nicht davon abrücken zu konstatieren, dass eine veränderte Altersstruktur Auswirkungen auf die Finanzierung haben muss, wenngleich sie in diesem Zusammenhang sicher nicht das größte Problem darstellt.

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  2. Jan Knittel berücksichtigt nicht, dass die Wirtschaftsleistung, die Produktivität, die Einkommensverteilung und die demographische Struktur die Leistungsfähigkeit der Altersversorgung bestimmen.
    Insofern ist sein Versuch, die Produktivitätsthese zu widerlegen, vollkommen daneben gegangen, was natürlich schwer zu verdauen ist.

    Deshalb rückt er auch nicht ab von seiner These.

    Offenbar ist es wirklich schwierig zu verstehen, obwohl Jürgen Voss die grundlegenden Zusammenhänge doch auf einleuchtende Weise beschreibt.

    Die derzeitige Altersstruktur ist eigentlich nicht das Problem. Das müsste jedem Idioten klar sein.
    Jürgen Voss weist auf den feinen Unterschied hin, der heute im Mainstream immer unterschlagen wird: dass alle Erwerbsfähigen auch alle erwerbstätig sein müssen, damit die Argumentation stimmt. Solange Erwerbsfähige keine Arbeit finden, ist das Demographie-Argument vollkommen sinnlos, ja, ich würde es als vollkommen hirnrissig bezeichnen.

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  3. Jürgen Voss: Danke für die weitergehende Erläuterung. Jan Knittel: Finde dich einfach damnit ab. Das Problem ist das (Wirtschafts-, politische) System, nicht die Demographie.

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  4. Das gehört alles zusammen du Schwachkopf

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  5. entscheidend dürfte ja wohl sein, wieviel prozent des erwirtschafteten allgemeingewinns in die sozialkassen eingezahlt wird.und klar bei rapide wachsender produktivität, gleichzeitig schnell sinkenden löhnen und einer ständig steigenden anzahl überflüssiger arbeitsanbieter muss man über intelligentere lösungen nachdenken. entscheidend ist ja wohl, wer wieviel einzuzahlen hat, erst dann wie man das eingenommene umschichtet. das is die olle kamelle mit der maschinensteuer, die immer aktueller wird. und das muss politisch gelöst werden.

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  6. passend zum thema:
    "Die Wahrheit über Riester"

    http://www.fr-online.de/top_news/2179013_Kapitalanlage-Die-Wahrheit-ueber-Riester.html

    die idee hinter riester war vereinfacht gesagt, dass wenn es weniger menschen gibt, dann muss man halt mehr sparen, wobei das ganze ja durch die staatliche subvention und die provision etc. konterkariert wird. "mit dem in die zukunft sparen" sind wir wieder bei der mackenroth-these angekommen...

    grüsse,
    fxhakan

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  7. Sozialstaat bedeutet „die Ausrichtung staatlichen Handelns auf die Herstellung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit, auf die Sicherung eines sozialen Existenzminimums für alle sowie die Milderung der ökonomischen Ungleichverteilung und der sozialen (Klassen-, Schichten-, Gruppen-)Gegensätze. Als generelle Sozialbindung staatlichen Handelns fordert Sozialstaatlichkeit die politischdemokratische Überformung der Marktprozesse nach Maßstäben sozialer Gerechtigkeit.“

    Frank Nullmeier

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  8. Eine umlagefinanzierte Rente kann auf Dauer nur funktionieren, wenn die große Masse der erwerbsfähigen Bevölkerung auch tatsächlich einer SOZIALVERSICHERUNGSPFLICHTIGEN BESCHÄFTIGUNG nachgeht, nachgehen kann.
    Dem ist gegenwärtig leider nicht so.
    Den gut 8 Mio tatsächlichen Arbeitslosen und Unterbeschäftigten (siehe die monatliche BA-Gesamtstatistik!) schließen sich auch noch gut runde 7 Mio SOZIALVERSICHERUNGSFREIER BASIS-JOBBER an.
    Alles Leute, die zwar ihre Arbeitskraft bis zu max. 400 EUR verkaufen, aber praktisch ohne jegliche Sozialbeiträge, aber dennoch Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherungen gegenwärtig (KV) oder zukünftig (LVA, Hinterbliebenenrenten etc..)in Anspruch nehmen(werden). Was für ein Widersinn.
    Und wer profitiert von dieser irrsinnigen Politik, und wer muss am Ende dafür geradestehen?
    Ich denke, die Antwort kann sich jeder unverbildete und aufrichtig denkende Mensch selbst geben.

    mfg Bakunin

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  9. Vielen Dank für den guten, verständlichen Artikel.
    Zu den versicherungsfremden Leistungen, dem Bundeszuschuss und anderen wichtigen Zahlen zum umlagefinanzierten, nicht gewinnorientierten und friedenssichernden Rentensystem, gibt es auf den Seiten der Aktion Demokratische Gemeinschaft viele Hintergrundinformationen, die man so zusammen gestellt mit Quellenangaben, nirgends bekommt:
    www.adg-ev.de
    oder rentenreform-alternative.de
    Wie mit Zahlen der Statistik getrickst wird, ist auf bohrwurm.net nachzulesen.
    Der Bundeszuschuss hat noch nie, zu keinem Zeitpunkt, die Summen, die versicherungsfremd aus der Rentenversicherung für gesamtgesellschaftliche Aufgaben herusgenommen wurden, ausgeglichen. Das heißt, dass nur die Beitragszahler der GRV Leistungen erbringen, aus deren Pflicht sich besondere Berufs- und Gesellschaftsgruppen kraft eigener elitärer Möglichkeiten herausgestohlen haben.

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  10. Ich verstehe dein Anliegen dieses Beitrages, doch wäre es schön, wenn ihr nicht den Begriffsverwirrungen der Neolibs und ihrer politischen Domestiken auf den Leim gehen würdet.

    Zitat: ...Während die Zahl der Rentenempfänger, die nie eingezahlt haben ...

    Das umlagefinanzierte Rentensystem lebt von der Hand in den Mund. Es ist absolut wurscht ob jemand irgendwann mal irgendwas eingezahlt hat.
    Interessant ist einzig und allein ob es die aktuelle Wirtschaftslage erlaubt die gegenwärtigen Ansprüche zu befriedigen.

    Schreibst du doch selbst:
    ....Keine Volkswirtschaft kann 40 oder mehr Jahre im Voraus sparen....

    ...All diese Leistungen müssten zusätzlich versichert werden....

    Und meiner Meinung nach ist der Begriff Versicherung völlig deplatziert. Die staatliche Altersversorgung für Anspruchsberechtigte wird einzig nach politischem Gusto definiert.

    Zusammengefasst: Alle nichtproduktiven Kräfte unserer Gesellschaft werden von den produktiven alimentiert.
    Ob es am Ende sein kann, daß die Subventionierung von Opernhäusern und Banken höher geschätzt wird als Unterstützen von Alten, Kranken und der Ausbildung unserer Jugend entscheiden WIR. Bei jeder Wahl.

    Gruß, Bernd

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  11. "...Während die Zahl der Rentenempfänger, die nie eingezahlt haben und trotzdem eine auskömmliche Rente bekommen, erheblich ist (deshalb übrigens der hohe Bundeszuschuss). Schätzungen liegen bei über 50% der Empfänger (ehemalige DDR-Bürger..."
    Das die DDR-Bürger auch in eine Rentenversicherung eingezahlt haben, die von der Bundesrepublikanischen GRV übernommen wurde, ist dann wohl eher eine urbane Legende??? Darf ich diese Aussage oben so verstehen?

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  12. "...Während die Zahl der Rentenempfänger, die nie eingezahlt haben und trotzdem eine auskömmliche Rente bekommen, erheblich ist (deshalb übrigens der hohe Bundeszuschuss). Schätzungen liegen bei über 50% der Empfänger (ehemalige DDR-Bürger..."
    Schade, dass auch Jürgen Voss in einem so wichtigen Punkt so ungenau formuliert. Die Berechtigung der Rente für ehemalige DDR-Bürger wird er aber sicher nicht in Frage stellen wollen. - Es ist für die Finanzierung der GRV völlig egal, ob die Leistungsempfänger jemals irgendwo irgendetwas eingezahlt haben.
    Das Finanzierungsproblem entsteht durch die momentane Bilanz der Ein- und Auszahlungen: Der Kreis der Leistungsempfänger wurde erweitert, die *jetzige* (!) Beitrags-Finanzierungsbasis der GRV ist aber nicht entsprechend gewachsen. Irgendwoher muss das Geld aber kommen, also fließen Steuern.

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  13. Ich kann mir nicht vorstellen dass die DDR-Rentenversicherung dermaßene Rücklagen hatte...

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  14. @Kai Ruhsert: Übrigens hatte Jan das ziemlich genau so formuliert ^^

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  15. "Ich kann mir nicht vorstellen dass die DDR-Rentenversicherung dermaßene Rücklagen hatte..."
    Natürlich nicht, denn die DDR praktizierte ein Umlageverfahren.

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  16. @Stuttgarter Heuschrecke hat gesagt:
    Übrigens hatte Jan das ziemlich genau so formuliert ^^

    Jan kam wieder auf die Demographie zu sprechen. Was ist daran "ziemlich genau so"?

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  17. @Kai: Ja, aber dann ist wirklich egal ob die DDR-GRV übernommen wurde oder nicht ^^

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  18. @Kai: "[...] Die Mit-Finanzierung der Rente aus Steuermitteln, deren Anteil am Gesamtvolumen der Rentenversicherung seit den 90ern stetig erhöht werden muss, ist eine logische Konsequenz, wenn das Gleichgewicht zwischen Beitragszahlern und Leistungsempfängern nicht mehr gegeben ist. Insofern muss hier zumindest ein Finanzierungsproblem diagnostiziert werden."
    Ich versteh das auf jeden Fall so. Im übrigen wird Demographie nur in der Überschrift/ Einleitung erwähnt, aber ist ja auch im Prinzip egal.
    Wir sind uns auf jeden Fall mal einig, dass diese ganze Geschichte (mehr Leistungsempfänger bei weniger Leistungsträgern)ein Problem darstellt :-)

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  19. @Oeffinger Freidenker:
    "Ja, aber dann ist wirklich egal ob die DDR-GRV übernommen wurde oder nicht."
    Nein, denn die BRD hat die DDR-GRV nicht als Institution oder als Kasse übernommen, sondern trat die Nachfolge der DDR als Empfänger von Beiträgen von Personen aus dem Beitrittsgebietnd und Zahler von Renten für ehemals in der DDR-Erwerbstätige an. Für Neufünfland ist das Defizit der GRV wegen höherer Arbeitslosigkeit und niedrigerer Gehälter größer, also müssen mehr Steuern zugeschossen werden.

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  20. Witwen-Witwerrenten sind keine versicherungsfremden Leistungen!
    Partner- oder Witwe(r)nrenten werden aus der Leistung des Ehepartners versorgt, sind also eindeutig keine versicherungsfremden Leistungen.
    Dass die Rürups und Riesters das gern hätten, ist willkürlich in die Welt gesetzt, dass man unterstellen muss, dass weiter über die Abschaffung der Partnerrente, abzielend auf die Witwen, diese zu nötigen eine private Witwenrente abzuschließen. Unseriös zielgerichtetes Gewinnstreben Einzelner.
    Dieses widerspricht der gesamten sozialen Rechts- und Wirtschaftslogik, da der überlebende Partner aus der Quelle welcher er versorgt wird, ihm bisher diese über seinen Partner gemeinsam rechtlich zustand. (So z.B. bei Scheidungen, Beitragsausgleich, Rentenanspruchausgleich.)
    Schon aus bürgerlich-rechtlichen Gründen haben sich Ehepartner gegenseitig zu unterhalten.
    Die soziale Fürsorgepflicht ist fundamentale Grundlage unseres Staates. Die Sicherung der Ehe/Partnerschaft und Familie und Kindern unterliegt dem besonderen Schutz des Staates GG Artikel 6. Wer an diesen Grundfesten rüttelt, hat nicht den Schutz der Familie im Sinn, sondern allein private Profitinteressen.
    Versicherungsfremde Leistungen sind eindeutig benannt und bei der ADG mit Quellennachweisen nachzulesen.

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