Dienstag, 28. September 2010

Mal so ganz aus dem Bauch heraus...

Von Jürgen Voß

Was mir beim Anblick unserer „Spitzen“-Politiker so alles einfällt.

Zu Beginn zwei Szenen:
Vor ein paar Wochen, wohl anlässlich seines Rücktritts, war in der Süddeutschen ein Bild des jungen Roland Koch. Feist grinsend, mit einem pubertären Fettigesicht, sah man ihn neben Helmut Kohl sitzen, der – man muss es leider zugeben – das wesentlich sympathischere Erscheinungsbild abgab. Man schrieb das Jahr 1985.
Wie war es möglich, dass die Rekrutierungsmechanismen einer großen Partei so versagten, dass ein solcher Unsympathling jahrelang ein politisches Führungsamt innehaben konnte?

Dann: Sonntagabend, bei Anne Will, die wie üblich mit ihrem zauberhaften Blendamedlächeln eine sehr seltsam gecastete Runde moderierte, zu der auch unsere Arbeitsministerin gehörte, die mit knarzender Stimme und typischem Rehkitzblick die neuen skandalösen Hartz-IV-Beschlüsse vehement als sozial vollkommen gerecht verteidigte.

Hier schon die politisch natürlich vollkommen unkorrekte Frage: Was sucht so ein Multimillionärsstöchterchen ausgerechnet in der Sozialpolitik?

Ähnlich seltsam: Warum finden die Menschen den gegelten Strahlemann Gutten-berg so toll, der von seinem Schloss herabgestiegen ist, um den Untertanen gutes zu tun. Hat die Gesellschaftsschicht, aus der er stammt, in den letzten hundert Jahren eigentlich nicht genug Unheil angerichtet? Will er Wiedergutmachung leisten? Waren diese Herrschaften etwa nicht durchgehend reaktionär, haben sie nicht in zwei Weltkriegen, besonders aber im ersten, Millionen junger Menschen sinnlos geopfert?

Des weiteren:
Noch vor zwanzig Jahren hätte ich mir nicht vorstellen können, von einer so unglücklich auftretenden Sancho Pansa-Figur wie Merkel und einem therapiereifen Berufsjüngling wie Westerwelle regiert zu werden, im Vergleich zu dem Möllemann ein seriöser Staatsmann war.

Wohlgemerkt: Es geht gar nicht um CDU oder SPD oder eine sonstige Partei. Das gesamte politische Personal der letzten beiden Jahrzehnte ist mir irgendwie sus-pekt. (Und ich glaube, das geht nicht nur mir so, sonst wären die Wahlbeteiligungen höher.) Früher der Schröder, ein brutaler Parvenue, dem ich keine Minute mein Portemonnaie anvertraut hätte, oder Fischer, ein egomaner Bluffer und Schauspieler, ohne jede Qualifikation, der aber Ende der siebziger so eben noch die Kurve zum Berufspolitiker gekriegt hatte. Auch Claudia Roth Roth fällt mir ein, mit einem Semester Theaterwissenschaften, ebenfalls Berufspolitikerin auf Gedeih und Verderb, schrill und penetrant, die mir als altem Mann ihre Weisheiten als „letzte“ verkaufen will.
Oder der stets süffisant grinsende Trittin, der wie viele „Grüne“ gut ein Jahrzehnt in einer kommunistischen Karnevalsgruppe verbracht hat, jetzt aber schon lange staatsmännisch aufzutreten weiß.

Die Liste ist endlos, die Vervollständigung wäre vielleicht amüsant, führt aber nicht weiter.

Die Grundfrage lautet doch: Ist „unsympathisch“, zu sein, sozial unsensibel, eiskalt und rücksichtslos seine ganz persönlichen Ziele zu verfolgen, eigentlich die „conditio sine qua non“ einer erfolgreichen Karriere und damit des gesamten politischen Alltagsbetriebes? Kann man selbst als widerliche Kotzkanne jederzeit Ministerpräsident werden?

Oder anders: Warum gibt es so wenig sympathische Menschen in der Politik. Leute, denen man ansieht, dass sie auch mal unsicher sein können, dass sie mal nachdenken, dass sie mal selbstkritisch sind, Empathievermögen zeigen und vielleicht sogar so etwas wie Freundlichkeit und Warmherzigkeit ausstrahlen?

Fällt uns da außer Willy Brandt und Friedrich von Weizsäcker überhaupt jemand ein? War sie die letzten einer für immer ausgestorbenen Art? Müssen wir uns jetzt für immer mit Typen wie Missfelder, Rösler, Lindner und Konsorten abfinden?

Jeder von uns hat doch Bekannte und Freunde mit den genannten Eigenschaften, finden diese alle nicht den Weg in die Politik oder verlieren sie alle diese Eigenschaften, wenn sie ihn gefunden haben?

11 Kommentare:

  1. Danke für den Hinweis.

    Übrigens, zum Casting vor Talkrunden gibt es mittlerweile ein brisantes, und hochaktuelles Buch, dass bei Telepolis besprochen, aber ansonsten Totgeschwiegen wird:

    http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33223/1.html

    ...kein Wunder, dass immer die selben Menschen bei "Anne Will" sitzen, oder sonst in Talkrunden ihre "Weisheiten" von sich geben dürfen.

    Ich wünsche dem Buch weiteste Verbreitung über diesen Blog hinaus ;-)

    Grade in sarrazinschen Zeiten ;-)

    Gruß
    Bernie

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  2. Da gibt es noch ein Buch: "Die Dilettanten" - wie unfähig unsere Politker wirklich sind.
    Von Thomas Wieczorek; Verlag Knaur

    Gruß
    Melnik

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  3. @Melnik
    Danke für den Hinweis ;-)
    Thomas Wieczorek ist als Buchautor nur weiterzuempfehlen, ich habe auch schon das neueste Werk von ihm, und werde es mir einmal zu Gemüte führen;-)
    Gruß
    Bernie

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  4. Zu Ihrer Frage: Ja, ich denke, dass insbesondere Rücksichtslosigkeit gepaart mit Ignoranz eine Grundvoraussetzung für eine politische Karriere ist. Selbstzweifel, Menschlichkeit oder ähnliches bringt einen wohl vom geradlinigen Weg zur Macht ab. Oder, der Gedanke kam mir gerade, vielleicht fehlt den "netten" "normalen" Menschen einfach der unbedingte Wille zur Macht, da das Leben für sie ja auch noch schönere Dinge zu bieten hat -
    während sich die Unsympathen aufgrund der Zurückweisungen, welche sie wegen ihres Charakters erfahren, umso stärker dem eigenen Vorankommen widmen. Aber es kommt noch besser:
    Der Kreis der "unsympathischen Aufsteiger", welcher schon in den niederen Zirkeln der Macht aufgrund oben beschriebener Umstände gegenüber den "Netten" in der Überzahl ist, fängt an, sich sein eigenes Wertesystem zu zimmern: was den "Netten" als wertvoll gilt, wird verachtet, wogegen eigentlich schlechte Eigenschaften sich zu guten wandeln:
    Aus ignorant wird "zielstrebig", aus mitläuferisch wird "loyal", aus unmenschlich wird "pragmatisch", aus brutal wird "durchsetzungsfähig" u.s.w.
    Es entsteht ein vom Rest der Bevölkerung völlig entkoppeltes Wertesystem, eine Parallelgesellschaft der Quasi-Soziopathen. Und wer innerhalb dieses Wertesystems bestehen will, muss sich diesem unterwerfen oder zumindest so tun als ob.

    Gruß
    bnny

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  5. So geht es mir seit den letzten Jahren genauso.

    Ein schöne Gruß

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  6. Gerade die Hierarchie in den politischen Parteien sorgt dafür, dass machtbe- und -versessene Politiker nach oben gespült werden. Diejenigen, welche mit knallharten Opportunismus ihren jeweiligen "Fürsten" (lokal, regional oder überregional) nach dem Mund reden, seine, auf den eigenen Machterhalt ausgerichteten, Anweisungen bedenken- und gewissenlos ausführen. Und die dann eigene Widersacher um den parteilichen Aufstieg mit allen Mitteln beseitigen.

    Genau dies ist eben der Grund dafür, dass NICHT die Ehrlichen, Aufrechten, Mitfühlenden und sozial Eingestellten immer weiter in der Parteienhierarchie nach oben steigen, sondern die Egomanen, Falschspieler, Taktierer - die typischen Machtmenschen eben.

    Dass diesen dennoch diese Makel nur selten öffentlich angelastet werden, liegt eben an der nach oben immer weiter zunehmenden Machtfülle. Schmutzige Entscheidungen werden hinter verschlossenen Türen getätigt, in kleinen Runden und Hinterzimmern. Parteiliche Informationsstrukturen werden qua Macht zu Top-Down-Infokanälen missbraucht, (gewünschte) Informationen gelangen nur noch von oben nach unten, (unerwünschte) aber nicht von unten nach oben oder auch nicht innerhalb unterer Ebenen.

    So zeichnen die schon Macht besitzenden Politiker ihr öffentliches Bild selbst, auch und gerade in ihren eigenen Parteien.

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  7. Diejenigen die heute Politik betreiben sind auch der Ausdruck des Zeitgeistes. Der Ideologien die vorherrschen und wie die geartet sind brauche ich gar nicht schreiben….alternativen? die die anders denken, im dritten reich die sogenannten Widerständler genannt, haben natürlich heute wie damals keine Plattform. Oder nimmt man sie einfach nicht mehr wahr, im Zeitalter der Kommunikation, …was mich auch nicht wundern würde, so voll bepackt wie wir mit unseren zivilisatorischen Grausamkeiten sind. Aber was macht unser Hirn so voll und schwach das wir die Gegebenheiten nicht mehr kombinieren können. Es ist alles so offensichtlich …wenn man eins und eins zusammenzählt …oder erschreckt uns einfach der Gedanke ….das die grausame Wirklichkeit so einfach gestrickt ist und es uns nicht sinnvoll erscheint dieser Einfachheit Glauben zu schenken?? Ich glaube das ist so

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  8. @Lutz Hausstein, und andere PolitikerInnen- bzw. Parteienkritiker

    Mag schon stimmen was ihr schreibt, aber eine Partei - die den "Eliten" daher besonders verhaßt ist - nehme ich da noch außen vor. Die sozialdemokratische Linkspartei, die die neoliberale SPD immer mehr ablöst.

    Das darf ich ja wohl auch noch sagen, um es mit Sarrazin zu schreiben!

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  9. Übrigens, sogar im Zeitgeist liegt die sozialdemokratische Linkspartei unter Gysi voll daneben - eben (noch nicht) neoliberal, und marktreligiös.....
    Hoffentlich bleibt das auch so, um es mal zu sagen!

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  10. @ anonym 12:44:

    Sorry, da liegst Du leider falsch. Glaube mir, ich weiß, wovon ich rede. Ich habe es am eigenen Leib miterlebt.

    Und diese bittere Erkenntnis, wie auch ein näheres Befassen mit diesem Thema in der Literatur, hat mich dazu gebracht, dies als ein grundlegendes Wirkprinzip zu verstehen, welches unabhängig von der Ausrichtung einer jeglichen Partei funktioniert.

    Ob überhaupt irgendeine Möglichkeit besteht, Parteien wahrhaft zu demokratisieren, bin ich mir nicht schlüssig. Ich habe jedoch erhebliche Zweifel daran.

    Eine sicher bittere Feststellung. Aber lieber ehrlich diese Probleme anerkennen und sich ihnen stellen, als mit verklärtem Blick immer tiefer ins Unglück laufen.

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  11. @Lutz Hausstein

    Was hast Du am eigenen Leib miterlebt? Eine neoliberale Linkspartei im Bund? Was für ein Wirkungsprinzip meinst Du? Die Linkspartei ist doch demokratisiert? Oder etwa nicht? Keine Sorge ich hab keinen verklärten Blick, gerade weil ich bitter von der neoliberalen SPD enttäuscht wurde, aber die Linkspartei selbst hat wohl ein Problem, wenn die für "alle" offen ist.

    Wieso?

    Na schau mal hier:


    http://www.heise.de/tp/r4/artikel/31/31178/1.html

    ...nach einem Jahr hat dieser erklärte Neoliberale, der die Linkspartei unterminiert hat ein sehr aufklärendes Buch geschrieben, dass demnächst erscheint, und mehr über den Neoliberalen Tobias Haberl - aus dt. "Elite"kreisen gebürtig - erfahren, als ihm selbst wohl lieb sein dürfte, mit seinen eigenen Worten:

    "Wie ich mal rot wurde: Mein Jahr in der Linkspartei" vom "Journalisten" Tobias Haberl - mehr über diesen Feldversuch eines Neoliberalen in der Linkspartei beim Luchterhand Literaturverlag - oder bei Amazon.

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