Von Stefan Sasse
Die Sarraziniade treibt seltsame Blüten dieser Tage. Auf Spiegel Online hat Bettina Röhl eine flammende Anklagerede unter dem Titel "Angriff auf die Unschuldsvermutung" gegen Sigmar Gabriel verfasst, dem sie vorwirft, die Unschuldsvermutung und damit einen rechtsstaatlichen Grundsatz frontal anzugreifen. Grund für diese Anschuldigung ist die Verve, mit der Sigmar Gabriel dieser Tage Sarrazin angreift und mit der er sich hinter den Parteiausschluss stellt. Für Röhl ist das völlig unzulässig, weil Gabriel der Chefankläger im Ausschlussverfahren sei und seine Attacken auf Sarrazin einer Vorverurteilung gleichkämen. Das allerdings ist mit dem verfassungsrechtlich garantierten Recht auf die Unschuldsvermutung und einen fairen Prozess nicht vereinbar, das auch die Parteien bände. Bereits das allerdings ist in höchstem Grade Unsinn.
Ich bekenne freimütig, mich mit der genauen Funktionsweise des SPD-Ausschlussverfahrens nicht auszukennen, aber von dem was ich verstehe sind die Ankläger die Mitglieder des Ortsvereins und nicht der Parteivorsitzende. Sicherlich ist Gabriel eine treibende Kraft hinter dem Verfahren, aber die Springer-Presse ist auch nicht Chefankläger, wenn sie wieder einmal bei einem Sexualverbrecherprozess auf Höchststrafe und Kastration drängt. Was Röhl hier versucht, ist geradezu perfide. Sarrazin ging mit seinen Thesen, die mit den Grundsätzen der SPD tatsächlich unvereinbar sind - das formale Kriterium für einen Ausschluss - an die Öffentlichkeit, noch dazu aus einem Amt, aus dem heraus er mindestens genausowenig Berechtigung dafür ableiten kann wie Gabriel nun für die Anklage. Es handelt sich hier nicht um einen straf- oder zivilrechtlichen Prozess, sondern um einen politischen. Ergo kann er auch nicht nach diesen Regeln funktionieren. Was Röhl vorschlägt ist vielmehr dreist: Gabriel solle, forsch gesagt, die Schnauze halten, während Sarrazin durch das ganze Land tingelt, Lesungen hält und seine Thesen vertritt; dies entspreche der Gleichbehandlung. Das ist aber vollkommener Unsinn. Sarrazin ist an die Öffentlichkeit gegangen, seine Thesen werden in der Öffentlichkeit diskutiert und wurden erst von den Medien in die Welt gesetzt, in deren Mainstream zu schwimmen Röhl nun Gabriel in einem Höhepunkt der Heuchelei vorwirft. Gleichbehandlung kann in diesem Prozess nicht erzielt werden, indem die Anklage schweigt, sondern indem sie dem Angeklagten in der von ihm selbst gewählten Arena entgegentritt. Wenn ein Ausschlussverfahren etwa aus strafrechtlichen Gründen wie es 1996 mit Neumann geschah geführt wird, dann läuft das auch nicht so auf der öffentlichen Bühne. Aber Sarrazin einfach ein halbes Jahr reden zu lassen und solange selbst zu schweigen ist im politischen Prozess keine Option, der Flurschaden wäre dann gewaltig. Gabriel hat das Richtige getan, indem er sich Sarrazin offen entgegenstellte.
Aber Röhl geht noch weiter. Der "schlimmste Vorwurf den man Gabriel machen muss" sei, dass er "relativ unverholen allen deutschen Medien und letztlich der gesamten Öffentlichkeit vorgeworfen" habe, "latent rassistisch" zu sein. Er wende "sich auch gegen Führungskader der SPD, die den Rauswurf kritisch sehen" sowie "gegen das eigene Parteivolk, dem er vorwirft nicht zu merken, dass es in dumpfen Rassismus abgleite". Das ist kein Vorwurf, den man Gabriel hier machen muss, sondern ein Lob. Obwohl eigene "Führungskader" (vermutlich spielt Röhl auf Exemplare wie Klaus von Dohnany an, der Sarrazin angeboten hatte ihn zu verteidigen) dagegen sind und das "Parteivolk", spielt er trotzdem nicht den Opportunisten (obgleich sie ihm das im gleichen Atemzug paradoxerweise doch vorwirft), sondern setzt sich für die richtige Sache ein. Das verdient Bewunderung. Denn ja, man muss es noch einmal deutlich sagen: alle deutschen Medien, die gesamte Öffentlichkeit, eigene Führungskader und das Parteivolk sind latent rassistisch. Die dumpfe Zustimmung für das, was man als Sarrazins Thesen ansah, die Willigkeit, mit der man pauschal über "die Ausländer" zu Felde zog - all das war und ist latent rassistisch. Dass Gabriel das ausspricht und sich dem Kampf dagegen verschreibt, verdient Bewunderung.
Doch Röhl ist ja noch nicht am Ende. Es könne ja nicht angehen, so tobt sie weiter, dass man für das Aussprechen elementarer Wahrheiten so niedergemacht werde wie der arme Thilo, denn er habe ja Recht, wenn er erklärt, dass die Menschen nicht gleich begabt sind. Die Grundrechte, klar, die gelten für alle gleich, stellt Röhl dar, um in einem intellektuellen salto mortale danach zu verkünden, dass manche eben doch gleicher als andere sind. Die Argumentation verdient eine nähere Betrachtung: das Elterngeld, das unter schwarz-rot beschlossen bereits die Oberschicht begünstigte und unter schwarz-gelb nun zur reinen Akademikerinnenwurfprämie umgestaltet wurde, mache die Unterscheidung ja bereits, die Sarrazin fordere, und sei Gesetz. Deswegen, so der Umkehrschluss, sei auch Sarrazins Geschwurbel rechtens. Wie unsinnig diese Argumentation ist lässt sich anhand eines zugespitzten Beispiels dokumentieren: die antisemitische Politik der Nazis war in Ordnung, weil sie durch die Rassengesetze vom Nürnberger Parteitag 1935 rechtmäßig war.
Röhl verstrickt sich tief in einer vollkommen sinnlosen Argumentation. Worauf das ganze zweiseitige Pamphlet hinausläuft ist: Sarrazin hat Recht, Gabriel hat Unrecht. Da ich der Meinung bin, dass Sarrazin Recht hat, ist alles, was Gabriel tut, falsch. Dafür hätte es nicht derart vieler Zeilen bedurft, aber dann wäre vermutlich auch noch dem letzten Spiegel-Leser aufgefallen, was für einen unglaublichen Unsinn Röhl da von sich gibt.
Ich habe den Artikel von Bettina Roehl gestern schon gelesen und stimme ihr zu, dass die bisherige Begründung von Sigmar Gabriel zur Einleitung eines Parteiausschlussverfahrens unzureichend ist.
AntwortenLöschenDa müssen diejenigen, die das Ausschlussverfahren in Gang gebracht haben, aber noch kräftig dran arbeiten, Man sollte ja nicht vergessen, dass eine Entscheidung durchaus noch von einem ordentlich Gericht überprüft werden kann.
Und spätestens da zählen nur Fakten, und nicht etwa Befindlichkeiten oder Rhetorik.
Bisher ist nicht einmal ersichtlich, was Thilo Sarrazin denn konkret vorgeworfen wird. Frau Nahles, die federführend im Ausschlussverfahren sein soll, mag sich zu inhaltlichen Aspekten nicht mal äußern.
Falls sich die SPD dann doch mal überlegt hat, in welche Richtung sie diesbezüglich denn gehen will, dann muss sie vor dem parteiinternen Schiedsgericht detailliert nachweisen, an welchen Stellen im Buch oder mit welchen Äußerungen in der Öffentlichkeit Sarrazin sich eines dann vorgetragenen Vergehens schuldig gemacht hat, welches dazu noch einen Parteiausschluss rechtfertigt.
Pauschale Aussagen von Gabriel, wie z.B. dass Sarrazin den Boden für Hassprediger ebnen würde, mögen in den Medien gut ankommen, aber beweisen kann man eine solche Aussage nicht
Die ganze Sarrazin-Debatte ist das Papier und die Bytes nicht wert, mit denen sie geführt wird.
AntwortenLöschenProf. Dr. Volker Eichener, Politikwissenschaftler aus Bochum und in Sachen Wissenschaft nicht vollkommen unbewandert, hat eine schöne und angenehm unaufgeregte Kritik an Sarrazins Buch verfasst, in der er ihm unlautere Methoden und weitestgehende Unwissenschaftlichkeit nachweist. Zu Deutsch, es ist alles ein großer Humbug:
http://tinyurl.com/3y7f6xu
Besorgniserregend sind allerdings die ersten Kommentare unter dem Artikel, die, wie es scheint, von aufrechten deutschen Bürgern stammen (die dennoch der angemessenen Nutzung ihrer deutschen Sprache nicht unbedingt mächtig sind), die sich den Spaß an der Eugenik nicht durch so einen Popanz wie Wissenschaft oder Faktenlage verleiden lassen möchten. Man fasst sich nur noch an den Kopf und kommt zu dem Schluss, dass Sarrazin vielleicht doch Recht hat - die Deutschen werden immer dümmer, allerdings nicht durch die Migranten...
Wenn man jedenfalls die Debatte als Ganzes betrachtet, dann kommt einem Brecht wieder in den Sinn, "der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem dies kroch". Ich bin kein Pessimist, aber angesichts des Zustands dieses Landes und seiner Bevölkerung beschleichen mich manchmal doch die schlimmsten Ahnungen...
Bettina Röhl ist ja bekannt für ihre merkwürdigen Argumente, etwa in ihrem Beitrag "Marx war viel schlimmer als Madoff" siehe hierzu: http://www.michael-schoefer.de/artikel/ms0712.html
AntwortenLöschenDiese Denkweise ist offensichtlich unausrottbar. Schlimm.
AntwortenLöschenOkay, dann zum 137. Mal. Sarrazin ist eindeutig ein Rassist und macht sich der Volksverhetzung schuldig. Deshalb ist nicht nur der Ausschluss aus SPD gerechtfertigt, sondern er gehört dafür auch vor ein ordentliches Gericht gestellt. Stattdessen streicht er sogar noch Geld für seine volksverhetzenden Schriften ein.
Auszug aus einem Artikel von mir vom 11.10.2009:
"In der Spitze verstieg Sarrazin sich gar dazu, die seiner Auffassung nach zu hohe Geburtenrate der „Unterschicht“ zu beklagen, welche keinerlei Wert für den normalen Wirtschaftskreislauf darstelle. Nüchtern betrachtet, ist dies nichts anderes als Dysgenik mit einer ökonomischen Komponente. Aufkommende Gedanken, Parallelen zur Politik der nationalsozialistischen Rassenhygiene zu ziehen, sind hierbei, trotz aller gebotenen Vorsicht, nicht von der Hand zu weisen. Denn die nationalsozialistische Propaganda formulierte gleichfalls auf Plakaten mit der Losung: „Qualitativer Bevölkerungsabstieg bei zu schwacher Fortpflanzung der Höherwertigen“.
Sarrazins menschenfeindlichen Äußerungen bilden jedoch nur die Spitze eines Eisberges, der sich bis tief in die gesellschaftliche Basis verwurzelt hat. Nicht allein aufgrund der Tatsache, dass Thilo Sarrazin seit Jahren seine diskriminierenden Äußerungen über verschiedene gesellschaftlichen Gruppen, vornehmlich schwache, regelmäßig ungestraft verkünden konnte, wurde damit eine gesamtgesellschaftliche Akzeptanz-Atmosphäre für solcherart Gedankengut geschaffen. Gleichsam predigen Politiker aller etablierten Parteien sowie Wirtschaftsverantwortliche und Vertreter verschiedener Verbände in seinem geistigen Fahrwasser seit Monaten fortwährend scheinbar berechtigte Begriffe wie „Leistungsgerechtigkeit“ und „Leistungsträger“. Hierdurch wurden jedoch Begrifflichkeiten geprägt und mit einem allgemeinen Konsens belegt, welche bei näherer Betrachtung starke eugenistische Züge tragen."
Quelle: http://ad-sinistram.blogspot.com/2009/10/vorboten-eines-neuen-dreiigsten-januars.html
Wem dies noch nicht reichen sollte, der sollte sich noch einmal Sarrazins Ausflüsse zur "Vermehrung in der Unterschicht" zu Gemüte führen. Anschließend sind diese Aussagen mit der Grundaussage dieses Plakates zu vergleichen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Bundesarchiv_Bild_102-16748,_Ausstellung_%22Wunder_des_Lebens%22.jpg
"Ich bekenne freimütig, mich mit der genauen Funktionsweise des SPD-Ausschlussverfahrens nicht auszukennen"
AntwortenLöschenDann sollte man vielleicht lieber die Klappe halten.
Daß der Populist Gabriel den Sarrazin mittlerweile in seinen Äußerungen übertrifft, macht es noch lächerlicher.
Es scheint, als ob Frau Roehl sich mehr für den Freidenker einsetzt als das "Freidenker"-Blog.
AntwortenLöschenGroßartig, die ganzen anonym abgegeben kritischen Kommentare zum Freidenker.
AntwortenLöschenWir suchen den mutigen Mann, der bereit zu Gunsten der Wahrheit, die Geheimnisse um die Entsteheung des Buches aufzudecken.
AntwortenLöschenDie Reichen in den USA hatten sich gegen Roosevelt und den Sozialstaat verschworen und waren bereit dafür eine Privatarmee von 400000 Mann zu finanzieren. Das Sarrazin mit Geld anzusprechen ist, beweist seine Demission bei der Deutschen Bundesbank.
http://www.youtube.com/watch?v=M_0pbUUuN_U&feature=related
AB: 7:45
Welche Chancen hat ein Blog wie dieser gegen Konzerne die 100 Milliarden Dollar im Jahr ausgeben.
Darf ich ehrlich sein? Danke.
AntwortenLöschenEine derartige Dichte an vollkommen albernem Mumpitz wie in Frau Röhls Artikel habe ich seit Jahren nicht gelesen.
Die Unschuldsvermutung, auf der die Dame herumreitet ist im Strafrecht relevant. Im Vereinsrecht - und darum gehts hier - existiert sie gar nicht.
Das Geschwurbel um das Grundgesetz von Frau Röhl ist vollkommen substanzfrei, ebenso wie der Nonsens von der "Verfahrensfehlern" die sie sieht, ebenso wie der Unsinn über Gabriel als "Ankläger".
Die Dame hat - und hier trifft sie sich mit Sarrazin - keinen blassen Schimmer wovon sie schreibt. Substanz- und Kenntnisfreies Rumgeschwurbel.
Oder kurz gesagt: Sicheres Auftreten bei völliger Ahnungslosigkeit. Im Kontext mit Sarrazins buch aber zumindest konsistent.
Hallo Anonym. Nein, es gilt nicht das Vereinsrecht. Es gilt das Parteiengesetz.
AntwortenLöschenWie war das mit "Sicheres Auftreten bei völliger Ahnungslosigkeit"?
@Anonym [13:18]
AntwortenLöschenLOL, eine Partei ist ein Verein. entsprechend geht es SELBSTREDEND um das Vereinsrecht.
Und das Parteiengesetz
http://de.wikipedia.org/wiki/Gesetz_%C3%BCber_die_politischen_Parteien
Hat damit nun wirklich GAR NICHTS zu tun.
@Anonym
AntwortenLöschenMal § 14 Parteiengesetz lesen, dann weiter (oder weniger) tröten.
@Anonym []24/09 18:44]
AntwortenLöschenLOL, und was hat der Paragraph 14 mit der Unschuldsvermutung zu tun? Ich sags mal so: Nichts. Aber gar nichts.
Also kleiner Tip fürs nächste Mal: Wenn man schon keine Ahnung hat, sollte man in Erwägung ziehen den Mund zu halten.