Mittwoch, 16. April 2008

Die ZEIT knickt ein

Die freie Journalistin Susanne Härpfer hat für ZEIT online mehrfach Beiträge geschrieben. Zuletzt hat sie einen richtigen Skandal aufgedeckt, nämlich die Unterhöhlung des Briefgeheimnisses durch die Kooperation mit den USA. Rechtlich mindestens bedenklich ist es mehr als nur selbstverständlich für einen Journalismus, der sich als kritisch versteht, hier nachzuhaken. Das haben ZEIT online und Susanne Härpfer auch getan. Härpfer hat für einen ihrer Artikel ein SPD-Mitglied des Innenausschusses des Bundestags interviewt, Herrn Sebastian Edathy. Er ist der Vorsitzende dieses Ausschusses von 52 Mitgliedern, was seine Meinung relevant macht.
Politiker wie Edathy, die sich der Innenpolitik widmen, gerieren sich gewöhnlich gern hart, greifen durch und möchten das Böse, zum Beispiel die NPD, zerschlagen und verbieten. Kurz: Innenpolitik ist nichts für Weicheier und braucht starke Männer und Charaktere. (Quelle)
Nun hat Edathy in gut obrigkeitsstaatlicher Manier festgestellt, dass seine Zitate so verwendet wurden, dass es nicht ganz vorteilhaft für ihn ist. Deswegen hat er sich bei der ZEIT beschwert; das Hauptargument: seine Zitate seien nicht authorisiert worden. Um zu verstehen, was das bedeutet, muss man einen kurzen Ausflug in die Mentalität des Journalismus im allgemeinen und die Unterschiede zwischen angelsächsischem und deutschem im Speziellen machen. Der angelsächsische Investigativjournalismus, für den die Washington Post und die Aufdeckung des Watergate-Skandals pars pro toto stehen, versucht ein Interview ungemütlich zu machen und dem Befragten so Äußerungen zu entlocken, die der vielleicht nicht sagen wollte, aber die vielmehr an der Wahrheit sind als das, was man in einem Kaffeekranz-Gespräch erfahren könnte. Der deutsche Journalismus ist hier anders; er kennt die "Authorisierung" von Zitaten. Das bedeutet, dass der Interviewte das Interview bzw. den resultierenden Artikel in der bereits erwähnten obrigkeitsstaatlichen Tradition absegnet. Dass es dafür keine gesetzliche Grundlage gibt und es eigentlich auch dem Geist der Pressefreiheit diametral widerspricht, dürfte wenig verwundern. Gleichzeitig betreiben das fast alle Zeitungen. Und, bevor mir jetzt jemand einen Strick daraus dreht: natürlich ist diese Kurzdarstellung eine grobe Verallgemeinerung und Vereinfachung. Allerdings ist es symptomatisch für das Problem des deutschen Journalismus.
Edathy nun beschwerte sich in einem dreiseitigen Fax ausgiebig bei der ZEIT, drohte, die 52 anderen Ausschussmitglieder zu informieren (und der ZEIT damit Informationen abzuschneiden) und nannte Härpfer unter anderem
"unprofessionell" und "unjournalistisch", ihre Artikel sei "Gesinnungs-Journalismus", "faktenarm", "unterstellungsreich" und "böswillig". (Quelle)
Des Weiteren beschwerte sich Edathy darüber, dass der Artikel nicht nur bei der ZEIT, sondern auch bei heise.de erschienen sei, das er in offenkundiger Unkenntnis der Lage als private Plattform ansah (was daran böse sein soll, steht in den Sternen). So weit, so dämlich. Eigentlich hätte die natürlichste Reaktion sein müssen, den Skandal öffentlich zu machen darauf hinzuweisen, dass auch der Vorsitzende des Innenausschusses sich nicht über die Pressefreiheit setzen darf - ein in Zeiten von Otto Schily und Wolfgang Schäuble nur allzu nötiger Schritt. Stattdessen knickte die ZEIT auf ganzer Linie ein, entschuldigte sich bei Edathy und schmiss Härpfer raus (was man eben bei freien Journalisten Rausschmiss nennen kann: sie erteilen ihr keine Aufträge mehr.
Die Bedeutung dieses Schrittes kann eigentlich kaum überschätzt werden. Es zeigt ein allzudeutliches Einknicken der "vierten Gewalt", die eigentlich unabhängig und kritisch die Öffentlichkeit informieren sollte. Und das ist nur ein vergleichsweise unbedeutender Politiker, vor dem die ZEIT hier auf ganzer Linie, total und bedingungslos, kapituliert. Wenn sie sich nicht einmal in einem solchen Fall hinter eine offenkundig kompetente Journalistin stellen können, die einen wirklich schwerwiegenden Skandal aufgedeckt hat - wie wird die ZEIT dann reagieren, wenn sie einmal einen Artikel kritischer Natur über wirtschaftliche Interessenverbände - die via Zeitungsanzeigen quasi das tägliche Brot garantieren - in Händen hält?
Ein solches Verhalten führt zu vorauseilendem Gehorsam, zur Selbstzensur. Waren in früheren Systemen noch staatliche Zensurorgane vonnöten, so ist das heute nicht mehr notwendig. Stattdessen zensieren sich die Medien selbst. Dies zeigt, wie wichtig der Aufbau einer Gegenöffentlichkeit ist - einer Gegenöffentlichkeit, die NICHT profitorientiert arbeitet. Der Blogs, beispielsweise. Und wie wichtig es ist, die Kommerzialisierung derselben wie in den USA zu verhindern.


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