Donnerstag, 2. Oktober 2008

Fundstücke 02.10.2008, 12.01 Uhr

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Corporate Wellfare, garniert mit Steuernachlässen
TP - Heute Nacht votierte der US-Senat mit 74 zu 25 Stimmen für eine modifizierte Version des "Rettungsplans", in dessen Rahmen die amerikanische Regierung für 700 Milliarden Dollar Banken Problemschulden abkaufen soll. Welch paradoxe Wirkungen das System der politischen "Willensbildung" mittlerweile hervorbringt, zeigte sich daran, dass es in einer Zeit erwartbar gigantischer Staatsverschuldung milliardenschwere Steuersenkungen für Unternehmen waren, mit denen das Paket schließlich seine Zustimmung bei republikanischen Senatoren bekam.
Anmerkung: Unglaublich.
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"Bildhübsche, dynamische Anwältin gesucht"
SZ - Abzocker machen sich das Gesetz gegen Diskriminierung zu nutze: Sie fahnden nach Fehlern in Stellenanzeigen - und klagen Tausende Euro ein.
Anmerkung: Nein, welch Überraschung.
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Der kleine Strauß
SZ - Trennung von Parteivorsitz und dem Amt als Regierungschef: Bei Huber/Beckstein funktionierte das mäßig, bei Waigel/Streibl war es nicht besser, bei Waigel/Stoiber noch schlechter; die Kombination Lafontaine/Schröder in der SPD war ein Desaster. Helmut Schmidt hat sein Scheitern als Kanzler auch darauf zurückgeführt, dass derweil nicht er, sondern Willy Brandt Parteichef war.
Gerade in der CSU gibt es freilich auch ein glänzendes Beispiel dafür, wie gut eine Doppelspitze arbeiten kann: Strauß war Parteichef während der bayerischsten Zeit der CSU - damals, als Alfons Goppel, von 1962 bis 1978, Ministerpräsident war. Es war dies die beste Zeit der CSU: Goppel als Hausvater in München, Strauß als Weltpolitiker in Bonn. Sie ergänzten sich gut, kamen selten über Kreuz, hatten ihre eigenen Kreise und ihre eigene Art, dem anderen seine Rolle zu lassen. Es lag an den Personen.

Anmerkung: Ich weiß nicht ob es euch auch so geht, aber die Vorstellung von Schmidt als SPD-Chef lässt mir einen kalten Schauer über den Rücken jagen.
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Mephisto aus Wolfrathshausen
SZ - Es war der finale Kampf zweier Männer, die einmal enge Vertraute und auch - soweit die Politik diese Kategorie überhaupt kennt - persönliche Freunde waren, und Stoiber hat ihn gewonnen.
Stoibers Rolle in den letzten Tagen sei "diabolisch" gewesen, heißt es in der CSU-Fraktion, es ist vom "Mephisto aus Wolfratshausen" die Rede. Stoibers Rachefeldzug sei "ohne Vergleich in der bayerischen Nachkriegsgeschichte", sagt ein CSU-Mann.

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Die Katharsis der Banken
SZ - Die Krise der Banken und Börsen wird erst zu Ende gehen, wenn sich die Finanzbranche selbst gereinigt hat. Die Bankenpleiten und der Kursrutsch an den Börsen sind Ausdruck dieser Katharsis. Sie ist aber ein langwieriger Prozess. Über viele Jahre, seit 2001 hat sich die Finanzwelt von der realen Wirtschaft entkoppelt. Ähnlich lange wird es dauern, bis das Übermaß an Schulden, das in der Wirtschaft steckt, abgebaut ist. Jene Banken, die sich am schlimmsten verspekuliert haben, müssen verschwinden. Einige werden pleitegehen, andere von Konkurrenten übernommen werden.
Der Staat sollte diesen Prozess nicht verhindern, sollte die Marktkräfte so weit wie möglich zulassen, auch wenn sie jetzt vor allem zerstörerisch wirken. Doch das Übel dieser Krise besteht ja vor allem in dem großen Misstrauen, das die gesamte Finanzbranche durchdringt.
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Köhler macht Wahlkampf für die CDU
taz - Köhler entschied sich für eine eigenwillige Synthese. Er schwenkte, wie schon in seiner letzten Berliner Rede, von reinen Wirtschaftsreformen auf das Thema Bildungsreform um - und geriet gerade dadurch wieder in die Nähe der Parteilichkeit. "Bildung ist die wichtigste Voraussetzung für Chancengerechtigkeit und sozialen Aufstieg", sprach er. "Wir brauchen eine Gesellschaft, in der niemand ausgeschlossen wird; eine Gesellschaft mit vielen Treppen und offenen Türen." Das ist nicht falsch. Aber dass es der Präsident just in dem Moment entdeckt, in dem die Kanzlerin und ihre CDU eine Kampagne "Aufstieg durch Bildung" entfachen, ist bestenfalls unoriginell, im schlimmsten Fall schlicht Wahlkampfhilfe.
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Es könnte sein, dass die Aufgabe für Afghanistan nicht lösbar ist
Freitag - Ich bin kein Experte für Afghanistan, aber nach den Wahlen im nächsten Jahr wird dort abzuschätzen sein, wie stabil die Lage ist. Ob die endlich beschlossene Umverteilung der militärischen Mittel zugunsten des zivilen Aufbaus, ob die Koordinierung von amerikanischen und europäischen Konzepten mit denen der traditionellen Warlords, Clanchefs und Drogenbarone funktioniert, muss abgewartet werden. Die Verlängerung und Verstärkung des jeweils Unzureichenden sind nicht nur deprimierend und demoralisierend - sie kommen den Taleban zugute.
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Die Zwecklüge
Freitag - Doch hinter der publikumswirksam verkündeten Suggestion von "zivil-militärischer Zusammenarbeit", von den Brunnenbohrern und Brückenbauern unter der Obhut internationaler Schutztruppen - ein bisschen bewaffneter Entwicklungshilfe sozusagen - verbirgt sich realiter eine ganz andere Agenda, die der amerikanischen Imperialmacht nämlich. Der ausgewiesene Afghanistan-Kenner Willy Wimmer, vormals Staatssekretär auf der Bonner Hardthöhe, hat nach einem Besuch bei Präsident Hamid Karzai berichtet, dass die USA den Krieg am Hindukusch schon vor Jahren hätten beenden können, dies freilich nicht wollten. Über die Gründe hierfür bedarf es keiner Spekulation. Kein Geringerer als der ehemalige Nationale Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski hat unverblümt zu Protokoll gegeben, dass es um nichts anderes als die globale Hegemonie der USA geht. Unabdingbar hierfür ist die Beherrschung Eurasiens oder - in Brzezinskis Worten - des "eurasischen Schachbretts". Aus geostrategischem Interesse ist es den USA um die Einkreisung des "Schurkenstaates" Iran, den Einfluss auf die zentralasiatischen Republiken, des "eurasischen Balkans", die Isolierung Russlands und die Eindämmung der potenziellen Supermacht China zu tun. Geoökonomisch gesehen, ist für das Imperium Americanum der Zugang zu den Energie- und Rohstoffressourcen Eurasiens sowie die Kontrolle über deren Transportwege unverzichtbar. In beiderlei Hinsicht brauchen die USA den Krieg in Afghanistan, das nach Brzezinski eine Teildomäne des "eurasischen Balkans" bildet. Den zu halten, rechtfertige die Stationierung von US-Truppen in dieser Region und damit an der - Originalton-Ton Brzezinski - "zentralasiatischen Front".
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Absturz ins Bodenlose
Freitag - Im Moment freilich musste die britische Regierung erneut einspringen und die zweite Hypothekenbank verstaatlichen. Nach hohen Verlusten durch geplatzte Immobilienkredite und einen dramatischen Kursverfall begann bei dem auf riskante Hypothekformen spezialisierten Institut Bradford & Bingley (B&B) der Run der Sparer auf ihre Konten. Da kein Käufer in Sicht schien, konnte das britische Schatzamt gar nicht anders, als die B&B zu verstaatlichen. Der spanische Bankenriese Santander - vom britischen Staat mit fast 20 Milliarden Pfund gelockt - übernimmt das Filialnetz und das Kleinsparergeschäft. Nach dem Crash die Filetstücke herausfischen und das Risiko dem Staat überlassen, heißt die Parole.
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Minister patzig
FTD - Hält Steinbrück an diesem Kurs fest, wird er noch viele böse Überraschungen erleben. Die Konjunktursignale sind alarmierend, die Finanzkrise hat sich derart zugespitzt, dass es im Moment nicht um die Abstrafung von Sündern gehen muss, sondern um die Wiederherstellung eines Mindestmaßes an Vertrauen im Finanzsystem.
In dieser Krisensituation zeigt sich die Qualität eines Finanzministers nicht darin, dass er im Bulldoggenstil Etatziele verteidigt. Steinbrücks US-Kollege Hank Paulson soll die Abgeordnete Nancy Pelosi per Kniefall um Unterstützung für sein Fiskalpaket gebeten haben. Etwas Flexibilität und Demut sind manchmal die stärksten Zeichen von Souveränität.
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Gier ist gut, Kontrolle ist besser
FTD - Hypnotisiert, eingeschüchtert oder eingelullt von der Propaganda einer vermeintlich anderen, besseren neuen Zeit haben wir es zugelassen, dass der Finanzmarkt zu einem gigantischen Finanzkasino ausartete, bei dem mit dem Wohl und Wehe unserer Volkswirtschaften gezockt werden konnte, als handele es sich bloß ums Roulettespiel in Baden-Baden.
Wir haben zum Beispiel Gehaltsstrukturen geduldet, die die Sachwalter unseres ökonomischen Gemeinwohls auch dann zu vielfachen Millionären machte, wenn sie krass versagten. Wir haben vor allem kurzfristig kalkulierende Risikobereitschaft zügellos belohnt und langfristig planende Vorsicht finanziell bestraft und kulturell belächelt. Dieser Trend lässt sich seit mindestens 20 Jahren beobachten; er hat den alten, gemütlicheren rheinischen Kapitalismus vermutlich irreversibel obsolet gemacht, und das war, wie man jetzt vielleicht sehen wird, nicht nur gesellschaftlich ein Verlust.

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Kitsch in Hamburg ist schwarz-grün
SZ - Diese Koalition einzugehen, war für die GAL ein Fehler, nun weiß sie es. Sollten die Grünen dennoch daran festhalten, hat das wenig mit Inhalten und viel mit Kalkül zu tun. Ihnen fehlen Alternativen. Der Ausstieg aus der Koalition könnte zu Neuwahlen oder einer großen Koalition führen. Beides wäre für sie schmerzhafter als das Weiterregieren. Bundesweit sollten die Grünen dieses Ende des Hamburger Frühlings als Menetekel erkennen. Es ist der Modellfall für das, was sie sich nicht erlauben können.
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