Freitag, 10. Oktober 2008

Fundstücke 10.10.2008, 12.04 Uhr

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Anwalt für Hartz-IV-Empfänger soll deutlich teurer werden
Welt - Die Rechtsberatung für Hartz-IV- und Sozialhilfeempfänger soll eingeschränkt werden. Bisher übernahmen Anwaltskosten meist die Länder. Nur eine geringe Eigenbeteiligung war fällig. Die soll erhöht werden, außerdem will man Einzelfälle stärker prüfen. Der Grund: Seit die Hartz-IV-Gesetze eingeführt wurden, ist die Zahl der Klagen von Hartz-IV-Empfängern stark gestiegen.
Anmerkung: Zwei Dinge. Erstens: seit der Einführung von Hartz-IV sind die Klagen dagegen stark gestiegen. Wow. Nach der Einführung des Autos wurde vermutlich auch mehr Auto gefahren als davor. Danke. Zweitens: Diejenigen, die solche Gesetze verbrechen, gehören endlich aus ihren Ämtern entfernt, angeklagt und bestraft. Abgesehen davon, dass es einfach nur absolut widerlich und unmenschlich ist (mir fehlen wirklich die Worte dafür), werden hier die Folgen eigener Fehler auf die Opfer abgewältzt. Wer hat denn eine nutzlose, schädliche und handwerklich fehlerhafte Reform verbrochen, die Leute in Armut stürzt? Waren das vielleicht diejenigen, die arm geworden sind? Müssen sie bestraft werden? Wie wäre es mit einem alternativen Gesetzesvorschlag: alle Politiker, die 2004 für die Einführung der Hartz-IV-Gesetze gestimmt haben, müssen die Anwaltskosten für erfolgreiche Klagen selbst übernehmen. Da würden Ursache und Wirkung endlich mal zusammenpassen. Manager-Bashing ist ja grade groß in Mode, aber vielleicht sollte man auch einmal diejenigen zur Verantwortung ziehen, die sich haben bestechen und einlullen lassen und das Parlament zu dem moralisch verkommensten Haufen der ganzen Republik gemacht haben.
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Hartz-IV für blöde Banker!
FTD - Aber dann müssen die Verantwortlichen mit ins Risiko. Zwar entsprechen selbst die riesigen Vermögen derjenigen, die sich in den vergangenen fünf Jahren in "verantwortlicher" Position die Taschen vollgemacht haben, bei weitem nicht den Verlusten, die sie verursacht haben. Aber was hätten sie gemacht, hätten sie gewusst, dass sie in einer Situation, wie wir sie nun erleben, alles verlieren würden? Sie hätten ihre bisherige Haltung nicht mehr als rational verstanden. Sondern als persönlich brennend gefährlich. Für sich selbst, ihre Familien, ihre Erben.
Es braucht wieder echte Rationalität im System. Und eine entsprechende Regulierung. Die kann nur lauten: Wer sich so verhält, wie es viele Bankmanager in den vergangenen fünf Jahren getan haben, muss mit dem Risiko einer persönlichen Totalpleite konfrontiert sein. Nur so entsteht eine Logik, die das Wohl der Bank und das Wohl der Allgemeinheit vereint. Deshalb kann das Ziel einer künftigen Regulierung nur lauten: Macht logisches Verhalten sozial kompatibel - per persönlicher Haftung. Oder einfach ausgedrückt: Hartz IV für blöde Banker!

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Krieg dem Pöbel! Die neuen Unterschichten in der Soziologie deutscher Professoren
NDS - Die Entdeckung der „neuen Unterschicht(en)“ zu Beginn des neuen Jahrtausends ist kein so­ziologisches, kein wissenschaftliches Datum, sondern das Produkt einer der politischen Pro­paganda dienenden „öffentlichen Soziologie“, in der einige Wissenschaft­ler - vor allem Paul Nolte und Heinz Bude - als professorale Autoritäten, aber auch als akti­ver Teil einer publizistischen Welle fungieren. Diese hat in Deutschland nicht zufällig im Jahr 2004 einen Höhepunkt erreicht: Sie begleitete und legitimierte die Einführung von „Hartz IV“: die Abkehr vom bis dahin dominierenden sozialstaatliche Ziel der Statussicherung hin zum Ziel der Existenzsicherung.
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"Die Politik hat eine strengere Managerhaftung verhindert"
Handelsblatt - In Deutschland gibt es einen großen Unterschied zwischen der Binnen- und der Außenhaftung. Manager in Deutschland haften lediglich gegenüber ihres Unternehmens, nicht gegenüber Dritten - anders als in den USA. Aus Sicht der Manager ist die Binnenhaftung ein zahnloser Tiger. Und ein Gesetz zur Außenhaftung kam bis heute nicht zustande.“
HH: Warum nicht?
„Die offizielle Begründung lautete 2004: Grundlichkeit geht vor Schnelligkeit. Auf diese Gründlichkeit warten wir bis jetzt. Daher ist es durchaus interessant, wenn sich vor allem SPD-Politiker über das Verhalten von Managern beschweren und strengere Gesetze fordern, sie haben das damals verschleppt. Zum Hintergrund: Damals war Heinrich von Pierer Berater der Regierung und es ist kein Geheimnis, dass er sich gegen ein Gesetz zur Außenhaftung ausgesprochen hat. Aus gutem Grund, wie wir heute wissen.“

Anmerkung: Es ist wirklich dermaßen ärgerlich! Vor vier Wochen hätte das Handelsblatt über derartige Kritik noch ätzend über Linksromantik gelästert und betont, wie wichtig die fehlende Haftung ist und wie richtig. Einsicht in die eigenen Fehler wäre wirklich wünschenswert.
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Aus der Not gewuchert
Handelsblatt - Gerade übernimmt ein neuer Bischof feierlich das Amt in der evangelischen Kirche Oldenburg. Da platzt die schlechte Nachricht herein: Das Vermögen, das die Landeskirche zum großen Teil aus Grundstücksgeschenken der Bauern angesammelt hat, war teilweise in Bonds und Derivate der pleitegegangenen US-Investmentbank Lehman Brothers investiert. Die Landeskirche mit ihren 123 Kirchengemeinden von Cloppenburg über Vechta bis Wilhelmshaven muss rund 4,5 Millionen Euro abschreiben.
Anmerkung: Noch vor zwei Monaten erschien in der SZ ein euphorischer Artikel über einen Mönch, der ein Kloster zum rentablen Unternehmen gemacht hat und das Geld in Aktien anlegt, auch in hochspekulative Fonds. Wie mutig, wie fortschrittlich! Abgesehen davon, dass die Kirche damit ihr eigenes karikatives Werk ad absurdum führt - man verdient mit Heuschrecken das Geld für Suppenküchen um die Opfer der Heuschrecken zu nähren - war das wohl wirklich der größte Quatsch aller Zeiten. Und überall tun die Herren und Damen Journalisten so, als hätten sie es immer schon gesagt, getreu dem Motto: Was geht mich mein dummes Geschwätz von gestern an.
"Bundesregierung hat Krise verschärft"
taz - Aber es ist ein Treppenwitz des Geschichte, dass in der Wall Street, der Hochburg des Kapitalismus, die Verstaatlichung der letzte Rettungsanker ist. Man darf das aber nicht mit Sozialismus verwechseln. Sozialismus ist nicht die Verstaatlichung bankrotter Banken, sondern eher die Organisation des Geldkreislaufs in öffentlicher Verantwortung. Wir können ja wirklich froh sein, dass wenigstens ein Teil der Kreditwirtschaft noch in öffentlicher Hand ist. Vor ein, zwei Jahren war ja die Linkspartei die einzige, die die Privatisierung der Sparkassen abgelehnt hat. Heute sehen wir mit Heiterkeit, wie die anderen die Sparkassen loben.
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"Die Philosophien der Deregulierung und des Neoliberalismus in den westlichen Ländern sind tot"
Tagesspiegel - Eines ist sicher, die Philosophie der Deregulierung ist tot. Die Amerikaner werden sagen: okay, wenn wir die Banken und das Finanzsystem retten, dann wollen wir in Zukunft eine Aufsicht haben, damit das nicht wieder passiert. Halten Sie sich einmal vor Augen: das hat sich nun alle paar Jahre wiederholt - denken Sie an die Krise der Sparkassen Ende der 80er, die Aktienblase der 90er, Enron, Long Term Capital Management und so weiter und so fort. Diese Leute haben uns doch jedes Mal die Pistole an den Kopf gesetzt, das ist schlicht Erpressung. Die Steuerzahler werden fordern, dass damit Schluss ist. Aber ich kann diese Leute jetzt schon hören, wie sie dem Kongress einflüstern, er möge nicht überreagieren, Innovation müsse auch in Zukunft möglich sein, damit sie weiter handeln können wie bisher. Eine Zeit lang werden die Banken konservativer sein, die Kreditvergabe weniger lax. Dann kommt eine neue Generation von Bankern, die wieder "dynamischer" sein will und nach höheren Gewinnen strebt. Das Ganze beginnt dann wieder von vorn, wenn wir nicht Schluss machen damit.
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Serientäter Bundesbank
FTD - Das Drama ist: Zur Zinserhöhung vom Juli haben im Rat der Euro-Bank die Deutschen gedrängt. Und: Keine andere Währungsbehörde hat einen so erschreckenden Hang, in Finanzkrisen danebenzuliegen, wie die Bundesbank - mit stets weitreichenden Folgen. Vielleicht wäre es an der Zeit, auch (deutsche) Währungshüter künftig stärker zu kontrollieren.
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Sozialismus im Grundgesetz
SZ - Kein Überbleibsel aus der DDR: Im Grundgesetz befasst sich ein Artikel mit Vergesellschaftung - und verdeutlicht das wirtschaftliche Spektrum, das in Deutschland möglich wäre.
Anmerkung: Sehr schöner Hintergrundartikel.
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Heikle Verspätung
FTD - Es wird nicht lange dauern, bis auch Vertreter der Regierungsparteien der Versuchung erliegen, den Börsengang infrage zu stellen. Dann droht ein bizarres Bündnis aus panischen Märkten und Mahnern. Und ein großer Fehler.
Ohnehin sollen nur 24,9 Prozent der Transport- und Dienstleistungssparte verkauft werden. Potenzielle Investoren haben daher keine Möglichkeit, wichtige Entscheidungen zu blockieren. Bräche jetzt erneut eine Grundsatzdebatte aus, würde das wohl viele Interessenten dauerhaft verscheuchen. Zu deutlich wäre das Signal, dass der Konzern ein Spielball politischer Interessen ist und bleibt.

Anmerkung: Halte ich für falsch. Die Privatisierung voranzutreiben, das wäre ein schlimmer Fehler. Die Bahn als börsennotiertes, privatisiertes Unternehmen macht überhaupt keinen Sinn. Man sollte stattdessen Mehdorns Logistikkonzern vom Bahngeschäft trennen und dort wieder darauf achten, dass die Bahn ihrem Daseinszweck nachkommt. Davon abgesehen sind die "nur 24,9%" eine Nebelkerze. Siehe auch:
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Auf schlichten Gleisen
FR - Welcome back to reality, Herr Mehdorn. Die Finanzkrise und der nun verschobene Börsengang der Deutschen Bahn bergen eine Chance zur Rückbesinnung auf die banale Frage: Was verlangt die Gesellschaft eigentlich von der Bahn? Und nicht: Wie scheffle ich den größten Gewinn? Auf diese Frage hat die Politik keine Antwort, die meisten Politiker haben sie sich nicht einmal gestellt. Sie haben den Bahnmanager einfach machen und sich von schönen Bilanzen einlullen lassen. Es wird Zeit, dass die Bahn einen anderen Stellenwert bekommt: Sie soll möglichst viele Menschen transportieren, sie soll das Auto so überflüssig wie möglich machen und nicht zum Ersatzflugzeug werden.
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Verleger rüsten gegen Amazon auf
FTD - Die Verleger geben sich optimistisch - und schließen ein Ende des gedruckten Buches aus: Die "schmerzhaften Erfahrungen der Musikindustrie" ließen sich auf die Buchbranche nicht "eins zu eins übertragen", sagt Stefan Lübbe: Zwar müssten sich die Verleger "auf neue Trägermedien einstellen". Dennoch gelte: Wer ein Lied oder einen Film herunterlade, müsse seine Konsumgewohnheiten nicht ändern, so der Verleger: "Jemand, der 1200 Seiten ,Krieg und Frieden‘ auf dem Bildschirm liest", hingegen schon.
Anmerkung: Der Datenschutz ist, wie üblich, bei dem ganzen technologischen Hokuspokus nicht geklärt.
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