Samstag, 3. Januar 2009

Eine Träne für Ludwig Erhard

Ludwig Erhard ist eine arme Sau. Seine Konzepte wurden nicht angenommen, und heute wird er genauso von denen auf die Fahnen geschrieben, die seine Hinterlassenschaften vernichten und seine Theorien untergraben wie der alte Karl Marx, dessen Theorien als Legitimationsbasis für einige der übelsten Diktaturen aller Zeiten herhalten mussten. Eigentlich wäre das eine hervorragende Basis für einen Vergleich, aber in den Ring geworfen wurde dieser Vergleich leider nicht von irgendjemand, der seinem Publikum eine interessante Analyse mit Raum zum Reflektieren und Nachdenken bieten möchte, sondern von Hans Hermann Tiedje, dem ehemaligen BILD-Chefredakteur. Der ist nicht mehr BILD-Chefredakteur, sondern arbeitet heute für ein privates, nun ja, Meinungsinstitut. Dieses Institut heißt WMP Eurocom AG und hat sich auf die Fahnen geschrieben:
  • Wir führen Wirtschaft, Medien und Politik zusammen.
  • Wir korrigieren einseitige und von Vorurteilen geprägte Darstellungen.
  • Wir schaffen ein informiertes und verständnisvolles Umfeld für die Anliegen unserer Klienten.
Na, das klingt doch seriös. Wenn nun also Herr Tiedje versuchen will, einen solchen Marx-Erhard-Vergleich zu machen, dann ist natürlich die BILD das Mittel der Wahl, weil man nur dort jenes interessierte und offene Publikum findet, das solche Diskussionen erst richtig interessant macht. Der Artikel ist recht kurz, deswegen können wir es uns leisten, ihn ebenso kurz auseinanderzunehmen, nachdem Kollege Weißgarnix da eine so gute Vorlage geliefert hat.

2009 – es könnte besser losgehen ...

Allerdings.

Panikmacher verstärken wie dröhnende Lautsprecher das Gefühl von Krise, von Wirtschaft am Abgrund, von Arbeitsplätzen in Gefahr, bösen Bankern, Armut und schreiender Ungerechtigkeit.

Ehrlich, diese Panikmacher! Wenn die nicht wären, der Weltwirtschaft ginge es prächtig. Kein amerikanischer Autokonzern würde am Rand des Abgrunds stehen, keine Investmentbanker hätten im inkompetenten Größenwahn Milliarden verzockt, die Hälfte der Hedgefonds würde nicht crashen, die Staaten nicht Billionenbürgschaften übernehmen und Josef Ackermann immer noch das Victoryzeichen machen. Ja, diese Panikmacher.

Aber die Panikmacher sind oft Heuchler. Wer „die da oben“ schimpft und „uns hier unten“ wähnt, wünscht sich nicht selten ein grundsätzlich anderes System herbei. In dem Gemeinnutz mal wieder wichtiger sein soll als persönliche Freiheit. Wer laut eine „Gerechtigkeitslücke“ beklagt, träumt leise oft schon wieder von Karl Marx.

Ja, wir elenden Heuchler. Erst verbreiten wir Panik und dann sagen wir nicht, dass wir ein anderes System wollen, was auch immer das heißen mag. Systemwechsel, Systemfrage stellen, das sind Schlagworte, die klingen total bedrohlich. Ideales BILD-Futter also. Ich muss sagen, wenn ich an meinem Laptop das System auswechsle geht das relativ zackig und läuft danach rund. Wäre das vielleicht eine passendere Metapher? Naja, ich kann so etwas nicht wissen, ich bin ja nur ein heuchlerischer Panikmacher. Ich kann Tiedje aber beruhigen, ich träume nicht von Karl Marx, weder leise noch laut. Ich träume von Ludwig Erhard.

Das altbewährte Schlagwort heißt „sozial“. Damit fängt die Katze Mäuse. Weil: Sozial sein, heißt gut sein – und wer ist schon gerne unsozial?

Irgendwie hat dieser Abschnitt etwas von ironischer Selbstentlarvung. "Stiftung Soziale Marktwirtschaft", "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" - die haben beim alten Tiedje gut gelernt, denn mit diesem Schlagwort fängt die Katze wahrlich Mäuse. Ich hätte nicht gedacht, dass ich sinnerhellende Analysen einmal bei der BILD lesen würde, aber hier haben wir sie. Denn in der Tat ist es Politikern, Meinungsmachern und Wirtschaftsführern in den letzten zehn Jahren äußerst erfolgreich gelungen, mit dem "Schlagwort sozial" Mäuse zu fangen und die Zustimmung zu den absurdesten Reformvorhaben einzufangen. Aber vielleicht hat der Tiedje das ja gar nicht gemeint?

Die Welt in der Wirtschaftskrise ist 2009 eine fabelhafte Gelegenheit, unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung in Frage zu stellen. Ludwig Erhard gegen Karl Marx – die Systemfrage wird gestellt.

Ja, darauf haben wir Heuchler und Panikmacher nur gewartet. Endlich eine Wirtschaftskrise, damit wir die Systemfrage stellen können. Oh verdammt, jetzt hat Tiedje auch dieses böse W-Wort benutzt. Ist er jetzt auch ein Panikmacher, ein heuchlerischer gar, weil er vielleicht leise von Marx träumt? Wir werden es nie erfahren. Denn scheinbar wird die Systemfrage gestellt. Von wem, erfahren wir nicht, und was die Systemfrage eigentlich ist, das erfahren wir auch nicht. Vermutlich ist die Antwort darauf 42, aber so sicher ist das nicht. Die Systemfrage ist in etwa so arm dran wie die Gretchenfrage, jeder hat schon mal davon gehört, aber keiner weiß, wie sie lautet. Nebenbei bemerkt IST die Systemfrage die Gretchenfrage, aber das wäre Tiedje wohl zu hoch.

Ist das wirklich eine Frage? Von Ludwig Erhard bleibt unsere Marktwirtschaft (mit Fehlern), von Karl Marx blieben nicht einmal mehr die UdSSR oder China, sondern Nordkorea und Simbabwe.

Tiedje würde aber nicht für die BILD schreiben, wenn er die Antwort nicht erstens verbindlich für den Leser finden und zweitens auch noch dabei einen Eiertanz aufführen würde, so dass er sie doch nicht beantworten muss. Denn was haben Erhard und Marx hier zu suchen? Die Systemfrage, die gerade gestellt wird hat mit beiden eigentlich herzlich wenig zu tun. Von Erhards sozialer Marktwirtschaft ist nichts geblieben. 27 Jahre Reformpolitik seit 1982 haben dafür gründlich gesorgt. Unsere heutige Marktwirtschaft (mit Fehlern) hat so wenig mit Erhard zu tun wie Marx mit Nordkorea. Ich will kurz erläutern warum. Zu Erhard gehört der soziale Frieden, der Gedanke für die Verlierer des Systems zu sorgen. Außerdem können die spekulativen Geldgeschäfte der heutigen Tage und die Überversorgung gewisser Bevölkerungkreise (nein, nicht der Hartz-IV-Empfänger) nicht in seinem Sinne gewesen sein, von den korporatistischen Konzentrationsprozessen ganz zu schweigen. Bei Marx kann ich, auf der anderen Seite, keinen Eintrag finden "Unterdrücke dein Volk, schließe deine Grenzen, lass es hungern und gib über 30% deines Haushalts für ein Militär aus, das nur dazu ist das Volk in Schach zu halten und deinen südlichen Nachbarn zu überfallen, sollte er sich die Böße geben". Die nordkoreanische Diktatur hat mit Marx so viel zu tun wie die Deutsche Bank mit nachhaltigem Wirtschaften. Die Systemfrage wird nicht zwischen Marx und Erhard gestellt, das ist vollkommener Unsinn. Niemand experimentiert gerade am Sozialismus herum, nicht einmal die LINKE. Die Systemfrage wird derzeit zwischen Milton Friedman und John Maynard Keynes gestellt, aber dieser Zusammenhang lässt sich nicht so gut als Schlagwort gebrauchen wie Erhard gegen Marx. Den Keynesianismus kann man dem durchschnittlichen BILD-Leser mit einem Verweis auf "die Siebziger" als schlecht verkaufen, aber bei Friedman hört es endgültig auf.

Wenn Sie wissen wollen, wie es dort aktuell aussieht, fahren Sie ruhig hin. Falls man Sie rein lässt ...

Die meisten BILD-Leser können das nicht, Herr Tiedje. Sie leben nämlich hart am Existenzminimum, oft genug von Hartz-IV, und können sich solche Reisen nicht leisten, ganz davon abgesehen, dass Sie und andere Freiheitsapologeten eine Meldepflicht eingeführt haben für diejenigen, die "Transferleistungen" empfangen. Aber das weiß man natürlich nicht mehr, wenn man im Elfenbeinturm sitzt und nicht mehr rausschaut. Wobei der Elfenbeinturm in dem Fall wohl eher die Güllegrube ist, über deren Rand Tiedje nicht zu schauen vermag.

6 Kommentare:

  1. Der "Kommentar" von Hans Hermann Tiedje ist doch nur mit Phrasen gespickt: Systemfrage, Marx und Erhard...
    Eigentlich sagt uns dieser Artikel doch doch gar nichts - nur dass die Bild und ihre Redakteure keine Ahnung haben.

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  2. Erhard oder Marx?
    Diese Systemfrage stellt auch der Besserwisser vom Focus.Helmut Markwort,in seinem Tagebuch,und kommt völlig gleichgeschaltet,nur anders formuliert, zum gleichen Ergebnis wie Tiedje:

    "Die Markwirtschaft hat ein Problem,der Sozialismus ist ein Problem"

    Und die böse Linke,nach Markwort die "Neokommunisten" wollen die DDR reaktivieren.Weil aber den Ossis der Totalschaden der Kommis noch im Gedächtnis haftet,wählt diese Neotruppe niemand.Und der Wessi weiß,im Osten war eh alles Mist,deshalb fällt auch im Westen niemand auf Lafos Gurken herein.

    Tja so ist das halt.Zwar will nicht mal die Linke den Kommunismus,
    trotzdem heißt die Frage auch beim Meinungsführer Markwort:
    Marktwirtschaft(Erhard) oder Sozialismus(Marx),statt Keynes oder Friedman.

    Und schon ist die Systemfrage geklärt:Natürlich Marktwirtschaft.Also weiter nach der gleichen Musik.

    Im übrigen kommt mir das Thema Markwort/Focus in der Bloggerszen deutlich zu kurz.Es gibt haufenweise Zeitgenossen die der Meinung sind,Focus informiert umfassen und seriös.Der tendenziöse Journalismus dieses Blattes wird deutlich unterschätzt.Und Markworts Wort hat gewicht,schließlich ist er ein Intimus vom Patriarchen Hubert Burda.

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  3. Für die Zerlegung des Tiedjeschen "Artikels" gebührt Dir großes Lob. Ich habe mich sehr darüber geärgert und selbst erwogen, etwas dazu zu schreiben... Du hast es aber meisterhaft gemacht. Gerade auch der letzte Absatz, in dem Du sagst, dass die Kreise, aus denen er kommt, dafür gesorgt haben, dass sich BILD-Klientel abzumelden habe bei den Behörden, sofern sie auf Reisen gehen wollen, ist in dieser Bissigkeit und Schärfe herausragend.

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  4. wenn ich das richtig las, denn von verstehen von verrenkungen bin ich gefeit, dann soll mit diesen 3 punkten das gemacht und bewirkt werden, was brüssel eh schon ist: kommissärs-diktatur, wie in den 85 jahren der befreiung von leben und freiheit, mit seinen 62 mio toten ohne die kriege.also: räterepublik. wozu dann noch wahlen und dieser käu? kasperltheater wie alles??

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  5. Die Beziehung zwischen Karl Marx und dem Real existierenden Sozialismus (eigentlich müsste man hier ja die Vergangenheitsform wählen, naja ...)
    ist die selbe wie die zwischen Ludwig Ehrhard, Eucken, Röpcke und den anderen Ordoliberalen, und dem "real existierenden Neoliberalismus". Der Name wird benutzt um den Inhalt zu misbrauchen, zu verbiegen, in Gegenteil zu verkehren.
    Es wird Zeit für eine Anwendung des Radikalenerlasses für real existierende Neoliberale.

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  6. Nein, gar nicht. Dinge wie der Radikalenerlass sind zutiefst freiheitsfeindlich; sie dürfen nicht angewandt werden, sofern es nicht wirklich gegen erklärte Verfassungsgegner geht. Das, was die Jungs treiben mag uns nicht gefallen, ist aber durch die Meinungsfreiheit und das GG gedeckt.

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