Samstag, 27. März 2010

Das Dilemma der SPD zwischen Rhein und Ruhr

Von Stefan Sasse

Sigmar Gabriel hat öffentlich kundgetan, dass er Rot-Rot-Grün in NRW ausschließt, auch wenn das Wahlergebnis es zulassen würde. Stattdessen hofft er auf Rot-Grün und versucht sich an der Taktik, die LINKEn aus dem Landtag zu halten und ihre Stimmen auf sich zu ziehen. Gleichzeitig gibt er Lockrufe an die Grünen ab: schwarz-grün sei nicht gut für die Grünen, weil sie da ihre Umweltpolitik nicht durchsetzen könnten. Außerdem ergäben die Umfragen ein klares Bekenntnis der Bevölkerung zu Rot-Grün vor Schwarz-Grün. 

Allein, die Wahl ist wie die zwischen Autofahren und Fliegen lernen. Das eine geht, das andere nicht. Ich würde eine rot-grüne auch einer schwarz-grünen Regierung vorziehen, aber was hilft's? Man muss mit den Realitäten leben, denen man sich gegenübersieht. Und die sind für die SPD derzeit so, dass die LINKE wohl in den Landtag kommen und es für Rot-Grün nicht reichen wird.

Dabei sollte man Gabriels Taktik nicht zu vorschnell abqualifizieren. Der Versuch, die LINKE aus den westdeutschen Landtagen herauszuhalten, ist legitim, und mit dem aktuellen programmatischen Versuch  einer Kehrtwende werden auch die Grundlagen dafür gelegt, dass dies funktionieren könnte, noch dazu im ehemaligen sozialdemokratischen Herzland NRW. Sollte es für die SPD tatsächlich zu Rot-Grün reichen, wäre das ein kleines Wunder für die Partei. Ihre wichtigste Aufgabe ist aber eher der Versuch, stärkste Fraktion zu werden, damit im Zweifel eine Rot-Schwarze und keine Schwarz-Rote Koalition gebildet wird.

Dadurch kämpft die SPD an vielen Fronten. Sie will prinzipiell versuchen, alte enttäuschte Stammwähler zurückzugewinnen, die Agenda-2010-Befürworter (ja, die gibt's tatsächlich) nicht zu verschrecken und dabei gleichzeitig Stimmen von den Grünen, der CDU und der LINKEn abziehen. Das ist ein komplizierter Tanz auf vielen Hochzeiten.

Der Präzendenzfall dafür existiert: bei den Landtagswahlen im Saarland 1985, und 1990 versuchte ein SPD-Ministerpräsident namens Lafontaine, die Grünen mit einer aggressiven Kampagne aus dem Landtag herauszuhalten und strebte die absolute Mehrheit für die SPD an. Das risikoreiche Manöver gelang zweimal in Folge, und der desolate Zustand der Saar-Grünen wirkt zusammen mit deren Lafontaine-Komplex noch heute nach.

Wenn also Gabriel nun das Gleiche in NRW wiederholen möchte und dadurch "das Fleisch vom eigenen Fleisch" auf Abstand halten, anstatt den aktuellen Zustand zu akzeptieren und ihn auch noch durch Zusammenarbeit aufzuwerten, ist das prinzipiell kein allzu dummer Versuch und unterscheidet sich von der Vogel-Strauß-Taktik der letzten Landtagswahlen insofern, als dass weder einfach trotzig so getan wird, als ob die LINKE nicht da wäre, noch dämliche Argumente wie die SED-Vergangenheit vorgeschoben werden. Stattdessen versucht die SPD tatsächlich, um die potentiellen Wähler der LINKEn zu werben. 

Ich halte den Versuch trotzdem für zum Scheitern verurteilt, und zwar aus mehreren Gründen. Zum Einen ist der programmatische Umschwung, den die SPD derzeit zu vollziehen versucht, alles andere als abgeschlossen. Die Partei weiß noch immer nicht wirklich, wie sie genau zu ihrem Ziel - wieder Volkspartei zu werden - gelangen will. Derzeit ist die SPD sehr fragil, ein kochender Topf, auf dem die Parteiführung nur mit Mühe und unter bereits ordentlichen Konzessionen an die Basis (vergleicht man sie mit der Schröder- und Müntefering-Ära) den Deckel halten kann. Eine klare Ansage an Rot-Rot-Grün ist ihr deswegen auch nicht möglich, da es den gesamten Prozess gewissermaßen vorweg nehmen würde, und gleichfalls ist es auch das unrealistische Beharren auf der Ampel. Auf die rot-grüne Karte zu setzen ist deswegen unter innerparteilichen Gesichtspunkten sinnvoll, weil beide Flügel damit kein Problem haben und der innere Friede nicht gefährdet wird. Dass es gleichzeitig auch Machtoptionen nimmt, ist die andere Seite der Medaille.

Zum Anderen aber kämpft die SPD an mehreren Fronten. Die LINKE ist ja nicht ihr einziger Gegner. Sie muss gleichzeitig nicht nur eine weitere Wählerwanderung hin zu den Grünen verhindern, sondern auch versuchen, diese Partei aus dem konservativen Lager fernzuhalten. Schwarz-Grün am Rhein wäre für die SPD ein Desaster. Gleichzeitig will sie auch nicht, dass weitere Wähler zu Rüttgers überlaufen, wenn der sich wieder einmal als der bessere Sozialdemokrat geriert. Einzig über die FDP muss sich die SPD dank ihres Wahlhelfers Guido Westerwelle gerade keine Sorgen machen.

Die Situation in NRW zeigt, wie wichtig für die SPD die programmatische Neuorientierung ist. Die Partei muss sich so schnell sie kann in der Oppositionsrolle finden, schließlich beansprucht sie die Oppositionsführerschaft. Die Chancen dafür stehen seit dem Lafontaine-Rückzug sehr gut, weil damit der frühere eigentliche Oppositionsführer fehlt. Gleichzeitig muss sie ihr Verhältnis zur Agenda 2010 und den damit verbundenen Reformen schnellstmöglich klären. Dazu braucht es eine abschließende, für alle Flügel verpflichtende Interpretation der Erfolge und Misserfolge, die tunlichst nicht allzuweit von der Wirklichkeit entfernt sein sollte. Dazu braucht es auch wieder eine Vision, wie es weitergehen soll und was sozialdemokratische Politik in Zukunft sein soll.

Das alles hängt der NRW-SPD wie ein Klotz am Bein. In einem Jahr könnte eine solche Strategie vielleicht Erfolg haben. Jetzt sitzt die SPD in einem Teufelskreis, und wie sie sich auch wendet, gehen ihr die Optionen aus. Für die Partei ist es wichtig, in NRW an die Regierung zu kommen, egal wie. Nur mit der Blockademacht im Bundesrat wird sich effektiv Oppositionspolitik betreiben lassen - und nur dadurch wird sie auch nur die geringste Chance haben, ihre verlorenen Stimmen wiederzuholen.

13 Kommentare:

  1. Das Problem der sPD in Bezug auf die LINKE geht über eine reine strategische Spielerei hinaus (die mag bei den anderen Paretien greifen). Die Linken, die die sPD verlassen haben, waren der Partei sehr eng verbunden. Die kommen nicht wieder nur weil ein Hempel irgendein Versprechen macht (leichte Abkehr von d. Agenda...).
    Zumindest ist das meine eigene Erfahrung (18 Jahre aktiv in der alten SPD)

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  2. diese spd ist einfach nur schrott solange die alten kader weiterhin das sagen haben. egal ob steinmeier, gabriel oder nahles - die bagage muss weg!! und von rot-grün sollte jawohl jeder die schnauze voll haben. wenn es eine zukunft mit der spd geben sollte , dann nur rot-rot, aber nicht rosabraun-rot.

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  3. "[...] und mit dem aktuellen programmatischen Versuch einer Kehrtwende werden auch die Grundlagen dafür gelegt [...]"

    Da ist aber jemand reichlich leichtgläubig. Wer nimmt der sPD denn den "Versuch einer Kehrtwende" ab? Ich wette, es braucht keine 5 Minuten Regierungsbeteiligung der sPD, und ihre "Kehrtwende" ist vergessen. Mit Steinmeier befindet sich immer noch einer der Hartz4 Hardliner in der Führung, Nahles und Gabriel sind nicht viel besser.

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  4. Der Beitrag ist das Ergebnis einer
    ungeschickten optischen Täuschung, mehr nicht.

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  5. Wer die Linke als Gegner auffasst,
    hat keine sozialdemokratischen Ziele.

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  6. Solange in der SPD-Führung die Agenda Befürworter noch das Sagen haben, solange ist die SPD keine Sozialdemokratie. Sich den LINKEn verweigern ist politische Bulimie.

    Ohne die LINKEn wird die SPD sich nicht mehr finden, geschweige denn wieder zu dem werden, was sie einmal war.

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  7. Ich bezeichne es absichtlich als "Versuch der Kehrtwende". Die SPD kann nicht nur auf das Führungspersonal reuduziert werden, und Teile der Partei WOLLEN eine Kehrtwende. Steinmeier sicherlich nicht; Gabriel tut das, was er tun muss: versuchen, beides irgendwie zusammen zu halten.
    Und ob die SPD zwingend mit der LINKEn zusammenarbeiten muss um zu überleben halte ich zumindest für fraglich. Als 20%-Partei kann sie auch weitermachen wie bisher ;) Die Frage ist nur, ob sie wieder Volkspartei werden will oder nicht. Ich denke aber auch, dass an der Zusammenarbeit mit der LINKEn kein Weg vorbeiführt.

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  8. Ist ja merkwürdig , dass die Arbeit am Fliessband von der SPD glorifiziert wird.

    Die Linke fordert die 30 Stunden Woche.

    Nur so kommen die Menschen von Hartz IV und diesem verlogenen Arbeitsmythos weg.

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  9. Interessant ist die Rollenverteilung der Hauptdarsteller: Wenn es Frau Kraft tatsächlich schaffen sollte stärkste Kraft zu werden, ODER mittels rot-rot-grün, bzw. unter Duldung der Linken eine Regierung bilden zu können, dürfte es ihr ähnlich gehen, wie Frau Ypsilanti in Hessen.
    Sie wird niedergeschrieben und medial durch die Lande gejagt werden.

    Ich befürchte aber, dass die Grünen derart stark werden dürften (weil sie ideologisch derzeit am wenigsten auffallen), dass es wie im Saarland zu schwarz-grün reicht. Oder eben wie gehabt schwarz-gelb, wenn die FDP nicht völlig an Bedeutung verliert.

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  10. Ich lese ja eigentlich gerne diesen Blog. Aber selbst hier zeigt sich sogar, daß es keine DEMOKTRATIE mehr gibt bzw. daß dafür eingestanden wird. Warum zum Teufel darf man Wählerwillen ignonieren und Koalitionen ausschliessen ?

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  11. In unserem politischen System werden keine Koalitionen gewählt, sondern Parteien. Das ist Fakt. Davon abgesehen sehe ich keinen eindeutigen Wählerwillen, der rot-rot-grün fordern würde. Wäre dies der Fall, würden die entsprechenden Parteien a) mehr Stimmen bekommen und b) für entsprechende Absagen mehr verlieren. Das ist aber nicht der Fall. Es gibt in jeder der drei Parteien und unter ihren Anhängern große Teile, die gegen diese Verbindung sind. Das, was wir für wünschenswert und gut erachten ist leider nicht zwangsweise auch der Wille der Mehrheit der Wähler, das ist Fakt.

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  12. "In unserem politischen System werden keine Koalitionen gewählt, sondern Parteien. "
    Ganz genauso isses .... und deshalb soll man gefälligst auch seine "Lieblinge" wählen. Aber nicht vorher schon undemokratisch rum-palavern...
    Aber das hat sich eben schon so in den Köpfen als "normal" verfestigt.

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  13. Ich wähl meine Lieblinge. Und ich palavre bestimmt nicht "undemokratisch" rum.

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