Dienstag, 14. September 2010

Aristokratin in gerechtem Zorn

Von Stefan Sasse

Stephanie zu Guttenberg, die "Frau unseres Verteidigungsministers" (O-Ton BILD, Vorkämpfer der Frauenemanzipation) hat ein Buch veröffentlicht, das sich mit den Gefahren für Kinder durch "alltägliche Pornographie" befasst. Zu Guttenberg ist, wer das nicht weiß, schon lange in dem Verein "Innocense in Danger" engagiert, der sich gegen sexuellen Missbrauch von Minderjährigen einsetzt. In ihrem Buch beklagt sie nicht nur das Vorhandensein von professioneller Kinderpornographie (sie spricht von 50.000 regelmäßigen Konsumenten in Deutschland) sondern auch den "ungehinderten Austausch" derselben über Tauschbörsen. Spätestens hier färbt sie für die Dramatik; von ungehindertem Austausch kann bei dem Ausmaß von Überwachung der Tauschbörsen, wo nicht einmal einzelne MP3 ohne Abmahnung mehr getauscht werden können wirklich nicht gesprochen werden. Hier wird eine leichte Allgemeinverfügbarkeit von Kinderpornographie vorgegaukelt, die sich mit der Realität nicht deckt. Die entsprechenden Kreise brauchen inzwischen deutlich zurückgezogene Räume für so etwas, da der oft postulierte "rechtsfreie Raum" Internet so nicht existiert. Dem Eindruck, dass das Internet eine freie Spielwiese für Verbrecher dieser Art wäre muss entschieden entgegengetreten werden - das Pack muss sich im Netz genauso verstecken und in Nischen zurückziehen wie in der Realität auch.

Darum soll es aber hauptsächlich gar nichtgehen. Interessant ist vielmehr Guttenbergs Mahnen vor einer Sexualisierung des alltäglichen Raums. Sie postuliert eine beständige Konfrontation der Jugendlichen mit Pornographie durch den Kleidungsstil der Popstars und Topmodels, der auf Provokation setze und durch die beständige mediale Konfrontation gewissermaßen für Abstumpfungseffekte sorge, die die Entwicklung eines gesunden Verhältnises der Kinder zu ihrem eigenen Körper und ihrer Sexualität behindern. Den Beginn dieser Entwicklung sieht Guttenberg dabei in den 1980er Jahren:
Als ich ein junges Mädchen war, trugen Popdiven wie Whitney Houston noch enge Seidenroben und Deutschpop-Sängerinnen wie Nena weite T-Shirts zu Röhrenjeans. Sexy zu sein war schon in den 1980ern ein verkaufsförderndes Anliegen der Popstars – und doch wurde dabei die Grenze zum Ordinären nur selten überschritten. In den späten 1980ern dann begannen Popgrößen wie Madonna, Prince oder Michael Jackson, mit ihren aus dem Rotlichtmilieu entliehenen Outfits gezielt auf Provokation zu setzen. Leder, Latex und Spitze auf der Bühne waren stets ein Garant für Schlagzeilen, vor allem dann, wenn im Hintergrund ein Kruzifix zu sehen war. Heute aber gelingt es kaum einer Künstlerin mehr, mit einem von der Bondage-Szene inspirierten Bühnenoutfit zu provozieren. Denn heute kleiden sich die meisten Popdiven so.
Hier läuft Guttenberg allerdings in die Falle. Was in ihrer Jugend in den 1980er Jahren provozierte, interessiert heute niemanden mehr. Was damals provozierte, regte die Erwachsenen über die Maßen auf. Heute sind es diese Erwachsenen, die von den heutigen Entwicklungen provoziert werden. Dass sich am Prinzip nichts geändert hat, sieht Guttenberg nicht. Das passiert Erwachsenen allerdings seit Generationen. Wenn sie erklärt, damals sei die Grenze zum Ordinären nicht überschritten worden, so dürfte ein in den 1940er Jahren Geborener ihr da wohl heftigst widersprechen. Maßstäbe verschieben sich eben. (Quelle)
Themen wie dieses, das Guttenberg (unter anderem) anspricht, sind Zustimmungsgarantiert. Angesichts der Horrorschilderungen, die sie bezüglich der Popoutfits vom Stapel lässt, wird der durchschnittliche Leser nur mit dem Kopf nicken. Den Schritt zu gehen anzuerkennen, dass Provokation IMMER mit aktuellen Konventionen bricht - sonst ist es keine Provokation - und dass man in der eigenen Jugend dasselbe getan hat, gehen die meisten leider nicht. Die Outfits von Whitney Houston waren ein Konventionsbruch, der die Generation der 1980er Jahre begeisterte. Deren Eltern hatten ihre Eltern mit Billy Haley und Elvis Presley geschockt. Deren Eltern waren wahrscheinlich von den Comedian Harmonists entsetzt gewesen. Was Guttenberg mit Verve anprangert, ist völlig normal. Etwas gefährlicher sind dagegen tatsächlich die von ihr ebenfalls kritisierten Castingshows wie "Germany's next Topmodel". Bei einem Versagen aller erzieherischer Institutionen könnten Jugendliche sich tatsächlich einreden lassen, sie müssten ihre Körper auf dieses Ideal trimmen, woran die überwiegende Mehrheit jedoch schmerzlich scheitern dürfte. Für die Betroffenen selbst kann das Scheitern in diesen Castingshows ebenfalls äußerst schmerzlich sein.Dazu kommt, dass die neue Jugendstudie das Vorurteil widerlegt hat, die Jugendlichen würden sich immer schneller und hemmungsloser dem "Ersten Mal" hingeben. Stattdessen gehen sie sehr verantwortungsbewusst an die Sache heran und lassen sich deutlich Zeit. Interessant ist auch, dass die Jungen deutlich älter sind als die Mädchen, wenn sie das Erste Mal haben. Auch der Umgang mit Verhütung ist inzwischen deutlich Mainstream geworden - kein Grund für Panik also auch an dieser Front.

Die überwiegend berechtigten Anliegen Guttenbergs werden jedoch durch die Promotion für ihr Buch vollkommen konterkariert. Vorgestellt und in Auszügen veröffentlicht wird es nämlich ausgerechnet von der BILD, die immerhin am Tag der Veröffentlichung das sonstige Cover-Titten-Girl in die Onlineausgabe verbannt. Ansonsten aber ist es gerade die BILD, nun mit der üblichen moralischen Empörung, die Pornographie völlig frei für 60 Cent öffentlich zugänglich macht. Regelmäßig werden in der BILD massenhaft Anzeigen für Telefonsex geschaltet, und Werbung für die "Volksbibel" steht völlig selbstverständlich daneben. Diese Art von moralischer Scheinheiligkeit ist man von der BILD gewöhnt, und es ist bezeichnend dass all jene, die das Blut- und Tittenblatt in Händen halten zwar empört mit dem Kopf nicken, wenn sich das Blatt wieder einmal über die verlotterte Sexualmoral der Jugend echauffiert, danach angeregt über das Covergirl diskutieren.

Noch einmal: der Kampf gegen die Kinderpornographie Guttenbergs ist berechtigt und verdient Unterstützung, gerade insofern, als dass auch sie nicht frei von den Vorurteilen gegenüber der Verfügbarkeit dieser Inhalte im Netz ist, die nur allzuschnell in einschränkenden Maßnahmen enden. Mit ihrer Kritik an den gar so schlimmen Tabubrüchen der Popdiven allerdings begibt sie sich auf ein reichlich tieffliegendes Feld der moralischen Überlegenheit, die zwar netter formuliert daherkommt als an den Stammtischen der Republik, sich jedoch letztlich auf demselben Niveau bewegt. Man sollte nicht immer gar so aufgeregt sein und einfach einmal fünfe gerade sein lassen; das Echauffieren über Tabubrüche ist es doch, was diese letztlich so reizvoll macht.

4 Kommentare:

  1. War der Frau von und zu Guttenberg also langweilig, so dass sie sich bemüßigt fühlte, den Untertanen, pardon dem Volk, derartiges darzubieten?

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  2. Bitte unbedingt beachten: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/30/30290/1.html

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  3. Aber das stimmt so nicht. Man findet in normalen Tauschbörsen jede Menge Mist, auch ungewollt, weil irgendwelche Spaßvögel einfach die Dateinamen geändert haben. Es ist nicht alles nur Hysterie

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  4. Richtig; ist mir auch schon passiert. Mir geht es darum, dass auf Tauschbörsen wie eMule oder utorrent bestimmt keine fiesen Pädo-Ringe sitzen.

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