Dienstag, 29. Januar 2008

Gedanken zu den Wahlen in Hessen und Niedersachsen

Niedersachsen

Wahlkampf: In Niedersachsen war von einem Duell zwischen Spitzenkandidaten wenig zu spüren. CDU-Ministerpräsident Wulff hat einen präsidialen Wahlkampf gestaltet und damit wachsweich keinerlei Angriffsfläche geboten, so wenig, dass der mindestens genauso farblose SPD-Kandidat Jüttner sogar in einer nur als Verzweiflungstat zu beschreibenden Aktion versucht hat, mit einem Verweis auf die unter bürgerlich-moralischem Gesichtspunkt betrachtet nicht ganz hasenreine Ehe des Herrn Wulff zu verweisen und ihn so dem konservativen Lager zu vergällen. Dass die CDU gewinnen würde war also klar, die einzigen wirklich interessanten Fragen waren: kommt die FDP auf genug Stimmen, dass es für schwarz-gelb reicht und kommt die Linke rein? Und, natürlich: wenn die Linke reinkommt, reicht es dann für schwarz-gelb?
Einschätzungen: Niemand hat der Linken im überwiegend agrarisch geprägten Niedersachsen ernsthafte Chancen eingeräumt. In den Sympathiewerten lag Wulff stets Meilen vor Jüttner. Wulff hatte das sicherlich nicht übermäßig begeisternde Image des lieben Schwiegersohns und ehrlichen Landesvaters, Jüttner gar keines außer seinem schrecklich unmodischen Schnauzbart.
Themen: Interessant ist die Fokussierung der SPD auf die Themen Bildung und Mindestlohn. Der gesamte Wahlkampf stand unter dem Topos "Soziale Gerechtigkeit", und viele Beobachter schreiben dieser Fixierung, die die besser verdienenden weitgehend außer Acht lässt, das Absacken der SPD zu. Wullf hingegen hatte überhaupt keine Themen. Er grinste nur von den Wahlplakaten und verkündete, dass er der Bessere sei. Das Gegenteil beweisen kann man ihm derzeit auch schlecht.
Analyse: Die große Überraschung war das Abschneiden der Linkspartei: 7,1%, das hätte niemand in Niedersachsen für möglich gehalten. Hier liegt in meinen Augen auch der Grund für das schlechte Abschneiden der SPD: nicht, weil sie in ihrem Wahlkampf auf soziale Inhalte gesetzt hat hat sie 7,6% verloren, sondern weil es ihr niemand abnahm. Die 7,6% sind fast genau die Anzahl Wähler, die die Linke hinzugewonnen hat. Man nimmt der SPD derzeit einfach nicht ab, dass sie sich ernsthaft um bessere Ausgleichsbedingungen kümmert, und alle anderen Themen besetzen die anderen Parteien ebenfalls besser: Ökologie haben die Grünen, Sicherheit und Wirtschaft die CDU. Die FDP indessen geriert sich als Wurmfortsatz der CDU und verdient deswegen keine gesonderte Beachtung.
Vermutlich wird der niedersächsische Wahlkampf eher zum Vorbild für 2009 werden als der hessische, und Merkel wäre auch dumm, sich von Koch etwas anderes aufschwatzen zu lassen: Seit über zwei Jahren gibt sich Merkel als präsidiale Landesmutter, pflegt ein Image des Ausgleichs und der unideologischen Sachorientierung. Dass sie sich so fest hinter Koch gestellt hat war eine Rieseneselei, und es ist nur der (mir schleierhaften) immer noch vorhandenden Sympathie der Leitmedien zu verdanken, dass diese sie ständig über den grünen Klee loben.
Zukunftsperspektive: Schwarz-gelb. Das ist sonnenklar.
Bedeutung: Hauptsächlich in der Determinierung des Wahlkampfstils für 2009 und der endgültigen Etablierung der Linken.

Hessen

Wahlkampf: Von Anfang an hat Roland Koch in Hessen auf Polarisierung gesetzt. Seine Bilanz war miserabel, und sein Image stets das des Rechtskonservativen. Nur hatte er kein Thema; vermutlich stürzte er sich deswegen so verbissen auf die Nebelkerze Ausländerkriminalität. Das hätte in Baden-Württemberg oder Bayern wohl auch problemlos funktioniert, nur in Hessen liegt die Sache eben etwas anders. Als die Kampagne immer größere Abscheu in den Medien hervorrief (sieht man von opportunistischen bzw. rechtskonservativen Blättern wie Spiegel oder FAZ ab), versuchte er es mit einem Griff in die Mottenkiste der 1980er Jahre und warnte vor einer kommunistischen Übernahme. Auch damit stieß er weitgehend auf taube Ohren.
Ypsilanti indessen fuhr zu guten Teilen das gleiche Programm wie Jüttner in Niedersachsen, besetzte aber immerhin zusätzlich das Thema Erneuerbare Energien. Ihr kam ebenfalls zupass, dass dank Roland Koch viel mehr Medienaufmerksamkeit auf Hessen lag als auf dem "langweiligen" Niedersachsen und man sich so zwangsweise auch mit ihr beschäftigte. Von den anderen Parteien war im Wahlkampf relativ wenig zu spüren; der entscheidende Protagonist ist Roland Koch. Dessen Polarisierung hat tatsächlich einen Lagerwahlkampf bewirkt, aber anders, als dieser es intendiert hatte.
Einschätzungen: Es war eine Zitterpartie für die Linke, ob sie den Sprung schaffen würde. Hessen war eigentlich stets eher ein linkes Land, und das ist eine der fundamentalsten Fehleinschätzungen Kochs gewesen. Er hat schlicht vergessen, dass schwarz-gelb das Intermezzo in Hessen war, und nicht rot-grün. Zu Beginn des Wahlkampfes hätte trotzdem niemand Ypsilanti ernsthafte Chancen eingeräumt, die blass und unbekannt war. Doch mit Kochs unappettitlichen Wahlkampfthemen und der miserablen Bilanz des CDU-Manns schoss sie quasi automatisch nach oben - Kraft und Gegenkraft.
Themen: Die CDU besetzte exakt ein Thema: Law and Order. Der ganze Rest projizierte sich beinahe automatisch auf die SPD und ihre Schwesterparteien, die Linke und die Grünen. Erneuerbare Energien, Bildung, Soziale Gerechtigkeit - all die derzeit wichtigen Themen gingen an sie. Quasi genau das Gegenteil von Niedersachsen. Wie immer hat die FDP kein Thema für sich.
Analyse: Roland Kochs Stern ging in Hessen eindeutig unter. Dass die CDU mit dreieinhalbtausend Stimmen mehr stärkste Partei ist, ist dabei nicht gerade ein Pluspunkt, bedenkt man die Verluste von zwölf Prozent. Koch hat einfach vergessen, in welchem Land er ist. Wichtig für den Hessenwahlkampf war außerdem die Konzentration der Medien darauf. Niedersachsen verschwand dagegen geradezu im Nebel. Ypsilanti profitierte dagegen stark von der Medienaufmerksamkeit, die sich für Koch immer ungünstiger auswirkte und von einem guten Wahlkampfteam, dem unter anderem Hermann Scheer angehörte. Die hervorragende Zusammenarbeit mit den Grünen gehört hier ebenfalls dazu, während die FDP mit der CDU im Wahlkampf wenig anfangen konnte.
Zukunftsperspektive: Unklar. Es kommen mehrere Lösungen in Betracht. Problematisch ist, dass alle möglichen Bündnisse im Vorfeld explizit ausgeschlossen wurden; es muss also irgendjemand sein Versprechen brechen.
1) Die Große Koalition (sehr wahrscheinlich). Vermutlich wird die SPD hier umfallen, und selbst Koch als Ministerpräsident tolerieren (Merkel proletet ja bereits von einem Regierungsauftrag für Koch). Noch wahrscheinlicher ist die Lösung, sollte Koch abtreten und ein neuer CDU-Mann an die Spitze kommen. Möglich wäre ein Positionentausch zwischen Jung und Koch.
2) Die Ampelkoalition (möglich). Dafür müsste die FDP umfallen, was eher unwahrscheinlich ist, da die SPD gerade in Hessen reichlich links ist. Auf diese Konstellation hin wurde im Wahlkampf effektiv gearbeitet, ganz besonders von Kurt Beck. Täte Ypsilanti etwas anderes, würde sie ihn brüskieren und damit sich selbst von wichtiger Unterstützung abschneiden, ganz besonders, würde sie mit der Linken koalieren.
3) Rot-Rot-Grün (unwahrscheinlich). Dafür müsste die SPD umfallen. Das ist wegen der Vehemenz der Absagen im Vorfeld eher unwahrscheinlich, besonders auch, weil die SPD der CDU damit in einer ohnehin prekären Situation eine weitere offene Flanke bieten würde, in die diese dann den Dolch stoßen und ihre konservativen Anhänger für 2009 mobilisieren könnte. Die Linke indessen hofiert die SPD.
Bedeutung: Hessen hat gezeigt, dass die CDU mit rechtskonservativen Positionen derzeit keinen Blumentopf gewinnt. Außerdem ist die Bedeutung Roland Kochs stark abgesackt. Für die SPD zeigte sich ein Hoffnungsschimmer; der allerdings wird gerade derart hochgeredet, dass es wahrscheinlich ist, dass sich die Partei hier verrennt.

Weiteres

Obwohl die Medien, abseits der Kritik an Kochs unappettitlichen Themen, stets auf der Seite der CDU agierten, hat diese in beiden Ländern verloren, wenn auch ungleich in der Stärke. Die Wahlbeteiligung ist ein weiteres Mal abgesagt, sie nähert sich immer mehr der 50%-Marke. Das gilt auch für den stark polarisierten Wahlkampf in Hessen. Das kann zwei Ursachen haben: entweder sind die Menschen tatsächlich politikmüde, oder aber sie haben durchschaut, dass die Polarisierung hauptsächlich Wahltaktik ist. Vermutlich ist es eine Mischung aus beidem.
Für Ypsilantis Bekanntheitsgrad äußerst positiv wirkte sich die Einmischung Wolfgang Clements aus, der sich dabei nebenbei ins politische Abseits geschossen hat. In offensichtlich lobbyistischer Funktion rief er zur Wahl Kochs auf, weil Ypsilantis Energiepolitik unverantwortlich sei. Es fehlte nur noch, dass er einen RWE-Button am Revers getragen hätte. Das könnte den positiven Nebeneffekt haben, dass die Öffentlichkeit etwas mehr für Lobbyismus sensibilisiert wird, ist aber eher unwahrscheinlich, hauptsächlich aufgrund der Gleichschaltung der Medien. Möglicherweise ist das ein Wahlkampfthema für die Linke, wenn sie anhand von Zahlen und Fakten operiert und damit Spitzenleute der anderen Parteien deklassiert, besonders, weil sie hier selbst recht unschuldig ist und man ihr kaum etwas nachweisen kann.
Eher unschön ist die noch offene Gültigkeit des Wahlergebnisses in Hessen. Da in einigen Gemeinden Wahlcomputer eingesetzt wurden, bei denen es bereits im Vorfeld zu zahlreichen Pannen kam und deren Einsatz die Wahlergebnisse - auch noch in letzter Minute - stark in Richtung CDU verschob, ist anzunehmen, dass der CCC - dessen Wahlbeobachter in Hessen durch ein behördliches Dekret stark behindert wurden - die Wahlergebnisse in diesen Kreisen anfechtet. Die vielen Pannen und Peinlichkeiten, die im Umfeld der Wahlcomputer bekannt wurden sowie der gigantische finanzielle Aufwand, den diese gegenüber der originären Wahl bieten, lässt die Kritik an ihnen lauter werden. Nichts desto trotz versucht die Regierung derzeit, Wahlcomputer und Briefwahl zu stärken.
Immer wieder wird derzeit das Bonmot der "brutalstmöglichen Quittung" bemüht, aber das halte ich für Unsinn. Koch stellt immer noch die stärkste Partei, und Hessen ist eben nicht Baden-Württemberg. Das Absacken der CDU um zwölf Prozent stutzt diese auf ein vernünftiges Maß zurück, aber nicht mehr.

Weitere Links

Eine erste Auswertung der NachDenkSeiten.
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Wer hat gewonnen? fragt Telepolis.
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Das Handelsblatt zeigt auf, welche Koalitionen möglich sind.
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Die Süddeutsche tut dasselbe.
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Klaus Wowereit verbiegt sich im Interview.
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BILD macht sich vollkommen auf die Seite Roland Kochs.
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Die Meinung vonBlogsgesang .
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Der Tag der gewieften Interpreten.
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Interview mit Ottmar Schreiner.
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Sowohl dio Tagesschau als auch die FAZ, die Capital und die Berliner Umschau haben schwarz-gelb als schwarz-geld bezeichnet.
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Die NDS zur Ampel-Koalition.
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Die Süddeutsche interpretiert Roland Kochs Zukunft und die Auswirkungen des Wahlampfs auf die CDU.
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4 Kommentare:

  1. Wo hast du denn in Niedersachsen den zweiten Spitzenkandidaten gefunden?

    Der Jüttner wird dir ewig dankbar sein, du hast sogar seinen Namen richtig geschrieben.

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  2. Sehr richtig, dass man akzeptieren muss, auch wenn es einem nicht gefällt: Die CDU hat doch gewonnen, und die SPD hat keinen echten Anspruch auf Regierungsbildung, solange sie die Linke draußen lässt. Das muss sie wohl nun wohl noch eine Weile, und solange soll sich Koch ruhig abstrampeln. Mehr:
    http://www.blogsgesang.de/2008/01/29/hessisches-remis-wird-vertagt/

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  3. Die Linke hat einen Linksruck bewirkt. SPD und Grüne müssen nach links rücken, um nicht mehr Stimmen an die Linke zu verlieren.

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