Freitag, 4. Januar 2008

Vom Himmel in die Hölle

Eine gigantische Polizeiaktion hat ihr Ende gefunden. Begeistert sprachen Staatsanwälte, Fahnder und Politiker in alle Mikrophone den einen Satz zum Nachsprechen: großer Fahnungserfolg gegen Kinderpornographie, über zehntausend Verdächtige. Gejubelt wurde viel, Maßnahmen gelobt, sich sicher gefühlt.
Das war vor etwa drei Wochen. Inzwischen sind von den zehntausend Verdächtigen kein halbes Dutzend mehr übrig, und eine Verurteilung bei diesen ist äußerst fraglich. Die gesamte "Operation Himmel", wie sie hieß, hat sich bereits jetzt als ein einziger, gigantischer Fehlschlag entpuppt und den Blick freigelegt auf ein Netz von Inkomptenz und Anmaßung, dass wie ein riesiger Filz über Fahnungsbehörden, Medien, Feministinnen und Politik liegt.
Fast zehntausend Leben wurden entweder zerstört oder schwer beschädigt. In 99,9% der Fälle ist ein Einstellungsbescheid ergangen, die Vorwürfe haben sich als vollkommen haltlos erwiesen. Zwischen den Bescheiden und der Verdächtigung stehen (teils illegale) Haus- und Arbeitsplatzdurchsuchungen, Kündigungen, Scheidungen. Exemplarisch sei hier dieser Fall verlinkt. Millionen von Euro wurden nicht nur sinnlos verprasst, sondern ganz aktiv zur Schädigung von Bundesbürgern, die sich nichts zuschulden kommen ließen ausgegeben. Aber von vorne.
Die Polizei hat monatelang, wie bereits 2003 - wo die Aktion zu einem ähnlichen Ergebnis führte - im Internet ermittelt. Bereits dieser Teil ist voll von sich widersprechenden Statements, vermutlichen Rechtsbrüchen und kruden Annahmen. Das ganze funktionierte folgendermaßen:
- Ein Provider (angeblich Strato, aber der hat inzwischen dementiert) hat "enormen Datenverkehr" auf einem bestimmten Host festgestellt und daraufhin die Polizei gerufen. Allein dieser Teil der Geschichte ist dermaßen unglaubwürdig, dass ihn nur jemand von Computerfachwissen vollkommen unbelecktes wie Schäuble glauben kann, was auch Fefe darlegt.
- Daraufhin fand man ein "Kinderporno-Forum", in dem der entsprechende Link gehostet war. Dieser (Spam-)Link führte zu einem Video, in dem man eine Vergewaltigung einer Vierjährigen sieht. Dieses Video wurde innerhalb von 14 Stunden 2700mal heruntergeladen. Die Polizei ersetzte es durch ein strafrechtlich irrelevantes Video und sammelte weitere 7200 Adressen.
- Dann begann man mit Ermittlungen in Richtung dieser "10.000 Verdächtigen", führte Durchsuchungen durch und zerstörte Existenzen. Wer bis jetzt einige Male aufgestöhnt hat, wird verstehen warum kaum ein Erfolg verzeichnet werden konnte.

Jetzt einige Fakten. Das Forum war natürlich KEIN "Kinderporno-Forum", sondern ein stinknormales Pornoforum, in dessen Tiefen ein Spambot den fraglichen Link platzierte und sich möglicherweise (das weiß man gar nicht!) der eine oder andere Kinderpornofan vergrub. Dieser Link aber war natürlich nicht Forenexklusiv, sondern wurde wie jeder Spam in zahlreichen Foren, Kommentarfunktionen und Mails verbreitet. Die Fahnder begingen nun zwei Kunstgriffe: zum einen deklarierten sie das Forum als "Kinderpornographieforum" und zum Zweiten unterstellten sie, dass jeder, der den Link angeklickt (!) habe, dies über das Forum getan habe und deswegen Kinderpornographie wollte. Ob die fragliche Datei überhaupt heruntergeladen oder das Fenster schon nach 1,2 Sekunden bereits wieder geschlossen wurde, war für die Fahnder dabei nicht von Belang. Die Folgen sind bekannt, denn an dieser Stelle kommen die Medien ins Spiel.
Die offiziellen Meldungen der Fahndungsbehörden und Staatsanwaltschaft wurden von der Presse praktisch unüberprüft und unredigiert übernommen. Die ersten drei Zeitungen schrieben Artikel dazu, und alle anderen schrieben von diesen ab. In der anschließenden Hysterie gingen mahnende Stimmen und die ersten vollkommen enttäuschenden Ergebnisse völlig unter. Das Ganze geht soweit, dass die Meldung auf ihrem Weg ins Ausland inzwischen zu einem aufgeflogenen "Kinderporno-Ring" mit 12.000 (!) Mitgliedern angewachsen ist.
Als letzte Akteure kommen die Politiker ins Spiel, die meist von rechtsaußen stammen und die Gelegenheit für ihre Law-and-order-Parolen nutzten.

Somit bleibt die "Operation Himmel" ein Lehrstück, wie man es nicht machen sollte und im Gegensatz zu 2003 hoffentlich auch eine Mahnung.

Nachtrag: Die beschlagnahmten Festplatten sollen nun auch noch von privaten Firmen untersucht werden.

2 Kommentare:

  1. Naja, der öffentliche Aufschrei wird sich in Grenzen halten, weil Kinderpornographie is ja ein heikles Thema und keiner will sich in der Presse missverstanden fühlen.

    Aber die Sache mit dem Anfangsverdacht scheint ja neuerdings vollkommen ausser Kontrolle geraten zu sein.

    Hab letztens irgendtwo gelesen , dass bei jemanden die Polizei vor der Tür stand, allein weil er sich ein paar mal zu oft die Seite mit den Fahndungsbildern der "militanten gruppe" auf der polizei-page angeschaut hat.
    Hat sich zwar dann sehr schnell aufgeklärt: Der Mann hoffte durch einen von ihm gegeben Hinweis auf eine Belohnung , und hat wollte sich halt auf dem Laufenden halten.

    Aber das zeigt ja schon die ganze Absurdität.

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