Nachdem wir uns im ersten Teil der Abhandlung mit der Frage beschäftigt haben, warum der Kampf um Begriffe für die Demokratie so bedeutsam ist müssen wir uns überlegen, wie er derzeit geführt wird und wie er von den progressiven Kräften, also besonders den Grünen und der LINKEn, geführt werden könnte.
Derzeit werden Begriffe größtenteils durch die in weiten Teilen stark übereinstimmende Presse geprägt. Die Sprache selbst wurde aber nicht von ihr erfunden. Das "Reform-Vokabular" stammte als Elitenprojekt, dessen Ursprung man dieser Sprache auch deutlich anmerkt, von einigen wenigen undurchsichtig agierenden Think-Tanks, hauptsächlich der unvermeidlichen INSM. Die Medien haben diese Sprachregelungen dann aufgegriffen, und erst zuallerletzt die Politiker. Diese Reihenfolge ist wichtig, weil sie zugleich aufzeigt, wie wenig dieses Begriffe setzen mit demokratischen Regeln zu tun hat. Einige dieser Begriffe haben sich dabei offenkundig bereits wieder abgenutzt. Es ist eine Auffälligkeit des vergangenen Wahlkampfs, dass das Reform-Vokabular kaum mehr benutzt wurde. Nicht einmal die FDP hat sich dessen noch übermäßig bedient; es ist in Geruch geraten, in den Geruch des Ideologischen zum Einen, in den Geruch des Unbeliebten wie Gescheiterten zum anderen. Unter neuen Begriffen verbirgt sich jedoch die alte Politik.
Auch dieser Faktor ist wichtig. Begriffe werden nicht nur für neue Politik geprägt, im Gegenteil. Der überwiegend vorkommende Fall ist der, dass bekannte Politik in neue Begriffe gepresst wird, wenn der alte Begriff sich delegitimiert hat. Das ist nicht per se etwas Schlechtes, ist es doch eine Begleiterscheinung einer Mediendemokratie, dass die Halbwertszeit von Begriffen und Politiken, von Visionen und Führungspersonen sehr viel kürzer ist als ehedem. Wie lange hat Bebel die Geschicke der Sozialdemokratie bestimmt, und wie lang kam uns Münteferings verlorenes Jahr vor? So kann einer an sich guten, Politik die jedoch mit einem aus externen Gründen unbeliebt gewordenen Begriff verknüpft ist, durch das Prägen eines neuen Begriffs neues Leben eingehaucht werden. So experimentiert man gerade mit allerlei Phrasen herum, um die klassische sozialdemokratische Politik als etwas Neues, dem Zeitgeist zugewandtes und funktionsfähiges zu präsentieren - durchaus ein kluger Zug.
Wir können gespannt sein zu sehen, unter welchen Begriffen die schwarz-gelbe Regierung arbeiten wird. Wie bereits erklärt, hat sich das Reform-Vokabular überholt, es kann kaum mehr benutzt werden. Phrasen wie "Lockerung des Kündigungsschutzes" hört man weniger von Politikern als von den Medien, die interessanterweise länger an den alten Begriffen festhalten als die Politik selbst. "Eigenverantwortung" in Kombination mit Arbeitsmarktreformen ist aus Merkels Mund allenfalls auf der BDI-Hauptversammlung zu vernehmen. Einige Begriffe, die schwarz-gelb jedoch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weiterverwenden wird, will ich im Folgenden kurz vorstellen. Zu neuen Begriffen lässt sich selbstverständlich wenig sagen; ihr könnt euch aber versichert sein, dass ich ein Auge darauf halten und gegebenenfalls auf ihre Verwendung aufmerksam machen werde.
- Verantwortung. Der Klassiker aus dem Repertoire wird auch weiterhin vorkommen, hat in den letzten Monaten jedoch bereits eine Verwandlung durchgemacht. Er wird jetzt nicht mehr im Reform-Vokabular-Sinn verwendet, also als Ausdruck für "mach deinen Dreck doch alleeene" im Sozialbereich, sondern vor allem für die eigene Politik verwendet. Inflationär gebraucht wird der Begriff bei der Frage bewaffneter Interventionen im Ausland, vor allem in Afghanistan, aber auch anderswo, vorzugsweise mit der Phrase "Deutschland muss sich seiner Verantwortung stellen". So die Verantwortung für Flottenpatrouillen am Horn von Afrika geschrieben steht, wird dabei eher nicht erwähnt. Mit der gleichen Phrase, mit der man den Einsatz legitimiert, unterdrückt man dabei auch gleichzeitig die Debatte über ihn: "Es ist nicht verantwortungsvoll, darüber zu debattieren". Auch der Begriff "Regierungsverantwortung", die man ernsthaft wahrnehmen wolle ist ein oft gehörtes Chiffre. "Verantwortung" ist gut, denn sie suggeriert Ernsthaftigkeit und Seriosität in der Politik, Ordnung und Sauberkeit, und das sind Werte, die der deutsche Durchschnittwähler seit jeher gouttiert.
- Gesunder Energiemix. Diverse Reaktorunfälle haben der Debatte um den Atomausstieg neue Nahrung gegeben. Der explosionsartige Anstieg der Aktienkurse von Energiekonzernen, der bezeichnenderweise in der deutschen Presse nicht vorkommt, in der angelsächsichen dagegen mit selbstverständlicher Sicherheit mit dem schwarz-gelben Wahlsieg verknüpft wird, zeigt die Hinfälligkeit dieses rot-grünen Kernprojekts deutlich auf. Angesichts der dramatischen Sicherheitslecks kann man jedoch auch nicht zum status quo zurückkehren. Die neue Sprachregelung, die auch in der Pro-Atom-Presse mitvollzogen wurde, ist der "gesunde Energiemix" und der Bezeichnung der Atomenergie als "Brückentechnologie". Dabei wird erklärt, dass Atomenergie tatsächlich nicht toll, aber alternativlos sei, weil man an regenerativen Energiequellen noch länger forschen müsse. Gerne wird der "gesunde Energiemix" auch als "verantwortungsvoll" bezeichnet.
Dies sind nur zwei Beispiele für Begriffe, mit denen derzeit Politik gemacht wird. Der erste ist eine Neuschöpfung, um eine neue Politik zu legitimieren, der zweite ein neuer Begriff für eine (sehr) alte Politik. Beides funktioniert wunderbar und wird auch bislang kaum durchschaut.
So viel zur schwarz-gelben Regierung. Ich habe aber auch angekündigt aufzuzeigen, wie LINKE und Grüne als Vertreter des "progressiven Lagers" arbeiten könnten, um für sich neue Begriffe zu definieren. Meine Zusammenfassung der beiden als "progressiv" ist dabei bereits eine Wortschöpfung. Ich verwende ihn als absichtliche Alternative zu "links", denn rot-rot-grün als "linkes" Lager zu bezeichnen ist eine Wortschöpfung seiner Gegner. Die LINKE ist links, die SPD derzeit definitiv nicht, und die Grünen wissen es nicht recht. Einig sind sich die drei Parteien viel mehr auf anderen Feldern, in denen sich auch eine klare Gegnerschaft gegen schwarz-gelb herausstellt. Ich verwende den Begriff "progressiv", der auch in den USA verwendet wurde, um die Demokraten von den Republikanern abzugrenzen, den letztere sind dort die "conservatives". Was aber sind die Demokraten? Klar, die "progressives". Eine ähnliche Trennung könnte auch hierzulande funktionieren, denn von dem Label links schrecken viele zurück.
"Links" ist demzufolge auch der erste Begriff, der geprägt werden muss. Die SPD darf tatsächlich nicht nach "links" wandern oder einem "Linksrutsch" anheim fallen. Sie muss das tun was diejenigen darunter erwarten, die diese Begriffe nutzen, aber sie muss es anders nennen. "Links" ist die LINKE, die heißt schon so, und es macht weder für SPD noch für Grüne Sinn, in diesem Terrain zu wildern. Stattdessen kann man versuchen, sich selbst als progressiv darzustellen und das Label der Mitte, mit dem man so lange etikettiert wurde und sich selbst zu etikettieren versucht hat einfach weiter zu benutzen und zu drehen. Die "Mitte" war bislang stets da, wo die CDU stand - das ist aber faktisch nicht zu halten. Warum also den Begriff nicht einfach umwerten? Sieht man sich Meinungsumfragen an, stehen über 70% der Bevölkerung zu progressiven Themen wie dem Rückzug aus Afghanistan und dem Mindestlohn. Wenn eine Koalition, die das vertritt nicht in der Mitte verankert ist, dann weiß ich auch nicht. Auf diese Art muss man nicht einmal mehr aktiv gegen die negative Konnotation von "links" angehen, da nur einer von drei Partnern dieses Label für sich nutzt und stattdessen einen neuen begrifflichen Überbau prägen, unter dem sich alle verstehen, ob nun Mitte (SPD), grün (Grüne) oder links (LINKE) - auf diese Weise werden tatsächlich breite Wählerschichten angesprochen, die eine solche progressive Politik befürworten, obgleich sie vorher wegen der Diffamierungskampagne nie mit ihrer Stimme dazu gestanden hätten.
Ein anderer Begriff, der aggressiv von den Progressiven angegangen werden muss, ist "liberal". Schon viel zu lange hat man der FDP erlaubt, sich als "die Liberalen" zu bezeichnen und bezeichnet zu werden, obgleich die FDP nur für eine Strömung des vielfältigen Liberalismus steht, nämlich die wirtschafts- oder neoliberale. Als Lafontaine vor kurzem Westerwelle in einer Talkshow vorwarf, das linksliberale Element finde sich in der FDP nicht mehr, rümpfte dieser nur angewidert die Nase und schnaubte ein "Ach" mit einer wegwerfenden Handbewegung. Eine andere Reaktion auf dieses Thema kam nicht. Wenn es dem progressiven Lager gelingen würde, den Begriff "linksliberal" für sich zu reklamieren - eine Aufgabe, die Grüne oder SPD glaubhafter vollziehen könnten als die LINKE, die damit doch nur Hohn und Spott ernten würde - dann wäre die FDP plötzlich nicht mehr die einzige liberale Partei, wäre mit einer Einschränkung versehen und würde Wähler verlieren. Gleichzeitig kommt man davon weg, sie mit dem ausgelutschten Schimpfwort "neoliberal" zu etikettieren, wie es die LINKE im Wahlkampf ausdauernd und praktisch ohne Wirkung tut. Stattdessen kann auf einer Ebene der (noch) Sachlichkeit mit neuen Begriffen hantieren und der FDP so gewissermaßen ein Glied amputieren.
Ein drittes Beispiel für Optionen findet sich meiner Meinung nach in der "Sozialen Marktwirtschaft" und in "Ludwig Erhard". Es gab vor etwa einem halben Jahr einen ganz kurzen Begriffskampf, der aber seitens der SPD sehr schnell abgebrochen wurde. Dies hing mit Guttenbergs Ernennung zusammen, der, natürlich, Erhard als sein großes Vorbild ausgab (was zuvor Glos auch schon getan hatte, inklusive Nippes-Erhard-Büste im Amtsraum). Es gelingt der CDU immer wieder, sich als Partei der "Sozialen Marktwirtschaft" darzustellen und Erhard als ihr Territorium zu beackern, einfach nur, weil sie es in den späten 1940er und frühen 1950er Jahren durchgesetzt haben. Meiner Meinung nach war es ein Fehler der SPD, die Deutungshoheit über Erhards Erbe so schnell der CDU und der INSM zu überlassen. Letztere liebt es, ihre marktliberalen Forderungen mit Erhard-Zitateten zu untermauern, die so aus dem Zusammenhang gerissen und verkürzt sind, dass sie ihre Positionen zu unterstützen scheinen. Dafür gibt es keinen erkennbaren Grund. Ich plädiere dafür, zumindest den Versuch zu unternehmen, die beiden Begriffe der Deutungshoheit der Union zu entreißen. Dieser ist es auch gelungen, die positiven Aspekte der Agenda 2010 aus der SPD zu entfernen und auf sich zu vereinen, warum also sollte der Fall nicht umgekehrt auch für die Progressiven machbar sein? Je mehr Begriffe, die die Mehrheit der Bürger bislang mit schwarz-gelb assoziiert, durch die Progressiven angegriffen und relativiert werden, desto mehr verengt sich deren Spielraum. Verliert die FDP aktiv ihr linksliberales Element auch in der Begriffsschlacht, so hat sie es deutlich schwerer, sich als Bürgerrechtspartei zu inszenieren und muss vielleicht sogar echte Erfolge erzielen, um dieses Label zu behalten. Zweifelt man der Union das Erhard-Erbe an, muss diese sich tatsächlich sozialstaatlicher verhalten als sie es tatsächlich will, um diese Zweifel zu widerlegen. Auf diese Art zwingt man den Gegner dazu, die eigene Politik zu machen - und dabei doch kontinuierlich an Glaubwürdigkeit zu verlieren.
Die LINKE hat vier Jahre lang an der SPD bewiesen, dass das möglich ist und wie es geht. Jetzt wird es an der Zeit, das Ganze am echten Gegner auszuprobieren. Dies geht nur im Verbund aller progressiven Parteien. Dies ist ein Aufruf an euch alle, bei diesem Projekt mitzuhelfen. Lasst uns versuchen, selbst Begriffe zu prägen und andere zu ihrer Übernahme zu bringen. Macht gerne Vorschläge für eigene Schöpfungen, vermeidet ausgelatschte Pfade und zweifelt dem Gegner Kernkompetenzen an. Redet nicht mehr von "Großer Koalition", die verdient den Begriff eh nicht mehr, sondern nur noch schwarz-rot oder rot-schwarz. Solche Dinge können mächtiger sein, als sie zunächst aussehen. Es gibt viel zu tun - packen wir es an.
Derzeit werden Begriffe größtenteils durch die in weiten Teilen stark übereinstimmende Presse geprägt. Die Sprache selbst wurde aber nicht von ihr erfunden. Das "Reform-Vokabular" stammte als Elitenprojekt, dessen Ursprung man dieser Sprache auch deutlich anmerkt, von einigen wenigen undurchsichtig agierenden Think-Tanks, hauptsächlich der unvermeidlichen INSM. Die Medien haben diese Sprachregelungen dann aufgegriffen, und erst zuallerletzt die Politiker. Diese Reihenfolge ist wichtig, weil sie zugleich aufzeigt, wie wenig dieses Begriffe setzen mit demokratischen Regeln zu tun hat. Einige dieser Begriffe haben sich dabei offenkundig bereits wieder abgenutzt. Es ist eine Auffälligkeit des vergangenen Wahlkampfs, dass das Reform-Vokabular kaum mehr benutzt wurde. Nicht einmal die FDP hat sich dessen noch übermäßig bedient; es ist in Geruch geraten, in den Geruch des Ideologischen zum Einen, in den Geruch des Unbeliebten wie Gescheiterten zum anderen. Unter neuen Begriffen verbirgt sich jedoch die alte Politik.
Auch dieser Faktor ist wichtig. Begriffe werden nicht nur für neue Politik geprägt, im Gegenteil. Der überwiegend vorkommende Fall ist der, dass bekannte Politik in neue Begriffe gepresst wird, wenn der alte Begriff sich delegitimiert hat. Das ist nicht per se etwas Schlechtes, ist es doch eine Begleiterscheinung einer Mediendemokratie, dass die Halbwertszeit von Begriffen und Politiken, von Visionen und Führungspersonen sehr viel kürzer ist als ehedem. Wie lange hat Bebel die Geschicke der Sozialdemokratie bestimmt, und wie lang kam uns Münteferings verlorenes Jahr vor? So kann einer an sich guten, Politik die jedoch mit einem aus externen Gründen unbeliebt gewordenen Begriff verknüpft ist, durch das Prägen eines neuen Begriffs neues Leben eingehaucht werden. So experimentiert man gerade mit allerlei Phrasen herum, um die klassische sozialdemokratische Politik als etwas Neues, dem Zeitgeist zugewandtes und funktionsfähiges zu präsentieren - durchaus ein kluger Zug.
Wir können gespannt sein zu sehen, unter welchen Begriffen die schwarz-gelbe Regierung arbeiten wird. Wie bereits erklärt, hat sich das Reform-Vokabular überholt, es kann kaum mehr benutzt werden. Phrasen wie "Lockerung des Kündigungsschutzes" hört man weniger von Politikern als von den Medien, die interessanterweise länger an den alten Begriffen festhalten als die Politik selbst. "Eigenverantwortung" in Kombination mit Arbeitsmarktreformen ist aus Merkels Mund allenfalls auf der BDI-Hauptversammlung zu vernehmen. Einige Begriffe, die schwarz-gelb jedoch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weiterverwenden wird, will ich im Folgenden kurz vorstellen. Zu neuen Begriffen lässt sich selbstverständlich wenig sagen; ihr könnt euch aber versichert sein, dass ich ein Auge darauf halten und gegebenenfalls auf ihre Verwendung aufmerksam machen werde.
- Verantwortung. Der Klassiker aus dem Repertoire wird auch weiterhin vorkommen, hat in den letzten Monaten jedoch bereits eine Verwandlung durchgemacht. Er wird jetzt nicht mehr im Reform-Vokabular-Sinn verwendet, also als Ausdruck für "mach deinen Dreck doch alleeene" im Sozialbereich, sondern vor allem für die eigene Politik verwendet. Inflationär gebraucht wird der Begriff bei der Frage bewaffneter Interventionen im Ausland, vor allem in Afghanistan, aber auch anderswo, vorzugsweise mit der Phrase "Deutschland muss sich seiner Verantwortung stellen". So die Verantwortung für Flottenpatrouillen am Horn von Afrika geschrieben steht, wird dabei eher nicht erwähnt. Mit der gleichen Phrase, mit der man den Einsatz legitimiert, unterdrückt man dabei auch gleichzeitig die Debatte über ihn: "Es ist nicht verantwortungsvoll, darüber zu debattieren". Auch der Begriff "Regierungsverantwortung", die man ernsthaft wahrnehmen wolle ist ein oft gehörtes Chiffre. "Verantwortung" ist gut, denn sie suggeriert Ernsthaftigkeit und Seriosität in der Politik, Ordnung und Sauberkeit, und das sind Werte, die der deutsche Durchschnittwähler seit jeher gouttiert.
- Gesunder Energiemix. Diverse Reaktorunfälle haben der Debatte um den Atomausstieg neue Nahrung gegeben. Der explosionsartige Anstieg der Aktienkurse von Energiekonzernen, der bezeichnenderweise in der deutschen Presse nicht vorkommt, in der angelsächsichen dagegen mit selbstverständlicher Sicherheit mit dem schwarz-gelben Wahlsieg verknüpft wird, zeigt die Hinfälligkeit dieses rot-grünen Kernprojekts deutlich auf. Angesichts der dramatischen Sicherheitslecks kann man jedoch auch nicht zum status quo zurückkehren. Die neue Sprachregelung, die auch in der Pro-Atom-Presse mitvollzogen wurde, ist der "gesunde Energiemix" und der Bezeichnung der Atomenergie als "Brückentechnologie". Dabei wird erklärt, dass Atomenergie tatsächlich nicht toll, aber alternativlos sei, weil man an regenerativen Energiequellen noch länger forschen müsse. Gerne wird der "gesunde Energiemix" auch als "verantwortungsvoll" bezeichnet.
Dies sind nur zwei Beispiele für Begriffe, mit denen derzeit Politik gemacht wird. Der erste ist eine Neuschöpfung, um eine neue Politik zu legitimieren, der zweite ein neuer Begriff für eine (sehr) alte Politik. Beides funktioniert wunderbar und wird auch bislang kaum durchschaut.
So viel zur schwarz-gelben Regierung. Ich habe aber auch angekündigt aufzuzeigen, wie LINKE und Grüne als Vertreter des "progressiven Lagers" arbeiten könnten, um für sich neue Begriffe zu definieren. Meine Zusammenfassung der beiden als "progressiv" ist dabei bereits eine Wortschöpfung. Ich verwende ihn als absichtliche Alternative zu "links", denn rot-rot-grün als "linkes" Lager zu bezeichnen ist eine Wortschöpfung seiner Gegner. Die LINKE ist links, die SPD derzeit definitiv nicht, und die Grünen wissen es nicht recht. Einig sind sich die drei Parteien viel mehr auf anderen Feldern, in denen sich auch eine klare Gegnerschaft gegen schwarz-gelb herausstellt. Ich verwende den Begriff "progressiv", der auch in den USA verwendet wurde, um die Demokraten von den Republikanern abzugrenzen, den letztere sind dort die "conservatives". Was aber sind die Demokraten? Klar, die "progressives". Eine ähnliche Trennung könnte auch hierzulande funktionieren, denn von dem Label links schrecken viele zurück.
"Links" ist demzufolge auch der erste Begriff, der geprägt werden muss. Die SPD darf tatsächlich nicht nach "links" wandern oder einem "Linksrutsch" anheim fallen. Sie muss das tun was diejenigen darunter erwarten, die diese Begriffe nutzen, aber sie muss es anders nennen. "Links" ist die LINKE, die heißt schon so, und es macht weder für SPD noch für Grüne Sinn, in diesem Terrain zu wildern. Stattdessen kann man versuchen, sich selbst als progressiv darzustellen und das Label der Mitte, mit dem man so lange etikettiert wurde und sich selbst zu etikettieren versucht hat einfach weiter zu benutzen und zu drehen. Die "Mitte" war bislang stets da, wo die CDU stand - das ist aber faktisch nicht zu halten. Warum also den Begriff nicht einfach umwerten? Sieht man sich Meinungsumfragen an, stehen über 70% der Bevölkerung zu progressiven Themen wie dem Rückzug aus Afghanistan und dem Mindestlohn. Wenn eine Koalition, die das vertritt nicht in der Mitte verankert ist, dann weiß ich auch nicht. Auf diese Art muss man nicht einmal mehr aktiv gegen die negative Konnotation von "links" angehen, da nur einer von drei Partnern dieses Label für sich nutzt und stattdessen einen neuen begrifflichen Überbau prägen, unter dem sich alle verstehen, ob nun Mitte (SPD), grün (Grüne) oder links (LINKE) - auf diese Weise werden tatsächlich breite Wählerschichten angesprochen, die eine solche progressive Politik befürworten, obgleich sie vorher wegen der Diffamierungskampagne nie mit ihrer Stimme dazu gestanden hätten.
Ein anderer Begriff, der aggressiv von den Progressiven angegangen werden muss, ist "liberal". Schon viel zu lange hat man der FDP erlaubt, sich als "die Liberalen" zu bezeichnen und bezeichnet zu werden, obgleich die FDP nur für eine Strömung des vielfältigen Liberalismus steht, nämlich die wirtschafts- oder neoliberale. Als Lafontaine vor kurzem Westerwelle in einer Talkshow vorwarf, das linksliberale Element finde sich in der FDP nicht mehr, rümpfte dieser nur angewidert die Nase und schnaubte ein "Ach" mit einer wegwerfenden Handbewegung. Eine andere Reaktion auf dieses Thema kam nicht. Wenn es dem progressiven Lager gelingen würde, den Begriff "linksliberal" für sich zu reklamieren - eine Aufgabe, die Grüne oder SPD glaubhafter vollziehen könnten als die LINKE, die damit doch nur Hohn und Spott ernten würde - dann wäre die FDP plötzlich nicht mehr die einzige liberale Partei, wäre mit einer Einschränkung versehen und würde Wähler verlieren. Gleichzeitig kommt man davon weg, sie mit dem ausgelutschten Schimpfwort "neoliberal" zu etikettieren, wie es die LINKE im Wahlkampf ausdauernd und praktisch ohne Wirkung tut. Stattdessen kann auf einer Ebene der (noch) Sachlichkeit mit neuen Begriffen hantieren und der FDP so gewissermaßen ein Glied amputieren.
Ein drittes Beispiel für Optionen findet sich meiner Meinung nach in der "Sozialen Marktwirtschaft" und in "Ludwig Erhard". Es gab vor etwa einem halben Jahr einen ganz kurzen Begriffskampf, der aber seitens der SPD sehr schnell abgebrochen wurde. Dies hing mit Guttenbergs Ernennung zusammen, der, natürlich, Erhard als sein großes Vorbild ausgab (was zuvor Glos auch schon getan hatte, inklusive Nippes-Erhard-Büste im Amtsraum). Es gelingt der CDU immer wieder, sich als Partei der "Sozialen Marktwirtschaft" darzustellen und Erhard als ihr Territorium zu beackern, einfach nur, weil sie es in den späten 1940er und frühen 1950er Jahren durchgesetzt haben. Meiner Meinung nach war es ein Fehler der SPD, die Deutungshoheit über Erhards Erbe so schnell der CDU und der INSM zu überlassen. Letztere liebt es, ihre marktliberalen Forderungen mit Erhard-Zitateten zu untermauern, die so aus dem Zusammenhang gerissen und verkürzt sind, dass sie ihre Positionen zu unterstützen scheinen. Dafür gibt es keinen erkennbaren Grund. Ich plädiere dafür, zumindest den Versuch zu unternehmen, die beiden Begriffe der Deutungshoheit der Union zu entreißen. Dieser ist es auch gelungen, die positiven Aspekte der Agenda 2010 aus der SPD zu entfernen und auf sich zu vereinen, warum also sollte der Fall nicht umgekehrt auch für die Progressiven machbar sein? Je mehr Begriffe, die die Mehrheit der Bürger bislang mit schwarz-gelb assoziiert, durch die Progressiven angegriffen und relativiert werden, desto mehr verengt sich deren Spielraum. Verliert die FDP aktiv ihr linksliberales Element auch in der Begriffsschlacht, so hat sie es deutlich schwerer, sich als Bürgerrechtspartei zu inszenieren und muss vielleicht sogar echte Erfolge erzielen, um dieses Label zu behalten. Zweifelt man der Union das Erhard-Erbe an, muss diese sich tatsächlich sozialstaatlicher verhalten als sie es tatsächlich will, um diese Zweifel zu widerlegen. Auf diese Art zwingt man den Gegner dazu, die eigene Politik zu machen - und dabei doch kontinuierlich an Glaubwürdigkeit zu verlieren.
Die LINKE hat vier Jahre lang an der SPD bewiesen, dass das möglich ist und wie es geht. Jetzt wird es an der Zeit, das Ganze am echten Gegner auszuprobieren. Dies geht nur im Verbund aller progressiven Parteien. Dies ist ein Aufruf an euch alle, bei diesem Projekt mitzuhelfen. Lasst uns versuchen, selbst Begriffe zu prägen und andere zu ihrer Übernahme zu bringen. Macht gerne Vorschläge für eigene Schöpfungen, vermeidet ausgelatschte Pfade und zweifelt dem Gegner Kernkompetenzen an. Redet nicht mehr von "Großer Koalition", die verdient den Begriff eh nicht mehr, sondern nur noch schwarz-rot oder rot-schwarz. Solche Dinge können mächtiger sein, als sie zunächst aussehen. Es gibt viel zu tun - packen wir es an.
Das ist ein Vorschlag zu einer Methodik, und ich bin neidlos beeindruckt.
AntwortenLöschenSpäter mehr.
Hallo, Oeffinger !
AntwortenLöschenWir immer sehr gut geschrieben und formuliert. Bei dieser Gelegenheit eine kurze Off Topic-Frage: Wann kommt wohl der nächste Teil zur Serie "Deutsches Bildungssystem" ? Ich warte sehnsüchtig darauf ;-)
Eine ganze Reihe von Neusprech-Begriffen habe ich bereits hier und hier analysiert. Falls es noch jemanden geben sollte, der die Seiten noch nicht kennt ;)
AntwortenLöschenSehr guter Text, danke.
AntwortenLöschenDanke für die Blumen!
AntwortenLöschenDie Bildungssystemserie werde ich weiterfhren, wenn der Wahlrummel sich ein bisschen gelegt hat. Derzeit gibt es zu viele Dinge, die ich im Auge behalten muss. Das Bildungssystem läuft nicht weg :)
Der Kampf um Begriffe allein ist imho nur Ausdruck des Kampfes um die Deutungs- bzw. Meinungshoheit. "Wir" müssen m.E. versuchen, wieder eine "linke" Meinungshoheit zu gewinnen, denn die ist uns spätestens zu Beginn der Achtziger abhanden gekommen. Das kann aber imho nur Teil eines umfassenderen Diskurses sein, den wir parallel zu unseren Aktionen für "mehr Demokratie" und "soziale Gerechtigkeit" führen müssen.
AntwortenLöschenDas Problem gerade der deutschen Linken war doch immer, daß sie sich gerne in endlosen Diskussionen verzettelt hat, während auf der Straße und draußen im Land die "Macher" einfach Begriffe besetzt oder ins Negative verkehrt und damit die Meinungshoheit übernommen haben.
Just my two cents
Frank