Donnerstag, 2. September 2010

Wir machen uns die Welt wie sie uns gefällt

Von Stefan Sasse

Thomas Straubhaar, einer jener Wirtschaftsprofessoren die sich für die INSM prostituiert und der Reformpolitik der letzten Jahre ihre Glaubwürdigkeit geliehen (und im Prozess glücklicherweise verloren) haben, hat im Spiegel einen Gastbeitrag zur amerikanischen Wirtschaftskrise geschrieben. Wie es Kenner seiner Person kaum verwundern dürfte, sieht er in Obamas Wirtschaftspolitik den sicheren Untergang und in den Vorschlägen Krugmans für eine expansive Geldpolitik und Konjunkturprogramme eine Katastrophe. Putzig ist schon die Einleitung, die für den Leser die Grundstimmung festlegt: 
Der feste Glaube an die individuelle Leistungsfähigkeit, an Ideen, Mut, Willen und die eigene Kraft haben die USA nach ganz oben gebracht. Der amerikanische Traum versprach jedem die Chance aufzusteigen - sprichwörtlich vom Tellerwäscher zum Millionär. Das Streben jedes einzelnen nach Glück wurde als entscheidende Grundlage für gesellschaftliches Wohlergehen verstanden, und nicht der Staat, der den Menschen etwas Gutes tut und wohlwollend für seine Untertanen sorgt. Und schon gar nicht der Sozialstaat, der für seine Bürger Sicherungsnetze ausbreitet.
Im amerikanischen System war jeder für sich selbst und die Seinen verantwortlich - in guten wie in schlechten Zeiten. Niemand durfte mit staatlicher Hilfe rechnen. Auch nicht der Tellerwäscher, der es nicht schaffte und zum Obdachlosen wurde. 
Wer fühlt angesichts dieser Vision nicht sofort eine gewisse Wärme sich ums Herz legen? Gut, jeder der seine fünf Sinne noch beieinander hat, aber das ficht einen Straubhaar ja nicht an. Diese amerikanischen Urtugunden, die Straubhaar dem Leser hier auftischt, sind Schmarrn. Es ist nicht so, dass die Amerikaner es lieben würden, in Armut zu leben und für einen Dreckslohn zu arbeiten. Klar sind in den USA die Steuern niedriger als hier, es gibt ja auch - wie Straubhaar befriedigt vermerkt - kein soziales Netz, das irgendeinen Schutz gewähren würde. Zumindest in der Welt Straubhaars nicht; in Wirklichkeit ist das natürlich nicht wahr. In den 1930er Jahren hatte Roosevelt mit dem New Deal massive staatliche Interventionen in das durch die Great Depression darniederliegende Wirtschaftswesen eingebracht. Die Wirtschaft erholte sich spürbar, und die in den 1920er Jahren so riesige Einkommensspreizung ging zurück. Großzügige staatliche Kreditvergabe durch die extra dafür gegründeten Fannie Mae und Freddie Mac erlaubten es großen Teilen der Bevölkerung, sich ein eigenes Haus zu leisten. Diese keynesianische nachfrageorientierte Politik, nicht der Friss-oder-Stirb-Individualismus den Straubhaar propagiert, hat die breite, wohlhabende amerikanische Mittelschicht hervorgebracht. In den 1960er Jahren baute Lyndon B. Johnson mit seiner Vision von der "Great Society" den Sozialstaat für amerikanische Verhältnisse enorm aus, und es waren die Konservativen, die mit Medicaid ein Mindestgesundheitssystem schufen, das sie regelmäßig als "sozialistischer als die europäischen Systeme" bezeichnen.

Straubhaar, auf historischem Gebiet bestenfalls Amateur, hat also schon in seiner Grunderzählung von den individualistischen Amerikanern Unrecht, die angeblich so staatsverachtend sind. Tatsächlich haben sozialstaatliche Interventionen eine lange Tradition, und es war die Stagflation der 1970er Jahre, die sie genau wie hier in Misskredit brachte und den Weg für die neoliberalen Reformer ebnete. Auch dafür hat Straubhaar eine nette Geschichte auf Lager:

Aus dem Verhalten der amerikanischen Regierung und der US-Notenbank wird eines klar: Man sucht die Genesung nicht etwa in einer Rückbesinnung auf die ur-amerikanischen Tugenden. Barack Obama strebt nicht nach einer Entfesselung von Marktkräften, wie das einst Ronald Reagan in einer ebenfalls kritischen Phase der amerikanischen Geschichte Anfang der achtziger Jahre getan hat. Im Gegenteil: Getrieben von seiner eigenen Überzeugung und beraten durch staatsgläubige Ökonomen, hat Obama einen Weg eingeschlagen, der weit weg führt von dem, was Amerika im vergangenen Jahrhundert an die Spitze der Welt katapultiert hatte.

Die amerikanische Politik von heute setzt auf mehr Staat - und nicht auf Eigenverantwortung und Selbstbestimmung. Sie verabreicht dem Patienten noch einmal mehr und nicht etwa weniger von genau jenem Mittel, das zur Krise geführt hat.

Dabei hatte der Absturz seine Ursache auch in einer Politik des billigen Geldes. Wenn die Zinsen so niedrig bleiben wie bisher, wird sich der Staat immer weiter verschulden. Eines Tages werden diese Schulden von heute mit Zinsen und Zinseszinsen zurückzuzahlen sein. Das wird Steuererhöhungen zur Folge haben, was den Lohn harter eigener Arbeit schmälern wird. Außerdem machen die niedrigen Zinsen das private Sparen unattraktiv - und verhindern damit den Ausstieg aus dem Leben auf Pump.
Das Setzen auf möglichst viel Staat hat die Krise gebracht? Das ist so lächerlich, dass vermutlich nicht einmal Straubhaar selbst daran glaubt. Die Finanzkrise ist durch mangelnde Kontrolle entstanden, und nicht weil der Staat einen zu festen Griff auf die Wirtschaft ausgeübt hätte. Es ist zwar richtig, dass es Reagan gelang, mit einer Hochzinspolitik die Inflation in den USA zu stoppen - aber der Preis dafür war eine furchtbare Rezession und der Absturz eines großen Teils der Amerikaner in die Armut prekärer Beschäftigungen, mithin die Vernichtung der breiten Mittelschicht, die in den USA als Produkt der staatlichen Interventionen in die Wirtschaft entstanden war. Aus so einem Loch kann man natürlich auch ordentliche Wachstumsraten erreichen. 

Aber Straubhaar ist ein großartiger Geschichtenerzähler, und so ist diese Entwicklung etwas großartiges, weil ja jetzt wieder "der Lohn harter eigener Arbeit" etwas zählt. Davon versteht ein komplett vom Staat ausgehaltener und unkündbarer Professor natürlich etwas, keine Frage. Da fällt dann auch kaum mehr auf, wie absurd der Gedanke ist, verschuldete Haushalte würden plötzlich sparen, wenn die Fed ihre Zinsen erhöhen würde. Herr Straubhaar, zum Sparen muss mehr Geld reinkommen als man für die eigene Selbsterhaltung ausgeben muss, und das ist in Ihrer Wunderwelt der "harten eigenen Arbeit" leider nicht möglich. Aber Hauptsache, alles passt ins Weltbild eines völlig weltfremden, abgehobenen INSM-Mietmauls.

12 Kommentare:

  1. "Die „ökonomischen Prinzipien“, die ihre Theorien untermauern, sind ein Schwindel – keine grundlegenden Wahrheiten, sondern bloße Drehknöpfe, an denen man so lange herumdreht und justiert, bis am Ende der Analyse die „richtigen“ Schlussfolgerungen herauskommen.

    Die „richtigen“ Schlussfolgerungen sind davon abhängig, welcher von zwei Typen von Ökonomen Sie sind. Der eine Typ entscheidet sich, aus Gründen, die nichts mit Ökonomie oder Wissenschaft zu tun haben, für eine politische Haltung und eine Gruppe politischer Verbündeter und dreht und justiert so lange an seinen Annahmen herum, bis sie Schlussfolgerungen hervorbringen, die zu seiner Einstellung passen und seinen Verbündeten gefallen. "

    http://www.project-syndicate.org/commentary/delong104/German

    Wie entsteht strukturelle Arbeitslosigkeit?

    "In den Vereinigten Staaten sind die Beschäftigungszahlen von 137,8 Millionen Erwerbstätigen im Juli 2007 auf unter 130 Millionen im Juli 2010 gefallen – ein Rückgang um 7,9 Millionen in einem Zeitraum, in dem die erwachsene Bevölkerung um sechs Millionen gewachsen ist. Wir werden nicht etwa Zeugen einer Verlagerung der Nachfrage auf Sektoren, in denen eine ausreichende Anzahl an ausgebildeten und produktiven Arbeitern fehlt, sondern vielmehr haben wir es mit einem Einbruch der Gesamtnachfrage zu tun.

    Dies könnte in drei Jahren wie strukturelle Arbeitslosigkeit aussehen. In drei Jahren könnte es zu einem Arbeitskräftemangel, steigenden Löhnen und einer Erhöhung der Preise in expandierenden Branchen kommen, begleitet von hoher Arbeitslosigkeit in anderen Wirtschaftsbereichen."

    http://www.project-syndicate.org/commentary/delong105/German

    AntwortenLöschen
  2. Straubhaar-Zitat:
    "Barack Obama strebt nicht nach einer Entfesselung von Marktkräften, wie das einst Ronald Reagan in einer ebenfalls kritischen Phase der amerikanischen Geschichte Anfang der achtziger Jahre getan hat."

    Zur Erinnerung: Unter Reagan stieg die Staatsverschuldung bis Ende 1988 um 179,6 Prozent auf damals utopische 2,6 Billionen Dollar; und das ohne Super-Finanzkrise und 2 Kriegen die Obama übernehmen musste. Die von Reagan vertretene "Trickle-down-Theorie" hat dem ärmeren Teil (ca.80%) der US-Bürger nichts außer Schulden gebracht.
    Wie man angesichts der historischen Tatsachen Sätze wie :
    "Die amerikanische Politik von heute setzt auf mehr Staat - und nicht auf Eigenverantwortung und Selbstbestimmung. Sie verabreicht dem Patienten noch einmal mehr und nicht etwa weniger von genau jenem Mittel, das zur Krise geführt hat."

    verfasst und damit genau das vorschlägt was man den anderen vorwirft, macht mich fassungslos.
    gruß angie47

    AntwortenLöschen
  3. Naja was von solchen Professoren zu halten ist das wissen ja am besten, dürfen wir uns doch oft an wirklichkeitsfremden Ergüssen ergötzen.

    zb. Prof. Un(Sinn)

    AntwortenLöschen
  4. Die sogenannten "Wirtschaftsprofessoren" sind doch längst als Bullshit-Talker disqualifiziert, wenn auch hauptsächlich leider nur bei jenen, die noch selbständig denken können, also einer Minderheit... zu Straubhaar selbst fällt einem schon nichts mehr ein, außer dem naheliegenden Wortspiel mit dem "Haare sträuben". Wenigstens sind sich dieses Mal sogar die Kommentatoren bei SPON relativ einig, nämlich darin, dass die Bullshit-Schmerzgrenze eindeutig überschritten ist. Unglücklicherweise wird auch diese maximal zur Schau gestellte Imkompetenz für Flaschen wie Straubhaar kaum Folgen haben - er ist ja ein nützlicher Idiot. Was gilt da die Widerlegung seiner idiotischen/ideologischen Artikel - Hauptsache er schreibt sie.

    Ansonsten hat Jean-Philippe Bouchaud in Nature (Vol. 455, Oktober 2008) bereits alles Wichtige zu den sogenannten "Wirtschaftswissenschaften" gesagt:

    Compared with physics, it seems fair to say that the quantitative success of the economic sciences has been disappointing. Rockets fly to the Moon; energy is extracted from minute changes of atomic mass. What is the flagship achievement of economics? Only its recurrent inability to predict and avert crises, including the current worldwide credit crunch.

    Das ganze PDF ("Economics needs a scientific revolution") für den interessierten hier.

    AntwortenLöschen
  5. Und was den alten Reagan und den tatsächlichen Sachverhalt der ganzen neoliberalen, Verzeihung, Scheiße angeht, kann ich wiederholt nur Sam Pizzigatti empfehlen, www.greeadandgood.org. Wer Trickle-down und Co. faktenbasiert wiederlegt sehen und die wahren Auswirkungen der letzten zwanzig Liberalisierungs- und Privatisierungs-Jahre kennenlernen will, ist hier richtig.

    AntwortenLöschen
  6. Diese ganzen Legenden vom amerikanischen Wohlstand durch Selbstverantwortung und einen kleinen Staat hat er wahrscheinlich direkt vom Messias der Neoliberalen, Milton Friedman, abgekupfert.
    Der war sich auch nie zu schade dazu, die "free market society" zu propagieren, die die USA im 19. Jahrhundert angeblich so gross gemacht hat.

    Wer sich mal "Free to Choose" anschaut (oder das Buch liest, was aber nur Zeitverschwendung ist), der sieht den ganzen argumantativen Apparat dieser Schwachsinnsideologie vor sich ausgebreitet.

    AntwortenLöschen
  7. Eine Gesellschaft die in ihrer Geschichte vor allem auf Eroberung, Vernichtung der Ureinwohner, Imperialismus und
    unzähliger Verbrechen gegen die Menschlichkeit beruht, so schön zu reden, ist so dumm wie dem 3.Reich einen Kranz zu winden.

    AntwortenLöschen
  8. Finde schon bezeichnend, dass man, wenn man sich die Kommentare zu diesem "Artikel" anschaut, ca. 95 % Ablehnung herauslesen kann.

    Auch wenn man anscheinend mittlerweile beim Spiegel damit rechnen muss, solche Artikel zu lesen, scheinen die Leser doch noch ein bisschen cleverer zu sein als dieser sog. Wissenschaftler. Das macht dann doch noch ein bisschen Hoffnung, dass die Deutschen nicht auf die neoliberalen Marktschreier von INSM und Konsorten hereinfallen, auch wenn sie von fast allen Medien als objektive Wissenschaftler dargestellt werden. Wie auch hier, nirgendwo ein Hinweis um wen es sich bei Herrn Straubhaar handelt. Da fragt man sich wirklich was der Spiegel mit solch einem Artikel bezwecken will.

    AntwortenLöschen
  9. Nun ja, das ist dann aber in diesem Fall wohl gründlich in die Hose gegangen.

    AntwortenLöschen
  10. Leider nicht. Wie viele Leute lesen die Comments? Wie viele haben den Artikel gelesen und das geglaubt? Irgendwas bleibt immer hängen.

    AntwortenLöschen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.