Montag, 27. November 2006

Amokläufe mit und ohne Selbstmord

Unter diesem Topos hat Gerhard Wisnewski seinen Senf zum Amoklauf abgegeben:
"Die öffentliche Diskussion über die Schulattentate ist an Verlogenheit und Heuchelei nicht mehr zu überbieten. Wie man das von der Politik nun mal gewöhnt ist, stellt sie die Realität völlig auf den Kopf. Dieses Land leidet ohnehin unter einem derart galoppierenden Realitätsverlust, daß es über kurz oder lang nicht mehr funktionsfähig sein dürfte. Mit der gewohnten Wichtigtuerei prügeln die Politker auf Computerspiele ein und verdächtigen sie als Ursache der Schulmassaker. Dabei sind sie nicht Ursache, sondern Ausdruck und Ventil für Aggressionen. Woher kommen denn die enormen Aggressionen auf die Schule, die Erwachsenen und das Leben allgemein? Ausdruck dieser Aggressionen sind ja nicht allein die Schulattentate; sie sind ja nur die spektakuläre und auch fragwürdige Spitze des Eisbergs."
Gut, die Aussage, dass Computerspiele NICHT die Schuldigen sind, findet man bei jedem halbwegs klar denkenden Menschen. Doch Wisnewski wäre nicht Wisnewski, würde er nicht gleich einige unangenehme und wie üblich brutal offen benannte Erklärungen bieten, die nicht einmal so abwegig klingen wie die meisten seiner Thesen:
"Ursache der Gewalt sind weniger die Computerspiele als vielmehr diejenigen, die so nachdrücklich mit dem Finger auf sie zeigen. Haltet den Dieb!, schreien Politiker, die die Gesellschaft und ihre Kinder täglich um ihre Zukunft betrügen - dieselben Politiker, die dafür sorgen, daß der Dampfdruck in der Gesellschaft und in der Schule kontinuierlich steigt:
  • durch eine verkürzte Schulzeit, die den Druck zusätzlich erhöht,
  • durch den ständig steigenden Kostendruck durch Büchergeld u.a. in der Schule,
  • durch eine goteske Rechtschreibreform einschließlich dauernder Änderungen, die Schüler zwangsläufig verwirren und frustrieren muß, die um Lesen und Schreiben kämpfen,
  • durch die ständige Botschaft an die Kinder, daß sie sowieso niemand brauchen kann, wenn sie aus dem Tollhaus Schule herauskommen,
  • durch fehlenden Kontakt und fehlende Ansprechpartner zuhause,
  • durch die Botschaft, daß sich immer weniger Schüler ihr Studium werden leisten können,
  • durch das tägliche Erlebnis, daß schon die Eltern niemand mehr brauchen kann,
  • durch vom Existenzkampf bedrohte Eltern, die ihre Kinder nach der Schule in den Hort abschieben müssen,
  • durch ständige Angstkampagnen in Bezug auf Terrorismus, BSE, Vogelgrippe, mit denen Politiker die Gesellschaft kontrollieren wollen,
  • und natürlich durch die Gewalt, die Politiker weltweit ständig selber ausüben und vor der Welt in Friedensmissionen umlügen.

Sind letzteres vielleicht die Beispiele, die die Kinder von solchen Gewaltexzessen abhalten sollen? Kinder und Jugendliche sind sehr sensibel für Lügen; sie durchschauen sie oft bereits, wenn die Eltern noch an das Geschwätz von Bush und Merkel glauben.
Nun, ich weiß nicht, wie sensibel Kinder tatsächlich für Politikerlügen sind - aber an dem gestiegenen Druck ist tatsächlich was dran, und Wisnewski hat noch nicht einmal den alltäglichen Druck durch Geschlechter-, Status- und Positionskämpfe erwähnt. Am Ende des Artikels gleitet Wisnewski wieder in eine Polemik gegen die letzten Kriege ab, die er ebenfalls als Amokläufe bezeichnet - nur eben der verantwortlichen Politiker, die "am Ende nicht so viel Stil haben, Selbstmord zu begehen."

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