Donnerstag, 4. Dezember 2008

Das politische System der USA V: Die Parteien II, der Föderalismus

Dies ist der fünfte Teil der Serie "Das politische System der USA", bestehend aus meinen Mitschrieben der gleichnamigen Vorlesung von Dr. Harald Barrios.

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Teil I: Geschichtlicher Abriss

Teil II: Präsidialwahlsystem

Teil III: Präsidentschaftswahlen, Kongress, Senat

Teil IV: Die Parteien

Teil V: Die Parteien II, Föderalismus

Teil VI: Gewaltenteilung

Teil VII: Die Judikative

Teil VIII: Politische Kultur

Teil IX: Ausblick


Das politische System der USA V: Die Parteien II, der Föderalismus


Im Diachronlängsschnitt zeigt sich, dass die Konflikte, die die US-Gesellschaft zerreißen heute andere sind als noch Ende des 19. Jahrhunderts, da sie dynamisch sind. Hier lässt das US-Parteiensystem viel Flexibilität zu. In Europa ist durch eine Konfliktlinie die Parteienkonstellation häufig bereits vorgegeben und die Parteien halten die Konfliktlinien auch länger aufrecht als dies eigentlich nötig wäre. In den USA ist dies nicht der Fall. Hier steht der Gedanke des voter reallignment im Vordergrund, also der Neuausrichtung der Wählerschaft. Die reallignments sind schwer vorauszusagen, was am Beispiel 2004 deutlich wird, wo mit der Niederlage Kerrys ein endgültiges Ende des New Deals prophezeit wurde und eine andauernde republikanische Dominanz.

In der Geschichte der US-Parteien lassen sich solche Umschichtungen deutlich beobachten. Bei Gründung der Republikaner 1834 war klar, dass diese die progressive Partei waren, stark im Norden und kompromisslos gegen Sklavenhaltung, während die Demokraten gespalten und für die Sklaverei waren. Dies ist auch interessant, weil Obama sich immer wieder auf den Republikaner Lincoln beruft, was vollkommen legitim ist (unvorstellbar in Europa, dass ein Christdemokrat sich auf einen Sozialdemokraten beruft). Durch die Zerstörungen des Bürgerkriegs wurden die Demokraten dann von der etablierten Partei zum underdog und verbündete sich mit den entstehenden Gewerkschaften – die wie bereits erwähnt NICHT links sind. 1968 prügelten die Gewerkschaften auch auf die Hippies ein. Später identifizierten sich auch immer mehr Einwanderer und vor allem Afroamerikaner mit der demokratischen Partei, dem underdog, was sich durch Roosevelts Politik verstärkte. Diese Entwicklung ist allerdings nicht linear, denn die Demokraten waren lange Zeit gespalten in einen progressiven, international orientierten Flügel und den konservativen, rassistischen Flügel, der besonders im Süden aktiv war. Deswegen war es sehr gefährlich von Kennedy, sich mit dem damals inhaftierten Martin Luther King zu treffen oder für Lyndon B. Johnson, mit Bundestruppen die Gleichberechtigungsgesetze durchzusetzen. Dadurch gerieten die Demokraten im Süden in schwere Nachteile. Um das zu kompensieren, warben die Demokraten stark um die new minorities wie die gays oder neue Einwanderungsgruppen. Das grassroots-movement dieser Tage ist gewissermaßen ein Endpunkt dieser 40jährigen Entwicklung, da das Werben erstmals in einer echten Mobilisierung endete (die vorher vor allem wegen der Registrierungsprozedur selten erfolgte).

Die Republikaner, auf der anderen Seite, haben sich in den letzten 40 Jahren zu der religiös-fundamentalistischen Partei gewandelt, die wir heute kennen – vorher spielte Religion für die Republikaner keine Rolle. 1968 sorgte jedoch für einen gewaltigen backlash im bible belt, der von den Republikanern entsprechend aufgenommen wurde. Organisiert wurden beide Bewegungen übrigens von derselben Generation, den babyboomern. So haben sich die Wählerschichten zwischen den Parteien deutlich verschoben, als Beispiel hier auch das Militär zu nennen. Was sich nicht geändert hat ist, dass die Republikaner schon immer eine Partei der Selbstständigen war.

Die Demokraten vereinigen heute vor allem die Lehrer, Rechtsanwälte, Studenten und Minderheitenvertreter (mit Ausnahme der Latinos, die wegen dem starken kubanischen Einfluss eher auf Seiten der Republikaner sind) sowie besserverdienende Leute. Außerdem starke demokratische Basen sind ebenfalls die Großstädte an Ost- und Westküste, während fly-over-America eine republikanische Basis ist. Hollywood ist eine Säule der Demokraten, was im Ausland durchaus anders gesehen wird. Für die christlichen Fundamentalisten ist jedoch Hollywood das neue Babylon, während man es im Ausland eher als Säule des US-Imperialismus’ sieht.

Kommen wir zum Thema Föderalismus. Es gibt keinen abstrakten Föderalismus; die Herausforderungen der Gewaltenteilung stellen gewissermaßen frühere Konfliktlinien dar. Der Konfliktstoff wird quasi zu Institutionen, aus denen dann der Föderalismus resultiert. Über die Zeit kommt weiteres hinzu wie höchstrichterliche Entscheidungen oder allgemeine Entwicklungen, die das ganze Gebilde mehr in Richtung Zentralstaat oder wieder zurück schieben; die Entwicklungen finden aber alle auf demselben föderalistischen Pfad statt. In den USA ist ein wichtiger Motor für diese Entwicklungen die große Staatsskepsis der Amerikaner, die vor allem aus der Kolonial- und Westexpansiosgeschichte der USA resultieren. In der Zeit des benignly neglect, als die Briten wegen innerer Wirren die Zügel locker ließen entwickelten die USA ihre Präferenz für lokales Regieren, die sie im Unabhängigkeitskrieg auch gegen die Briten verteidigten und die noch heute bestimmend ist; Benjamin Franklin nannte die frühen USA ein „rope of sand“. Es zeichnete sich allerdings rasch ab, dass die regierende politische Klasse eine engere Anbindung der Staaten aneinander anstrebte. In den federalist papers wurde stark für die Schaffung eines Zentralstaats argumentiert. Einige Argumente der federalists erwiesen sich aber als zwingend. Gegen die absolutistischen Staaten Europas musste die unabhängige Republik sich verteidigen. Neben der Armee wurde auch für einen gemeinsamen außenpolitisch-diplomatischen Dienst geworben. Ausschlaggebend dürften aber die wirtschaftlichen Argumente gewesen sein, um den ruinösen Wettlauf der 13 Staaten zu unterbinden und die Inflation einzudämmen. Eine Vereinheitlichung der Handelspolitik würde auch die Stärkung der USA gegenüber Europa erhofft (e pluribus unum, wie es im Staatswappen der USA heißt). Die Schaffung des Surpreme Court wurde dann der eigentliche Integrationsmotor (wie die Schaffung des Europäischen Gerichtshofs in den 1960er Jahren für die EU).

In der Bevölkerung gab es aber, wie auch bei der Europäischen Einigung, hinhaltenden Widerstand. Eine vielfältige Koalition aus anti-federalists bildete sich. Diese waren auch eine Reaktion auf extreme Vorschläge wie den Alexander Hamiltons, einen Einheitsstaat mit lebenslämglich gewähltem Staatsoberhaupt zu schaffen und die daraus resultierende Furcht, dass das britische Reich nur durch einen amerikanischen Leviathan ersetzt würde. Außerdem schien die religiöse Freiheit gefährdet, wenn ein „Staatskult“ entstünde, der eine allgemeine anti-religiöse Einstellung des Staates förderte – die französische Revolution war ein abschreckendes Beispiel. All diese Vorbehalte sind bis heute in höchstem Maße relevant.

Ende des 18. Jahrhunderts gelang es dann, eine Bundesverfassungs und damit die Förderation zu schaffen, jedoch nur in einer stark verwässerten Version. Wie im Fall des divided government wurde bewusst Sand ins Getriebe gestreut, was keinesfalls disfunktionell ist, sondern voll beabsichtigt. Durch die ersten neun Amendments wurde dann auch schnell nachgebessert und die Menschenrechte auf Bundesebene gesichert; das zehnte Amendment war dann gleich eine starke Bremse für die Bundesgewalt, indem es festlegte, dass alle Rechte, die die Verfassung NICHT ausdrücklich der Bundesregierung zubilligte, waren den Staaten bzw. dem Volk vorbehalten.

Am Anfang gab es zwischen Bund und Staaten keine Hierarchie; Staaten und Bund existierten gleichberechtigt nebeneinander. Das Finanzaufkommen beider Körper war annäherend 100 Jahre lang fast gleich hoch. Allerdings engte sich der Spielraum der Einzelstaaten immer mehr ein, da ihre Gesetze keinen Bundesgesetzen (dem surpreme law) nicht widersprechen dürfen und es immer mehr Bundesgesetze gibt. Dadurch entsteht eine Dynamik in Richtung immer stärkerer Vereinheitlichung, was durch den Bürgerkrieg weiter beschleunigt wurde. Die Niederlage der Südstaaten verneinte das Recht auf Austritt eines Einzelstaats aus der Union explizit. Die Verfassung selbst legt der Bundesgewalt allerdings starke Zügel an, da die Kompetenzen recht stark eingeschränkt sind. Es gibt jedoch einen Gummiparagraphen der vorsieht, dass der Bund selbst entscheidet, welche Kompetenzen benötigt werden, um seine Kernkompetenzen wahrzunehmen und dass ihm diese unterstehen. Die broad construction, weite Auslegung, dieser implied powers ist das Geheimnis der Macht des Bundes, so dass effektiv nur die in der Verfassung verbotenen Kompetenzen dem Bund verwehrt sind. Allerdings darf der Bund auch wieder nicht die finanzielle und politische Eigenständigkeit der Bundesstaaten angreifen. Die Bundesstaaten dürfen dabei sogar ihre Verfassungsform selbst bestimmen (also beispielsweise ob es sich um ein Ein- oder Zweikammersystem handelt) und muss nur dafür sorgen, dass es eine republikanische Verfassung ist.

Alle Gesetze, die das Alltagsleben der Menschen berühren, werden jedoch auf Staats- oder tiefer liegender Ebene beschlossen. In den USA gibt es rund 82.000 Einzelelemente (states, towns, townships, …), deren Rang interessanterweise in der Verfassung nicht festgelegt ist, die aber alle teils gemäß der home rule eigene Kommunalverfassungen aufweisen. Die Kommunen besitzen einen großen eigenständigen finanziellen Handlunsrahmen; die deutschen Kommunen haben lang keinen so großen Gestaltungsspielraum wie die amerikanischen.

Alle Einzelstaaten sind in counties unterteilt (nur in Louisinia und Alaska heißen sie anders), die von höchst unterschiedlicher Größe und Einwohnerzahl sind. Das Entstehen der „Speckgürtel“ und Aussterben der Innenstädte sorgte für eine Verschiebung der Gewichte zwischen counties und cities. Der spezifisch europäische Eindruck, dass der US-Staat sich stark begrenzt und steuermäßig zurückhält, ist nicht zutreffend, da man unzulässig auf die Bundesebene verengt, die lokalen Elemente aber eigene Steuerkompetenzen haben. Ein finanzielles Übergewicht besitzt der Bund seit der Einführung der Einkommenssteuer 1913. Diese Steuer war eine Revolution, da das Einkommen bisher nur den Bürgern gehörte. Dazu kommt, dass diese Steuer progressiv ist.

Das politische Klima der letzten Jahrzehnte war stark gegen weitere Steuern; eine Einkommenssteuer wäre in diesem Zeitraum kaum möglich gewesen. Möglicherweise kehrt sich dieser Trend jetzt wieder um, aber das ist noch nicht absehbar. Der Ausgabentätigkeit des Bundes sind somit kaum Grenzen gesetzt. Es existiert auch kein Finanzausgleich wie in der BRD. Der Bund kann dafür so genannte grands, also zweckgebundene Zuschüsse, einsetzen. Im 20. Jahrhundert waren es vor allem der New Deal sowie die Great Society Johnsons in den 1960er Jahren, die eine größere Vereinheitlichung der Gesetzgebungsprozesse der Einzelstaaten und des Bundes forcierten. Über die general-wellfare-Klausel der Verfassung, einen weiteren Gummiparagraph und dessen extensive Auslegung, wurde die „Schichtentorte“ des US-Föderalismus zu einem „Marmorkuchen“: Der duale Föderalismus wich immer mehr einem kooperativen Föderalismus. Die Staaten wurden durch die grands zu einem gewissen Teil entmündigt, da die Bundesmittel einen immer größeren Teil des Budgets der Einzelstaaten und der untergeordneten Instanzen ausgmachen. 1913 und 1933 stellen damit entscheidende Wegmarken bei der Veränderung des US-Föderalismus dar.

Die konservative Revolution von Ronald Reagan ist seit Gründung der USA die erste Umkehrbewegung von der Unitarisierung! Allerdings ist es in der Forschung sehr umstritten, inwieweit es sich wirklich um eine entgegenwirkende Entwicklung handelt und ob es sich bei dem new federalism nicht viel mehr um eine Möglichkeit der Nutzung der republikanischen Kongressmehrheit und der Durchsetzung von Privatisierungen und Deregulierung handelt, die automatisch größere Spielräume für die Einzelstaaten schaffen. Es zeigt sich auch daran, dass in den 1980er Jahren beschlossen worden war, dass der Kongress über den Grad an Autonomie der Einzelstaaten bestimmen kann. Mit dem Wahlsieg Obamas ist es aber sehr wahrscheinlich, dass ein neuer Trend zu mehr Einheitlichkeit bevorsteht, da antizyklische Wirtschaftsmaßnahmen mehr Aktivität des Bundes erfordern. Der Rahmen für einzelstaatliche Alleingänge wird also enger.

Was wir in den letzten Jahren erlebt haben, war ein Wettbewerbsföderalismus. Dieser führte zu einem Steuersenkungswettlauf zwischen den Staaten mit desaströsen Ergebnissen, da Ausgabenkürzungen, Einnahmeausfälle und ausgeglichene Haushalte einen Teufelskreis in Gang setzten. Dieser Wettlauf kann sich fortsetzen, wenn der Bund die Hauptlast seiner neuen Aktivitäten trägt. Die Karten des Föderalismus in den USA werden also in Richtung auf mehr Einheitlichkeit neu gemischt.

2 Kommentare:

  1. Hi, ich habe mir nun die fünf Teile von Harald Barrios durchgelesen.

    Mein Eindruck ist, dass die Betrachtung der wichtigsten Einflussfaktiren eines politischen Systems in der ganzen Analyse komplett fehlen nd der ganze Vortrag von Harald Barrios sich praktisch nur mit Nebensächlichkeiten beschäftigt.

    Die wichtigen Einflussfaktoren, die aus meiner Sicht fehlen, sind:

    - die Massenmedien der Mediokratie und ihre Eigentümer
    - die Herren über die unkontrollierte Macht der Geheimdienste
    - die demokratische Kontrolle des politischen Einflusses milliardenschwerer Bankiers

    Vielleicht kommt das ja noch, oder vielleicht sprichst Du Harald Barrios einfach mal drauf an.

    Besten Gruß vom Katzenfreund

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