Mittwoch, 4. Februar 2009

Das politische System der USA IX: Ausblick

Dies ist der letzte Teil der Serie zum politischen System der USA, basierend auf den Mitschrieben aus der gleichnamigen Vorlesung von Dr. Harald Barrios.

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Teil I: Geschichtlicher Abriss

Teil II: Präsidialwahlsystem

Teil III: Präsidentschaftswahlen, Kongress, Senat

Teil IV: Die Parteien

Teil V: Die Parteien II, Föderalismus

Teil VI: Gewaltenteilung

Teil VII: Die Judikative

Teil VIII: Politische Kultur

Teil IX: Ausblick


Das politische System der USA IX: Ausblick


Das National Security Council, ein Thinktank, gab unlängst einen Bericht an den Präsidenten zum Thema der Stellung der USA in der internationalen Politik ab. Das ist insofern interessant, als dass der Bericht sich deutlich von dem von vier Jahren unterscheidet, was ungewöhnlich ist. Das NSC sagt voraus, dass emerging powers wie Brasilien, China und Indien ihren Einfluss in der nächsten Zeit auf Kosten Chinas ausbauen werden. Viele internationalisierte Institutionen sind baufällig, weil die USA sich kaum engagiert haben und werden kaum in der Lage sein, die kommende gesteigerte Konfliktivität einzudämmen, die aus der stiegenden Nachfrage an Rohstoffen resultiert. Besonders der steigende Rohstoffverbrauch in den emerging powers sorgt hier für Engpässe. Das NSC sagt voraus, dass die Rolle der USA nicht mehr die der einzig verbliebene Supermacht sein wird. Der unipolar moment ist vorbei, sollte er je existiert haben. Als die These vom unipolar moment um 1993 aufkam, schienen die USA den Kalten Krieg für sich entschieden zu haben; die Ostexpansion der NATO schien gesichert, der Export von Marktwirtschaf und Demokratie geschah fast von allein und überraschte in seiner Geschwindigkeit sogar die Führer der USA selbst. Dazu kam, dass sich in hohem Tempo neue Staaten in den internationalen Handel einspannen ließen und in die Netzwerke internationaler Finanzströme eintraten. Dieser Export ist an sich nichts Neues; die USA haben ihn spätestens ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts betrieben.

Bereits in den 1990er Jahren war jedoch zu beobachten, dass es offene und verdeckte Widerstände gegen die Demokratisierung und Liberalisierung gab; nach dem ersten Fall der Dominosteine gab es bereits erste Rückschritte in Richtung Autokratie, es gab Widerstand gegen diese Vision der „Brave New World“ der Amerikaner. Dazu kam, dass mit der Regierung Bush in einem gewissen Widerspruch zur Vollendung dieser internationalen Ordnung es immer wieder zu Alleingängen der USA kam. Die USA haben sich gewissermaßen einen Selbstdispens von den Regelwerken geschaffen, die sie selbst erstellt hat, schwebten gewissermaßen über diesen Regelwerken und waren gleicher als gleich. Damit verstießen sie gegen eine ihrer heiligsten Maximen von Thomas Paine, dass der Herrscher ebenfalls dem Gesetz unterstehen muss. Als Reaktion feierte der Antiamerikanismus in weiten Teilen Europas fröhliche Urstände. Neu war nicht die Kritik von linker Seite, sondern dass auch konservative Kräfte den Antiamerikanismus wieder für sich entdeckten, der ja eine deutlich längere Geschichte als der linke Antiamerikanismus hat.

Bereits 1823 deutete sich mit der Monroe-Doktrin die Verteidigungshaltung eines um seine Existenz besorgten Regimes an, das dieses System dann expansiv nach außen setzte. Für ein avantgardistisches System, das durch Revolution entstanden ist, ist das durchaus typisch. Lenin und Khomeini zeigten dieselben Symptome. Man befürchtet, dass mit dem eigenen System auch die Idee verschwindet. Je mehr jedoch die Lage der USA sich stabilisierte transformierte dieser Impuls nach außen. Wilson vertrat die idealistische Vorstellung, dass ein Ende der großen Imperien wie des Deutschen Reiches oder Österreich-Ungarns das Selbstbestimmungsrecht der Völker und Abrüstungsbemühungen durch internationale Vertragswerke eine Phase des Friedens herbeischaffen könnte, die letztlich die Führungsrolle der USA bekräftigen und absichern würden. Daraus wurde aber nichts; der Senat lehnte den Völkerbundbeitritt ab. Neuordnungsversuche des internationalen Systems blieben aber auch nach Wilson Stückwerke.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das neugeschaffene System, dieses Mal mit eingebetteten marktwirtschaftlichen Elementen, zwar ein Erfolg, fand seine Grenzen aber im Kalten Krieg, da sich die realsozialistische Welt dieser Neuordnung verweigerte. Interessant ist, dass Fukuyamas Vision vom „Ende der Geschichte“ starke Ähnlichkeiten mit Marx’ Utopie aufweist. Diese amerikanische Vision vom Weltfrieden wurde allzuoft von außenstehenden als Mantel für imperialistische Bestrebungen interpretiert. Übersehen wurde häufig, dass die Präferenz für Alleingänge auch ein Zeichen von Schwäche war, da die USA sich außerstande sahen, eine Machtbasis zu sammeln. Die globale Rolle der USA war übrigens nie die eines Weltpolizisten, denn dies würde ja bedeuten, dass sie eine nachgestellte Exekutivrolle übernehmen würden, quasi auf Auftrag tätig, aber das haben sie nie akzeptiert. Ihre Rolle ist eher von einem Fehlen an Gewaltenteilung gekennzeichnet, wo die USA zeitweise Judikative, Legislative und Exekutive auf sich vereinigten. Im konservativen Amerika („Heartland America“) wurde dieses Engagement übrigens häufig sehr kritisch gesehen, nicht nur bei der amerikanischen Linken. Besonders gerne kam Kritik der Konvervativen auf, wenn realpolitische Motive hinter idealistische Motive zurücktreten. Die Diskussion in den 1990er Jahren um humanitäre Interventionen war in den USA davon geprägt, dass isolationistisch-konservative Kräfte mit der Begründung ablehnten, sie dienten nicht den Interessen der USA, während progressive Kräfte sie befürworteten. Das „America First“ und die oft schroffe Ablehnung internationaler Aktivitäten unter Bush wurden dann wieder von den Konservativen begrüßt und von den Progressiven verdammt.

Die Modernisierungstheorie geht davon aus, dass die Marktwirtschaft in allen Staaten zu Wohlstand führen werde und dadurch Weltfrieden herbeiführt. Die Theorie vergisst jedoch, dass globale Wirtschaft tendenziell ein Nullsummenspiel ist und es zudem verschiedene Wege der Marktwirtschaft gibt. Besonders Japans Weg geriet dabei ins Blickfeld der Analysten. Auch der Weg Chinas und Indiens von hungernden Agrarstaaten zu prosperierenden Industrieländern müsste als Zwischenschritt in die neue Moderne eigentlich von der Modernisierungstheorie begrüßt werden, wollte sie dies doch immer. In der idealistischen Variante dieses Denkens bleibt das normativ richtig. Nur bringt der Aufstieg dieser Länder auch eine klare Begrenzung des US-Handlungsspielraums mit sich und keine Erweiterung, wie die Modernisierungstheorie dies vorhergesagt hatte. Die Formel „Was gut ist für die Entwicklung der Welt ist auch gut für die USA“ geht nicht mehr auf.

Die Vision Obamas unterscheidet sich deutlich von der früherer demokratischer Präsidenten. Eine multipolare Welt, geprägt durch die Wertvorstellung der USA, ist kaum mehr vorstellbar. Mit dieser Absage ist aber auch die Idee von weltweitem Wohlstand prekär. Der neue Idealismus, für den Obama steht, kann nicht weiter von einer Verbreitung von Demokratie und Marktwirtschaft als Basis einer neuen Friedensordnung ausgehen; der neue Idealismus muss mit Pragmatismus kombiniert werden. In seiner Inaugurationsrede bekannte sich Obama zum Idealismus Roosevelts, Wilsons und Kennedys, zeigte sich aber andererseits bereit zum Mulitlateralismus OHNE Vorbedingungen, was vorher niemals jemand getan hatte. Die Finanzkrise beschleunigt diese neue Akzentsetzung noch. Dies ist ein Abschied von der globalen Führungsrolle der USA gerade im ökonomischen Sektor, die diese besonders in den 1950er Jahren innehatten. Für die Sozial- und Wirtschaftspolitik Obamas bedeutet dies, dass er Systemveränderndes einbringen kann, weil sich das System selbst ändert. Diese Änderungen waren übrigens bereits vor der Krise angedacht; die Durchsetzungschancen sind jedoch erheblich gestiegen. In der Krise wird außerdem aufgezeigt, welche wissenschaftlichen Thesen keinen Bestand haben – Milton Friedman wurde überdeutlich widerlegt.

Obama hat mehr freie Bahn als viele Präsidenten vor ihm. Die Gefahren liegen gerade weniger im Obstruktionspotential der Opposition, sondern im Detail der Umsetzung eines Konjunkturprogramms. Das Konjunkturprogramm übersteigt übrigens den Wert des bislang größten Programms, der zweiten Tranche des New Deal von 1935, bei weitem. Die konkrete Zuweisung dieser Mittel lässt sich ohne Verteilungsstreit kaum denken. Verteilungsgerechtigkeit wird dabei, milde ausgeprägt, durch Lobbyismus mitstrukturiert und eingeschränkt. Das betrifft auch die demokratische Partei. Um die dringend für die Durchsetzung notwendige Geschlossenheit zu bewahren, muss ein Verteilungsschlüssel gefunden werden. So haben beispielsweise die Gewerkschaften der Automobilindustrie gewaltigen Einfluss, was sich aber kaum mit dem grünen Schlüssel vereinbaren lässt. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Rückzahlung der Schulden, die für das Programm aufgenommen werden. Es wird wichtig sein das Programm in Hinsicht auf „Return of Investment“ zu gestalten. Der Staat – der ja alles über Schulden finanzieren muss – profitiert hier noch von seinem Vertrauen, das auch auf seinem Macht- und Gewaltmonopol beruht. Sollte aber eine galoppierende Inflation oder eine externe Krise zum Abzug von Geldanlagen aus den USA führen, hätte dies verheerende Folgen. Das große Leistungsdefizit der USA muss von außen finanziert werden, und die USA werden es auf Dauer reduzieren müssen. Da eine Steigerung der Exporte nur schwerlich möglich ist, werden die USA vielleicht auf Protektionismus zurückgreifen, der bei den Demokraten ohnehin schon immer beliebt war. Mini-Protektionismus gibt es ja bereits. Sollte dieser Protektionismus tatsächlich durchgeführt werden, würde dies Abwehrrreaktionen beispielsweise der EU hervorrufen. Allerdings könnte Protektionismus noch innerhalb der WTO-Regeln durchgeführt werden, da bespielsweise Zölle derzeit weit unter dem erlaubten Rahmen der WTO liegen.

Dringend notwendig für das Konjunkturpaket sind Reperaturen an der bestehenden Infrastrukturen besonders des Verkehrswesens und öffentlicher Gebäude, die seit der Reagan-Ära verfallen. Neben diesen Maßnahmen sind auch einmalige Anschaffungen möglich: Warnmaßnahmen gegen Hurricans, Renovierung der Everglades, etc. Auch die Konsumentennachfrage soll durch Steuersenkungen für alle Jahreseinkommen unter 200.000 Dollar um 500 bis 1000 Dollar gesteigert werden.

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