Dienstag, 23. März 2010

Hope oder Nope?

Von Stefan Sasse

In den USA hat Obama im letzten Jahr einen Absturz in der Wählergunst erfahren, wie er wohl einzigartig sein dürfte. Einzigartig nicht wegen des Niveaus, auf dem er mittlerweile angekommen ist - da haben es sich bereits andere vor ihm wie beispielsweise George W. Bush bequem gemacht - sondern wegen der schwindelerregenden Fallhöhe, die er sich in seinem Wahlkampf erarbeitet hat. Die Frage "Hope oder Nope" stellt sich in den USA für Obama seit mehreren Wochen, denn seine erste echte Reform nach einem recht lauwarmen Anfang, die Gesundheitsreform, dringend nötig und immer wieder verschoben, drohte mehrfach zu scheitern und ist nun endlich, in einer stark verwässerten Version, durch das Repräsentantenhaus. Die Widerstände waren gigantisch, und die nach dem Wahlkampf in Agonie liegenden Republikaner wittern Morgenluft.

Wie oft wurde Obama vorgeworfen, er erfülle seine Versprechen nicht? Wie schnell schien er seine Ideale zu verraten und unpopuläre Kompromisse zu schließen? Der Wall Street wurde Geld in den Rachen gepumpt, als gäbe es kein Morgen, und im Gegensatz zu der ähnlich gelagerten deutschen Situation goutiert es Joe Durchschnittsamerikaner ganz und gar nicht. Guantanamo ist immer noch nicht geschlossen, die USA foltern immer noch, in Afghanistan wurde das Truppendeputat erhöht. Alles in allem eine vernichtende Bilanz, möchte man meinen.

Möchte man. In Teilen ist sie das auch. Obama scheint die Widerstände, die ihm entgegenschlagen würden, deutlich unterschätzt zu haben. Er hoffte wohl, die Woge der Euphorie über den angekündigten "Change" werde ihn nicht nur ins Weiße Haus, sondern auch seine Vorhaben durch den Kongress tragen. Die Idee war auch gut und ist in der US-Geschichte nicht neu; durch die deutlich größere Unabhängigkeit der einzelnen Abgeordneten ist deren Abstimmungsverhalten unberechenbarer als hierzulande, und eine gigantische Popularität und Erwartungshaltung in Bezug auf den Präsidenten übt Druck auf die Volksvertreter aus (siehe auch hier genauer erklärt).

Diese Hoffnung hat sich zerschlagen. Mit medialer Rückendeckung seitens Fox-News haben die Republikaner endgültig die Handschuhe ausgezogen. Ihre teilweise paramilitärisch anmutenden Tea Partys sind davon ebenso Ausdruck wie die beinahe normal gewordene Diffamierung Obamas als Hitler, Sozialist oder beides.

Doch die Hartknäckigkeit Obamas, die 90%-Boni-Steuer im AIG-Fall und die Ankündigung, Amerikas Wirtschaftssystem radikal umstellen zu wollen beweisen, dass es dem Hoffnungsträger immer noch Ernst ist. Ich denke, dass die Verteufelungen Obamas nach seinem lauen Regierungsstart und den faulen Kompromissen verfrüht waren. Er ist tatsächlich kein "gewöhnlicher" Präsident. Er hat bereits laut ausgesprochen, dass er nicht zwingend auf eine Wiederwahl baut. Dadurch ist er, dem amerikanischen Wahlsystem sei dank, relativ schmerzbefreit und kann verhältnismäßig beruhigt an dieser Front regieren. Einzig Repräsentantenhaus- und Senatswahlen könnten ihm Probleme bereiten, aber auch hier sind seine Probleme nicht so groß wie sie beispielsweise für schwarz-gelb bezüglich der NRW-Wahlen gelten, weil in den USA die Bundespolitik für gewöhnlich weniger stark in die Landespolitik abstrahlt als hierzulande.
Obama hat das Zeug dazu, ein zweiter Lyndon B. Johnson zu werden. Der führte zwar die USA in den Vietnamkrieg, dessen Wurzeln bereits von Eisenhower und Kennedy gelegt wurden, initiierte aber auch die größten Sozialreformen, die die USA jemals gesehen haben. Seine Vision der "Great Society" sah den Aufbau eines wahren Wohlfahrtsstaates in Amerika vor - und auch er wurde zwischen den Fronten zerrieben, die "Great Society" von faulen Kompromissen komprommitiert und er nach seiner Amtsperiode nicht wiedergewählt. Er stellte sich gar nicht mehr erst zur Wahl und gilt unter Historikern allgemein als ein unterschätzter Präsident, besonders, weil er meist auf seine Rolle bei der Eskalation in Vietnam reduziert wird.

Obama ist, darüber muss man sich klar sein, trotz aller Messianik nur ein Politiker. Er muss sich Sachzwängen stellen wie jeder andere auch, widerstreitenden Interessen, Lobbyismus und dem Bedürfnis der Abgeordneten, wiedergewählt zu werden. Er hat auf die harte Tour gelernt, dass er diese Widerstände nicht mit einer schönen Rede überwinden wird, obgleich die nie schaden kann. Er hat mit der Durchsetzung der Gesundheitsreform bewiesen, dass er auch das politische Tagesgeschäft meistern kann - oder zumindest Leute hat, die es können.

Der Mann hat das Zeug dazu, die USA tiefgreifender zu verändern als alle Präsidenten seit Ronald Reagan. Ob er es auch schaffen wird, wird die Zukunft zeigen. Ich bin überzeugt davon, dass er den Willen dazu hat und nicht nur einfach an die Macht wollte, wie es ihm zeitweise unterstellt wurde. Ich habe tatsächlich Hoffnung.

9 Kommentare:

  1. Aber selbst wenn er sich traut zu reformieren und zu verändern, so müssen diese Reformen auch schnell genug Erfolge zeigen. Denn sonst steht zu befürchten, dass das Alles nach einer evtl Abwahl schnell wieder rückgänig gemacht wird. Dies wurde die Gesundheitsreform betreffend ja von den Republikanern schon angekündigt. Ob es sich dabei nur um Politgepolter handelt wird sich zeigen...

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  2. Ups, da hat wohl einer von der Mainstreampresse abgeschrieben! Naja, frei denken ist nicht so einfach...

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  3. "Wie oft wurde Obama vorgeworfen, er erfülle seine Versprechen nicht?" Zu oft? Zuviel gequatscht, zu wenig getan? Ein Plan ist immer nur so gut, wie die, die ihn ausführen.

    "Wie schnell schien er seine Ideale zu verraten und unpopuläre Kompromisse zu schließen?" Waren das tatsächlich seine Ideale, oder lediglich die, von denen man glaubt, sie seien uniformierbar? Gibt es unpopuläre Kompromisse, oder leidglich einen zu hohen Anteil von Benachteiligten, als Ergebnis der Kompromissfindung?

    Folgen wir den Pfaden der Macht, an Armen, Beinen und Kopf der Marionette, erkennen wir die Puppenspieler. Die Puppenspieler sind ganz weit oben, stehen über allem, die Zuschauer der Demokratie - ganz unten, lassen sich im Gedränge um die besten Plätze herumschubsen.

    Hoffnung? Eine einzige Chance, ist ein Universum voller Hoffnung.

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  4. Bezüglich der gesundheitsreform in den (U)SA
    kann ich Deine hoffnung bestärken, dieser große, wenn auch irgendwie -die praktische umsetzung wirds zeigen- regulierte markt ist eine verlockende möglichkeit zu 'wachsen'.

    Ansonsten, Obama ist ein guter junge, wäre er sonst präsident?

    alles wird gut-alle werden glücklich

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  5. Obama ist die perfekte Marke, keine "Brand" hat sich jemals besser verkauft.

    Obama ist wie ein Iphone, kaum gekauft, kann es nur die Hälfte der versprochenen Funktionen!


    Eindeutig NOPE! Größte Gehirnwäsche in der Geschichte des Planeten und der totale Triumph der Werbestrategen.

    Hurrah auf Walter Lippmann, seine Theorien bestimmen unsere Götter.

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  6. In Afghanistan und dem Irak sind tausende Menschen ermordet worden bzw. werden weiter abgeschlachtet, auch wenn wir das hier durch unsere Mainstream-Medien kaum noch mitbekommen.

    In den weltweiten CIA-Gefängnissen wird weiterhin gefoltert.

    Die Gesundheitsreform in den USA, wenn sie wirklich so umgesetzt wird wie versprochen, ist ein erster guter Schritt in die richtige Richtung. Aber noch lange kein Grund in Jubel auszubrechen oder Obama als den neuen Messiahs hinzustellen.

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  7. @ Stefan Sasse
    Nur seine Jünger sind in der Lage, in Personen, ihren (unseren?) Messias zu erkennen, oder?

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  8. Obama kann nicht, wie er will, weil er nunmal kein despotischer, tyrannischer, diktatorischer oder monarchistischer Gewaltherrscher ist.

    Die Verwässerung der Obamaschen Reformen zeigt m.E. eher an, wie stark der Widerstand von Finanz- und Wirtschaftseliten ist, die schlicht nicht teilen wollen, sowie der Wiederstand des polit. Gegners, der den Demokraten keine Erfolge gönnen will.

    Die Verluste in den Umfragewerten zeigen auch an, wie wenig die Amis dem politischen Geschenen wenigstens in ihrem eigenen Land folgen können und wie sehr die ausschließlich privaten Medien in den USA schlicht Rufmord und bewusste Falschaussagen produzieren.

    Ich halte Obamas Hartnäckigkeit und seinen Hinweis, dass er es nicht auf eine Wiederwahl anlegt, für durchaus bewundernswert.
    Wenigstens sagt er deutlich, dass man für Ideale und Ideen eintreten muss.
    Vielleicht fällt er ja trotzdem noch, (nur was seine politischen Reformideen betrifft!), um, man weiß das ja nie vorher ;-) *

    Aber immerhin.





    * Ma gucken, ob die FDP mit ihrem Steuersenkungsgeschrei noch umfällt.

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