Mittwoch, 3. August 2011

Scheiß auf den Deal?

Von Stefan Sasse

Josh Barro argumentiert auf dem Blog von Reihan Salam, dass der Kompromiss über die Anhebung der US-Schuldengrenze deutlich schlimmer klingt als er ist. Da Barro Republikaner ist, ist seine Argumentation nicht ganz uninteressant. Er erklärt, dass den automatischen Kürzungen der nächsten Jahre auch automatische Steuererhöhungen entgegenstehen, hauptsächlich durch eine Nicht-Verlängerung von Bushs Steuererleichterungen 2012. Das Argument, dass Obama diese bereits 2010 verlängert hat, lässt er nicht gelten: erstens müsse er 2012 keine Wiederwahlkampagne mehr befürchten, und zweitens - wenn er die Chance erneut nicht nützt, dann braucht er auch keine andere durch neue Steuern, was ehrlich gesagt nicht ganz blöd klingt. Barro erklärt außerdem, dass bereits der neue Kongress 2012 das alles wieder umwerfen könnte. Sollten dagegen die Republikaner 2012 siegen, säßen sie so oder so an den Schalthebeln - die Demokraten haben mit dem Deal also nichts verloren. Diese Argumentation klingt tatsächlich relativ einleuchtend. Die Ausgabenkürzungen werden alle erst ab nächstem Jahr fällig, und selbst da fahren sie nur relativ langsam an, und fallen möglicherweise mit ohnehin anstehenden Kürzungen in den nächsten Jahren zusammen (besonders was den Militäretat angeht).

Das bedeutete dann, dass das einzig wichtige Element des Kompromisses die Anhebung der Schuldengrenze bleibt. Hier vergisst Barro meiner Meinung nach den politischen Sieg der Tea Party, dessen Ausmaß und Konsequenzen aktuell kaum absehbar sind: entweder schwächt er Obama nachhaltig und macht ihn zu der gefürchteten lame duck, das wäre gewissermaßen der worst case. Oder aber er schwächt die Tea Party selbst, weil deren Radikalität und Realitätsferne doch mehr Amerikanern bewusst wird. Es gibt schließlich entgegen der aggressiven Rhetorik durchaus im Lager der Republikaner eine Mehrheit für Programme wie Medicare, und wie der Protest um Stuttgart21 gezeigt hat sind von solchen Bewegungen getragene Strömungen nicht unsterblich. Es ist durchaus möglich, dass sich viele Leute wieder darauf besinnen, dass sie vermutlich einmal selbst von Medicare abhängen werden, und dass die Tea Party dann rapide an Einfluss verliert, zugunsten der moderaten Republikaner. Das ist natürlich nicht gesagt, aber nicht gänzlich unwahrscheinlich. 

In all diesen Szenarien, in denen die Tea Party 2012 bzw. 2014 bei den nächsten Midterms nicht mehr dieselbe Rolle spielt wie sie es heute tut, ist der Kompromiss tatsächlich weitgehend Makulatur. Da die Amerikaner im Gegensatz zu den Deutschen dem dämlichen Drang widerstehen können, politische Moden wie die forcierte Austeritätspolitik des Staates gleich in der Verfassung festzuschreiben, steht und fällt die Zukunft des Plans mit der Zusammensetzung des Kongresses und der Richtung der öffentlichen Meinung. Und deren Unterstützung, das hat Obama selbst erfahren, kann äußerst wechselhaft sein. Es ist durchaus möglich, dass es zu einer Renaissance der Vernunft kommt, wenn die Tea Party ihren Zenit erst einmal überschritten hat - und der könnte mit diesem Kompromiss durchaus erreicht sein, denn schließlich hat sie gestandene Politveteranen wie John Boehner richtig an den Karren gefahren, die das so schnell nicht vergessen werden. 

Es ist in der aktuellen Situation zwar außerdem schwer vorstellbar, aber die Frage um Steuererhöhungen ist ja nicht vom Tisch. Zwar war sie aus dem Kompromiss explizit ausgeklammert worden, aber es ist durchaus nicht ausgeschlossen, dass das Obama in die Hände spielt, denn schließlich kann er das Thema so mit voller Wucht in den Wahlkampf tragen. Die Forderungen der Republikaner wurden fast vollständig erfüllt, so dass sich an der Basis eine gewisse Müdigkeit bezüglich des Themas und ob der Härten der Realität einstellen dürfte, während Obama das Spagat fertigbringen könnte, sich als wahrer Hüter eines ausgeglichenen Haushaltes hinzustellen, indem er Steuererhöhungen als einzige rationale, verantwortliche Methode zum Erreichen dieses Zieles verkauft. Es ist schwierig, eine solche Umdeutung zu meistern, aber Obama hat bereits einmal bewiesen ein brillanter Wahlkämpfer zu sein. Möglich, dass er das schafft.

2 Kommentare:

  1. "Das Argument, dass Obama diese bereits 2010 verlängert hat, lässt er nicht gelten: erstens müsse er 2012 keine Wiederwahlkampagne mehr befürchten, und zweitens - wenn er die Chance erneut nicht nützt, dann braucht er auch keine andere durch neue Steuern, was ehrlich gesagt nicht ganz blöd klingt."

    das verstehe ich nicht. Meint hier die Wiederwahlkampagne den Umstand, dass Obama diesmal der Verteidiger des Weißen Hauses ist? Wer das Weiße Haus innehat spielt doch bei den Steuern keine Rolle; selbst ein GOP-Kandidat kann versprechen, dass die Steuern sinken / bzw. Erleichterungen beibehalten werden... Da ist es doch egal, ob Obama oder ein Repuklikaner Präsident ist.

    Außerdem kommt nicht ganz rüber, was der letzte Satz meint... soll er keine andere Steuerkampagne fahren, außer die Erhöhung?

    ???

    Ansonsten, interessanter Ansatz; Danke; weiter so

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  2. Wenn Obama über die Steuererleichterungen befinden muss, wurde er wiedergewählt - eine weitere Wiederwahl wäre unmöglich, er könnte es sich deswegen leisten. Das soll das heißen.

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